Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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19

Mit wachsender Besorgnis hatte der Förster Andreas Aust beobachtet, wie in den Staatsforsten nördlich und nordwestlich der Haingeraide der Wald infolge der verderblichen Kahlhiebe im Hoch- und Mittelwaldbetrieb außerhalb der Fällungszeit gefährdet wurde. In die Buchen-Eichen-Mischbestände und Kiefern-Buchen-Mischbestände waren bereits beträchtliche Lücken geschlagen, der Abtrieb ging in getriebener Eile vor sich und alles deutete daraufhin, daß der Zivilkommissar Huß in kurzer Zeit möglichst viele Kubikmeter herausschlagen wollte, wobei er auf die Jahreszeit keinerlei Rücksicht nahm.

Als Andreas Aust auf Umwegen hörte, Veit Huß plane auch jetzt in den Gemeindewäldern der Haingeraide den Hieb alter Mischbestände, ja eines reinen Eichenbestandes, dessen Umtriebszeit noch längst nicht verstrichen war, wußte er, daß die Zeit zum Handeln gekommen war.

Er machte sich auf nach Speyer, um bei der Regierung vorstellig zu werden und auf die großen Gefahren aufmerksam zu machen, die durch die sinnlosen Hiebe wertvoller Bestände heraufbeschworen wurden.

In Speyer residierte aber die provisorische Regierung, die Vertreter der rechtmäßigen Regierung waren nach Germersheim geflohen. Ein Dekret aus München, das überall im Lande verbreitet wurde, hatte schon vor einigen Tagen verfügt, daß sämtliche Handlungen, so von der provisorischen Regierung vorgenommen würden, für null und nichtig zu erachten seien und keinerlei Gesetzkraft besäßen. Unter 362 Androhung von Strafen wurde verboten, den Anweisungen des Revolutionsprovisoriums Folge zu leisten. Andreas Aust gelang es auf Umwegen, von der rechtmäßigen Regierung, die im übrigen untätig und in zitternder Angst und Jämmerlichkeit hinter den Festungsmauern von Germersheim saß, eine schriftliche Bestätigung zu erhalten, wonach jegliche eigenmächtige Anordnung von Zusatzhieben und Reinigungshieben aufs strengste geahndet würde, insbesondere auch besitze die neue Hauordnung keine Gültigkeit und entbehre jeder rechtlichen Grundlage.

Andreas Aust blieb drei Tage, dann fuhr der Dampfgegner mit der neuen Eisenbahn zurück. Er, der geschworene Feind des Schienentransportmittels, dampfte von Speyer nach Neustadt, wurde von hier sogar vom Sektionsingenieur Berghaus auf einem Materialzug bis zum Wolfsburgtunnel mitgenommen und kam nachmittags beim Frankeneck an.

Als er an der Sägemühle seines Schwagers vorbeikam, sah er Veit Huß beim vorderen Vollgatter stehen. Er trug die blankgewichsten hohen Stiefel und den Hut mit der Spielhahnfeder.

Aust wollte unbemerkt vorübergehen, aber der Schwellenhuß hatte ihn schon gesehen und kam mit seinem öligen Lächeln pfiffelnd auf ihn zu.

»Hallo, Schwager, hast du dich auch mal unter uns Menschen gewagt? Tolle Zeit jetzt, was, es spukt an allen Ecken und Enden, die Münchner kriegen eins auf den Hut, hab' ich recht oder nicht?«

»Du hast jetzt wirklich einen Bart? Warum trägst du keine Uniform? Als Kommissar mit solchen Kompetenzen solltest du gestiefelt und gespornt gehen.«

»Das überlasse ich andern, die sich mit Eitelkeit bezahlen lassen.«

»Du tust das nicht?«

»Bewahre, laß sie nur ihre Pfauenräder schlagen.«

»Du schlägst derweil den Wald zuschanden.«

»Ich?! Du bist von der alten Schule. Wir haben eine neue Hauordnung.«

»Nach der neuen Hauordnung werden Jungholzmischbestände im Mai durchforstet?«

»Nein, das werden sie nicht!«

Ihre Stimmen schwollen an, sie wurden erregter, das ölige Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Schwellenhuß, die Augen bekamen ein bösartiges Funkeln.

363 »Du hast drüben beim Maikopf durchforsten lassen«, grollte der Förster.

»Das waren Schälfichten.«

»Im Revier 17 hast du Kroneneichen geschlagen!«

»Nur die Überwipfelten und einige mit Kernfäule.«

»Das ist nicht wahr, du hast die wertvollsten Stämme genommen, die Mischbuchen hast du stehenlassen. Früher hat man das umgekehrt gemacht. Du hast dich nicht gescheut, in dem wertvollen Bestand im Revier 18 auf der Höhe und in der gefährlichsten Windlage falsche Kahlhiebe zu machen; du hast auch den Jungholzfrostmantel auf der Nordostseite kahlschlagen lassen.«

»Das waren Eichenschälwaldungen. Warum kümmerst du dich um Reviere, die dich nichts angehen?«

Andreas Aust schlug beide Hände auf die Brust, er krampfte sie in das Tuch der Joppe fest. Seine Augen hatten dunklen Glanz.

»Weil mir der ganze Wald am Herzen liegt!«

»Du Narr, wir brauchen Geld.«

»Du hast die letzten Eichen aus dem Hochwaldbetrieb genommen. Sie sollten eine Umtriebszeit von mindestens zweihundert Jahren haben, du aber läßt sie zwischen den Buchen heraushauen, jetzt, im Mai, in der vollen Vegetation, und du verschandelst den Wald, das Niederholz und die Nachbarstämme, weil du dir nicht mal die Zeit nimmst, vorm Hieb zu asten. Das ist deine revolutionäre Hauordnung, du hast den Nordosthang beim Hoheneck kahl gefetzt und die frostempfindlichen Buchen freigestellt. Das ist mir eine Hauordnung!«

»Ich verbiete dir, mich zu schulmeistern!«

»Es ist schamlos, was du machst, dir würde ich nicht mal die Stockrodung anvertrauen.«

»Vergiß nicht, daß ich dein Vorgesetzter bin.«

»Vielleicht heute noch, vielleicht morgen schon nicht mehr.«

»Ich bin Zivilkommissar, ein Wink von mir, und du bist abgesetzt!«

»Du bist ein Verbrecher!!«

Sie kamen sich immer näher, bedrohlich standen sie einander gegenüber, die frisch gewachsenen Barthaare des Schwellenhuß zuckten, er war voll Haß und Rachsucht.

»Ich nehme an, daß du nicht mehr zurechnungsfähig bist.«

Andreas Aust wandte den Kopf, als sei der Anblick des Menschen im lästig.

»Ich wiederhole, du bist ein Verbrecher.«

364 »Nimm dieses Wort zurück!«

»Niemals!«

»Du weißt nicht, welche Macht ich besitze.«

»Zum Bösen, aber nicht zum Guten. Ich kenne deine dunklen Geschäfte, ich kenne auch deine Hintermänner und Strohmänner. Meinetwegen tue, was du vor deinem Gewissen verantworten kannst, aber laß die Hände vom Wald!«

»Ich besitze oberstes Recht über alle Pfälzer Waldungen.«

»Wehe ihnen, wenn das stimmte!«

»Ich kann zu dir hinaufkommen und dich verhaften lassen.«

»Geh deiner Wege, ich mag dich nicht sehen.«

Andreas Aust wollte gehen, er war schon mitten auf dem Fahrweg, da drehte er noch einmal um und kam zurück.

»Damit du es weißt, alle Anordnungen, die du triffst und schon getroffen hast, sind null und nichtig vor dem Gesetz, du wirst darüber Rechenschaft zu geben haben.«

»Vor welchem Gesetz?«

»Es gibt nur eines.«

»Ha ha ha, du hast wohl eine Wallfahrt zu den Davongejagten gemacht.«

Andreas Aust klopfte auf seine Brusttasche.

»Ich besitze es hier amtlich und schriftlich, daß niemand ein Recht hat, den Wald anzutasten.«

»Amtlich?! Schriftlich?! Weißt du denn wirklich nicht, daß ein anderer Wind bläst?«

»Und ich habe kraft des mir anvertrauten Amtes mit allen Mitteln zu verhindern, daß in meinem Revier gesetzwidrige Handlungen vorgenommen werden. Ich kenne keinen Wald Vogelfrei.«

»Neunmalkluger Wäldernarr. Wenn du auf dieser Flöte spielst, dann kann ich dir nur raten, ein paar Wochen in Urlaub zu gehen, wenigstens solltest du für die nächsten Tage verduften.« Er griff in die Rocktasche und zog einen Pack Holzlisten heraus, er blätterte darin und fing schon wieder zu lächeln an, die platte Nase schien noch breiter zu werden, die Stirn über den nackten Augen zog sich in häßliche Falten.

»So, und warum denn, Herr Forstkommissar?«

»Ich sehe da in meinem Betriebsplan, daß dein Revier beim Gaiskopf an der Reihe ist.«

»Welches Revier?«

365 Huß blätterte immer langsamer, er zog die Antwort mit behaglicher Freude hinaus, er zielte und schoß nicht gleich.

»In Nummer 19 ist Eichenmischwald erste Bodenklasse, in 21 stehen siebzigjährige Buchen mit Eichenüberhältern und beim Sandkopf in der Senke ist Eichenhochwald Reinbestand.«

Andreas Aust erschrak, das Blut wich aus seinem Gesicht, er starrte den Schwellenhuß halb entgeistert an, seine Stimme klang heiser und rauh vom Schreck.

»Was soll das heißen?«

»Zusatzhiebe, Schwager. Anberaumte und genehmigte Zusatzhiebe.«

»Waaas?! Du willst doch nicht sagen, daß du diese Bestände an die Axt liefern willst?!«

»Nichts anderes.«

Der Förster wollte etwas hinausschreien, aber es schnürte ihm die Kehle ab, er würgte an einer Antwort, er wollte dem andern an den Kragen, ihm das verfluchte Lächeln abschnüren; aber die Muskeln versagten den Dienst. Er stand und seine Glieder zitterten, eine elende Schwäche befiel ihn, einen Augenblick lang sah er sein Gegenüber doppelt. Er ballte die Fäuste, daß die Nägel sich schmerzhaft in die Handfläche gruben, es war ganz so, als ob der andere ihm einen lähmenden Schlag versetzt hätte.

Er wankte davon, er schaute nicht mehr um, wie getrieben, mit vorgeneigtem Körper, stolperte er die schmale Fahrstraße entlang.

Er hörte hinter sich ein Lachen, wer lachte denn hinter ihm, es konnte nur die Hölle sein.

»Du Lump!« stieß er zwischen den Zähnen hervor, »du Lump!! Du elender Lump!!!«

 


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