Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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16

Im Vormarsch der Schlesischen Armee auf die Saar erreichte die Hauptmacht des Korps Sacken am 4. Januar Göllheim und Kirchheimbolanden, sein Vorrücken wurde getarnt durch die russische Kavallerie, die vor Neustadt und Dürkheim blieb. In einer Disposition Blüchers für den 5. Januar findet sich ein Befehl, ein Kavalleriedetachement habe Nachrichten von den Stellungen des Feindes bei Kaiserslautern einzuziehen und solche seinem vorgesetzten General und außerdem dem Hauptquartier unmittelbar zu melden.

Es bestand die Absicht, Marmont hinter Kaiserslautern in den Rücken zu fallen, Yorck, im Vormarsch nach der Saar, sollte ihm die Verbindung mit Metz abschneiden, und so wollten sie, wie Müffling an Knesebeck schrieb, den Marmont »zum Maienbaum« machen und einen Ringeltanz um ihn tanzen. »Wenn keine Fehler vorgehen«, schrieb er, »so muß heute schon der Marsch auf Metz ihm schwer werden.«

Leider aber wurde ein schwerer Fehler gemacht, der zur Folge hatte, daß Marmont mit der Division Langrange und vier Bataillonen und einer Batterie der Division Ricard sich der drohenden Umklammerung 168 entziehen und seinen Rückzug nach der Saar ungehindert fortsetzen konnte.

Der Prinz Biron von Kurland fand am 5. Januar Kaiserslautern frei vom Feind, das Hauptkorps Sacken marschierte Blüchers Befehl gemäß gegen die Stadt. Die große Bedeutung, die des Prinzen von Kurland Meldung für die gesamte Operation hatte, traf zu spät im Hauptquartier ein. Sie wäre praktisch außerordentlich bedeutungsvoll gewesen, wenn sie von dem linken Seitendetachement der Spitze der Avantgarde zur rechten Zeit eingetroffen wäre. Einem Offizier dieses Detachements unterlief der unverzeihliche Fehler, daß er mit seiner, zur Erkundung beauftragten Eskadron nur bis zu dem pfälzischen Ort Erlenbach ritt und dort sich auf die Aussagen der Einwohner verließ, die erklärten, Kaiserslautern sei noch vom Feind besetzt.

Die Pflichtwidrigkeit, daß er sich nicht selbst von der Richtigkeit überzeugt hatte, zeitigte leider schlimme Folgen. Auf die Stadt wurde ein Luftstoß angesetzt, in Wirklichkeit war Marmont bereits abgezogen, der Plan, ihm in den Rücken zu kommen, war durch die Verzögerung, die infolge der Operation auf Kaiserslautern verursacht wurde, gescheitert, und wenn auch Yorck sofort alles in Bewegung setzte, um den Fehler gutzumachen, so glückte es dennoch Marmont, zu entkommen.

Es war zu spät. Die Meldung, daß die Stadt vom Feinde frei sei, hätte einen Tag früher eintreffen müssen, nämlich am 4. Januar abends.

Am 6. Januar rückte an der Hardt die russische Kavallerie ab und ging über Kaiserslautern auf Pirmasens vor. Es war nicht mehr möglich, die Armee Marmont abzuschneiden, man arbeitete mit allen Mitteln in Verbindung mit der Avantgarde und dem rechten Flügel des russischen Korps Wittgenstein auf einen überraschenden Saarübergang hin. – –

Eine alte Chronik berichtet, daß am 4. Januar spätabends in der Nähe von Deidesheim ein russischer Kosakenoffizier erschossen wurde, und zwar wegen schwerster offener Widersetzlichkeit in drei Fällen, hauptsächlich aber, weil er eine Falschmeldung überbracht hätte, die von schlimmster Tragweite gewesen wäre, wenn man nach ihr operiert hätte. Er hatte am 4. Januar abends 5 Uhr die Meldung überbracht, die Stadt Kaiserslautern sei frei vom Feind, welche Meldung im Widerspruch stand zu jener eines Offiziers vom linken Seitendetachement der Avantgarde unter dem Oberstleutnant von Stutterheim. 169 Angeblich soll sich der Kosakenoffizier nicht selbst von der Wahrheit seiner Meldung überzeugt haben, diese hingegen von einer Zivilperson, einem gewissen Grafen von Sickingen als richtig hingenommen haben.

Es erwies sich später allerdings, daß die Meldung der Avantgarde falsch, jene des Kosakenoffiziers richtig gewesen war. Das Urteil war aber, auf unverständlich drängendes Betreiben des Generals von Karpow hin, in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar, kurz vor dem Eintreffen des Generals von Sacken in Deidesheim, vor den Mauern dieses Städtchens vollstreckt worden.

Weniger von Bedeutung für die Allgemeinheit, vielleicht aber aus menschlichen Gründen erwähnenswert bleibt ein Hinweis, der sich in der Chronik findet und hier angeführt werden soll:

Am 14. Juni 1814, zwei Wochen nach dem Friedensschluß, muß eines Ereignisses Erwähnung getan werden, das sich hier vollzog und die Gemüter aller, so Zeugen waren, stark bewegte. Es begaben sich Herr Bastian Berghaus und seine Frau Juliane in Begleitung eines wunderlichen Mannes in grüner Jägerjoppe und hohen Flößerstiefeln zum Grabhügel eines kriegsrechtlich erschossenen russischen Kosakenoffiziers. Mit obrigkeitlicher Erlaubnis legten sie den Toten, der in einer Holzkiste lag, frei und bargen die sterblichen Reste in einen Eichenholzsarg, dessen Deckel in kunstvoller Schnitzerei mit der Nachbildung eines russischen Talismans gezieret war, so darstellte das St. Georgskreuz und den russischen Spruch: Wider allen Tod und alle Teufel. Des weiteren wurde dem Toten ein Offiziersdegen und eine russische Fahne in den Sarg gelegt, wonach seine Gebeine wiederum der ewigen Ruhe übergeben wurden. Auf dem Grabe aber pflanzte man einen Pappelbaum und setzte einen Stein mit Inschrift, die also lautet:

Hier ruhet der Leutnant von Litinow vom
russischen Kosakenregiment Sementschenko
† 4. Januar 1814

Das Grab mit dem Baum ist heute noch zu sehen und heißet der Ort die Russenpappel. Es wird des weiteren erzählet, daß oben genannte Frau Juliane bei dem erwähnten Begängnis die Uniform eines russischen Kosakenoffiziers getragen habe, als ein sichtbares Zeichen ihres Gedenkens, desgleichen um kundzutun, daß man in dieser recht wunderlichen Kleidung sie vor drohender Schande 170 bewahret habe. Ob selbiges richtig, entziehet sich genauer Kenntnis, jedoch findet sich im Hause Berghaus in der Tat die Uniform eines russischen Kosakenoffiziers, wovon Schreiber dieser Chronik sich mit eigenen Augen überzeugen durfte, als er bei dem Enkel des oben Genannten, ebenfalls Bastian Berghaus benannt, ortskundliche Nachforschungen anstellte.

Es ist auch das offene Wiesengelände bei der Russenpappel später in den Besitz der Familie Berghaus übergegangen, so anordneten, daß selbiger Platz nicht verändert werden dürfte, auf daß der Wanderer, der vorüberkäme, einen Ort des Verweilens hätte, wo seine Gedanken Muße fänden, in vergangene Zeiten zu schweifen, da ja ein Jahrhundert nicht viel bedeutete auf dem Schicksalsweg eines großen Volkes.

 


 


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