Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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9

Gegen Abend rückten zwei Eskadronen Kosaken in Deidesheim ein, geführt von dem Leutnant von Litinow. Als Bastian Berghaus auf den Rathausplatz kam, sah er die farbigen Lanzensotnien lärmend die Hauptstraße daherklappern, ein russisches Reiterlied brauste aus rauhen Kehlen in den Wintertag.

Von Litinow ließ absitzen. Als er Berghaus sah, eilte er auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch.

»Meine Heimatstadt, Leutnant von Litinow.«

»Oh, es ist wundervoll, daß wir wieder beisammen sind. Ich habe Euch viel zu erzählen, Kamerad, von einem Gefecht mit Schwert und Pistole, das ist siegreich gewesen. Und von einem Gefecht hier im Herzen, ha ha ha, Niederlage auf der ganzen Linie. Kommt mit mir ins Rathaus, es ist ein Stab anzumelden, der nachrückt, die Leute oben haben Witterung vom guten Wein, der hier in Fässern liegt. Kamerad, das ist jetzt überall Deutschland, nicht mehr Frankreich.«

107 »Es ist nie Frankreich gewesen.«

Sie gingen zusammen ins Rathaus, einen Bürgermeister gab es nicht mehr, der letzte Maire war ein Lothringer gewesen und mit den Franzosen geflohen. Ein alter Winzer versah die Amtsgeschäfte.

Dreihundert Mann mit Pferden waren unterzubringen, es war nicht gerade einfach, die größten Schwierigkeiten würde die Verpflegung machen, obwohl der Nachschub des Proviantes bereits angekündigt war.

Es war ein Glück, daß die Russen in allem besser ausgerüstet waren als die verarmten Preußen, die nach einem Ausspruch Niebuhrs den Krieg mit einem Stecken und mit einer Schleuder begonnen hatten. So war es leichter, das Temperament der Russen zu zügeln, die im Kriege nicht nur die Feldschlacht, sondern auch das Landsknechtsabenteuer sahen und nur auf Gelegenheiten und Möglichkeiten warteten, um ihren persönlichen Gelüsten nachzugehen und ein wenig umherzustreifen wie Katzen in der Nacht.

Die Lage in den Dörfern und Städten des Hardtgebirges war besonders gespannt, weil die strapazierten Truppen den Wein witterten und auf stürmische Siegesfeiern hofften. Beim Großen Hauptquartier hegte man die größten Besorgnisse, ob es gelingen werde, die Disziplin der Truppen zu wahren. Überall, wo russische und verbündete Truppen einrückten, wurden sofort Armeebefehle angeschlagen, die sich auf Verpflegung und Disziplin bezogen und strenge Anweisungen enthielten.

In einem Sonderbefehl des Generals von Sacken war zu lesen, »die Untertanen des ehemaligen Departements sollten seinen Leuten an Branntwein und Wein nur das Nötigste reichen.«

Die Oberste Heeresleitung, die Schwierigkeit der Lage erkennend, die eintreten mußte, wenn die Russen das linke Rheinufer und somit nach ihren Begriffen Frankreich und Feindesland beträten, versuchte mit allen Mitteln Ausschreitungen zu verhüten, und stellte auf die geringste Gehorsamsverweigerung und Plünderung die Todesstrafe. Ein in deutscher und französischer Sprache abgefaßter Armeebefehl vom Großen Hauptquartier der Hauptarmee Schwarzenberg gab folgende Richtlinien heraus: »Beim Einmarsch der Armee in Frankreich tritt deren Verpflegung nach dem hierbei erfolgten Tarif ein, welcher zur Richtschnur sowohl für die Truppen als auch für die Landesbehörden und Einwohner bestimmt ist und der unter keinerlei Vorwand überschritten werden darf. Zunächst soll die Beköstigung durch die Wirte erfolgen, nachher die aus Magazinen empfangenen 108 Lebensmittel durch die Wirte zubereitet werden. Strenge gegen willkürliche Forderungen und Erpressungen wird eingeschärft.« –

Die Besetzung der Hardtlinie durch das Korps Sacken war nur für kurze Zeit vorgesehen, denn nach einer Disposition Blüchers hatte sich das russische Korps in Richtung Göllheim und Kirchheimbolanden zu konzentrieren, lediglich die Kavallerie unter Karpow verblieb vorläufig auf der Linie Dürkheim–Neustadt. Der allgemeine Vormarsch hatte gegen Kaiserslautern zu erfolgen oder auch in Richtung Pirmasens, auf jeden Fall war das gesamte Korps angehalten, den Feind frontal festzuhalten, während das Korps Yorck eine Umgehung versuchte, um Marmont in den Rücken zu kommen. Die Kavallerie auf der Hardtlinie sollte durch die Täler der Isenach, des Speyerbachs und der Queich gegen Kaiserslautern vorrücken, die besetzte Festung Landau erhielt in diesem Falle eine Blockade. Leider war die Stärke der Festungsbesatzung nicht bekannt, was zur Folge hatte, daß man sich auch über die Stärke der Zernierungsarmee nicht im klaren war und Gefahr lief, mehr Truppen vom Hauptverband zu lösen, als nötig waren. Es war bisher weder durch Spione noch durch Überläufer gelungen, genaue Kenntnis über die Landauer Festungsbesatzung zu erhalten. –

Die Kunde von der Heimkehr des totgeglaubten Bastian Berghaus hatte sich in der kleinen Stadt rasch verbreitet, so kam es, daß die Straßen und Gassen und die Plätze langsam wieder lebendig wurden und sich mit Menschen füllten, die das fremdländische Schauspiel vom Einzug der Russen bestaunten. Vordem tote Häuser erwachten, Fensterladen wurden auseinandergeschoben, Tore und Türen öffneten sich, es wurde geschäftig und lebendig in Höfen, Scheunen und Ställen, man hörte Kühe brüllen und Hunde bellen, Rauch stieg tröstlich aus Kaminen, eine Stadt schlug die verwunderten Augen auf und erwachte zu neuem Leben.

Die Kosaken bevölkerten lärmend das Städtchen, der Platz vor dem Rathaus glich einem kleinen Heerlager. Sie ritten durch die Gassen auf kleinen Pferden, die in den Wintertag wieherten. Sie kauderwelschten in einer Sprache, die kein Pfälzer verstand, manche warfen französische Brocken dazwischen, sie lachten und rumorten und sangen und rauchten aus merkwürdig langen Pfeifen. Ihre Uniformierung war malerisch, sie brachten nichts als Fremdheit mit, wenn sie dahinritten mit Lanzen und Säbeln und Pistolen, mit den hohen Pelzmützen mit weißen Schnüren, in Mänteln mit roten Aufschlägen, 109 blauen und grünen Pluderhosen mit roten Streifen und kurzen Reiterstiefeln. Ein slawisches Völkergemisch vom Ural und vom Don, vom Schwarzen Meer und aus Astrachan, aus Tomsk und Irkutsk und aus den russischen Steppen. Es war mit einem Schlag lebendig geworden im berühmten Weinstädtchen. Es roch nach Krieg, ein eigentümlicher Geruch.

Als bei einbrechender Dunkelheit der Husarenoberleutnant Bastian Berghaus und der Kosakenoffizier von Litinow Arm in Arm über den freien Platz schritten und sich dem großen Gutshaus zuwandten, da waren viele neugierige Augen auf das wunderlich verbrüderte Paar gerichtet, die Angst wich aus allen Gesichtern bei diesem verwegenen und doch friedlichen Anblick. Viele Herzen schöpften wieder Hoffnung und neuen Mut.

Es war selbstverständlich, daß Leutnant von Litinow bei Berghaus Quartier nahm, und so betraten beide den großen Hof des Gutshauses.

Hier blieb Litinow stehen und schaute sich um, betrachtete sinnend und grüblerisch die Fronten der Gebäude, des Wohnhauses, der Schuppen und Scheunen und der Stallungen.

»Ihr müßt zuerst meine Frau kennenlernen«, sprach Berghaus und hatte frohen Glanz im Gesicht, »aber ich weiß, ein rechter Kavallerist, der will sich zuerst überzeugen, wie sein Pferd untergebracht ist. Kommt in den Stall!«

Sie traten durch die doppelflügelige Tür in den Pferdestall, wo es warm war und ihnen der Geruch von Pferdeleibern entgegenströmte.

In den Boxen rechts von der Stallgasse standen zwölf Russenpferde.

»Euer Rappe steht links bei meinen eigenen Pferden«, sprach Berghaus und betrat die Box, wo das Offizierspferd schnaubend im Heu wühlte.

Der Leutnant von Litinow fuhr plötzlich zusammen und erschrak, fand aber sofort seine Fassung wieder, als Berghaus vor ihn hintrat und ihn fragte, ob er zufrieden sei.

»Parfaitement, Kamerad.«

»Was sagt Ihr zu der Fuchsstute? Ein prachtvolles Tier, was? Siebenjährig, das Lieblingspferd meiner Frau.«

Litinow bejahte, trat an die Stute heran und strich ihr mit der flachen Hand über den Hals, dann trat er in die Stallgasse zurück und bedeutete Berghaus, sie möchten nun in die Wohnung gehen, wobei er mit einem Male eine drängende Eile zeigte, als gälte es, ein 110 bedeutsames Ereignis, das nicht mehr zu umgehen war, auf schnellstem Wege eintreten zu lassen, um über ein quälendes Gefühl von Ungewißheit hinwegzukommen.

Als er mit dem Husaren das Wohnzimmer betrat, wußte er mit visionärer Klarheit, wem er gegenübertreten würde.

Frau Juliane stand am Fenster, er sah ihr Gesicht im Halbschatten. Einen Augenblick zögerte er, sie wandte ein wenig den Kopf, und er beobachtete, wie das Blut aus dem schönen Antlitz wich, während er selbst unter einer unheimlichen Willensanstrengung gefaßt blieb.

Da stand diese herrliche Frau vor ihm, mit der Flut ihrer blonden Haare und mit dem märchenhaften Glanz in den blauen Augen. Wenige Sekunden verharrten sie wie in einer willenlosen Erstarrung, eine genügende Spanne Zeit, um Bastian Berghaus auf das Außergewöhnliche dieses Zusammentreffens aufmerksam zu machen. Mit mühsam unterdrücktem Staunen und einer schwarzen Befremdung zeigte er auf den Kosakenoffizier und schaute dabei seine Frau forschend an.

»Dies ist Leutnant von Litinow vom Regiment Sementschenko, mein Freund und Kamerad durch Not und Tod.«

Stille. Ein Holzscheit knisterte im Porzellanofen.

»Und dies ist meine Frau Juliane.«

Sie standen sich gegenüber, zwischen ihnen stand der Husar. Der Kosak, von einem plötzlichen Entschluß getrieben, ging mit stürmischen Schritten auf Frau Juliane zu, beugte sich tief über ihre Hand und küßte sie.

Er richtete sich auf, und da Juliane ihm nicht antwortete, entstand wiederum eine drückende Stille im Raum, die noch stärker auf die Befremdung Bastians wirkte.

»Du freust dich doch, Juliane, daß ich den Kameraden ins Quartier bringe?«

»Ja, ich freue mich, ich freue mich natürlich. Seid willkommen, Leutnant von Litinow.«

»Wir sind wie Brüder, Juliane, vergiß das nicht. Wenn man gemeinsam dem Tod gegenübersteht, dann kommt man einander näher, habe ich recht, Litinow? Wie Bruder zu Bruder und Blut zu Blut. Guter Kamerad in Not und Tod.«

Dem Kosaken wollte es die Kehle abschnüren, er griff sich an den Hals, seine Stimme klang heiser und gequält. Der Tod, so schoß es durch sein Denken, wäre in diesem Augenblick eine Gnade.

111 »Ja, Kamerad«, sprach er stockend und rührte sich nicht von der Stelle, »durch Not und Tod. Ihr habt mir das Leben gerettet.«

»Nichts als meine Pflicht.«

»Dieses Leben ist in Eure Hand gegeben, Ihr habt darüber zu bestimmen.«

»Warum sagt Ihr das jetzt zu mir?«

Der Kosak schaute Frau Juliane an, die immer noch am Fenster stand in einer wehen Erregung, ein wenig vorgebeugt und die Hand wie unter einer inneren Spannung ans Kinn gelegt.

»Weil vielleicht die Zeit gekommen ist, wo dieses Leben zu Ende gespielt und nicht mehr wert ist, länger gelebt zu werden.«

Berghaus, tief betroffen und durch die grausame Spannung der Szene verwirrt, schaute zuerst seine Frau und dann den Russen an, seine Brauen zogen sich zusammen, ein formloser Verdacht, einer aufziehenden Wolke gleich, zog vor sein Denken.

»Was wollt Ihr damit sagen?«

Der Kosak schaute ihm voll und offen in die Augen und antwortete still, aber mit innerer Festigkeit: »Fragt Eure Frau!«

Und in diesem Augenblick tauchte das verrauschte Geschehnis mit gespensterhafter Plastik vor ihm auf. Während er diese drei Worte sprach, sah er sich hinter dem flüchtenden Nebelgespenst herjagen, sah er den Sturz des Pferdes und das Wunder des Erlebnisses. Er fühlte unheimlich groß Glut und Frevel seiner Leidenschaft und die törichte Süße der gestohlenen Küsse.

»Juliaue, was bedeutet das?!«

Sie kam auf ihn zu, freimütig und ohne Schuldbewußtsein, denn sie stand rein vor ihrem Erlebnis, die Scheu vor dem Spiel ihrer Gefühle wurde gedämpft durch das Bekenntnis, das sie unverhüllt aussprach.

»Es bedeutet, daß ich den Leutnant von Litinow kenne.«

»Es klingt unbegreiflich, was du sagst, Juliane!«

»Ich hätte dir das vielleicht schon früher erzählen sollen, Bastian, ich weiß selbst nicht, warum ich es nicht getan habe.«

Bastian Berghaus, dessen Verwunderung immer größer wurde und der jetzt vollkommen eingefangen schien von der Beklemmung des unerklärlichen Zusammentreffens, versuchte mit Anstrengung ein schändliches Mißtrauen zu unterdrücken, er kämpfte gegen die Wirrnis, die ihm brausend zu Kopf stieg. Er raffte sich zusammen und lächelte, aber das Lächeln war elend und nichts als eine verräterische Maske.

Juliane erzählte die abenteuerliche Begebenheit ihres Rittes in 112 den Nebel, wie sie unbewußt in die Kampfzone gekommen und von Leutnant von Litinow verfolgt worden war. Von ihrem Sturz sprach sie, von ihrer Bewußtlosigkeit, und zuletzt auch davon, daß sie dem Kosaken die Pistole zurückgegeben hatte.

Als sie zu Ende war, blieb es still, Bastian Berghaus schaute schräg nach der Decke und sann über das Gesprochene nach, er kam zu keinem Ende, alle Gedanken liefen wieder zusammen, es war ein unaufhörliches Kreisen.

»Mir ist, als ob ich träumte, Juliane«, sprach er endlich und löste die lastende Enge, die den Raum erfüllte.

»Vielleicht ist es nur ein Traum gewesen.«

Leutnant von Litinow sprach düster und von Trauer erfüllt: »Es gibt Ereignisse, die kann selbst Gott nicht mehr ungeschehen machen. Was getan ist, entzieht sich der Allmacht.«

Er trat nahe vor Berghaus hin und sprach bestimmt und fest: »Ich will tausendmal geboren werden und immer wieder sterben, nur um zu sühnen, wenn ich an Euch schuldig geworden wäre.«

»Juliane«, rief Berghaus, »welche Schuld denn?«

»Ich weiß es nicht.«

Mit wachsender Stimme und von böser Ahnung bedrückt: »Welche Schuld, Leutnant von Litinow?!«

Der Kosak schwieg. Er stand mit gebeugtem Kopf und hängenden Armen, wie einer, der sein Urteil erwartet.

»Ich begreife«, sprach Berghaus leise und schwer erschüttert, »ich fange an, zu begreifen. Du hast mich für tot gehalten, Juliane, und wer tot ist, der hat ja wohl seine irdischen Rechte verwirkt.«

»Bastian!« Sie kam auf ihn zu, ihr Atem flog, sie griff mit beiden Händen nach ihm, als müßte sie ihn stützen und jede falsche Vorstellung von ihm abwenden. »Was redest du?«

»Welche Schuld?!« schrie Berghaus, von seiner Qual übermannt und zum ersten Male unbeherrscht. »Auch ein Toter greift noch ins Leben herüber, wenn es seine Ehre gilt. Hast du mir etwas zu verschweigen?«

»Bis zu dieser Stunde nichts, Bastian.«

»Oder hast du etwas zu bereuen?«

»Vielleicht, Bastian.«

»Und was denn?«

»Daß ich das Erlebnis verschwiegen habe.«

»So hast du es also aus Schuld verschwiegen?«

113 »Ja, Bastian.«

»Das sagst du mir offen ins Gesicht? Du schämst dich nicht, hier zu bekennen, daß du schuldig bist, daß ein einziges Erlebnis genügte, um alle Treue, die dich an einen Toten band, zu löschen?«

»Du mußt mich wenig achten, da du mich so schnell verdammen kannst.«

»Ich achte dich zu hoch, um nicht zu verzweifeln.«

Er ging langsam durch das Zimmer, gebeugt und zermürbt von Schmerz, er lief wie ein gefangenes Tier von einer Wand zur andern, dann blieb er wieder vor Juliane stehen, sein Blick war umflort, die Worte kamen mühsam geformt aus seinem Munde: »Was – für – eine – – Schuld – – Juliane? Ich bin stark genug, – es zu – – hören. Was für eine Schuld?«

»Daß ich diesem dort verzeihen mußte!!«

Der Kosak, vordem in dumpfes Grübeln versunken, schrak zusammen, ein Ruck ging durch seinen Körper, er streckte beschwörend die flache Hand hoch. Er trat vor und sprach: »Ihr habt mir verziehen, madame, ich selbst kann mir niemals verzeihen. Kamerad, Eure Frau ist rein wie der Schnee, der vom Himmel fällt, ich will es schwören vor meiner letzten Stunde. Und so wie ihr beide mir zweimal das Leben geschenkt habt, so muß ich zweimal sterben für meine Tat.«

»Sterben?« hauchte Bastian Berghaus, »wie soll ich den Sinn verstehen? Warum müßt Ihr zweimal – –?«

»Die Schuld vor Euch fordert meinen Tod!«

»Und zum zweiten –?«

»Ich muß auch sterben vor Eurer Frau!«

Juliane, bleich und erregt und tränenden Auges: »Warum, Leutnant von Litinow?!«

Er zögerte mit der Antwort, er richtete sich auf und stand groß im Zimmer, nur die Augen waren geschlossen.

»Weil ich – Euch liebe!«

Stille. Nur das brennende Holz plauderte. Dann hörte man Soldatengesang von der Straße her.

»Das sprecht Ihr offen aus?« hauchte Bastian Berghaus, und wich einen Schritt zurück.

»Der Tod ist ohne Maske.«

»Was Ihr sagt, ist ungeheuerlich.«

»Ich habe einen weiten Ritt zu tun, Kamerad. Es muß alles rein sein zwischen uns, nichts darf sein, das ich Euch verschweigen dürfte. 114 Gebt mir Eure Hand. Vielleicht ist dieser eine Augenblick, da ich in Eure Augen geschaut habe, madame, wert gewesen, daß ich gelebt habe. Gebt mir Eure Hand, Kamerad!«

Er streckte die Rechte aus und griff mit der Linken nach dem Gürtel, betastete die Reiterpistole, die dort stak, als müßte er an dem kalten Metall fühlen, ob von ihm auch der letzte Ausweg käme.

Da brach die Erschütterung über Berghaus herein, er wußte nicht, warum er weich wurde in diesem Augenblick, die Bewegtheit des Herzens übermannte ihn. Er griff bebend nach der dargebotenen Hand.

»Ich weiß nicht, wo hier die Schuld endet und wo das Schicksal beginnt. Nehmt meine Hand, aber mit diesem Händedruck nehmt auch das Bündnis zurück, das wir geschlossen haben, denn es kann keine Bruderschaft mehr sein zwischen uns beiden.«

»Auch nicht, wenn ich mich selber richte?«

»Was wollt Ihr Unbesonnenes tun?«

Der Kosak zog die Pistole aus dem Gürtel.

»Es gibt einen letzten Weg. Der Tod löscht alle Schuld.«

Der Kosakenoffizier von Litinow stand still und aufrecht, als gälte es, einen Befehl entgegenzunehmen. Er schaute noch einmal nach Juliane, seine Augen waren weit und strahlend geöffnet, dann ging er festen Schrittes zur Tür und griff nach der Klinke.

»Halt!« rief der Husar, »bevor Ihr geht, hört mich an!«

Von Litinow wandte sich um und blieb an der Tür stehen.

»Die Zeit ist zu schwer und zu groß, als daß ein Offizier um seiner selbst willen sterben dürfte. Der Tod, mit dem wir alle um einer größeren Sache willen auf vertrautem Fuß stehen, ist zu nahe bei uns, und zu sehr beschäftigt, als daß wir ihn aus persönlichen Gründen bemühen dürften. Euer Sterben, Litinow, darf nicht vergeudet werden, Ihr versteht mich. Das große Ziel, das ganze Völker vor sich haben, braucht Euer Leben und Euer Sterben. Ihr werdet Gelegenheit finden, Eure Sühne mit Eurem Opfer für das Vaterland zu verbinden. Ihr seid entsühnt, in dem Augenblick, da Ihr Euch opfert für den Bestand einer Idee!«

Berghaus trat auf ihn zu, Auge in Auge standen sie einander gegenüber.

»Ich achte Euch, Kamerad Russe, einen Vorhang zwischen Euch und Eure Tat! Ich bitte Euch, bleibt Gast in meinem Haus.«

»Laßt mir Zeit, sie ist nicht geizig mit Gelegenheiten.« 115

 


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