Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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7

Als Veit Huß ein Stück Wegs gegangen war, blieb er stehen und schaute sich noch einmal um. Er sah die Baracken liegen in der Höhle der Nacht, schwach glänzte das gelbe Licht der erleuchteten Fenster, ein kränklicher Schimmer dieses Lichtes schwamm in die nächtliche Schwärze.

Es war still, das Getöse hatte sich verloren, nur wenn man genau hinhorchte, klang es wie Rauschen unterirdischen Wassers.

Erbärmlich, wenn die Gedanken und Vorstellungen mit einem Schindluder trieben, das stieg hoch und man wußte nicht, woher es kam, das wurde irgendwo in einem Versteck der Seele geboren und sproßte herauf, wurde Angst und Mißtrauen und Zweifel, wurde Unsicherheit und Haß und Ohrenbläserei. Konnte denn der Mensch nicht einmal sein eigenes Inwendiges in Ordnung halten, gab es so viele Kehrichtecken und Kammern und verfluchte Schlupfwinkel, daß man sich in der eigenen Wildnis verirrte!

Es konnte nicht mehr weit bis Mitternacht sein, der Wind wurde stärker, aber die Nacht war warm, der Strom kam von Süden, es rauschte in den Wäldern, von fernher strömte dieses Rauschen, es floß von den Höhen in die Täler, war wie Flut und Meer und ohne Gesetz, nur getragen vom Schlaf der Nacht.

Huß sah nicht den Glanz der Sterne, er hörte nicht die ewige Ballade der Wälder, er tappte durch seine gespenstische Finsternis, den Kopf vornübergebeugt und immerfort Vorsätze mit verwegener Wollust gebärend.

Er bog aus steinigem Weg in das Seitental ein und strebte seiner Sägemühle zu, die wie ein plumpes Tier im Käfig der Dunkelheit lag und von Schlafsucht befallen war.

Jetzt war er zu Hause, er rüttelte an Türen und Toren, ob alles verschlossen wäre, er ging zum großen Rad, wo es ihn kühl und unheimlich anwehte, wo Wasser unsichtbar, aber mit rhythmischer 250 Geräuschfolge tropfte, wo es nach feuchtem Moos roch, nach Schwamm und Moder und nach fauligen Sägespänen. Er ging, warum denn eigentlich mitten in der Nacht, er ging zum ersten Lagerschuppen und lauschte, ob nichts Verdächtiges zu hören wäre, er war ganz erfüllt von Mißtrauen und Gespensterfurcht. Hier waren, offen gelagert, auf daß sie von der Luft bespült würden, beiläufig fünfzehntausend kyanisierte Eichenschwellen, zwei Meter fünfzig lang, genau abgelängt und zur Aufnahme des Schienensattels zugerichtet. Und daneben lagerte erste Wahl Eichenbauholz zu Rostpfählen und Brückenbelag. Hunderte von Rostpfählen waren zugerichtet, abgelängt und beschlagen. Viel Holz lagerte hier und war nur ein geringer Teil von dem, was er besaß, was noch in den Wäldern lag und drüben im Schwarzbachtal in der großen Sägemühle.

Viele Bäume lagen hier, zu Holz und Ware geworden, viele Bäume hatten sterben müssen, um solche Bauholzmengen zu stapeln.

Veit Huß zog die Luft ein, er roch das Holz, es war ein sonderbarer Geruch wie von Wurzeln und Erdhöhlen und versunkenen Jahrhunderten. Manchmal auch geschah es, daß das Holz leuchtete, ein glimmendes Schwelen ging von ihm aus, kein Mensch wußte, woher das Glimmen und Funkeln und Glitzern kam, es war rein des Teufels.

›Man soll sein Bauholz im wachsenden Schein schlagen, das war eine alte Weisheit ohne Herkunft, aus sich selbst entstanden, aus Volk und Aberglauben und zweitem Gesicht. Tollheit‹, dachte Veit Huß, ›Ammenmärchen und Spinnstubengeschwätz, der Mensch stand über allem, auch über den geheimen Kräften der Natur und über den schleichenden Giften, über Gewürm und Nachtschatten und über den Bösen und Verdammten, so geistweis gingen mit dem Kopf unterm Arm.‹

Kinderschreck und Weiberflucht.

Er wandte sich um und sah, daß noch Licht brannte oben in der Wohnung. Ein Licht ist Trost, für ihn war es Mißtrauen.

»Licht!« sprach er leise zu sich selber und taumelte.

War er denn betrunken? Wein und Schnaps und wieder Wein, Rauch und Gestank und gröhlende Stimmen. »Licht!?« flüsterte er.

»Solange noch ein Licht brennt, Veit Huß, ist es nicht zu spät!«

Der Sägemüller fuhr zusammen, wer sprach denn in der Nacht, ganz in seiner Nähe, als ob es aus ihm selber käme?!

Langsam sich wendend, als hätte er Furcht, dem Unerwünschten 251 gegenüberzustehen, schob er den Kopf lauernd vor und lotete mit den Augen in die Tiefe der Finsternis, die zwischen den Holzstapeln brütete.

Es bewegte sich in hölzernem Gemäuer, es nahm Form an, die Schwärze, dem Auge fast entrückt, gebar eine Gestalt, die langsam auf Veit Huß zukam; ein Mensch, gemessen und selbstverständlich in den Bewegungen und so, als ob er hierher gehörte, als ob dies ein Platz wäre, auf dem sich zu bewegen er ein Recht besäße.

»Wer seid Ihr?«

»Das ist in diesem Augenblick ohne Bedeutung, Veit Huß.«

»Für Euch, aber nicht für mich. Wie könnt Ihr Euch erlauben, mitten in der Nacht in meinem Eigentum – –?«

»Nichts von Eigentum! Eigentum ist ein Begriff, den man mit der Hand nicht packen kann, Eigentum zerrinnt zwischen den Fingern. Ihr verwechselt Eigentum und Besitz.«

»Ich verzichte auf Eure Spitzfindigkeiten.«

»Unser Besitz ist nicht immer unser Eigentum.«

Der Sägemüller fuhr sich mit der flachen Hand über die Stirn, als wollte er ein Gespinst zerstören, das vor seinem Denken hing wie ein flatterndes Segel. Er hatte Wein und Schnaps getrunken, zugestanden, er war nicht ganz nüchtern, es sollte sich schon ereignet haben, daß einer Gestalten vor sich sah zwischen Verstand und Verwirrung, die gar nicht vorhanden waren, die eine schurkische Sinnestäuschung ihm vorgetäuscht hatte, rein aus verfluchtem Schabernack.

Da stand ein Mensch vor ihm, kurz vor Mitternacht, da stand er und war groß und hager, und alt wie ein Jahrhundert; verdammt eigentümlich gekleidet, trug hohe Flößerstiefel, graue Hosen und einen grünen Jägerrock. Unter einem dunklen Hut quollen fuchsig rote Haare hervor. Bei Gott und Satan, der Mensch war nicht alltäglich, eine sonderbare Laune mußte ihn geformt haben, es könnte schief gehen, wollte man ihm alltäglich begegnen.

»Zum zweitenmal, wer seid Ihr, Mann, ich kenne Euch nicht.«

»Ein Holzsachverständiger, Veit Huß.«

»Also gewissermaßen ein Kollege. Woher kommt Ihr denn, mitten in der Nacht?«

»Aus den Wäldern.«

»Ihr seid nicht aus dieser Gegend, ich müßte Euch sonst kennen. Wo wohnt Ihr?«

»In den Wäldern, an denen Ihr Euch bereichert.«

252 »Macht keine Scherze, ich lebe vom Holz, es ist mein Beruf, meine Frau und mein Kind – – Holz ist mein Gewerbe.«

»Ihr lebt vom Holz, Ihr solltet aber von den Bäumen leben. Für Euch gibt es nur noch Holz, aber keine Bäume mehr, viel weniger noch Wälder. Holz aber und Baum, das ist wie Tod und Leben, das ist wie Fleisch und Seele. Das Fleisch stirbt und fault, aber die Seele lebt. Wer aber im Wald die Bäume nicht mehr sieht, vor lauter Holz, der sollte ihm fern bleiben, denn er ist nichts als sein Totengräber.«

»Ihr seid unbedacht mit Worten, Ihr habt kein Recht, hier zu stehen. Das Gesetz – –«

»Ich stehe außerhalb der Gesetze.«

»Jedermann, der lebt, steht unter dem Gesetz!«

»Auch wer ewig lebt?!«

»Es ist nur abgeschmackt, was Ihr redet. Ich habe keine Lust, mich mit Eurer Querköpfigkeit zu beschäftigen. Mein Geschäft ist meine Welt.«

»Das Holz ist Euer Geschäft, meines der Wald.«

»Mit welcher Aufgabe denn, wenn die Frage erlaubt ist?«

»Zu wachen!«

»Wacht über Eure Torheit!«

»Und Ihr über Eure Frau!«

Veit Huß prallte zurück, seine Hände ballten sich zu Fäusten, er wollte auf den Fremden eindringen, doch der hob nur die Hand, wehrte lautlos ab und deutete nach dem Haus.

Der Sägemüller drehte sich um und starrte nach dem Fenster, er sah einen Schatten auf den hellen Vorhängen. Nein, er sah zwei Schatten, teuflisches Spiel, welcher Gaukler war am Werk?

Als er sich wieder umwandte, um nach dem Fremden zu schauen, war der Platz leer.

Ringsum gähnte ihn diese Leere an.

Stille. Irgendwo tropfte Wasser in diese Stille. Rinnsale liefen in die Höhle des Schweigens.

Er lauschte angestrengt, es war nichts zu hören, kein Laut, keine Schritte, kein höhnisches Gelächter, nichts! Nur das Wasser tropfte, nur die Rinnsale liefen.

Und es roch nach Rinde und Gerberlohe.

Veit Huß ging ins Haus, er tappte über die Holzstiege nach oben und trat ins Wohnzimmer.

253 Seine Frau Martha saß am Tisch und las, sie schaute auf, als er die Tür öffnete, ihr Blick war unruhig, sie fuhr sich über Stirn und Scheitel und klappte das Buch zu.

»Warum bist du noch wach, Martha?«

»Ich habe auf dich gewartet.«

»Das ist sonst nicht deine Gewohnheit. Was liest du denn? Einen französischen Roman. Bist du vor wenigen Minuten hier am Fenster gewesen?«

»Nein, Veit. Warum fragst du so sonderbar?«

»Ich habe von unten Schatten auf dem Vorhang gesehen.«

»Du wirst Gespenster gesehen haben. Du bist ganz verstört.«

»Können einem Gespenster leibhaftig begegnen, ich meine, können sie hier vor dir stehen und mit dir reden?«

»Mir sind noch keine begegnet, ich habe vielleicht ein zu gutes Gewissen.«

»Wenn du das schon sagst, wird es wohl stimmen.«

»Hast du Ärger gehabt? Dann geh zu Bett, ich liebe es nicht, Blitzableiter zu sein.«

Er lachte krampfhaft und setzte sich an den Tisch, er trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte und suchte nach einer Antwort auf den Blitzableiter.

»Du solltest es mir danken, wenn ich auf dich warte, statt dessen aber – – laß doch das gräßliche Getrommel, Veit.«

»Jawohl, ich habe Ärger gehabt, damit du es weißt. Sag' mal, ist der Franzose heute abend hier gewesen?«

Sie gab nicht gleich eine Antwort, sie überlegte blitzschnell, was zu sagen wäre, denn seine Frage klang verfänglich, es lauerte eine Absicht hinter dieser Frage, man mußte auf der Hut sein.

»Welcher Franzose denn?«

»Es ist nur einer hier, ich meine den Holzexperten.«

»Ach so, natürlich ist er dagewesen, du hast ihn selbst zum Essen eingeladen, warum bist du denn nicht gekommen?«

Veit Huß bekam einen stechenden Blick, er trommelte schon wieder auf der Tischplatte, sie sah, daß er brutal war, in diesem Augenblick enthüllten sich verborgene Regungen in seinem Gesicht.

»Habe ich ihn eingeladen? Das ist mir ganz entfallen. Sag' mal, schläft Max?«

»Natürlich schläft der Junge, er hat hungrig zu Bett müssen.«

»Du bist mir die rechte Mutter. Warum denn?«

254 »Ich habe ihn ertappt, als er Frösche fing und ihnen die Beine abschnitt.«

»Frösche haben kaltes Blut.«

»Nicht nur Frösche, Veit.«

»Die Kaltblütigen kommen besser durchs Leben. Du hast dir die Haare sehr sorgfältig gemacht, mir fällt das geradezu auf.«

Sie stieß ein verächtliches Lachen aus und wischte mit der flachen Hand über den Tisch.

»Du hast getrunken, Veit, du solltest schlafen gehen.«

»Ta ta ta, habe ich wirklich den Franzosen bestellt?«

»Ich will dir mal etwas sagen, du hast mich schon mehrmals zu deinen Geschäften benützt, es war dir recht, wenn ich mit gewissen einflußreichen Männern vertraulicher wurde, als es oft ratsam gewesen wäre.«

»Das war nur Schlauheit.«

»Die aber an den guten Ruf geht.«

»Geschwätz, und außerdem: die Vertraulichkeiten haben eine Grenze, verstehst du mich, eine ganz bestimmte Grenze!«

Er hieb, jedes der letzten Worte bekräftigend, mit der flachen Hand mehrmals auf den Tisch.

»Es ist aber gefährlich, wenn man seine Frau zwingt, aus Geschäftsgründen mit dem Feuer zu spielen.«

Veit Huß verfärbte sich, die Flügel seiner platten Nase bebten, er räusperte sich nervös, denn sie hatte soeben einen Pfeil auf ihn abgeschossen.

»Ich muß dich notgedrungen für eine anständige Frau halten.«

Sie gab ihm keine Antwort auf diese Unflätigkeit, gleichgültig griff sie nach dem Buch und erhob sich. Er rückte mit dem Stuhl und schaute sie an, wie sie aufrecht vor ihm stand, schlank und stattlich, immer noch jugendlich mit ihren vierunddreißig Jahren; die Haare schwarz und das strenge Gesicht oval und bräunlich getönt; und mit jenem samtenen Glanz in den dunklen Augen, jenem Glanz wie von einem Tier, rätselhaft und unergründlich.

»Sonderbar«, sprach er heiser und leise, »wie mir das jetzt auffällt, daß du so verschieden bist von deiner Schwester. Und gestern, als du mit dem Franzosen am Zaun standest, da habe ich mir eingebildet, ihr seid aus einem Holz geschnitzt.«

»Narr!«

»Ja, und er genau so verschlagen wie du.«

255 »Ich höre deine Artigkeiten nicht, Veit. Ich will jetzt schlafen gehen, gute Nacht.«

»Es ist nur sonderbar, wie verschieden du bist von deiner Schwester Gertrud. Du darfst mich ruhig anhören. Es hätte dir, nebenbei gesagt, keinen Stein aus der Krone genommen, wenn du mit zur Beerdigung gefahren wärst. Man weiß ja garnicht, was der Alte hinterlassen hat.«

»Ich habe den Mann im Leben nie gern gesehen, kein Grund, daß ich ihn mir im Tode hätte anschauen sollen. Ich halte mich gerne ein wenig zurück, meine Familie hat mir eine zu verwegene Vergangenheit. Ich kenne meinen Vater nicht.«

Huß erhob sich und lief im Zimmer auf und ab, er war nicht im geringsten müde, im Gegenteil, hell wach war er und streitsüchtig aufgelegt. Er trat vor sie hin und fuhr ein neues Geschütz auf.

»Wenn ich dir gesagt habe, daß du vertraulich tun sollst mit dem Franzmann, so hat das seine gewichtigen Gründe.«

»Hast du das gesagt?«

»Ich sage, wenn ich es gesagt haben sollte!«

»Deine Gründe kann ich mir denken. Du brauchst wieder einen Schrittmacher bei der Generaldirektion.«

»Ich bin nichts als ein Geschäftsmann, das wird mir manchmal übelgenommen, von sentimentalen Naturen und gemütvollen Schwächlingen wie dieser Christus aus dem Walde einer ist. Niemand soll es mir verwehren, wenn ich die sogenannte Konjunktur ausnütze, das Gegenteil tun bedeutet Unfähigkeit, auf diesem Standpunkt stehe ich, hab' ich recht oder nicht?«

»Hab' ich recht oder nicht?« äffte sie ihm nach und lehnte sich von rückwärts gegen die Tischkante. »Von mir aus hast du recht, nur solltest du es nicht gar zu durchsichtig machen. Männer sind immer eine Kleinigkeit plump.«

»Es ist nicht mehr allzuviel Zeit, verstehst du das, man muß sein Heu unter Dach bringen. Und der Franzose kann uns vielleicht noch einmal dienlicher sein, als du glaubst. In Zeiten, wie sie jetzt sind, muß man sich alle Windrichtungen offenlassen. Du riechst so sonderbar, was für ein Parfüm hast du denn, das ist mir vorhin schon aufgefallen?«

»Du wirst demnächst noch meinen Toilettentisch unter Aufsicht stellen. Ist dir der Geruch unsympathisch?«

»Richtig, habe ich dir gesagt, daß ich morgen früh nach Kaiserslautern fahre?«

256 Frau Martha lächelte, und viele verächtliche Gedanken schlüpften in dieses Lächeln hinein.

»Willst du in Freiheit machen, hast du Freunde bei den Donnersbergern?«

»Ich will Umschau halten, man darf den Anschluß nicht verpassen. Der Pfälzer ist drauf und dran, wieder mal eine Dummheit zu machen, aus dieser Dummheit muß man profitieren.«

»In welches Lager schlägst du dich? Ich meine, zu welcher Gesinnung hast du dich entschlossen?«

»Rede mir nicht von Gesinnung. Gesinnung ist für die Schwärmer. Und das schwöre ich dir bei allen Heiligen und Höllenhunden, die Schwärmer werden's zuletzt bezahlen müssen!«

»Mit ihrem Kopf, meinst du?«

»Sie haben meist nichts anderes zu verlieren.«

»Wollt ihr eine Republik, wollt ihr die Franzosen wieder im Land?«

»Wär' vielleicht nicht das Schlechteste.«

»Laß das deinen Sektionsingenieur nicht hören.«

»Besser, du erinnerst mich nicht an ihn, ich könnte sonst ungemütlich werden. Bist du vorhin wirklich nicht am Fenster gewesen? Ich sah deutlich zwei Schatten.«

»Wir sprachen vom Sektionsingenieur. Du solltest sein besonderer Freund sein, vergiß nicht, daß sein Vater ein recht einflußreicher Mann ist.«

»Ich habe nichts von ihm zu erwarten. Er will Bäume pflanzen, ich will welche fällen.«

»Und der Sektionsingenieur?«

»Er soll mir nicht im Wege sein, der Reaktionär.«

»Er war einmal verliebt in mich, der junge Lothar, ein Glück, daß es anders gekommen ist.«

»Was willst du denn damit sagen?«

»Ha ha, ich hätte einen so anständigen Mann nicht brauchen können. Er hat mir zuviel Gewissen.«

»Du Teufel! Du Teufel!!«

Er packte sie mit beiden Händen bei den Schultern, er schüttelte sie in aufbrechendem Grimm, aber sie wehrte sich nicht, nein, sie hatte stärkere Waffen, sie lächelte ihn an; ja, sie drängte sich näher heran, daß er den fremden Duft roch, das verdächtige und verräterische Parfüm, eine Wolke des Mißtrauens und der heimlich glühenden Eifersucht.

257 »Abscheulich, wie du riechst!«

Er stieß sie fort, sie lächelte immer noch, das schwarze Haar glänzte im matten Licht der Petroleumlampe, aus den Schluchten der Augen kam der samtene Glanz, jetzt hob sie diese Augen und schaute nach oben, den Kopf ein wenig nach hinten geschoben, es schimmerte feucht in ihrem Blick und wie von verborgenem Gewässer.

›Ich bin nicht überrascht‹, dachte er verloren, ›wenn jetzt die Tränen kommen.‹

»Madonna du diable!« stieß er hervor und ging wie getrieben aus dem Zimmer.

Sie blieb noch eine Weile stehen, steil aufgerichtet und einer abenteuerlichen Vorstellung nachhängend.

Dann senkte sie den Kopf, eine große Traurigkeit befiel sie, langsam fuhr sie mit den flachen Händen über die Wangen aufwärts nach den Schläfen; dort verharrten die Hände und übten einen Druck aus, als ob sie etwas festpressen wollten.

»Wie gemein er ist«, stöhnte sie, »o wie gemein!«

 


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