Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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11

»Ich bitte um Pardon, weil ich ungebeten eintrete.«

Er kam näher, Bastian Berghaus trat auf ihn zu.

»Ihr seid Gast in meinem Hause.«

»Danke, Kamerad. Ich habe eine Nachricht.«

»Ist der Marmont in die Pfanne gehauen?« rief Sickingen. »Ich habe ein Gefühl, als ob der Schwarzenberg Blei im Hintern hätte. Ihr müßt mehr auf den Blücher hören. Laßt ihm heute die Flügel, und er ist morgen in Paris.«

»Ihr sprecht von einer Nachricht, Litinow?« Berghaus schob ihm das gefüllte Glas hin, »doch zuvor trinkt, das ist so Sitte bei uns.«

Von Litinow hob das Glas: »Vortrefflich; auf Euer Wohlergehen, auf Eure Gesundheit, Euer Waffenglück und auf Eure Ehre!«

Berghaus stieß mit ihm an.

»Es ist etwas Dunkles zwischen uns, russischer Freund, aber es ist in Eure Hand gegeben, es zu löschen. Auf Eure Ehre!«

Litinow schaute den Husaren an, es zog wie Wolken über seine Augen, das Glas zitterte in seinen Händen.

»Eure Nachricht, Litinow«, drängte Berghaus und goß neuen Wein in die Gläser.

»General von Karpow will diese Nacht noch in Deidesheim Quartier nehmen.«

»General Karpow? Ist jemand auf dem Bürgermeisteramt?«

»Alles in Ordnung.«

»Quartier?«

»Im Hause des Husarenoberleutnant Berghaus, vom Kommandeur selbst gewünscht.«

»Große Ehre«, sprach Berghaus betroffen und mit gedämpfter Stimme, »meine Frau wird die Zimmer richten lassen, ich bitte mich zu entschuldigen, ich habe einige dringende Anweisungen zu geben.«

Litinow griff nach seinem Arm und hielt ihn zurück.

»Bleibt, bitte, ich habe alle Anweisungen gegeben. Die gnädige Frau ist unterrichtet.«

Berghaus fuhr zusammen, seine Züge verfinsterten sich.

»Ihr habt mit meiner Frau gesprochen?«

»Ja, ich traf sie zufällig auf dem Flur.«

»Zufällig? Ich bin ein Feind aller Zufälle, man entschuldigt mir damit zu viel.«

122 »Zufälle machen Weltgeschichte, Kamerad Berghaus.«

»Ob sie auch Schicksale formen, Litinow?«

»Wenn keine andern, so das meine!«

»Durch welches Werkzeug?«

»Durch das Rätsel der Liebe.«

»Litinow!!«

»Ich rede nur die Wahrheit und meine Worte sind Bekenntnis. Ich darf meine Zeit nicht mehr durch Lügen beschmutzen. Habt Verständnis und Vergebung für mich.«

»Ihr spracht mit meiner Frau auch über anderes, als über die Ankunft des Kommandeurs?«

»Ja.«

»Und worüber?«

»Daß mir alles heilig ist, was in diesem Hause lebt und atmet.«

»Und weiter?!«

»Daß die Treue keinen heimtückischen Schachzug duldet.«

»Welche Treue?«

»Von Kamerad zu Kamerad!«

Bastian Berghaus atmete auf, es kam eine innere Befreiung über ihn, er wandte sich nach dem Tisch zurück und sprach, ein wenig abwesend: »Entschuldigt das kleine Privatissimum, ich vergaß, daß noch mehr Gäste am Tisch sitzen. Tulle, geht und holt vom Besten, den Ihr bewahrt habt. Es soll Wein sein für die festliche Stunde.«

Tulle wankte zur hinteren Tür hinaus und murmelte vor sich hin: »Dann will ich Euch die Gläser mit Engelstränen füllen.«

»Nehmt mich mit in diesen Rest vom Paradies«, rief der letzte Sickingen, trunken vom Wein, aber immer noch aufrecht schreitend.

Als die beiden allein waren, sprach Berghaus: »Ich habe Euch noch etwas zu fragen, denn es muß Klarheit herrschen, bevor es Tag wird. Antwortet mir mit freiem Herzen und ohne Rücksichtnahme: nehmt an, ich gäbe mein Weib frei, ich löste alle Bande, und es wäre keine Gemeinschaft mehr zwischen ihr und mir. Würdet Ihr alles daransetzen, sie für Euch zu gewinnen, würdet Ihr sie mit Euch nehmen nach Rußland als Euer eigenes Weib und als das Höchste, was Ihr kraft Eurer Liebe vom Schicksal begehrt?«

»Nein.«

»Setzt den Fall, ich fiele in der Schlacht, mein Weib würde frei durch meinen Tod und sie liebte Euch: würdet Ihr sie mit Euch nehmen als Gut und Gnade des Himmels?«

123 »Nein.«

»Nennt mir den Grund!«

»Weil die Ehre über der Liebe steht!«

»Bedenkt, Ihr seid jung und habt viel zu erwarten, wenn der Krieg Euch das Leben läßt.«

»Dieses Leben zählt nichts mehr.«

»Warum?«

»Einmal, weil ich es selbst verwirkt, und zum zweiten, weil ich es einem andern zu danken habe.«

»Keine Möglichkeit, daß Ihr weiterleben könntet?«

»Nur eine!«

»Auch mit geheimer Schande?«

»Auch – – dann!«

»Und welche?«

»Wenn dieses schändliche Leben meinem Volke nützte!«

Berghaus schwieg, im Innern seltsam erschüttert. Er verbarg nicht seine Bewegung, als er vor den Kosakenoffizier hintrat, ihn eine Weile tränenden Auges anschaute, den Arm um ihn legte, und ihn wie einen Bruder auf die Wange küßte.

»Vielleicht werde ich Euch nie begreifen.«

Sickingen und Tulle kamen aus dem Keller zurück, sie brachten einen Krug Deidesheimer Kieselberg, das Edelste, was im Keller lag, und nur für feierliche Stunden bestimmt. Berghaus bedeutete dem Kellermeister, er möchte die Gläser füllen, denn es sei in Wahrheit eine feierliche Stunde, und sie sei wohl wert, daß man sie kröne durch den Genuß dieses seltenen Gewächses der Heimat. Als sie die Gläser zum Trinken hoben, stehend und vom gelben Licht der Kerzen spukhaft umschwelt, hörten sie Hufgeklapper.

Berghaus eilte zur Tür, da trat seine Frau Juliane herein. Den Türgriff hielt sie noch in der Hand, ihr stummes Lächeln war ein wenig schmerzhaft, ein flüchtiger Blick traf den Kosaken, sie sprach zu Berghaus: »Bastian, der russische General ist gekommen, es wird gut sein, wenn du selbst ihn empfängst.«

»Wer ist mit ihm?«

»Er ist allein.«

»Allein?!«

Da stand der Russe im Rahmen der Tür, fast lautlos war er erschienen, General von Karpow, Befehlshaber über sieben Kosakenregimenter, ein Mann von imponierendem Aussehen, der rote Kragen 124 des Mantels war hochgestellt, der Pelztschako mit der weißen Feder schräg in die Stirn gezogen. Das silberne Wehrgehänge glänzte, er trug zwei kostbare doppelläufige Reiterpistolen. So stand er da, halb im Dämmerschein der schwachen Kerzen, aber doch so im zuckenden Lichterspiel, daß man die herrischen Augen sah mit dem kalten Blick des Kriegsmannes, daß man den brutalen Mund sah und das ganze finstere Gesicht, auf das sich jetzt ein erstauntes Lächeln verirrte, als der Russengeneral überrascht der schönen Frau ansichtig wurde, die ihm unmittelbar gegenüberstand und ihn mit mühsam verhaltener Scheu anblickte.

»Exzellenz, verzeihen«, sprach Berghaus, trat vor ihn hin und nahm eine soldatische Haltung an, »ich wußte nicht, daß Exzellenz so unerwartet – –«

»Ich komme gerne unerwartet«, antwortete der Russe, trat vollends in die Stube herein und wandte den Blick nicht von Frau Juliane, die einige Schritte zurückgetreten war. Berghaus fühlte diesen Blick wie eine unsichtbare Gefahr, er trat zwischen seine Frau und den Russen, eine Welle heißen Blutes stieg ihm zu Kopf. ›Das Leben ist fürchterlich‹, dachte er, ›Grauenhaftes treibt sein Spiel hinter den Stirnen der Menschen.‹

»Exzellenz, Eure Zimmer – – –«

»Ich freue mich, Euch hier zu treffen, Oberleutnant Berghaus. Mein Gedächtnis ist gut, ich vergesse nichts, ich weiß, was Ihr für mein Korps getan habt, Husar des Prinzen Biron von Kurland.«

»Exzellenz, mein Haus steht zu Eurer Verfügung.«

»Euer Haus – – richtig, – – nur für eine Nacht, – – wir führen Überraschungen im Schilde. Nur für diese Nacht – – mein Stab ist noch auf dem Rathaus – – zwei Regimenter. Richtig, von Litinow! Ihr seid hier ebenfalls in Quartier?«

»Jawohl, Exzellenz.«

»Très bien, – was wollte ich sagen, – bitte meine Herrn, bleiben Sie zwanglos – – wer ist die Dame, Herr Oberleutnant?«

»Meine Frau, Exzellenz.«

»Ooh! Scharmant, Eure Frau? Gott hat Euch gesegnet.«

Er machte einige hastige Schritte auf Juliane zu, faßte ihre Hand und führte sie an die Lippen.

»Madame, ich bin nichts als Euer Diener.«

Juliane lächelte und beugte kaum merklich den Kopf.

»Seid willkommen in unserem Hause, Exzellenz.«

125 Sie senkte den Blick, als er sie wieder anschaute; sie wich diesem kalten Blick aus, denn er war voll lauernder Gefahr und wie der Blick eines Tieres. Es war nicht schön, diesem Blick begegnen zu müssen.

Berghaus wandte sich erregt nach dem Tisch und sah dort den Leutnant von Litinow stehen, hochgereckt, funkelnden Auges, ein Panther auf dem Sprung.

»Ich hoffe«, sprach der General, »daß es die Gemütlichkeit nicht stört, wenn ich an dieser feuchten Tafelrunde teilnehme. Ich habe den Frost in allen Knochen und vermute, daß es in einem Haus, wo eine solche Frau regiert, auch sonst nichts zu verachten gibt. Bitte, bitte, keine Umstände.«

Er wies den Kellermeister zurück, als der ihm beim Ausziehen des Mantels behilflich sein wollte. »Wenn Euch aber an meinem Dank gelegen ist, dann versorgt mein Pferd, das draußen im Hof steht.«

Tulle, das Gesicht vom Wein gerötet, stand stramm und verließ den Raum, während der Russengeneral sich der Frau zuwandte und sie mit einem verbindlichen, aber eiskalten Lächeln einlud, mit ihm am Tisch Platz zu nehmen, und dem Gast Gesellschaft zu leisten.

Frau Juliane Berghaus, das Außergewöhnliche der Lage erkennend und von einem Gefühl inneren Unbehagens geleitet, bat den General, sich verabschieden zu dürfen, da dies doch wohl weder Platz noch Stunde für eine Frau sei.

»Ich bitte Euch, zu bleiben, madame, ich bin nicht so unrettbar dem Kriegshandwerk verfallen, daß die Gegenwart einer bezaubernden Frau für mich nicht ein Erlebnis des Herzens sein könnte. Ihr gestattet doch, Oberleutnant Berghaus?«

»Mein Haus zu Euren Diensten, Exzellenz, meine Frau soll uns eine Viertelstunde Gesellschaft leisten.«

General Karpow lachte und setzte sich an den Tisch, sah dort jetzt den letzten Sickingen und schien zu überlegen, wo er diesen Menschen wohl schon gesehen hatte.

»Ihr kommt mir bekannt vor, Mann, ich muß Euch schon begegnet sein, wo ist es doch gewesen? Ihr seid ein Fischer, an Euren Stiefeln – –, seid Ihr Angestellter dieses Gutes?«

Sickingen fuhr von der Bank hoch, die Röte des Zorns stieg ihm ins Gesicht.

»Ich bin nur dem Herrgott unterstellt und dem obersten Herrn des Landes, General von Karpow. Keine fünf Minuten ist es her, da 126 rühmtet Ihr Euch Eures Gedächtnisses, es hat Euch jetzt zum erstenmal im Stich gelassen.«

»Dies ist Graf von Sickingen«, fiel Berghaus eilig ein, um die gefährliche Schärfe dieser Szene zu brechen.

»Exzellenz, er hat in der Silvesternacht einigen Regimentern den Weg aus der Rheinniederung gewiesen.«

»Richtig, richtig, wie konnte ich das vergessen! Ich bitte um Pardon, Graf. Eure etwas seltsame Kleidung – – man begegnet jetzt so vielen Menschen.«

»Aber nur einem, wie ich es bin!« trumpfte Sickingen auf, gereizt durch die herausfordernde Haltung des Russen und durch den genossenen Wein angriffslustig gestimmt.

»Ihr seid sehr stolz, Sickingen. Bekennt selbst, daß man aus Eurer Kleidung weder auf Graf noch Adel schließen kann.«

»Mein Adel, Exzellenz, steht über Kleidung und Aussehen. Nehmt Platz, ein freies Wort macht frei. Hier ist ein gefülltes Glas, vielleicht ist der Adel seines Inhalts dem unsern gleichzusetzen. Wir wollen trinken auf Ehre, Freiheit und Vaterland.«

General Karpow schmunzelte, aber die Teufel sprangen aus diesem Schmunzeln, er wandte sich nach Frau Juliane und sah, daß sie kein Glas hatte.

»Leutnant von Litinow, Ihr seid nicht der Aufmerksamste unter meinen Offizieren!«

»Danke«, sprach Frau Juliane, »ich trinke jetzt keinen Wein.«

»Keinen Wein?! Dann gestattet, daß wir alle auf Euer Wohl und auf das des beneidenswerten Gatten trinken.«

Er stieß an und trank das Glas in einem Zuge leer.

»Ein solcher Trunk stimmt milde. Schenkt ein, Graf Sickingen.«

Er trank ein zweites und ein drittes Glas und vermied es nicht, seine Blicke immer begehrlicher auf Frau Juliane zu werfen, seine Liebenswürdigkeit fing an, aufdringlich zu werden.

Bastian Berghaus, der sich in einer verzweifelten Lage befand, versuchte, ein Gespräch über die strategische Lage in Gang zu bringen, aber der General trank sich in eine so angeregte Laune hinein, daß er den Krieg in dieser Stunde verwünschte und den Kaiser Napoleon den größten Scharlatan der Weltgeschichte nannte.

Litinow saß stumm und mit mühsam gebändigtem Grimm da, sein Blick war finster, seine Stimmung würde ihn zu allem fähig machen. Der Wein, ihm ungewohnt in solcher Kraft, machte sein Blut 127 rebellisch, er verkrampfte eine Hand zur Faust und war mit sich im Klaren, daß er nämlich dem General an die Kehle fahren würde, wenn der sich etwa herausnähme, fatal sich zu benehmen dieser Frau gegenüber, die lächelnd und dennoch bedrückt, freundlich und doch voll Bangnis in der unruhigen Runde saß, ein blühendes Geschöpf Gottes mit dem Wunder der blauen Augen und dem blonden Zauber der Haare.

»Ihr singt doch zur Balaleika, Leutnant von Litinow«, sprach der General und deutete mit der ausgestreckten Hand nach ihm.

Litinow blickte auf und reckte den Oberkörper.

»Exzellenz, es ist kein Instrument – –«

»Tollheit, kein Instrument! Dann singt ohne Instrument.«

»Exzellenz, ich weiß nicht, ob ich jetzt imstande – –«

»Ich befehle Euch, daß Ihr singt! Kellermeister, einen neuen Krug!«

»Ich darf mich jetzt verabschieden«, sprach Frau Juliane still, »die Viertelstunde ist längst vorüber.«

Sie wollte sich erheben, da griff der Russengeneral nach ihrem Arm und zwängte sie auf die Bank zurück.

»Madame, ist Euch meine Gesellschaft lästig?«

Da antwortete Frau Juliane etwas Unbedachtes, denn sie war verletzt, weil der Russe sie am Arm gepackt hatte. Sie schaute den General voll an und sprach mit einem überlegenen Lächeln, wobei sie mit der flachen Hand über die Stelle ihres Armes strich, den er angefaßt hatte.

»Exzellenz, kann man ernsthaft auf eine Frage antworten, die gar nicht ernsthaft beantwortet werden darf?«

»Warum nicht, madame

»Weil Exzellenz Gast im Hause sind.«

General Karpow stutzte, er wußte, daß er getroffen war, nur fand er die Stelle nicht. Er runzelte die Stirn und trommelte mit den Fingern aus der Tischplatte.

»Verzwickte Weisheit, madame. Ihr gebt mir aber die Ehre und höret ein Lied meiner Heimat an.«

»Das will ich gerne tun.«

»Litinow, singt! Ich habe lange nichts von Rußland gehört.«

»Was befehlen Exzellenz?«

»Ein Kosakenlied, doch zaudert nicht länger!«

Der Kosakenleutnant lehnte sich in der Bank zurück, halb senkte er 128 die Lider über die Augen. Er warf noch einen Blick auf Frau Juliane, die unbeweglich saß, mit starrem Gesicht und geneigtem Kopf, die Augen auf die Tischplatte gerichtet. Wenn sie ihn auch nicht anschaute, so fühlte sie doch die verzehrende Glut dieses flüchtigen Schauens, sie wußte, er würde das Lied nur ihrethalben singen, sie wußte auch, daß sie in der Stunde der Gefahr auf diesen Menschen rechnen konnte, und diese Gewißheit war ihr tröstlich und beglückend zugleich.

Sie hörte ihm zu, und während er sang, gingen ihre Gedanken auf verwegener Irrfahrt. Sie sah sich durch den Nebel jagen, verfolgt von einem Unbekannten, sie erlebte mit ungemeiner Schärfe den Sturz vom Pferd und das fremde Erwachen, fühlte schamvoll brennend den Frevel seines Kusses, gegen den sie wehrlos gewesen war, und sie fahndete nach einem Grund, warum sie ihm verziehen hatte und warum sie ihn nicht verachten konnte. Denn was er getan hatte, war verächtlich, aber das Verächtliche erlebte in Frau Julianes Gefühlen eine unerklärliche Wandlung. Sie suchte nach einem Ausweg, um einen Menschen rein zu waschen, der sie überfallen hatte und dessen Tat auch bei aller Milde nicht zur Tugend werden konnte.

Schon fällt auf die Steppe das nächtliche Graus,
Noch bleibt mir ein langer Weg bis nach Haus.
An dies einsame Bäumchen bind' ich mein Tier,
Ich aber werde schlafen auf dem Grabe hier.
Doch woher kommt das junge Mädchen dort?
Sie rührt die Schulter des Kosaken und sagt dies Wort:
Steh auf, mein Kosak! Genug ist's der Ruh,
Auf dein Roß steig, eile dem Lager zu!

Der Kosak sang mit heller, aber gedämpfter Stimme, die schwermütige Einförmigkeit des Liedes ging wie Flügelschlag von Schattenvögeln durch das Dämmerlicht des Zimmers. Berghaus saß aufrecht und suchte den Blick seiner Frau, aber Juliane hob nicht den Kopf, denn sie fürchtete, sie könnte etwas Bedrückendes herauslesen aus dem Mienenspiel der Menschen, die in einer gespenstischen Runde saßen und sich hinter ihrem Schweigen verbarrikadierten.

Denn jeder einzelne, sann Berghaus, wälzte ungeheuerliche Gedanken hinter seiner Stirn, verwerfliche Gedanken und solche voll Furcht und schlimmer Ahnung, Gedanken der Lust und der Qual, des Verbrechens und der Liebe, der Grausamkeit und der nimmersatten 129 Sehnsucht. Ein jeder einzelne wälzte Gedanken, und unter diesen Gedanken war zumindest einer, den es zu verbergen galt, zumindest einer, der, so er enthüllt würde, das Entsetzen hervorriefe und die Nacktheit der Menschenseele schaudernd aufzeigte.

In der Stille der Nacht die Tataren nah'n,
Dich und dein müdes Rößlein zu fah'n.
Mit dem Rößlein, dem müden, hat's keine Not,
Der Kosak kauft ein neues, das alte ist tot.

Leutnant von Litinow, mitten im Singen, hob die Lider und sah, wie der General Karpow seine Begierde bös enthüllte, wie sein Gesicht, ohne Beherrschung und frei vom Diktat des Willens, alle Züge einer schandbaren Lüsternheit annahm und zum offenen Tummelplatz seiner mühsam gebändigten Wünsche wurde.

Ich muß ungeheuer wachsam sein, zuckte es durch Litinows Gedanken, während er zu Ende sang, denn dieser dort mit dem entlarvten Gesicht führt Unheil im Schilde.

In der Sekunde, da er solches dachte, hob Juliane den Kopf und schaute den Leutnant von Litinow an. Und ihm war, es ginge ein Brausen durch den Raum, ein Schrei wollte aus seinem Innern sich zerstörend in die trübsinnige Melodie des Liedes drängen, er kämpfte den Rausch der Gefühle zurück und endete:

Doch wenn dir ein Tatar den Kopf abhieb,
Was würde aus mir, deinem jungen Lieb?

Die Stille, die herrschte, als Litinow geendet hatte, war bedrückend, sie wurde durch General Karpow unterbrochen, der sich nach Juliane wandte und mit einer heiseren Stimme fragte: »Wie gefallen Euch des Leutnants Lieder, madame

»Danke, Exzellenz«, antwortete sie und hielt den Blick gesenkt. »Es war ein schönes Lied, aber ich möchte jetzt gehen!«

Sie erhob sich und wollte dem Russengeneral die Hand reichen. Karpow nahm die Hand nicht, er sprang auf, griff das Glas und schlug es auf den Tisch, daß es in Scherben sprang.

»Wer mich beleidigen will, soll gehen. Ich will Euch nicht zurückhalten, madame, vielleicht hättet Ihr weniger Eile, wenn Ihr an des jungen Leutnants Seite säßet!«

130 »Exzellenz!!« Litinow fuhr von der Bank hoch, die Erregung meisternd, dämpfte er die Stimme und sprach russisch: »Exzellenz, ich schreibe diesen Satz auf das Konto des genossenen Weines.«

Karpow trat polternd vom Tisch weg, breit stand die gedrungene Gestalt im gelben Licht, auch er sprach jetzt russisch.

»Was erlaubt Ihr Euch, Leutnant von Litinow? Haltet Ihr mich für betrunken?«

»Gott verhüte, daß es anders sei!«

»Wißt Ihr denn, was Ihr sagt?« brauste der General auf und kam auf Litinow zu.«Habt Ihr vergessen, wer vor Euch steht?«

»Keine Sekunde, Exzellenz: ein Russe wie ich! In diesem Augenblick ein Russe wie ich.«

»Nicht nur das, Euer Kommandeur vor dem Feinde.«

»Was könnte mehr verpflichten, als dieses Wort?«

»Ihr vertretet eine sonderbare Weisheit.«

»Ich vertrete das Ansehen Rußlands, Exzellenz!«

»Das Ansehen Rußlands!? Das vertrete ich!«

»Dann vertretet Ihr es schlecht, Exzellenz!«

»Ihr werdet Eure Unbesonnenheit teuer bezahlen müssen.«

»Kein Preis ist dafür zu hoch.«

Der Kosakenoffizier trat auf Juliane zu, er blieb gefaßt und ruhig, als er sich vor ihr verbeugte und wiederum in deutscher Sprache sagte:

»Madame, ich bitte dieses Vorkommnis zu entschuldigen.«

»Ich bedaure es tief, Gegenstand dieser peinlichen Auseinandersetzung zu sein«, antwortete Frau Juliane, »Bastian, ich bitte dich, Exzellenz aufzuklären, daß es keine Beleidigung ist, wenn – –«

»Es bedarf keiner Aufklärung, madame«, fiel ihr der General mit gehässiger Stimme ins Wort. »Aufklärung ist mir einzig und allein mein Offizier schuldig.«

»Die werde ich nicht verweigern, Exzellenz.«

Da stand Sickingen vom Tisch auf, ging auf Juliane zu und reichte ihr den Arm.

»Ich darf Euch begleiten, Frau Juliane.«

Er wollte mit ihr den Raum verlassen, da brüllte der General ihn an: »Ich befehle Euch, zu bleiben!«

Sickingen wandte sich um, ein wohl abgewogenes Lächeln ging über sein Gesicht, er senkte ein wenig den Kopf und schaute den angetrunkenen Russen von unten herauf an.

131 »Befehlen? Mir hat in diesem Augenblick kein deutscher General zu befehlen, um wieviel weniger ein russischer, Exzellenz.«

»Im Krieg gilt anderes Recht, Sickingen.«

»Graf Sickingen!!«

»Ihr prahlt mit Eurem Adel, ich habe nie von ihm gehört.«

»Das wird nicht Eure einzige Schwäche sein. Mein Adel ist älter, als der Eure, Exzellenz. Wenn er jünger wäre, dann doch so, daß er das Haus nicht beleidigte, wo er Gastrecht genießt.«

Er verließ mit Juliane das Zimmer.

Die Tür fiel ins Schloß.

Eine Weile war es totenstill.

Bastian Berghaus war bleich vor Erregung, er kannte die große Gefahr und suchte nach Worten, um das Gespräch irgendwie in Gang zu bringen. Es waren widerwärtige Sekunden.

»Exzellenz, ich bitte Euch, nehmt den Vorfall nicht ernst, der Wein erhitzt die Geister, der Kellermeister soll uns die beste Flasche holen, sie wird uns wieder zusammenführen.«

Tulle, der gedrückt und ohne sich zu rühren, auf dem Stuhl gesessen hatte, sprang eifrig auf.

»Soll ich einen Musenhang – – eine Auslese – –«

»Danke, danke!« sprach Karpow und schaute von Litinow durchdringend an, der immer noch mit finsterer Miene aufrecht stand, als erwartete er ein ungewisses Urteil.

»Wirklich danke, messieurs, man darf nicht immer feiern, die Zeit ist zu ernst, es kommt oft auf Stunden an.«

Er verzog sein Gesicht zu einer häßlichen Maske, die Augen, vom Wein verschwommen, funkelten boshaft, er biß sich auf die Lippen und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.

Dann ging er einige Male auf und ab, mit gesenktem Kopf und so, als gälte es, Wichtiges und Entscheidendes zu überlegen.

›Nun brütet er Unheil aus‹, dachte Berghaus und war auf Schlimmes gefaßt, da sprach Karpow in trocken anweisendem Ton: »Richtig, mir fällt ein, ich habe meine Dispositionen geändert. Die allgemeine Lage erfordert Umstellungen. Euer Sonderkommando, Oberleutnant Berghaus, ist ja wohl beendet. Ich darf bitten, daß Ihr Euch zu Eurem Regiment beim Prinzen von Biron zurückmeldet. Das Regiment liegt in Alzey, Ihr verlaßt morgen früh die Stadt und begebt Euch mit einem kleinen Deckungsdetachement nach Alzey. Ihr habt mich verstanden?«

132 »Jawohl, Exzellenz!« Bastian Berghaus verbarg seinen Schreck, er beherrschte sich mit Mühe, er sah, wie Leutnant von Litinow krampfhaft zusammenzuckte.

»Und für Euch, Leutnant Litinow«, fuhr der General fort, »habe ich einen besonders ehrenvollen Auftrag. Ihr sprecht ausgezeichnet deutsch, Ihr begebt Euch morgen vor Tagesgrauen mit fünf Mann auf Patrouille in Richtung Neustadt–Kaiserslautern. Eure Aufgabe ist, zu erkunden, ob die Stadt Kaiserslautern vom Feinde frei ist. Die Meldung ist wichtig und auch für das Korps Yorck von Bedeutung. Handelt nicht voreilig, ich erwarte Euch morgen abend sechs Uhr zurück. Ihr habt mich verstanden?«

»Jawohl, Exzellenz!«

»Ihr meldet Euch morgen früh vorm Ausritt bei mir, ich habe noch unter vier Augen mit Euch zu sprechen.«

»Jawohl, Exzellenz!«

»Und um keinen Irrtum aufkommen zu lassen: Keiner der Einwohner hier verläßt den Ort, ich traue diesen Menschen nicht, man muß ein scharfes Auge haben. Wer die Stadt verläßt, läuft Gefahr, erschossen zu werden. Ihr begreift, Oberleutnant Berghaus?«

»Jawohl, Exzellenz, ich darf nur darauf hinweisen, daß wir uns nicht in Feindesland befinden.«

»Was Feindesland ist und nicht ist, das entscheiden andere. Noch ist der Boden französisch, auf dem wir stehen.«

»Aber seine Bewohner, Exzellenz – –«

»Stehen unter Kriegsrecht, das mag genügen.«

»Solange es Recht bleibt, unbedingt! Wenn ich Deidesheim verlasse, ist mein Haus ohne eigentlichen Schutz. Ich lasse eine Frau zurück und eine Hoffnung. Dies ist meine Heimat, mein Besitz. Ringsum ist geraubtes Land.«

»Der Krieg ist hart, Oberleutnant Berghaus.«

»Es liegt in Eurer Hand, ihn hier so menschlich wie möglich zu gestalten.«

»Ich will tuen, was ich darf«, sprach der General eisig, »mein Quartier bleibt vorläufig hier!«

Er ging mit steifen Schritten, mit Mühe sich aufrecht haltend. Hart schlug er die Tür ins Schloß.

»Kamerad Berghaus«, sprach von Litinow bestimmt, »es geht um Eure Frau. Nichts ist wichtiger, als daß sie in Sicherheit gebracht werde.«

133 »Sie muß fort von hier, am besten noch in dieser Nacht.«

»Das ist zu gefährlich, der General verbietet, daß Einwohner die Stadt verlassen.«

»Der Graf Sickingen ist kein Einwohner, und eine Frau, die ich vom Rhein mitgebracht habe, auch nicht. Ich weiß ein gutes Versteck.«

»Sagt es mir, ich will alles tun, auch wenn es gegen das Gesetz ist.«

»Das Kriegsgericht ist hart, Litinow, dieser Abend steht schwarz auf Eurem Konto.«

»Nicht für mich. Schenkt mir Euer Vertrauen.«

»Sickingen wird Euch das Nähere sagen, er kennt das Versteck. Wir wollen schlafen, es steht alles in Gottes Hand.«

»Ich habe einen guten Plan, verlaßt Euch auf mich.«

»Und welchen?«

»Ihr kennt den Auftrag, den ich zu erfüllen habe. Unter den fünf Kosaken, die mich begleiten, wird – – Achtung, wir werden belauscht!«

Von Litinow sprang blitzschnell zum Fenster und riß den Flügel auf. Kälte stürzte herein, im Schatten der Nacht stand ein Mann, überrumpelt und keiner Bewegung fähig.

»Draußen steht der Verwalter Heinz«, rief der Kellermeister und trat zum Fenster.

Bastian Berghaus, seinen Unmut und seine Trauer verbergend, trat zum offenen Fenster.

»Warum steht Ihr draußen in der Nacht, Heinz? Kommt herein, ein Toter hat mit Euch zu sprechen.«

»Herr Berghaus«, sprach der Mann aus dem Dunkel, »ich habe gehört, daß Ihr lebt, daß die Meldung falsch war.«

»Ich habe gesagt, Ihr sollt hereinkommen. Leutnant von Litinow, ich treffe Euch nachher noch in Eurem Zimmer, erwartet mich dort, ich bitte Euch. Tulle, Euch steht der Schlaf in den Augen, gute Nacht.«

Als der Verwalter Heinz die Stube betrat, ging der Kosak hinaus, ohne den Eintretenden eines Blickes zu würdigen.

»Tulle, ich habe Euch gute Nacht gesagt.«

»Herr, laßt mich hier, ich fürchte, es wird hart hergehen.«

»Du hast nichts zu fürchten.«

Der Kellermeister ging, an der Tür blieb er noch einmal stehen und schaute den Verwalter an, der in geduckter Haltung mitten im Raum stand.

»Habt acht, Herr, auf den Franzosenkopf.«

134 Er schloß langsam hinter sich die Tür.

Heinz setzte zum Reden an, aber Berghaus winkte ihm energisch ab. Er war ruhig und gefaßt, ein Lump wie dieser, der hier vor ihm stand, konnte sein Blut nicht mehr in Wallung bringen.

»Eure Lügen seien Euch geschenkt, Heinz. Ich habe nicht allzuviele Worte zu machen. Ich frage Euch auch nicht, woher Ihr jetzt kommt und warum Ihr an Fenstern herumschleicht und horcht. Euer Gewissen ist so beschaffen, daß Ihr nicht mehr den Mut habt, durch die Tür zu kommen.«

»Herr Berghaus, Ihr verkennt mich, Ihr habt meine wahre Gesinnung – –«

»Eure Gesinnung interessiert mich nicht, ich nehme aber an, daß sie zur Zeit gut deutsch und vaterländisch ist. Habe ich recht?«

»Das ist sie immer gewesen, die Klugheit aber fordert oft, daß man sie verbirgt.«

»Das habt Ihr nie getan. Etwas anderes aber habt Ihr getan, nämlich einen Menschen, der Euch unbequem war, nebenbei sterben lassen.«

»Herr Berghaus, ein unglückseliger Irrtum – –«

»Nicht weiter! Ihr habt mit Eurem Bruder Heinz in Speyer die Meldung von meinem Tod gefälscht! Wollt Ihr das ableugnen?«

Berghaus kam drohend auf ihn zu und schaute ihn an. Welch eine jämmerliche Gestalt, da stand er, der über Leichen ging, solange er in guter Deckung war. Da stand er mit dem runden, ausdruckslosen Gesicht und den rot umränderten Augen, mit den dünnen, rötlichen Haaren und den wuchernden Sommersprossen.

»Ob Ihr es leugnen wollt? Sagt das Gegenteil und ich will Euch mit dieser einen Hand, die mir zur Verfügung steht, die Kehle abschnüren. Ich könnte Euch verhaften, ja, ich könnte Euch an den nächsten Baum knüpfen lassen, aber so ist es nun mal mit uns: wir gehen noch am Mitleid zugrunde. Ich will mich nicht an Euch vergreifen, ich habe mir nie gern die Finger beschmutzt. Ihr steht da und redet nicht, wenn Ihr wenigstens den Mut aufbrächtet, mir zu widersprechen. Ich bin gewiß, wenn ich Euch ins Gesicht schlüge, Ihr würdet es hinnehmen ohne Murren. Ein anderer mag über Euch richten, Eure Schandtaten reichen nicht bis zu mir herüber. Ihr verlaßt aber in dieser Stunde meinen Hof. Keine Nacht dürft Ihr mehr unter meinem Dach verweilen. Geht zu den Franzosen, Ihr werdet dort verachtet, aber erwünscht sein.«

135 »Das werde ich nicht tun.«

»Jeder Wind ist mir recht, mit dem Ihr segelt, einerlei auch, wo Ihr Schiffbruch leidet. Übrigens, habt Ihr nicht Söhne?«

»Zwei Söhne im Donnersberger Land, einen in Landau.«

»Eure Frau war gut, es wäre besser, sie lebte und Ihr – – wenn es der Himmel will, sind die Söhne nach Eurer Frau geraten. Einmal, das weiß ich, bricht das ja immer wieder durch, Gott behüte Deutschland vor Euren Nachkommen.«

»Wenn Ihr erlaubt, daß ich ein Pferd – –«

»Ich habe für Euch kein Pferd im Stall! Wollt Ihr ins Donnersberger Land?«

»Meine Söhne haben Land an der hessischen Grenze, ich will dort arbeiten helfen. Die Pfalz ist wieder Deutschland.«

»Führt dieses Wort nicht im Munde, Eure Zunge stolpert, wenn sie es ausspricht.«

»Ich gebe das Pferd zurück, wenn – –«

»Kein Pferd für Euch!«

»Habt Erbarmen, Bastian Berghaus. Der ewige Krieg, die Not, die Unterdrückung, ich habe gelernt, anders zu denken.«

»Ich weiß es, die Not schafft Helden und Schurken, Ihr seid nicht unter die Helden geraten. Ich will alle jene noch gelten lassen, die aus innerer Überzeugung, aus romantischer Begeisterung und abenteuerlichen Gefühlen dem Korsen nachliefen, denn sie sind im Grunde ihrer Seele nicht verwerflich, sondern nur geblendet vom Licht eines Genies, dem auch ich meine Bewunderung nicht versagen kann. Was aber nicht hindert, daß er des Deutschtums fürchterlichster Gegner gewesen ist. Ihr aber habt nicht aus innerem Zwang gehandelt, Heinz, Ihr seid aus Profitgier zum Verräter geworden, Eure elende Krämerseele hat den letzten Rest von Anständigkeit in Euch getötet. Verlaßt mein Haus und dankt Gott, daß ich in meinem Leben nicht gelernt habe, mich an meinen Feinden zu rächen. Geht, wohin Ihr wollt, aber habt acht, daß Eure Tat nicht ruchbar werde.«

Bastian Berghaus öffnete die Tür.

Der Verwalter Heinz ging, sein Blick war voll Haß und Niedertracht und Feigheit.

»Er ist nicht wert, daß ich ihn zur Rechenschaft ziehe.«

Berghaus blieb zurück, allein, an der Tür stand er, und sah die wüste Unordnung auf dem Tisch mit der blankgescheuerten Eichenholzplatte. Er sah die Kerzen, die fast heruntergebrannt waren 136 und im zuckenden Lichterspiel den Raum mit lautloser Unruhe erfüllten.

War denn schon wieder der Feind im Land, mußte man Frauen und Kinder und Hab und Gut wiederum schützen vor der Zuchtlosigkeit der fremden Regimenter? Das Ansehen Rußlands vertrat Litinow, es war gewiß, daß er alles tun würde, um dieses Ansehen zu schützen, sein Ehrbegriff war empfindlich, eine Schuld brannte in seiner Seele und sein Leben stand als Einsatz gegen diese Schuld.

Bastian Berghaus, gequält und von geheimen Sorgen erfüllt, ging in seine Wohnung hinaus und traf Juliane im Schlafzimmer. Sie stand am Fenster. Als er eintrat, kam sie ihm entgegen und war voll des Glücks und voll der Bangnis. Er schloß sie in die Arme, sie blieben stumm in dieser Umarmung, denn beide wußten, daß Worte das nicht ausdrücken konnten, was sie bewegte.

Als seine Lippen ihren Hals berührten, fühlte er etwas Fremdes. Es war eine schmale Goldkette, er zog sie hervor und sah, daß eine große Goldmünze mit dem russischen Kreuz an ihr befestigt war.

»Das ist Litinows Amulett!?« sprach er bestürzt.

»Ja.«

»Wie kommst du zu dem Schmuck?«

»Er hat ihn mir geschenkt, so wie ich ihm das Leben geschenkt habe. Du verstehst das vielleicht nicht, Bastian.«

»Nein«, antwortete er tonlos, »ich verstehe es nicht.«

»Es ist wie ein sichtbares Urteil, Bastian, ein Urteil, das noch nicht vollstreckt ist. Ich aber trage es als ein Zeichen meiner Reinheit vor Gott und vor dir und vor allen Menschen.«

»Du liebst ihn?!«

»Ich liebe nur dich, Bastian!«

»Du sprichst die Wahrheit?«

»Die Wahrheit, Bastian.«

»Wenn du mich nie gesehen hättest im Leben, wenn du ganz frei wärst, könntest du ihn dann lieben?«

»Nein, Bastian, denn er ist ein Fremder in unserem Land, aber er wäre wert, von mir geliebt zu werden.«

»Juliane.«

Berghaus schaute seiner Frau in die Augen, ihr Blick war klar und ohne jeden Hinterhalt, sie lächelte und schlang erneut die Arme um ihn.

»O Bastian, wir sind ja vor uns selber Rätsel. Sag, daß du mir vertraust.«

137 »Wohin kämen wir, wenn ich dir nicht mehr vertraute, Juliane!«

»Du hegst keinen Argwohn und keinen Verdacht? Mißtrauen macht blind, du aber sollst sehen. Küsse mich, dann weiß ich alles.«

Er küßte sie lange und sprach: »Ich wünschte, daß diese Lippen niemals einen andern geküßt hätten.«

»Mit meiner Zustimmung nur einen außer dir.«

»Mit deiner Zustimmung? Verstehe ich dich recht?!«

»Ja, du verstehst mich recht. Nur einen außer dir!«

»Und wen?«

»Einen Knaben. Ich habe ihn im Leben geküßt und im Tode.«

»Du sprichst in Rätseln, Juliane.«

»Du hast mich nie gefragt, warum ich als Soldat geritten bin. Ich bin nicht nur einmal, ich bin oft geritten.«

»Dann frage ich dich jetzt.«

»Ich habe in Speyer rechtsrheinische Flugblätter geholt, die den Sturz Napoleons verkündeten und bei uns verbreitet wurden. Zweimal hat ein Knabe solche Blätter in die Festung Landau geschmuggelt, beim letztenmal mußte er sein Leben lassen. Ich habe das geahnt, denn ich habe ihn beim Abschied geküßt. Als ich schon fast zu Hause war, überkam mich die Angst, ich wußte plötzlich, daß der Knabe dem Tod in die Arme lief. Ich ritt bis vor die Mauern von Landau, denn ich glaubte, ihn noch zurückhalten zu können. Es war zu spät. Er kam mir entgegen, aber sterbend, beim heimlichen Verlassen der Stadt hatte ihn eine Kugel getroffen. Er starb in meinen Armen, er war sehr glücklich. Ich habe ihn im Sterben geküßt, und als er tot war, habe ich ihn wiederum geküßt.«

»Juliane.«

»Du wirst das vielleicht nicht verstehen, Bastian. Er war noch ein Knabe und seine Reinheit war groß wie die Welt. Ich habe ihn aufs Pferd genommen und nach Hause gebracht.«

»Wann ist das gewesen?«

»Am Abend des siebenundzwanzigsten Dezember.«

»Wenn dich die Franzosen ertappt hätten, wärst du erschossen worden.«

»Das weiß ich, aber ich habe mein Leben nicht für eine geringe Sache eingesetzt. Ich bin für die deutsche Freiheit geritten.«

»Warum hast du so mit deinem Leben gespielt?«

»Das Leben hatte keine Bedeutung mehr für mich.«

»Warum nicht, Juliane?«

138 »Weil ich dich tot wähnte.«

»Aber du sagst, du hast es nicht geglaubt; du sagst, du hast auf mich gewartet?!«

»Eine Frau, die liebt, kann auch auf Tote warten.«

»Das danke ich dir, Juliane.«

Er küßte sie und streichelte das blonde Haar.

»Ich will dich dem Kosakenleutnant anvertrauen, denn ich muß morgen früh zu meinem Regiment zurück. Tue, was er sagt, du mußt die Stadt heimlich verlassen, der General darf dich nicht mehr sehen.«

»Ich fürchte mich nicht.«

»Das mildert nicht die Gefahr. Er hat das Schlimmste im Sinn. Du mußt fort von hier, in den Wald, hinüber in die Haingeraide zum Förster Peter Aust, dort findet dich niemand. Es handelt sich nur um einige Tage. Ich gehe jetzt, mich mit Litinow besprechen. Niemand darf um diesen Plan wissen. Geh hinüber ins Wohnzimmer und warte, bis ich zurückkomme. Ich will dir den Sickingen herausschicken.«

 


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