Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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3

Je weiter die Förstersleute mit ihrem Gefährt und den struppigen Russenpferden in das Tal des Speyerbaches hineinkamen, um so beglückender wuchs ihnen die Stille der Wälder entgegen. Mehr und mehr strebten die Berge zusammen, die Bäume rückten näher und der Himmel wurde schmal zwischen den schwermütigen Kulissen der Landschaft.

Aus den engen Seitentälern, die wie Zufluchten in die Stille sich auftaten, strömte der kühle Hauch von Quellen, kleinen Wasserläufen und plaudernden Rinnsalen.

Sie hatten schon die beiden ersten Sägemühlen hinter sich, denn die tapfere Munterkeit der Pferde überwand spielerisch die Steigung des Tales, schon tauchten, auf vorspringende Felsen gebaut, die Ruinen Spangenberg und Erfenstein auf, das kleine Gefährt, im munteren 209 Trab, fuhr zwischen den vermoderten Zeugen abenteuerlich schauriger Zeiten hindurch, nichts war geblieben von dem Kampf und der Habgier, von der Scheelsucht und Grausamkeit dieser Menschen, aber die gleiche Sonne wanderte lichtverströmend über den Himmel, der blau zwischen Felsen und Ruinengetrümmer sich hindurchzwängte.

Und die Wiesen waren grün und bestickt mit Blumen und blühenden Gräsern, das Gewässer lief zu Tal und der Wald verschleuderte seinen Ruch von Kiefernduft, von Harz und Rinde und feuchten Moosen.

Der Förster Andreas Aust, nachdem er die Erzählungen von Frau und Kindern wohlgefällig angehört hatte, war schweigsam geworden.

Als sie nach zwei Stunden bei der Helmbacher Mühle in das Seitental einbogen, wurde dem Förster immer wohler zumute, er atmete tiefer und freier, es war, als ob die Luft zwischen den Kiefern und Buchen und den eingesprengten Eichen einen unsichtbaren Schmutz von ihm wegspülte.

»Hast du Verdruß gehabt, Andreas?«

Andreas Aust schaute seine Frau forschend an, er wußte, daß sie nur selten fragte.

»Eine Gais in der Schlinge, von den Füchsen schon angefressen.«

»Das meine ich nicht, Andreas.«

»Was denn sonst?«

»Unsern Schwager Huß meine ich.«

»Ach so! Hüa, schlaft mir nicht ein. Peter, wo sind wir jetzt? Ich meine, was muß ein Försterbub, der wie sein Vater einmal Förster werden soll, wissen, wenn er hier vorbeikommt?«

Peter, nach seiner Art träumend, in diesem Augenblick mit dem Dampfwagen durch fürchterlich gähnende, getöseerfüllte Tunnel sausend, schaute auf und überlegte, was der Vater wohl meinen könnte, es fiel ihm nicht gleich ein, weil er mit dem Schienenungeheuer immer noch mitten im Tunnel sich befand, da antwortete auch schon der jüngere Michael, schlagfertiger und gefaßter, als der versonnene Bruder: »Vater, hier ist die Grenze.«

»Welche Grenze denn?«

Jetzt fiel es Peter plötzlich ein, er sprang von der dampfenden Lokomotive herunter und stotterte schnell hervor: »Die Grenze zwischen dem Staatswald und den Haingeraidewäldern.«

»Ja,« sprach Andreas Aust, »und merkt es euch, die Staatswälder sind besser dran, als die Gemeindewälder. Bei den Gemeindewäldern haben zu viele mitzureden, die den Wald nur nach Gulden bemessen. 210 Das Geld verdirbt den Charakter. Das Geld hat auch die ersten Lumpen geknetet. Wüa!!«

»Du hast also doch Verdruß gehabt, Andreas?«

»Weißt du, wer der Fremde war, der mit dir in der Eilpost gekommen ist? Ein französischer Holzsachverständiger, er soll die Gutachten unseres Schwagers Huß erhärten. Man legt bei uns allzu großes Gewicht auf ausländische Urteile. Wir brauchen immer die andern, um nicht wankelmütig zu werden.«

»Veit treibt es nicht ehrlich?«

»Er räubert die Wälder aus, wo er kann.«

»Ist das nicht zu hart gesprochen, Andreas?«

»Zu hart? In unserer Gemarkung sind im letzten Jahr dreitausend Festmeter halbwüchsige Eichen geschlagen worden, nach den Schlagregistern hätte man höchstens achthundert schlagen dürfen, wenn es aber auf mich angekommen wäre, dann hätte die Axt an keine Eiche gedurft. Wir haben Notwald, mit dem wir haushälterisch umgehen müssen, unser Wald hat vor lauter Brandschatzungen nie zum richtigen Wachstum kommen können. Du weißt, wieviel Niederwald wir haben, wieviel Ödland aufgeforstet werden mußte, wieviel Windbruch und Schneebruch wir jährlich haben, weil durch die unverantwortliche Bewirtschaftung der natürliche Schutz verlorengeht.«

»Siehst du nicht zu schwarz, Andreas? Ich meine, ob du nicht einseitig urteilst und vielleicht doch zu sehr an deinen Bäumen hängst? Es ist nicht gut, Andreas, wenn einem Forstmann jeder Axthieb ins eigene Fleisch dringt.«

Andreas Aust griff in die Zügel, er wandte den Kopf und schaute seine Frau Gertrud an, es war viel Wärme und viel Erstaunen in diesem Blick und seine Stimme klang gedämpft, als er ihr antwortete: »Jetzt ist dir das rechte Wort gekommen: mir dringt jeder Axthieb ins eigene Fleisch.«

Die bewaldeten Berge schoben sich immer mehr zusammen, es wurde dämmerig und man hörte es rauschen in den Wipfeln. Der Geruch von Pferdeleibern vermischte sich mit den Ausströmungen von Harz, es roch auch nach schwarzem Wäldergrund und nach Käfern, seltsam war dieser Ödem des engen Bergtales, das nun in steileren Windungen aufwärts führte.

»Mir dringt jeder Axthieb ins eigene Fleisch.«

»Das kommt, weil du nie den Wald verlassen hast, du kennst nur Bäume und Sträucher und Wild und Wetter. Du bist wie der Wald 211 selber, Andreas. Ich habe schon oft darüber nachgedacht, warum du wohl so verschlossen bist.«

»Ich bin als Knabe aus dem brennenden Wald gekommen, Gertrud, das haftet mir an. Ich sehe oft in meinen Träumen den brennenden Wald, das ist mir wie ein Zeichen eingebrannt, hier mitten ins Herz hinein. Ich bin zu Hause im Wald wie kein anderer.«

Sie schwiegen eine Weile, die Knaben saßen im Rücksitz und schauten in die Baumkronen, ihre Gedanken und Träume hatten ungeheure Flügel.

»Sieh mal, Andreas, du solltest dich nicht so grämen, wenn der Bahnbau fertig ist, dann hören doch auch die Zusatzhiebe allmählich auf.«

»Die Bahn wird aber nie fertig, weil immer mehr Schienen gelegt werden. Kaum ist die Strecke gebaut, beraten sie oben schon, wann sie mit dem zweigleisigen Betrieb anfangen sollen. Und was bringt uns die Bahn? Unrast und Unheil, Ruß und Gestank und Jagd nach dem Kapital. Heute hat doch jeder nur noch den Wunsch, möglichst schnell reich zu werden. Sie verschandeln das ganze Land mit ihrer unseligen Bahn, ich bin froh, daß ich wenigstens ein paar Büchsenschüsse weit von ihr entfernt bin.«

»Die Bahn hat uns aber doch Kultur gebracht und Fortschritt, und sie sagen drüben am Rhein, die Bahn bringt die Völker einander näher, sie ist wie ein Verständigungsmittel.«

»So, sie bringt die Völker einander näher? Mit ihrem Haß, ja, mit ihrem ewigen Haß, der kein Ende nehmen will. Kultur und Fortschritt, sagen sie am Rhein? Wie weit haben wir es denn gebracht? Soll ich dir's sagen? Soweit, daß sie uns das Endlein Freiheit, das wir uns vor einem Jahr erst erkämpft haben, wieder fortnehmen. Soweit, daß wir wieder in der alten Zwietracht leben und daß der Bruder die Hand hebt gegen den Bruder, der Deutsche gegen den Deutschen. Soweit, daß sie jetzt zu ungesetzlichen Mitteln greifen wollen, um sich ihr Recht zu verschaffen. Der Erfolg aber wird sein, daß man uns noch tiefer in den Zwiespalt hineinstößt. Denn hinter diesem Aufstand, den der hitzköpfige Pfälzer plant, steht in Wirklichkeit nicht das pfälzische Volk, das sieht jeder, den die falsche Begeisterung der Zeit nicht mit Blindheit geschlagen hat. So sieht es mit unserem Fortschritt aus. Das Gesindel Europas wird sich bei uns ein Stelldichein geben, wenn wir wirklich uns gegen die Regierung auflehnen, denn dieses Gesindel ist immer dort, wo es im Trüben etwas zu fischen gibt.«

212 »Du sprichst hart, Andreas.«

»Nicht hart genug, um den Widersinn dieser Politik und dieses Parteigezänks zu kennzeichnen. Du bist eine Frau und verstehst das nicht so, ich sage dir aber, es gibt bei uns eine gewisse Sorte von Menschen, die brauchen eine kleine Revolution; nicht um etwas zu erkämpfen, sondern, weil sie nur im Aufruhr lebensfähig sind. Und andere brauchen sie, um sich die Taschen zu füllen.«

»Und ist denn kein Rest von Ehrlichen, von Wahrhaftigen, von Uneigennützigen? Ist nicht ein Einziger, dem es um die Freiheit und Einigkeit Deutschlands geht?«

»Ein Einziger wäre schon genug, um zu adeln, was die andern beschmutzen. Es sind viele, und um sie ist mir bange. Zu den Buschmännern gehört unser Schwager Huß, ich fürchte, er führt nichts Gutes im Schilde.«

»Weißt du denn etwas Bestimmtes?«

»Das nicht, ich habe aber eine finstere Ahnung. Er ist ja schon so schamlos, daß er die eigene Frau zu seinen trüben Spekulationen benützt. Ich wundere mich nicht, wenn er sie verkuppelt.«

»Andreas! Du darfst nicht so verbittert sein.«

»Wenn ich nur das Rätsel ergründen könnte, das diese Frau mit sich herumträgt.«

»Es ist kein Rätsel mehr, Andreas!!«

Der Förster, überrascht, griff wiederum härter in die Zügel.

»Wie meinst du das?«

»Das Rätsel um Martha ist kein Rätsel mehr, ich will dir davon erzählen, wenn wir allein sind. Im Nachlaß des Urgroßvaters wurden auch zwei alte Tagebücher gefunden, eines von ihm selbst geführt, und ein zweites, von einem Bauern aus der Niederung. Diese Tagebücher geben sehr aufschlußreiche Enthüllungen.«

Sie schwiegen wieder und drangen immer tiefer in die Einsamkeit der pfälzischen Bergwälder ein, die mit ihrem Rauschen und dem Gewirke der Blätter und Nadeln alles abschirmten, was vom Lärm des Lebens heraufzudringen versuchte.

Diese Berge und Wälder waren nicht gewaltig und heroisch, sie schienen nicht getürmt von einer krausen Laune Gottes, waren nicht mit Schluchten und Tobeln durchsetzt, in denen die Wasser unheilvoll rauschten; nicht stiegen sie in Steilhängen zu schwindelnder Höhe hinauf, stürzten auch nicht in schaurige Abgründe mit dem Gewirr erschlagener Bäume. Es stand keine Verwegenheit der Schöpfung und 213 keine Romantik urwäldlerischer Größe in ihrem Antlitz; was sie aber groß machte, das war ihre gläubige Versonnenheit, ihr träumerisches Hineinwachsen in die Jahre, ihr verborgenes Duldertum und ihre stille Bereitschaft. Das Herz dieser Wälder war ewig wach und schlug voll Bangen und voll Hoffnung den Gezeiten entgegen. Der rastlose Pulsschlag war nicht müde geworden im unseligen Leid der Jahrhunderte, er pochte aber verborgen, die große Stille liebend.

Mit einem Male lichtete sich das Schattendunkel und aus dem Buchenschlag heraus zottelten die Russen mit ihrem Gefährt in die scheidende Helle des sinkenden Tages. Ein Wiesenplan, blumenüberschäumt lag im Hochtal zwischen den Waldungen, der Rausch gesättigter Farben, vom Blau des Himmels überzeltet, verströmte sich in der anmutigen Geste dieser Landschaft.

Am Ende der Wiese, von Bäumen noch überschattet und beschützt, lag das kleine Försterhaus mit seinem Stall und seinen Schuppen. Es war ein ziegelgedecktes Fachwerkgebäude mit weit vorspringendem Dach, am Giebel mit Holz verkleidet, unten mit einem rauhen Verputz beworfen. Um das Haus herum zog sich ein gezäunter Garten, der nur Spärliches schenkte an Blumen und Gemüsen, dessen freundliche Bereitwilligkeit aber, zu spenden und zu verschenken, dessen vergeblicher Eifer, es andern Gärten gleichzutun, etwas Rührendes hatte und ihn doppelt liebenswert machte.

Als der Wagen über den steinigen Wiesenweg dahinpolterte und die Russen, Stall und Krippe witternd, kräftiger ausgriffen, da kam den Förstersleuten das Heim wie eine Gnade entgegen.

»Flora!« rief Peter, sprang vom Wagen und eilte dem Drahthaarvorsteher entgegen, der in gewaltigen Sätzen, mit großartigem Getöse über die kleine Wiese gestürmt kam, hinter ihm kurzbeinig geschäftig, voll Wichtigkeit kläffend, der Dachsrüde Flock, beide erfüllt von einer unbändigen Freude und Daseinslust.

»Wie sehr muß Gott die Tiere lieben«, sprach Andreas Aust, »auf die Menschen aber hat er seinen Fluch gehäuft.«

»Und seinen Segen«, antwortete die Frau und lächelte.

 


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