Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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Im Strom der Menschen wurden sie durch die Straßen getrieben, kamen auch zur Fruchthalle, wo es summte wie bei einer Hornissenschlacht und große Begeisterung herrschte. Das Volk sang Lieder, sie schwenkten schwarzrotgelbe Fahnen, brachten Hochrufe aus und waren in einem schwebenden Taumel, der Glaube an den Sieg der guten Sache hatte alle Herzen geöffnet, sie fielen einander lachend und weinend um den Hals.

Wenn einer der Prominenten aus der Fruchthalle kam, wurde er stürmisch begrüßt. Das waren Männer, die aufrechten Sinnes ihr Ziel verfolgten und keine Gesichter schnitten wie die Katze, wenn's donnert, sie waren Wegbereiter der neuen Zeit, Herolde der Freiheit, der Reichard und der Schmidt, der Eulmann und der Fries, der Didier und die übrigen unter den großen Zehn, die aus den Mitgliedern 277 des Frankfurter Parlaments und des Landrates, den Abgeordneten, den Kreisausschußmitgliedern und den Offizieren der Bürgerwehren gewählt worden waren.

Es ist unbedingt von Bedeutung, zu erfahren, welche wichtigen Beschlüsse als erste in Aussicht genommen waren. Einmal die Absendung einer Bittschrift an die Nationalversammlung, der Pfalz im Kampfe beizustehen, dann die Bewaffnung des Volkes, Steuerverweigerung dem bayrischen Staate gegenüber, Verbindung mit der badischen und hessischen Demokratie, Verweigerung der Militärdienstpflicht, Aufstellung einer allgemeinen Volkswehr, Ernennung von Offizieren und Bewaffnung auf Kosten der Gemeindekassen.

Das waren keine geringen Maßnahmen, nein, sie bedeuteten nicht mehr und nicht weniger, als die offene Kriegserklärung an den bayrischen Staat, die Revolution, wie sie leibte und lebte. Ein jeder sollte sich jetzt klarmachen, daß die kommenden Ereignisse in die Geschichte eingehen würden unter dem Motto des Pfälzischen Aufstandes von 1849.

In den engen Straßen war kaum ein Durchkommen, es erwies sich als zweckmäßig, daß der Südamerikaner, bahnbrechend wie ein Schneepflug, sich in den Menschenbrei bohrte und eine Gasse schuf für Bastian Berghaus und Greta, für den Studenten und für die Mackenbacher, welch letzteren besonders daran gelegen war, jetzt im Schlepptau zu bleiben, wo Schoppenweine und heiße Würste kostenlos winkten und man sich gewiß einmal nach Herzenslust besäuseln konnte. In einer der Gartenwirtschaften quetschten sie sich in die Holzbänke, zusammengepfercht saßen sie in dem weinseligen Knäuel erregter Pfälzer Hitzköpfe, es herrschte eine Stimmung wie beim Dürkheimer Wurstmarkt, dem größten Volksfest in der Pfalz, wo der Wein so etwas wie eine Verbrüderung der Menschheit heraufbeschwor.

Der Baumwollpflanzer Ringeis, dem der Wein ein Flügelpaar wachsen ließ, wurde jetzt richtig aufgekratzt. Er ließ eine imponierende Freiheitsrede vom Stapel, pries den revolutionären Geist am Äquator übers Bohnenlied und wurde hell entflammt, als er von der Bildung pfälzischer Freischarkorps vernahm.

Er sprach davon, daß überm Wasser mitten unter weißen und gelben Indianern, in Wildnis, Urwald und Pampas, die Pfälzer eine Kolonie, eine kleine Republik wäre nicht zuviel gesagt, gegründet hätten, daß sie nur pfälzisch sprächen, obwohl viele von ihnen dieses Land nie gesehen hätten, und daß sie über alles die Freiheit setzten, 278 denn die Freiheit sei Grundgesetz des Menschseins; um wieviel mehr also müßten sie hier im Mutterlande für diese Fahne der Freiheit Blut und Gut opfern.

So sprach der Urwäldler, wer hätte ihm diese Redegewandtheit zugetraut, wer hätte hinterm Schabernack solchen Ernst vermutet!

Jetzt mußte man Greta Berghaus sehen. Dieser Sausewind schnellte von der Bank hoch und brachte ein Hoch auf die Freiheit aus, alle im Umkreis fielen ein, die Mackenbacher stießen in ihre Instrumente und eine Schar von Turnern stimmte den Pfälzer Sängergruß an. Wer hätte auch dem flammenden Feuer der Jugend widerstehen können, wer hätte es übers Herz gebracht, einem so anmutigen Geschöpf Gottes die Zustimmung zu versagen? Nur ein Lump, ein Spießbürger, ein Volksverräter.

Der Student Werner von Stetten, alles in allem eine unpolitische Natur, war bereits bis über die Ohren in Greta verschossen, das sah man seinem Gesicht an, dem glücklichen Lachen, den leuchtenden Augen und nicht zuletzt den zärtlichen Bemühungen und der sanften Gewalt, mit denen er die Verfechterin der deutschen Grundrechte auf den Sitz zurückdrängte.

Die Stimmung wurde angeregter, der Lärm der Meinungen immer stärker, schon war die Bürgerwehrkapelle nicht mehr imstande, sich Geltung zu verschaffen, es drängten immer mehr Menschen in den großen Wirtsgarten, aus allen Ständen und Bevölkerungsschichten setzte sich der farbige Trubel zusammen. Die Uniformierten, die rebellischen Ulanen und Chevaulegers, die Turner und Schützen, die Gardisten und die wie unter einem warmen Frühlingsregen aus dem Boden geschossenen Freischarführer und Barrikadenhelden halfen schon durch ihr Aussehen nach Kräften mit, dem beschwingten Volksfest die kriegerische Note zu geben.

Es betrat eine gewichtige Persönlichkeit den Schauplatz, ein Soldat nämlich von echtem Schrot und Korn, ein Krieger in der Uniform eines Bürgerwehrobersten, hoch gewachsen, mit wildem Bart und grimmig verschlossenen Gesichtszügen. Seine Erscheinung schon wirkte sensationell, alle Köpfe wandten sich ihm zu, als er säbelrasselnd auftauchte. Es bildete sich eine Menschengasse, er schritt hindurch und nickte dem Volk zu wie ein Fürst. Sein Name lief von Mund zu Mund.

Wer war er denn nun eigentlich? Kein anderer als der bekannte Oberst Blenker aus dem Hessischen, ein großartiger Freikorpsführer, zur Zeit Weinhändler und Bürgerwehroberst in Worms. In seiner 279 Gesellschaft konnte man drei gute Bekannte sehen, nämlich den Maulbeerschlinke, seinen Freund Kaiser und den Schwellenhuß.

Oberst Blenker, von vielen mit stürmischen Hochrufen begrüßt, setzte sich mit seinen Begleitern an den Tisch, wo neben einer Gesellschaft von weißgekleideten Turnern Bastian Berghaus saß.

Die Kapelle blies einen Tusch, das war man Oberst Blenker schuldig, denn sein Name war in aller Mund, man wußte, daß er sich dem pfälzischen Aufstand begeistert angeschlossen hatte und mit einer hessischen Division waffenklirrend einmarschieren würde. Da saß er nun, mitten unter seinem Volk, ein Held, sonst nichts.

Oberst Blenker konnte auf eine ruhmvolle Soldatenlaufbahn zurückblicken, man hatte nur nötig, sich den berühmten Erlöserorden anzuschauen, der seine Brust schmückte und mehr als unnütze Worte dokumentierte, was dieser Mann, wenn auch als Weinhändler in Konkurs geraten, so doch als Soldat geleistet hatte.

»Was sehe ich!?« rief Blenker, als er den Weingutsbesitzer erkannte, »Sie sind es, Berghaus, laufen mir denn heute alle meine Gläubiger in den Weg?«

Er streckte ihm über den Holztisch hinüber lachend die Hand hin, alle Finsternis war aus seinem bärtigen Gesicht gewichen, er freute sich, weil er als Soldat überall Guthaben und als Weinhändler überall Schulden hatte.

Berghaus schüttelte ihm die Hand und wußte eine passende Antwort.

»Der Soldat Blenker ist mir nichts schuldig.«

»Bravo, ein Wort. Sind Sie unter die Revolutionäre gegangen?«

»Ich nicht, aber meine Tochter«, antwortete Berghaus.

»Die Jugend marschiert und freut sich«, fuhr Blenker fort und durchbohrte mit stechendem Blick den Studenten.

»Kunststück, wenn man einen so flotten Kavalier an der Seite hat. Sie schauen aus, junger Herr, wie ein preußischer Offizier, jawohl mit allem Schliff und allem Schneid.«

Er sei aber Student der Jurisprudenz, antwortete Werner von Stetten und verbarg eine flüchtige Unruhe.

Das sei nun gerade das rechte, polterte Blenker, man warte in der Pfalz demnächst auf eine Studentenlegion, er würde da wohl kein schlechter Führer sein.

Schlinke mischte sich ein, blähte sich nach Möglichkeit auf, um neben dem großen Licht Blenker auch noch ein wenig zu flackern. 280 Eine Studentenlegion könne ja unter Umständen seinem ersten pfälzischen Nordbataillon angegliedert werden, Spaß beiseite, darüber ließe sich reden. Prosit, Herr Staatsanwalt.

Werner von Stetten lachte belustigt, Greta fand den Plan ausgezeichnet, und der Südamerikaner Klaus Ringeis, der sich die Zeit über mit einem Nachbarn angelegentlich unterhalten hatte, schlug vor, eine fliegende Division zu bilden mit Lasso und Buschmessern, oder gar mit jenen neuartigen Sensen, von denen ihm hier sein Nachbar zur Linken, im bürgerlichen Leben ein Kleesamenhändler, gesprochen habe.

Was wollte denn der Kleesamenhändler? Was hatte er, ein Sensenpatent?!

Nichts anderes. Der Kleesamenhändler, ein dürres Männlein mit verädertem Gesicht, lebhaften Augen und auffallend kleinen Ohren, bei denen die Ohrläppchen angewachsen waren, erklärte seine großartige Erfindung. Das war also eine Sense, die nicht im rechten Winkel, sondern in gleicher Flucht mit dem Sensenstiel verbunden wurde. Am unteren Teil der Sense war ein großer Haken angeschmiedet. Warum denn, in Christi Namen, ein Haken?

Antwort, um damit anstürmende Reiter vom Pferd zu angeln und in den Staub zu zerren.

Kaiser, dessen Augen kugelig glänzten und den der Wein leider übermannt hatte, stieß ein spuckendes Lachen aus, sein Bart war feucht, auf den Backenknochen glänzten rote Flecke.

Blenker lachte schallend, griff mit beiden Händen in seinen Bart und kam in heftige Erschütterungen, daß die Orden und Schnüre wackelten.

Der Schwellenhuß, der bisher nur lauernd zugehört hatte, mischte sich in das Gespräch und meinte, die rechten und echten Männer seien im Augenblicke nirgends nötiger, als in der Pfalz, worauf Ringeis erwiderte, dann säße wohl mancher zu viel hier am Tisch, ha ha, keine Feindschaft, er nenne gewiß keine Namen, der liebe Gott habe ihm aber die Gabe verliehen, mit Kugeln zu zaubern, Feuer zu schlucken und einen verkappten Spitzbuben ohne Vergrößerungsglas zu erkennen.

»Meinen Sie mich?« brauste Huß auf und legte eine Faust auf den Tisch.

»Ich habe von Spitzbuben geredet.«

»Hoffentlich haben Sie dabei nicht in den Spiegel geschaut.«

281 Er pfiffelte und zog die Stirnhaut nach oben.

Übrigens gab es schon wieder eine Überraschung, die neueste Nummer des »Boten für Stadt und Land« erschien. Jeder Bürger konnte sich die Zeitung kaufen, ein Zeitungsjunge zwängte sich durch die lärmende Menge und bot die Sensation feil, schon war er umringt von Käufern, sie rissen ihm das Blatt förmlich aus den Händen, Kotz und Katzenkopf, das ging ja heute Schlag auf Schlag. Ausschuß gewählt und Maxplatzrepublik, Oberst Blenker auf dem Plan und schon wieder eine neue Zeitung.

Jemand rief nach der »Trompete von Speyer«, sie sei das wahre Blatt der Aufklärung, habe keine Scheuklappen und kratze den Fürsten den Rost herunter. Wo also sei die »Trompete von Speyer«? Pistolenblatt, brüllten einige, Hasenpfühler Schirmflickerblatt, auf den Abort, aber sonst zum Teufel!

Nicht die »Speyerer Trompete« sei die wahrhaft revolutionäre Zeitung, nein, das »Kaiserslauterer Wochenblatt« von Christian Zinn, hier präge sich der echte Freiheitsgeist aus, alles andere sei nur Geschwätz und Phrasengeklingel. Auch sei der Reichard aus Speyer der kommende Mann, ein Pfälzer Danton, wenn nicht gar ein Robespierre.

»Ein Sensenkorps will der Zinn aufstellen!« rief eine Fistelstimme, es war der Kleesamenhändler, der geduckt und mit eingezogenem Kopf neben Klaus Ringeis saß und kostenlos mittrank. Eine großartige Erfindung sollte er gemacht haben, richtig, eine Sense mit Angelhaken.

Blenker nahm den Tumult zum Anlaß, um zu behaupten, es sei der Erbfehler der Pfälzer, daß sie zuviel redeten und zu wenig handelten. Anno zweiunddreißig auf dem Hambacher Fest hätten sie auch nur Reden gehalten, statt zu handeln. Auf das rasche Handeln aber käme es an, nicht auf das ›Adressen‹ schicken. Wenn er zu befehlen hätte, schlüge er heute noch los.

Bastian Berghaus war der Meinung, gerade der Pfälzer sei es, der zu unbedacht und rasch handle, ohne daß seine unüberlegten Handlungen ein rechtes Fundament besäßen.

Auch eine Revolution bedürfe eines solchen Fundamentes, in diesem Falle der Gesamtheit des Volkes, nicht der Fanatismus einzelner Schwärmer sei für den Erfolg entscheidend, sondern die Begeisterung des Volkes.

»Zweifeln Sie denn daran, daß hinter dieser Bewegung das 282 pfälzische Volk steht?« fragte Blenker mit Mißtrauen und Argwohn in der Stimme.

»Ich will hängen, wenn es anders ist!«

Oberst Blenker zog die Brauen zusammen, er machte eine kurze Bewegung, als ob ihn fröre, dann neigte er sich Bastian Berghaus zu und sprach flüsternd zu ihm: »Ich fürchte fast, Ihr habt recht, Bastian Berghaus!«

Wiederum schwoll der Lärm an, das Getöse wurde zur Brandung, Menschen sprangen von den Bänken auf und drängten nach der Mitte des Gartens zu, andere stiegen auf die Tische und Stühle, sie kletterten auf Kastanienbäume und Mauerbrüstungen. Was war denn schon wieder los?

Der Nikolaus Schmidt war da, der Mann, der immer reden konnte, der geborene Volksaufwiegler und Rattenfänger, der in zündend schwungvollen Sätzen, lebhaft gestikulierend einen Volkshaufen zu stürmischer Begeisterung hinzureißen vermochte. Dort stand er auf dem Musikpodium und ließ großartige Tiraden über Freiheit und Brüderlichkeit los. Jeweils, nachdem er zwei oder drei flammende Sätze gesprochen hatte, dem Sinn nach sich immer wiederholend, brach die Menge in Beifallskundgebungen aus. Viele hielten die Wein- und Biergläser in den Händen, um bei besonderen Höhepunkten die Möglichkeit zu haben, anzustoßen und zu trinken.

Gehörten nicht überhaupt Wein und Revolution zusammen, waren sie nicht aufs engste verschwistert? Wer daran zweifelte, hatte nur nötig, einmal in ein Faß mit Bitzler hineinzuhorchen, au verflucht, wie das gärte und sauste, wie das rumorte und summte und seine Fesseln sprengen wollte. Und wenn einer gar zu viel trank davon, dem flog der Hut vom Kopf, der verlor Verstand und Gleichgewicht und trieb wie ein Wrack dahin. Vorsicht mit dem Bitzler, Vorsicht mit der Revolution!

Nikolaus Schmidt schwang wie eine Fahne seinen radikalen »Boten für Stadt und Land« und las, von donnerndem Applaus oftmals unterbrochen, die Ansprache des pfälzischen Volkes an die Brüder im jenseitigen Bayern vor.

»Das ist ja wie eine Krankheit«, flüsterte Werner von Stetten dem Weingutsbesitzer zu, einen besorgten Seitenblick auf Greta werfend, die neben ihm auf der Bank stand, die Haare ein wenig zerzaust, den Hals gereckt und überhaupt in einem Zustand fanatischer Anteilnahme.

283 Nikolaus Schmidt bohrte eine geballte Faust in die Luft, seine Stimme schwoll an, er schien selbst zu wachsen und breiter zu werden, die Flammen seiner Begeisterung steckten die Umwelt in Brand. Andere Fäuste folgten, viele Arme, Mützen, Hüte, Stöcke und Schirme fuchtelten durch die Luft, es war ein hexenmäßiges Schauspiel. Bänke und Tische krachten in ihrem Gefüge, Wein und Bier aus umgestoßenen Gläsern floß in zähen Rinnsalen auf die Erde, über Kleider und Strümpfe und Schuhe. Die Begeisterung drohte alle Dämme zu sprengen, Menschen, einander wildfremd, faßten sich um den Hals, sie rissen sich die Hüte von den Köpfen, um damit zu wedeln, es stand zu erwarten, daß sie nun alle Brüderschaft trinken würden und daß es nie mehr Feindschaft und Zwietracht gäbe, nie mehr Haß und Neid und Scheelsucht.

Wirklich, wer es bisher noch nicht geglaubt hatte, dem bot sich jetzt der Beweis, daß Gott nur gute Menschen geschaffen hatte, ehrliche Haut über jedem und darunter ein begeistertes Herz.

Was aber stand im Aufruf des Volkes, was für Worte schmetterte Schmidt den Fürsten zu? Gnade Gott, keine Kindbettlieder.

»Mit Jubel hat Deutschland den Tag der Freiheit des Gesamtvaterlandes begrüßt. Leider sehen sich die Völker abermals bitter enttäuscht. Die Fürsten haben auch in der jüngsten Zeit nichts verlernt und nichts vergessen. Sie wähnen in ihrer Verblendung, auch heute sei es noch möglich, die Schwingen des Volkswillens zu binden und der reifen Frucht der Zivilisation mit der Macht der Bajonette entgegenzutreten.«

Pfuirufe und wilde Drohungen, das Hackmesser müßte wieder her und das Rabenholz, die Laternenpfähle würden sich empfehlend in Erinnerung bringen und es sei Zeit, daß man hänferne Krawatten spinne.

Der Plantagenbesitzer Ringeis schürte den Brand in seiner näheren Umgebung, er schwor auf das für solche Zwecke praktische Buschmesser, im Notfall kämen vergiftete Pfeile in Frage.

»Mein Sensenpatent!« näselte der Kleesamenhändler und faßte sich an die ledernen Ohrläppchen, »meine Sensen sind das Gebot der Stunde.«

»Ruhe Herrgottmilljackedunnerwetter, hört auf den Schmidt.«

»Käthchen, bring doch endlich Wein! Siehst du nicht, daß alle Gläser leer sind?«

»Ruuhe, zuhören! Die Fürsten kriegen eins vor den Kragenknopf.«

284 »Am deutschen Volk ist es nun«, donnerte Nikolaus Schmidt weiter, »an dem pfälzischen zumal, seiner volksfeindlichen Regierung zu zeigen, ob fortan der Volkswille oder der Wille eines Einzelnen Gesetz sei. Brüder in Bayern! Blickt auf das edle Volk der Württemberger? Wollen wir beschämt die Augen niederschlagen vor seiner Hoheit?! Wollen wir vor den auf uns gerichteten Blicken des Brudervolkes gestehen, daß wir gleicher Erhebung nicht fähig sind?«

Erneuter Stimmensturm. Nein, niemals, man wolle den Fürsten und Reaktionären die Köpfe schon vor die Füße legen.

»Ruhe doch, der Kunstreiter soll die Gosche halten!«

»Laßt die Schwaben aus dem Spiel, sie haben schon wieder die Schwänze eingezogen.«

Himmeldonnerwetter, konnten denn die Leute nicht endlich das Maul halten, man verstand kein Wort mehr vom Evangelium, das der Nikolaus Schmidt verkündete.

Der Schwellenhuß mischte sich auch in das Getöse, er war einer von den Schlimmsten, mit einemmal hatte er es mit den Radikalen. Wer also kein Blut sehen könne, für den würde schon irgendwo Bibelstunde abgehalten. Ein Sensenkorps, jawohl, das sei ganz nach seinem Geschmack.

Bastian Berghaus, der den Charakterlumpen Huß durchschaute, konnte es sich nicht versagen, mit ironischem Schmunzeln zu bemerken, er müsse feststellen, daß Huß unter die Akrobaten gegangen sei.

Wieso denn Akrobaten; bitte sich etwas deutlicher auszudrücken! Nun ganz einfach, er habe doch in den letzten Tagen einen politischen Salto geschlagen. Nur der Bart käme nicht nach, Haare seien eben konservativer.

»Meine politische Gesinnung, Herr Berghaus, ist jedem Ehrenmann bekannt. Und ein Mann von Ehre – –«

»Immer der Ehrenmann«, sprach Blenker grollend, »mir sind Leute verdächtig, die es immer mit der Ehre zu tun haben. Sie sind ein gewisser Huß, Ihr Name ist mir nicht unbekannt.«

»Ich habe schon gepanschten Wein von Ihnen bezogen«, antwortete Huß schlagfertig und lächelte ölig.

Kaiser, nur noch lallend, gebot Ruhe, man solle den Weihnachtsmann, den Nikolaus, zu Ende hören.

Nikolaus Schmidt las die letzten Sätze aus dem Volksaufruf vor.

»Wir fühlen den Mut in uns, gleichmäßig uns zu erheben für die 285 deutsche Einheit und Freiheit. So schart euch denn mit uns um das Panier, das uns siegreich voranweht. Auf denn, ihr wackeren Franken, Schwaben und Bayern, ergreift die Bruderhand der Pfälzer, Gott ist mit uns, der Sieg muß der gerechten Sache werden.«

Nikolaus Schmidt machte eine raffinierte Kunstpause und ließ den Beifall der Menge über sich hinwegdonnern, dann ging er zum apotheotischen Schluß vor, indem er alle waffenfähigen Pfälzer zum Kampfe rief und sie aufforderte, Freischaren unter bewährten Führern zu bilden – mit tiefer Befriedigung und mit Stolz blicke sein Auge auf einen Mann wie Oberst Blenker, der dort am Tisch säße und nicht warten könne, bis die Flinten knallten – aber keine Angst, es seien bedeutende Kriegsmänner im Anmarsch, er erinnere nur an den Wiener Freiheitskämpfer Fenner von Fenneberg, an den polnischen Helden Raquillier und viele andere. Beispiellos in der Weltgeschichte würde der Freiheitskampf der Pfälzer sein, denen sich alle deutschen Brüder mit Begeisterung und fliegenden Fahnen anschlössen, wie er aus zuverlässigen Nachrichten entnehmen könne. Und dann habe er noch etwas Bedeutungsvolles mitzuteilen, es stünde übrigens auch in der neuesten Nummer des »Boten für Stadt und Land«, nämlich, es sei dem Provisorium gelungen, – mit Pathos spielte er den höchsten Trumpf aus – gelungen, den berühmten Schweizer General Dufour als Oberkommandierenden für die Pfälzische Revolutions-Armee zu gewinnen.

»Bürger ringsum, nieder mit den Volksverrätern, es lebe die Freiheit, es lebe Deutschland!«

Und er schleuderte, im Stillen auf Abonnentenzuzug hoffend, einen ganzen Stoß der neuen Nummer des »Boten für Stadt und Land« unter die jubelnden Menschen, die nach den Blättern wie nach Vögeln haschten, sich gegenseitig umstießen und ein ordnungsloses Wirrwarr bewegter Massen bildeten.

Nikolaus Schmidt, der Weihnachtsmann, verließ die Gartenwirtschaft, sie drängten hinter ihm her auf die Straße, wie ein Gewässer quoll es durch das eiserne Tor, draußen hoben sie ihn auf die Schultern und trugen ihn singend davon.

Gebet nun, ihr Großen,
Euren Purpur her,
Das gibt rote Hosen
Für der Freiheit Heer.

286 »Sie sind auffallend still, Herr von Stetten.« Greta Berghaus, die Wangen glühend, die braunen Augen groß und leuchtend, hatte im Sturm der Ereignisse den Heidelberger Studenten fast vergessen. Jetzt sah sie ihn sitzen und er schien ihr noch wortkarger, als zuvor. Hatte er überhaupt teilgenommen an den großen historischen Augenblicken? Konnte man sich des Gefühls erwehren, als sei er am Ende im Geheimen mit der Bewegung nicht einverstanden?

Werner von Stetten hatte nichts, als sein stilles Schmunzeln, das gar nicht recht zu seiner Jugend passen wollte. Ein Zug verborgener Ironie lag um seine Mundwinkel, überhaupt war sein Benehmen so, als ob er irgend etwas zu verbergen hätte.

»Sie sagen gar nichts«, sprach Greta, »sie sitzen da wie im Theater und schauen nur zu.«

»Warum sollte auch ich noch reden, wo schon viel zu viele reden«, antwortete er und griff flüchtig nach Gretas Hand, »genug des Glückes, mit Ihnen hier sitzen zu dürfen.«

»Ein Romantiker«, rief Oberst Blenker über den Tisch herüber.

»Für Romantik«, meinte Schlinke, »ist jetzt keine Zeit.«

»Aber für Sensen und lange Bärte.« Kaiser kraulte mit fünf Fingern seinen Bart, wie mit einer Kralle fuhr er in den krausen Haaren herum. Er sank dann nach hinten gegen einen Kastanienbaum und schloß die Augen, immerfort vor sich hinbrummelnd.

Bastian Berghaus meinte, daß es an der Zeit sei, aufzubrechen, es würde langsam dunkel, auch ginge schon bald der letzte Dampfbahnzug nach Frankenstein, man habe noch einen weiten Weg nach Hause.

»Ich prophezeie euch«, ereiferte sich der Schwellenhuß, »es dauert keine fünf Jahre mehr, dann braust der Eisenbahnzug auch nach Landau, nach Deidesheim und Dürkheim. Wer nicht aufpaßt, dem rennt die Zeit vor der Nase weg.«

Berghaus, erpicht darauf, dem pfälzischen Holzkönig eins auszuwischen, warf eine Knallerbse.

»Sie sind gut informiert über die Bahnbaupläne. Man hört hinter den Kulissen, daß Sie schon Land durch Makler aufkaufen lassen, weil Sie hoffen, daß der Satz bei der Expropriation höher wird, als der Einkaufspreis.«

»Das wäre nach dem Code nicht verboten. Nur die Dummen schwitzen, und wer schwitzt, verdient nichts.«

»In der Nordpfalz sind Quecksilbergruben zu verkaufen, kein 287 schlechtes Objekt für Leute, die nicht wissen, wohin mit ihren Riesengewinnen.«

Blenker, der es immer noch auf den Studenten abgesehen hatte, griff mit dem Arm über den Tisch herüber und trommelte mit den Fingern einen Marsch.

»Junger Freund, ich sehe Ihnen an, daß Sie Schneid haben. Sie sollten Studentenlegionär werden!«

»Wundervoll, Anführer einer Studentenlegion!« Greta griff den Gedanken sofort auf. »Was könnte in diesem Augenblick ehrenvoller sein für Sie!«

Werner von Stetten schüttelte den Kopf. »Ich verehre Sie, mein gnädiges Fräulein.«

»Dann muß mein Wunsch auch Ihr Wunsch sein.«

»Und welcher Wunsch?«

»Nach Heidelberg zu gehen und dort zu einer Legion aufzurufen, deren Anführer Sie sein sollen.«

»Oh, Fräulein Greta!«

»Es geht um vieles, um die Freiheit!« Klaus Ringeis packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn und erklärte, er würde sofort eine fliegende Division mit Lasso und Buschmessern formieren, wenn man ihm die Möglichkeit dazu gäbe. Wie also dürfe er, ein freier Student, sich sträuben, den ehrenvollen Auftrag eines Kriegsmannes auszuschlagen.

»Vater, was sagst du?«

»Daß es Zeit zum Aufbruch ist, Greta.«

»Vater, das mußt du mir versprechen, wenn eine Studentenlegion gegründet wird, dann sollst du die Fahne dafür stiften und ich will diese Fahne weihen.«

»Bravo!« rief Oberst Blenker, »an Fahnenweihen ist zur Zeit in der Pfalz kein Mangel.«

»Herr von Stetten, ich warte immer noch auf Ihre Antwort.«

»Fräulein Greta, erlassen Sie mir diese Antwort jetzt, es ist nicht die Zeit – –«

»Hier, meine Hand und meine Freundschaft, Herr von Stetten – – – schlagen Sie ein! Wir brauchen Männer, Sie sind ein Mann!«

Wieder schüttelte der Student lächelnd den Kopf.

Da sprang Oberst Blenker auf, er stand hochgereckt, seine Augen funkelten, er drückte die Brust heraus und ließ den Orden funkeln.

»Herr Scholar, nur ein Feigling hat das Recht, noch zu zögern!«

288 Jetzt schnellte auch Werner von Stetten hoch, eine blitzhafte Verwandlung ging mit ihm vor, es war, als bräche eine verborgene Flamme aus. Mit geballten Fäusten stand er dem Bürgerwehrobersten gegenüber, der Tisch war zwischen ihnen, er trennte sie, aber beide bogen den Oberkörper nach vorn, die Fäuste auf die Holzplatte gestemmt, wuchsen sie einander förmlich entgegen.

»Mich hat noch kein Sterblicher feige gesehen, Oberst Blenker.«

»Dann kann dies jetzt geschehen!«

»Es wird nicht geschehen!«

»Nur dann nicht, wenn Sie einschlagen!«

»Das werde ich nicht tun!«

»Und warum nicht?«

»Weil ich kein Student bin.«

»Sondern?!«

»Ein preußischer Offizier!!«

Eine Weile herrschte Stille nach diesen überraschenden Worten, niemand war auf eine solche Wendung gefaßt.

Werner von Stetten stand immer noch mit aufgestützten Armen, der Lärm der Umgebung war stärker vernehmlich, weil die Brandung von draußen in die lähmende Stille schlug.

Oberst Blenker richtete sich langsam hoch, sein Gesicht wurde noch finsterer, er holte tief Luft und preßte den Kopf nach hinten. Dann sprach er langsam, jedes Wort gefährlich dehnend und mit dunklem Mißtrauen in der Stimme.

»Will das besagen, daß Sie als Spion in unserer Mitte sitzen?«

»Nein, Kamerad Blenker!«

»Warum plötzlich Kamerad?«

»Weil mir bekannt ist, daß Sie das Offizierspatent besitzen.«

Blenkers Züge hellten sich auf, er schaute an sich herunter, als wollte er sich überzeugen, ob nichts an ihm vorhanden wäre, was ihn herabsetzen könnte. Flüchtig griff er nach dem Erlöserorden.

»Meine Sache war stets die gute Sache, ich kämpfe nur für die Freiheit und für das Recht, Leutnant von Stetten.«

»Ich nicht minder, Oberst Blenker.«

»Wie wollen Sie beweisen, daß Sie kein Spion sind?«

»Ein Dummkopf taugt nicht zum Spion.«

»Erklärung!«

»Ein Spion verrät sich nicht, es sei denn, er wäre ein Dummkopf!«

289 Blenker verzog den Mund zum Lachen, immer noch schwiegen alle andern, Bastian Berghaus rollte die heiße Kartoffel, Greta, das Gesicht blutübergossen, starrte zu Boden.

»Leutnant von Stetten, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß ich Anführer einer Revolutionsarmee bin?«

»Ich weiß, daß Sie Revolutionär sind.«

»Nicht für mich, für alle andern!«

»Das muß der Feind an Ihnen achten.«

»Aus solcher gegenseitigen Achtung heraus wünsche ich Ihr Ehrenwort, daß Sie nicht als Soldat, sondern in privater Absicht bei uns am Tische sitzen.«

»Mein Ehrenwort!«

»Danke.«

Sie standen sich immer noch aufrecht gegenüber, ihre Blicke trafen sich offen und hart.

Blenker, eine Weile die Augen schließend, griff sich an die Stirn, er hatte eine ferne und nebelhafte Vorstellung.

»Verstehen Sie mich recht«, fuhr er mit veränderter Stimme fort, »man hat manchmal seine Visionen. Welches Regiment?«

»Dritte Eskadron siebentes preußisches Husarenregiment.«

»Danke. Ich darf mich jetzt empfehlen.«

Er reichte dem jungen Offizier die Hand, grüßte alle übrigen militärisch kurz und ging. Schlinke wollte ihm folgen, aber Blenker wehrte ab. Er warf noch einen letzten Blick auf den jungen Offizier.

»Bitte bleiben Sie, Schlinke, man wünscht manchmal allein zu sein.«

Er verlor sich in der Menge.

Bastian Berghaus streckte dem jungen Offizier die Hand hin. »Schwarzer Husar, ich begrüße Sie als Regimenkskameraden!«

 


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