Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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15

Der Kosak Juliane kam erst spät in der Nacht nach einem gefahrvollen Ritt in Deidesheim an. Sie ging sofort aufs Rathaus und ließ sich beim Kommandeur melden. Die Truppen lagen alarmbereit, in der Nacht noch sollte der Abmarsch erfolgen.

Als sie in den hellerleuchteten Rathaussaal trat, sah sie den General von Karpow und einige Offiziere über eine Karte gebeugt.

Der General fuhr zusammen, als er die Frau mit solcher Unbefangenheit in der Uniform eines Kosaken auf sich zukommen sah.

Er brach die Unterredung ab und gab den Offizieren durch einen Wink zu verstehen, sie möchten sich entfernen.

Als er allein war, näherte er sich langsam der Frau und schaute sie halb entgeistert an.

»Es überrascht mich in der Tat, madame, Euch zu sehen. Ich fürchte nur, das wird kein gutes Ende nehmen.«

»Ich besitze keine Waffen, Exzellenz.«

»Was soll das heißen?«

»Daß ich auf ein gutes Ende hoffe.«

Sie zog die Papiere der Festung Landau aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.

»Dies zu bringen ist der einzige Grund, warum ich vor Euch erscheine.«

General Karpow griff nach den Papieren.

»Ma foi, madame, Ihr wagt viel.«

»Niemand ist leichter zu entbehren, als der Feige.«

»Was bringt Ihr?«

»Ich bringe wichtige Unterlagen aus der Festung Landau.«

»Aus der Festung Landau? Wie kommt Ihr zu den Papieren?«

»Ich habe sie einem Meldereiter entwendet.«

Karpow schaute mißtrauisch aus den Augenwinkeln, griff nach den Papieren und las flüchtig den Inhalt. Manchmal irrte sein Blick ab 162 und traf Frau Juliane, dann war er voll kalter Begierde, düster und drohend.

»Wer beweist mir, daß diese Papiere echt sind?«

»Der Umstand, daß ich vor Euch stehe. Man kommt nicht ohne triftigen Grund zu einem Mann, der sich hier in Feindesland glaubt.«

»Madame!«

Er kam drohend auf sie zu, seine Lippen waren feucht, er bewegte krampfhaft die Finger.

»Ihr wißt, daß ich Euch auf der Stelle verhaften kann?«

»Das weiß ich.«

»Und Ihr seid dennoch gekommen?«

»Was ich bringe, ist wichtiger als meine Sicherheit!«

Er stand dicht vor ihr, sie spürte seinen Atem, sie sah die Bosheit in seinen dunklen Angen.

»Auch wichtiger, als Eure – – Ehre?!« zischte er heiser.

Juliane trat einen Schritt zurück.

»Die steht nicht auf dem Spiel.«

»Warum glaubt Ihr das?«

»Weil ich sie zu verteidigen weiß.«

Er stieß ein kurzes Lachen aus, er lief durch den Raum, unruhig, mit vorgeschobenem Kopf.

Er trat wieder zum Tisch und studierte in den Papieren, mit einer Kartenskizze fuhr er wippend auf und ab.

»Ihr seid schön, madame. Ihr könntet Euch Eure Lage erleichtern. Die überbrachten Papiere machen Eure Verstöße gegen meine Befehle nicht ungeschehen. Aber Ihr seid schön!«

»Es scheint mir hier die ungünstigste Gelegenheit, mir Schmeicheleien zu sagen.«

»Ich meine es ein wenig anders.«

»Ich verstehe es aber nicht anders.«

Er kam mit ungestümen Schritten auf sie zu.

»Schöne Frauen haben schon Weltgeschichte gemacht, warum nicht auch – –«

Er wollte nach ihr greifen, aber sie wich zurück, sie trat bis ans Fenster, er folgte ihr nach.

Als er Anstalten machte, sie weiter zu bedrängen, öffnete sich die Tür und eine Ordonnanz brachte ein versiegeltes Schreiben.

Der General nahm es in Empfang, ging zum Schreibtisch, setzte sich in den Sessel und erbrach das Siegel.

163 Er las mit gerunzelter Stirn die Meldung, behielt das Papier raschelnd in der Hand und wandte sich mit einem hämischen Lächeln der Frau zu.

»Wenn Ihr außer Euren Landauer Papieren vielleicht noch ein Gnadengesuch für einen gewissen Offizier haben solltet, dann muß ich Euch eröffnen, daß es – – zu spät ist!«

Er sah, daß er sie getroffen hatte.

Sie stand ganz fest, aber dann verschwamm plötzlich das Kerzenlicht vor ihren Augen, sie fühlte, wie ihr Herz schwer und unruhig pochte. Mit beiden Händen suchte sie nach einem Halt und lehnte sich gegen die Wand.

Es ist Krieg, zuckte es durch ihr Hirn, der Krieg nimmt kein Ende.

Sie hörte die Stimme des Kosakengenerals; richtig, dort saß er am Tisch und raschelte mit dem fürchterlichen Papierfetzen.

»Ich bedaure es tief, daß einer meiner Offiziere – –«

Sie raffte sich zusammen. Immer noch gegen die Wand gelehnt, sprach sie ruhig und gefaßt: »Exzellenz, Ihr seid nichts als der letzte Handlanger seines Schicksals gewesen.«

Sie ging nach der Tür und hatte schon die Klinke in der Hand.

»Vous restez, madame!«

Juliane wandte sich um, ihre Blicke streiften durch den Raum und blieben am Schreibtisch haften, wo der Russe saß und immer noch das Papier in Händen hielt.

»Drei Sprachen in einem Land! Ich habe Euch wichtige Papiere gebracht, Exzellenz, meine Mission ist beendet.«

»Die Wichtigkeit muß erst noch bewiesen werden. Ihr tragt die Uniform eines Kosaken.«

»Das ist noch kein Verbrechen.«

»Wer gibt Euch das Recht?«

»Die Umstände und die Not.«

»Die Umstände könnten Euch verdächtig machen.«

»Mein Mann ist preußischer Offizier, das müßte genügen.«

»Nein, das genügt nicht.«

Er stand auf und schob den Sessel mit Ungestüm zurück. Bedächtig strich er durch die schwarzen Haare, die runden Augen schlossen sich halb, sie wurden zu Schlitzen, ein mongolischer Zug trat in sein Gesicht.

»Mein Mann«, fuhr Juliane beherzt fort, »ist nicht ganz unbeteiligt daran, daß Ihr mit heiler Haut hier steht, Exzellenz.«

164 »Wir leben im Krieg, madame, da versteht sich der volle Einsatz von selbst. Heldentum ist kein Verdienst, sondern Pflicht.«

»Ich hoffe, Exzellenz, daß Ihr den Helden ein heldenhaftes Beispiel gebt.«

»Daran wird niemand zu zweifeln wagen«, brauste der General auf. »Nie, seit ich reite, hat eine Frau so verwegen zu mir gesprochen. Wie kommt es, daß ich Euch so lange anhöre? Wie ist es möglich, daß Ihr noch lebt?«

»Dem Furchtlosen, Exzellenz, sind alle Wege offen. Glaubt es mir, wahrhaft frei ist nur der Mutige.«

Er kam auf sie zu und blieb dicht vor ihr stehen, er betrachtete sie lange, sein Gesicht blieb starr und nichts als Maske, die großen Augen waren weit geöffnet, der grob ausgeprägte Mund ließ einen Spalt offen.

»Nach dem Kriegsrecht müßte ich Euch verhaften lassen. Habt Ihr Waffen, dann legt sie hier auf den Tisch.«

»Ich habe, Gott sei Dank, keine Waffen. Meine Pistolen sind in der Satteltasche.«

»Gott sei Dank?!«

»Ja, Gott sei Dank. Wer will wissen, was ich Unbedachtes getan hätte, und vielleicht ist das Leben eines russischen Generals heute wichtiger, als die Abwehr seiner gefährlichen Privatlaunen.«

»Die Unterredung ist beendet.«

»Ich kann gehen?«

»Ihr könnt gehen, aber links und rechts von Euch wird je einer meiner Kosaken sein. Ihr begreift, madame. c'est la guerre.«

Er schritt nach der Tür, öffnete und wollte zwei Kosaken hereinrufen.

Unter der Tür stehend, prallte er überrascht zurück, trat rasch zur Seite und gab den Weg frei.

Herein kam der Oberkommandierende des russischen Korps, General der Infanterie Fabian Wilhemowitsch von der Osten-Sacken, in seiner Begleitung waren einige hohe russische Offiziere.

Er blieb am Eingang stehen und überblickte den Saal, in dem die Kerzen brannten.

»Ich komme überraschend, Karpow.« Er gab dem Kosakenführer die Hand. »Im Krieg kommt man immer überraschend. Es hat sich manches geändert.«

Er trat jetzt mit einigen Schritten mitten in den Saal und schaute sich prüfend nach allen Seiten um.

165 Niemand hätte diesen stolzen und herrischen Soldaten für dreiundsechzig Jahre alt gehalten. Er stand aufrecht da wie ein Fünfziger, die grauen Haare glänzten an den Schläfen, er trug einen langen, graugrünen Mantel mit leuchtend roten Aufschlägen, einen breiten Generalshut mit weißer Feder und hohe Reiterstiefel.

Die Brust war mit drei Ordenssternen geschmückt. Am silbernen Bandelier hing der Reitersäbel.

Jetzt erst fiel sein Blick auf Frau Juliane.

Zuerst seinen Augen nicht trauend, machte er einige Schritte auf die Frau zu, schaute sie scharf und mit zusammengekniffenen Augen an, sah das Ebenmaß des Gesichtes, die blauen Augen und den Strom der blonden Haare; und schüttelte verwundert den Kopf.

»Ihr seid doch – – eine Frau?!«

»Jawohl, Exzellenz«, antwortete Frau Juliane freimütig und schaute den Oberkommandierenden mit blitzenden Augen an.

»O quelle surprise! Und ein – – Kosak?«

»Eine Deutsche.«

»Das sehe ich an den Augen. Woher?«

»Wo ich stehe, Exzellenz, bin ich zu Hause. Von Deidesheim.«

»Und weiter?«

»Mein Mann ist preußischer Offizier.«

»Excellent. Regiment?«

»Bei den schlesischen Husaren.«

General von der Osten-Sacken drehte den Kopf und schaute seine Offiziere an, ein vielsagendes Schmunzeln huschte über sein strenges Gesicht.

»Und warum, madame, steht Ihr hier als Mann?«

Juliane senkte den Blick und zögerte. Sie warf einen flüchtigen Blick auf Karpow, der zur Seite getreten war, und sich mit den überbrachten Papieren zu schaffen machte.

»Freiweg, madame! Warum als Mann?«

Da sprach sie lächelnd: »Man sitzt fester im Sattel, Euer Exzellenz!«

»Ha ha ha! Und das ist der einzige Grund?«

Wieder schaute sie auf Karpow; der stand wie versteinert, nur die Augen rollten, eine Sekunde lang trafen sich ihre Blicke. Juliane lächelte wieder.

»Der einzige.«

Der General von Sacken stützte beide Fäuste in die Hüften und mußte wieder den Kopf schütteln.

166 »Eine Frage, madame: wer hat Euch in den Sattel befohlen?«

»Die Not meiner Heimat.«

»Mon dieu, c'est beaucoup!«

»Vielleicht ist nicht ganz unwichtig, was ich in dieser Nacht gebracht habe.«

»Und was dünkt Euch von Wichtigkeit?«

Frau Juliane wies auf Karpow.

»Das fragt den Kosakengeneral!«

Von der Osten-Sacken ging auf Karpow zu. Sie sprachen miteinander, Sacken nahm die Papiere und studierte sie genau.

Sein Staunen wuchs von Minute zu Minute, er rief seine Generalstabsoffiziere an den Tisch und erklärte ihnen den Inhalt der Schriftstücke.

Als er vernahm, auf welch abenteuerlichem Wege der Kosak Juliane zu den Papieren gekommen war, schlug er lachend mit der flachen Hand auf den Tisch und rief zu der Frau herüber: »Ich wünschte mir mehr solche Kosaken, madame

Er kam freudig erregt, mit stürmischen Bewegungen auf sie zu und streckte ihr die Hand hin.

»Diese Papiere können für uns von außerordentlicher Bedeutung sein. Die Abenteuerlichkeit, mit der sie in Eure Hände gelangten, soll uns nicht hindern, sie aufs genaueste zu prüfen und strategisch auszuwerten.«

Er wandte sich zurück und fixierte eine Weile seine Offiziere. Er sah, daß alle Augen auf der schönen Kosakenfrau hafteten.

»Madame, ich darf nicht nur Eure Schönheit, ich darf auch Euern Mut bewundern.«

»Mut versteht sich von selbst, Exzellenz.«

»Aber Schönheit kann gefährlich werden.«

»Ich denke nur an die Sache, nicht an mich.«

»Ha ha, verteufelt! Ich hoffe, Ihr seid noch nicht belästigt worden von meinen Russen!?«

Juliane drehte langsam den Kopf, ihr Blick suchte den Kosakenführer.

»Noch nicht, Exzellenz.«

»Das freut mich für alle meine Kameraden.«

Er führte den Finger an den Mund und überlegte eine Weile, ein Gedanke beschäftigte ihn, mit einem Ruck wandte er sich der Frau wieder zu.

167 »Ihr sagt, Euer Mann ist bei den schlesischen Husaren? Habt Ihr Lust, als Kosak mit ihm zu reiten?!«

Das strenge Soldatengesicht war mit einem Schlag verändert, der Schalk glänzte in den Augen des berühmten Korpsführers.

»Wenn das möglich ist – – –«

»Was wäre in diesem Krieg nicht möglich!«

Er kam nahe zu ihr und fuhr ihr mit der flachen Hand über den blonden Scheitel.

»An meine Seite, messieurs!« befahl er.

Die Offiziere kamen herbei und stellten sich hinter ihren Kommandeur.

»Ihr seid ein schöner Soldat, madame«, sprach der alte Haudegen, »doch ich finde, der Offizier stünde Euch noch besser zu Gesicht.«

»Exzellenz«, antwortete Frau Juliane, »ich glaube zu wissen, daß es in der russischen Armee noch keine weiblichen Offiziere gibt.«

Der General zog den Hut mit der weißen Feder.

Die Offiziere folgten seinem Beispiel.

»Dann seid Ihr der erste, madame!«

 


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