Roland Betsch
Ballade am Strom
Roland Betsch

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Der Frühlingshimmel mit seiner blauen Riesenfahne meinte es gut mit den pfälzischen Revolutionären, mit den Helden für Freiheit und Gerechtsamkeit, mit den Verfechtern der Menschenwürde, mit den Schwärmern und Idealisten, den Menschheitsbeglückern und Barrikadenbauern, den Parteifanatikern und Konjunkturbeflissenen, mit den armen Ehrlichen und reichen Schwindlern, mit den Ehrgeizigen und Neidhämmeln, mit den Desperados, Insurgenten und Abenteurern, mit den Kornhasen, Freibeutern, Legionären, den Heckerlingen, Schnapphähnen und nicht zuletzt auch mit den braven Bürgern, kurz mit allen jenen, die am zweiten Mai achtzehnhundertneunundvierzig in Kaiserslautern zusammengeströmt waren, um die Freiheit Deutschlands zu retten.

Nein, dieser Tag gebärdete sich weder feindselig, noch verschlossen, lange war kein Himmel so blau, keine Sonne so strahlend, kein Wind so südlich mild gewesen.

– – Und wäre wohl ein Boden geeigneter, aus ihm ein Flämmlein für den deutschen Gedanken zu entfachen, als der pfälzische, jene südländisch überhauchte Erde mit ihren wunderlichen, jeglicher Starrheit und Schläfrigkeit abholden Menschen, deren feuergefährliches 258 Temperament doch einem solchen Raketengezisch gute Nahrung geben mußte?!

Wäre noch irgendwo ein sanguinischer Menschenschlag, der es besser verstünde, nicht etwa nur Not zu überdauern, Elend, Brandschatzung und den ewigen Fremdling im Land zu überleben, nein, auch ein Fest zu formen aus Umsturz und Aufruhr, eine Volksbelustigung in allen Gassen, eine Kirchweihe außer der Reihe und eine Verbrüderung beim Wein, dessen betörender unterirdischer Gewölbegeist alle Klassengegensätze milderte, treuherzige Lustigkeit und randalierende Begeisterung entfachte und Sorge trug, daß die revolutionären Bäume nicht in den politischen Himmel wuchsen!

Wo also wäre noch ein Völklein, es möge sich melden und mit den Pfälzern aufmarschieren in Kaiserslautern, heute am blühenden Maitag, wo die schwarzrotgelben Fahnen wehten von allen Häusern, wo die Böller krachten und die Trommeln rasselten, wo die Bürgerwehrkapellen mit klingendem Spiel durch die Straßen marschierten, wo alles Volk stürmisch auf den Beinen war und vor der großen Fruchthalle und andern öffentlichen Plätzen sich die Menschen zusammendrängten, um zu warten, bis ihnen das neue Freiheitsevangelium verkündet würde.

Großer Donnerschlag, das waren Stunden, die manche Verdrießlichkeit aufwogen und den jämmerlichen Trott des Alltags lockerten, ach du Neunundneunzigkränk, es war wieder einmal eine Lust zu leben, schenkt ein und schlagt die Preußen tot!

Da staute sich das Volk auf dem Stiftsplatz, der festlich geschmückt war mit Fahnen und Wimpeln und Tannenreis, aus dem eine Rednertribüne herauswuchs, umgürtet mit den deutschen Farben, dem pfälzischen Löwen und Kranzgewinde.

Wieviel Menschen mochten sich hier versammelt haben, zusammengepfercht und aufeinandergepreßt, hitzig redend und schreiend, daß selbst Luchsohren die eifrigen Redner nicht mehr verstanden, die sich oben abmühten, ihre Meinungen an den Mann zu bringen und ihrer Partei zum Siege zu helfen? Wieviel Menschen denn, es sollte nicht übertrieben werden, aber zehntausend waren das wohl, man mußte nur einmal hinschauen, wie das wogte und brandete, wie sich das drängte und durcheinanderschob, wie sie Beifall spendeten und Pfuirufe ausstießen, wie sie sich untereinander selbst in die Haare gerieten, ohne in dem lustigen Gedränge eine Möglichkeit zu haben, sich handgreiflich zu entfalten.

259 Welch ein Mummenschanz, welch eine farbig brandende Maskerade aufgewühlter Menschen war auf dem Plan, hauptsächlich in zwei Lager gespalten, nämlich in die Radikalen oder Donnersberger, die sofortige Einsetzung einer provisorischen Regierung mit vollständiger Machtübernahme, insonderheit Beschlagnahme aller öffentlichen Kassen forderten und mit Strick und Hackmesser gegen Fürsten, Schwarzröcke und Geldsäcke vorgehen wollten; und in die Gemäßigten, die für Bildung eines Landesverteidigungsausschusses agitierten und den geplanten Terror der Donnersberger zu verhüten suchten.

Warum überhaupt gerieten sie sich noch einmal in die Haare wegen dieser Punkte, die doch schon außerhalb der Diskussion standen? Hatte man denn, rund herausgesagt, nicht schon am Vorabend bei einer Massenversammlung in der Fruchthalle beschlossen, vorläufig nur einen Verteidigungsausschuß zu bilden und es noch einmal auf legalem Wege zu versuchen, die bayrische Regierung von ihrem rebellischen Verhalten ab und zur Vernunft zu bringen? Ho hoo, hörten wir recht, sollten nicht wieder Adressen abgeschickt werden?! Unsterblicher Nationalfehler der Deutschen, bei allen möglichen und unmöglichen Anlässen Adressen zu sammeln und abzuschicken. Ho hoo, das hatten sie vielleicht von den Franzmännern gelernt, beim Napoleon gab es auch immer Adressen, beim Schinkenandres und bei den Patrioten. Adressen und Filzpantoffelpolitik, pfui! Keine Adressen mehr, zum Teufel mit den Bayern, den Preußen und Österreichern, wenn sie sich nicht auf den Boden der Zentralgewalt stellen wollten.

Keine Umschweife, wer es etwa noch nicht wußte, wer hier noch herumlief mit den bravbürgerlichen Scheuklappen und mit seiner Hosenschisserangst, er könnte vielleicht sein warmes Nest verlieren; kurz also, wer den Hexenbraten nicht roch und gegen den Wind spuckte, dem sei es einmal nachdrücklich unter die Nase gerieben, keine falsche Scham, he he, Farbe bekennen! Wollte sagen, wer es noch nicht wissen sollte, was auf dem Spiel stand, hier, wenn es auch eng war in diesem Gedränge, hier konnte der »Bote für Stadt und Land« entfaltet werden.

Herr Nachbar, ich nehme an, ihr habt es gelesen, es hat jetzt endlich damit aufgehört, daß man den renitenten Landtag fortwährend vertagte, das partikularistische Gesellschaftsspiel war zu Ende, Schach dem König und allen Reaktionären!

Der Christian Zinn, Redakteur und Parlamentsmitglied, der Zinn 260 hatte es ihnen hinter die fürstlichen Löffel geschrieben, wer es wünschte, konnte lesen, was geschrieben stand von ihm in der Nummer vom 29. April. He he, den Zeigefinger drauf!

›Pfälzer! Der König von Bayern hat, wie ihr aus nachstehender Note erseht, offen erklärt, er erkenne die Reichsverfassung nicht an. Es soll drum jeder seine Waffen rüsten und seinen Mut schleifen, denn es kann sein, daß der Rhein den Scheidepunkt zwischen uns und Bayern bildet, daß die Pfalz sich lossagen muß von Bayern.‹

Hoppla, aus diesem Loch pfiff es, der Pfälzer hatte am Ende besondere Gelüste, in romantischen Köpfen tauchte wieder die Burgundische Republik auf, die Demokraten führten das linke Rheinufer ins Treffen. Der Rhein, der große, ewige, wandernde Schicksalsstrom sollte wieder einmal, wie schon so oft in der Flucht der Jahrhunderte, Grenze und Scheidung und Trennung sein, in den verwirrten Hirnen einzelner geisterte der Spuk der Sonderbündler und Separatisten, sie nahmen die rebellischen Bayern zum willkommenen Anlaß, ihre Jakobinertaktik neu aufleben zu lassen und mit dem Bürgerblut zu agitieren.

Nur nicht den Kopf in den Sand stecken, heute, wo welthistorisch Entscheidendes zur Debatte stand, wo der Einigkeitsgedanke und das Wohl oder Wehe Deutschlands auf dem Spiel standen, wo es um Gedeih oder Verderb der Zentralgewalt ging. Wer sich jetzt die Ohren verstopfte, der konnte mit den Hühnern gackern gehen und Handlanger der Fürsten werden.

Die »Trompete von Speyer« mußte jeder lesen und das »Kaiserslauterer Wochenblatt«, denn die Pfalz lief Gefahr, den Schwabenstreich der Württemberger nachzumachen, die sich auf Grund einzelner lächerlicher Versprechungen wieder unter den Fürstenstiefel gebeugt hatten. Nie und nimmermehr durfte sich das in der Pfalz wiederholen, Kampf den absolutistischen Mächten, Gut und Blut für die Freiheit!

Das Gewimmel erregter Menschen kochte und quirlte unter der lachenden Sonne, die Fahnen und Wimpel und Flaggen flatterten und knatterten im Wind, es dröhnte von Märschen und Freiheitsgesängen, politische Kampfhähne fuhren im Gedränge aufeinander los.

Das bunte Farbenspiel der Trachten und Uniformen gab dem politischen Hexenkessel ein wahrhaft festliches Gepräge. Wer auch hätte es 261 fehlen lassen können an Ehrfurcht vor Männern, die gewappnet umherliefen mit blauen Revolutionsblusen, gewaltigen Schleppsäbeln und bedrohlich funkelnden Pistolen, mit wilden Bärten, gespornten Langschäftern und romantischen Heckerhüten, auf denen die lockeren Hahnenfedern schwankten!

Es waren auch viele zu sehen mit roten Blusen, roten Bändern und Kokarden, das waren hauptsächlich die Hessischen, die ganz Radikalen, die ein Korps der Rache bilden wollten.

Geschlossene Formationen in Waffen durchzogen die Gassen, bayrische Soldaten mit roten Bändern an den Mützen, Deserteure aus Chevaulegerregimentern, Dragoner und Ulanen. Zwischen den dunkelblau uniformierten Bürgerwehrleuten sah man die weißgewandeten Mitglieder der zahlreichen Turnvereine, die schon einige Tage vorher eine politische Versammlung abgehalten und die Absicht gehabt hatten, ein Provisorium in Permanenz zu erklären und das Volk zu bewaffnen.

Fehlten in diesem kriegerisch gesinnten Getümmel, in dieser barocken Heerschau phantastisch gewandeter Vaterlandsverteidiger, fehlten unter diesen Schwärmern und Schwindlern, unter diesen Siebzigknallern und Säbelraßlern, fehlten unter diesen Guten und Schlimmen etwa die Franzmänner?! Bewahre, sie saßen wie Sauerteig in der aufgewühlten Masse, sie tauchten allerorten auf in ihren engen Hosen, mit verbindlichem Lächeln und allerhand geistreichelnden Redensarten. Wie hätten sie fehlen dürfen in solch aussichtsreichen Jagdgründen, wo schon Stimmen laut geworden waren, man hoffe am Ende auf ihre Unterstützung und habe die Absicht, Waffeneinkäufe jenseits der Grenze zu tätigen. Nicht wenig Rothosen waren da, Artilleristen der ehemaligen Nationalgarde, der Spuk Napoleon und Departement du mont tonnèrre schien noch nicht ganz verflogen, es waren auch noch zu viele Mischlinge am Werk, schleichendes Raubzeug, dem die offene und ehrliche Freiheitsgesinnung der Pfälzer nicht gewachsen war, heimliche Brandstifter und Feuerlüsterne, die allerorten den Zündschwamm mit herumtrugen und sich emsig Mühe gaben, daß die wahre Volksmeinung nicht öffentlich bekannt wurde.

Es wäre doch den Donnersbergern tatsächlich beinahe gelungen, ihr Sansculottenprogramm an den Mann zu bringen, eine politische Minderheit hätte um ein Haar die öffentliche Meinung terrorisiert, wenn nicht der Abgeordnete Fries bei der Stange geblieben wäre und 262 seinen Antrag auf Einsetzung einer sofortigen provisorischen Regierung zurückgenommen hätte.

Auf dem Stiftsplatz aber, wo man durch Hetzreden und Phrasendreschereien das Volk aufgewiegelt, ja selbst die braven Bierbankpolitiker in Harnisch gebracht hatte, versuchte der Neustadter Loose noch einmal das Provisorium durchzusetzen, er stand oben auf der Tribüne, seine Haare flatterten im Wind, er war heiser wie eine Gießkanne, fuchtelte mit den Armen und erweckte den Eindruck einer Marionette, die unsichtbar in Gang gebracht wurde. Um ihn herum quirlte der Menschenbrei, Stimmenlärm, Revolutionsgesang und Äußerungen des Beifalls und der Ablehnung quollen in den unversiegbaren Redestrom dieser jakobinerisch flötenden Schwarzamsel, die mit ihrem aufrührerischen Gezwitscher einen wahren Sturm entfachte.

Keine halbe Revolution also, nur keinen Schwabenstreich, rief er und boxte mit den faustgeballten Händen unsichtbare Gegner nieder; nicht vor dem Thron stehenbleiben, damit der Rebellenkönig von Bayern mit seinen verschworenen hochverräterischen Fürsten keine Galgenfrist mehr hat. Nichts da, eine richtige Revolution her, mit Blut und Strick und rollenden Köpfen. Man sollte den Deutschen nicht mehr nachsagen, sie verstünden es nicht, revolutionär zu sein, weit gefehlt, die kommenden Tage würden das Gegenteil beweisen. Tatkraft und Entschlossenheit und kein Mitleid, so lautete die Devise. Und er hätte da noch allerhand Leute im Auge, denen eine Katzenmusik nichts schaden könnte. Waren übrigens genügend Laternen da, und würden gewisse Reaktionäre – er wolle keine Namen nennen, aber er leide nicht an Gedächtnisschwäche – am Ende bald im Mailüftchen schaukeln?

Die Schwarzamsel war also drauf und dran, eine rote Republik nach französischem Muster aufzurichten, seine Absicht aber, von gemäßigteren Elementen durchkreuzt, scheiterte in letzter Minute.

Sie stimmten das Heckerlied an, die Menge fiel ein, viele unter ihnen wußten gar nicht, was in dieser Minute auf dem Spiel stand, nämlich, daß die Schwarzamsel eine Republik proklamieren wollte, sie sangen nur mit, einmal weil das so verflucht lustig und freiheitlich, dann auch, weil es eine so schöne Ballade war, fast wie auf dem Weihnachtsmarkt.

An den Darm der Pfaffen
Hängt den Edelmann,
Hängt ihn zum Erschlaffen,
Hängt ihn drauf und dran.«

263 Einige schossen ihre Zündhütchenpistolen in die Luft, Bürgerwehrmänner, erbost weil durstig, griffen nach den krummen Säbeln, die zugelaufenen Desperados und Abenteurer, die Freibeuternaturen und Schnapphähne, so unter der Menge verteilt waren, stießen wilde Drohungen aus, phantastisch Uniformierte zwängten sich zur Tribüne, rote Tuchfetzen flatterten nervös über den Köpfen dieses rabiat gewordenen Menschenhaufens, aus geöffneten Fenstern wurden rote und schwarzrotgelbe Fahnen geschwenkt, Musikanten der Bürgergarde, der Kraft ihrer Töne sich bewußt, stießen mit greulichem Grunzen in ihre Messinginstrumente. Ein Glück nur, daß kein bayrischer oder preußischer oder sächsischer Fürst anwesend war, die Neustadter Schwarzamsel hätte ihn zwischen zwei Brotschnitten verzehrt.

Übrigens war es mit seiner Stimme zu Ende, er hatte sich nun zur Nebelkrähe gewandelt, die heiser krächzend auf der Tribüne umherflatschte und gefährliche Schnabelhiebe austeilte. Es gelang aber dem Speyerer Rechtsanwalt, ihn vom Bretterforum herunterzuzerren. Kotz und Katzenschiß, der Hasenpfühler war ein Kerl, er fing den drohenden Stoß auf, er baute einen Damm, das Hochwasser wurde gestaut, er wurde Prellbock und Wellenbrecher, er warf sich, selber fast ein Roter, der roten Flut entgegen, es gelang ihm, die zehntausend versammelten Pfälzer samt den Hergelaufenen, dem Gesindel und den landfremden Legionären, es gelang ihm also, die Pfälzer mit ihrer kochenden Volksseele zur Ruhe zu bringen, bei allen Gockelsfedern, wer die Pfälzer kannte, das war ein respektable Leistung.

Es kam zur Volksabstimmung durch Erheben der Hand und siehe da, die Donnersberger gerieten in die Latrinengasse, eine schwache Mehrheit war für den Landesverteidigungsausschuß, ho hoo, dieses Getöse, dieser Aufruhr und Tumult, dieses Gewitter von Stimmen, Lärm, Getrommel, Johlen und Pfeifen.

Bum! – – Bum! – warum schossen sie denn nur, es waren doch keine Preußen da?!

Wein her, Wein! Gebt den Leuten Wein und Bier und Würste, Kreuzmilljackendonnerwetter, vier Stunden hier stehen und keinen Tropfen für die rappeldürren Kehlen. Revolution hin, Revolution her, schlagt die Spunden ein!

Das blutdürstige Volksfest nahm seinen Fortgang, das war ein Tag für die Jungen und Alten, für Männer und Weiber. Keine Feindschaft, keine Parteien, Verbrüderung und Einigkeit und vor allen Dingen die Volkssouveränität gegen die Fürstensouveränität! 264 Wenn es nicht anders ging, in Gottes Namen mit Pulver und Blei, mit Säbel und Sensen und jeglichem Mordinstrument, zuerst aber Wein her! Keinem Pfälzer konnte zugemutet werden, bei dürrer Kehle begeistert zu sein.

Verflucht, die Donnersberger demonstrierten, es bildete sich ein Zug, die rote Fahne marschierte, sie sonderten sich ab, kristallisierten sich um die roten Aufrührer. Immer länger wurde die Kolonne, voraus die Neustadter Radikalen, zwischen ihnen ein abenteuerlich aufgeputzter, schwitzender Freischärler mit der roten Fahne, hinterher marschierte eine kleine Radaukapelle, fürchterlich blasend und zur Gefolgschaft posaunend, dann folgten Uniformierte in den malerischsten Trachten, Dragoner und Chevaulegers, rot bebändert, Legionäre und Insurgenten, Volkswehrmänner und weiße Turnvereinsmitglieder. Den Beschluß bildeten händelsüchtiges Volk und das Pfützengewässer der Vaterlandslosen, der Entwurzelten, der Berufsrevolutionäre aus allen europäischen Staaten, Männlein und Weiblein, dicht zusammengedrängt, der bunt sich krümmenden Schlange schreiend angeschlossen, Tritt gefaßt und kurz tretend im gepferchten und gestauten Chaos der Menschenleiber.

Was zum Henker hatten sie denn im Sinn, wohin zogen sie mit klingendem Spiel, roten Flammenzeichen und rollenden Augäpfeln?

Auf den Maxplatz, habt ihr's gehört, auf den Maxplatz zogen sie, dort würde die Republik ausgerufen, dort also entschiede sich das Schicksal Deutschlands, wer mit ihnen eines Sinnes wäre, der hätte Eile, sich anzuschließen, wollte er Zeuge und Teilnehmer des großen historischen Ereignisses sein.

Oh, die Toren und Narren, die Idealisten und Brunnenvergifter, hört nur hin, jetzt sangen sie, mit ihrem Aufzug die Straßen verstopfend, die Marseillaise. Sie wußten nichts anderes, als das französische Revolutionslied zu singen, war ihnen alle Vernunft abhanden gekommen?

Wer marschierte denn dort in vorderster Linie, gleich hinter dem roten Lappen, wer trug, funkelnd im Spiel der Sonne, eine kriegerische Uniform wie aus Tausendundeiner Nacht, hatte einen gewaltigen Krummsäbel geschultert, trug blaue Bluse, Kanonenstiefel, einen litzenbesetzten Gürtel mit zwei Pistolen und einen schlappernden und schwappernden Heckerhut mit roten Hahnenfedern?

Beim Strick und Laternenpfahl, war das nicht das Großmaul aus der Postkutsche, war das nicht der Fürstenfresser Schlinke?!

265 Kein anderer, da war er jetzt, weiß Gott, über Nacht Kommandant oder Major oder General geworden. Wer in aller Welt hatte ihn denn zum Feldherrn ernannt, war es nicht genug, daß er Wind machte wie ein Dudelsack, hatte er etwa auch im Sinn, blutige Schlachten zu liefern?!

Sein Anblick war nicht wenig bedrohlich, das Feuer schlug aus seinen Augen, er marschierte wie ein preußischer Grenadier, und neben ihm, vorerst nur mit einem Heckerschlapper ohne Feder geschmückt, wankte und schnaufte, dick und fett, sein Freund Kaiser.

Alle Fenster waren offen und mit Menschenköpfen verstopft, als der Zug durch die Straßen zog mit ohrensprengendem Getöse, begleitet von den Rufen der Zuschauer, von Schmähung und Jubel, johlendem Gesang und schrillem Pfeifen. Viele wußten ja nicht, worum es sich eigentlich handelte, was wollte der Festzug, warum sangen sie das welsche Lied, die Revolution in allen Ehren, aber gab es denn kein deutsches Revolutionslied?

Fahnen heraus, alle schwarzrotgelben Fahnen in den Wind, wann hatte die Stadt Kaiserslautern je ein so festliches Gewand getragen, man würde nach Jahrhunderten noch davon sprechen.

Auf dem Maxplatz, wo sich die Menge staute und zum Halten kam, wo die Menschen an den Häuserfronten hochkletterten und wie monströse Früchte klumpenweise auf den Bäumen hingen, auf dem Maxplatz, allwo die roten Anführer auf den Brunnen stiegen, wurde die Republik proklamiert. Unter Lärm und Stimmengebraus, im Wirbel einiger hundert Zunderköpfe, abseits der entgegenstehenden Majorität, von keinerlei Volkswillen getragen und gestützt, proklamierte der Neustadter Pulverreiber die pfälzische Republik, seiner Torheit sich kaum bewußt, denn die eigentlichen Machtinhaber mit ihrer überwiegenden Gefolgschaft waren ganz woanders, sie rüsteten sich bereits, um in die Fruchthalle einzuziehen, wo heute noch die Mitglieder des provisorischen Landesverteidigungsausschusses gewählt werden sollten. Genug, der Maxplatz hatte seine Republik und es ging hoch her in der neuen Staatsform, eine große Schar von Neugierigen war hinzugekommen, die Musik spielte, es rollten sogar Bierfässer und Weinfässer heran, rote Bettlaken flatterten an Bohnenstangen, und da es an malerischen Uniformen und phantastischem Aufputz nicht fehlte, da auch Weiberleut zur Stelle waren, überhaupt der Griesgram bei Wein und Gerstensaft keinerlei Boden gewann, war es alles in allem eine lustige Republik.

266 Warum auch gleich mit Blutvergießen und Laternenleichen anfangen, das hatte noch Zeit, vorerst zog man eine ausgestopfte Puppe an einer Stange hoch, darstellend vielleicht den Herrn Wittelsbach, das verfluchte Weibsbild Lola Montez oder einen gewissen Fürstenknecht unter den pfälzischen Geldsäcken. Einerlei, es hing einer und schaukelte im Wind, mit Stroh ausgestopft, da hatte er's nun, warum auch war er reaktionär, jetzt pendelte er am Strick und so würde es allen ergehen, die gegen die Donnersberger waren, das walte Gott, stoßet an und hört endlich mit den Volksreden auf!

Es kamen immer mehr Neugierige, denn es waren nicht wenig Pfälzer versammelt in der Stadt, aus allen Richtungen waren sie gekommen zu Pferd und zu Fuß, mit Wagen und mit der neumodischen Eisenbahn.

Und sie alle waren in keiner Weise ihren Mitmenschen übelgesinnt, sie trugen keinen Groll im Herzen, fiel ihnen gar nicht ein, sie erhofften sich hier nur ein kleines Allotria, sie würden Freunde und Bekannte treffen, eine Art blauen Montag haben und zu allem Überfluß auch noch das Neueste in der Politik erfahren.

Wo also war die neue Republik zu besichtigen? Auf dem Maxplatz? Waren das nicht wieder lange Stangen ohne Würste? War das kein Schwindel, kein Schabernack, keine Harlekinade? Nein, der Maxplatz hatte seine pfälzische Republik, man solle nur hingehen und sich überzeugen. Es gäbe einen gut gebauten achtundvierziger Riesling und außerdem baumle einer am Rabenholz.

 


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