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In kurzen Augenblicken hatte sich im Innern der Stadt eine neue wichtige Begebenheit abgespielt, so schrecklich, daß Max froh war, nicht Augenzeuge dabei gewesen zu sein. Aus zwei Zellen waren zwei Königinnen hervorgekommen, die angesichts des Volkes in einem Duell ihre Kräfte maßen. Eine davon war zuviel, sie mußte sterben, und sie starb im Kampfe mit der stärkeren Genossin. So nur konnte die Ruhe und Ordnung des jungen Staates wieder hergestellt werden.
Vom Schwärmen der Bienen hatte Max als Kind schon vernommen, aber jetzt erst, wo er als Ameise selbst am Insektenleben teilnahm, erfaßte er die Ursache, warum ein Bienenschwarm den Mutterstock verläßt.
Die Bevölkerung war durch den jungen Nachwuchs so zahlreich geworden, daß sie sich mehr als verdoppelt hatte. Der Stock wurde daher zu eng, er konnte die Tausende von Insekten nicht mehr fassen. Gesundheitspflege, Reinlichkeit, geregelte Arbeit konnten in so beengtem Zusammenleben des Volkes nicht mehr bestehen; die gesellschaftliche Ordnung wurde in dieser ungeheuren Masse unmöglich; die Verwirrung war auf den Gipfel getrieben, die meisten Einrichtungen drohten durch Übervölkerung zu entarten. Was tun? Man brauchte ein Mittel, und zwar ein rasches, um eine Verminderung des Volkes zu erreichen; es war nötig, daß ein Teil der Bevölkerung aus dem Vaterlande auswanderte, damit es nicht als Ganzes zugrunde gehe. Und siehe! Die alte Königin, die Mutter des Volkes, die Gründerin des Staates, liefert den höchsten Beweis ihrer Hingebung und Sorge. Sie geht zuerst. Sie wandert freiwillig aus und verläßt alles, was sie geliebt hat. In höchster Aufopferung verbannt sie sich vom Vaterland, um es zu retten. Sie geht, um irgendwo in der Fremde mit denen, die ihr freien Willens folgen, einen neuen Staat zu gründen. Sie gibt allen jungen Bienenmüttern das edle Beispiel, wie man erziehend auf den Gemeinsinn der Nachkommen wirkt. Alles das geschieht, um künftigen Geschlechtern ein gesundes Dasein zu sichern! Wenn so Hohes erreicht werden soll, was liegt daran, daß viele den Ort verlassen müssen, an dem sie geboren sind? Sie dienen künftigem Leben und erfüllen damit die von Gott gegebene Aufgabe.
Max, der auch bisweilen auf einen klugen Gedanken kam, fand für das Schwärmen der Bienen einen Vergleich in der Geschichte der Menschheit. Da war es zur Zeit der Völkerwanderung auch geschehen, daß ganze Stämme wegen Übervölkerung neue Wohnsitze suchen mußten.
Die Umwälzungen im Bienenstaate und die neugeschaffenen Verhältnisse machten Max nach und nach das Leben bei seinen Gastfreunden unbehaglich. Er vermißte die alte Königin; seine Freundin Süßchen war fort. Fast alle Bienen, die vom Raubzug des Totenkopfes wußten und bei denen Max nebst Großzang aus Dankbarkeit für die Errettung in einem gewissen Ansehen standen, hatten sich dem Schwarm beim Ausflug angeschlossen. Das Volk war ein anderes geworden, es hatte sich verjüngt und erneut, und die Zeit der Verwirrung war jetzt beendet. Während dieser hatte keiner sich um die beiden Ameisen gekümmert, aber nun passierte es manchmal, daß man im Vorbeigehen scheele Blicke sah und gehässige Bemerkungen hörte. Es stand sehr zu befürchten, daß die Bienen bald eine ganze Flut von Fragen an sie richteten: »Wer seid ihr? Was tut ihr da? Mit welchem Rechte lebt ihr bei einem Volke, das nicht das eure ist?« Dann quälte den armen Kaiser noch ein anderes schweres Bedenken:
»Wenn sie mich für einen Feind halten, kann es geschehen, daß sie mich eines schönen Tages einbalsamieren, wie sie es mit dem Totenkopf gemacht haben.«
Die Furcht, eine Mumie zu werden, reifte rasch einen großen Entschluß.
»Adjutant«, sagte er zu Großzang, »wir müssen uns zum Abmarsch vorbereiten.«
»Wir müssen fort, wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, daß diese neuen Bürger uns mit Kittwachs einhüllen, um zwei Mumien aus uns zu machen.«
Großzang hörte sehr niedergeschlagen zu:
»Muß denn das sein? Es war so angenehm hier!« grollte er. »Wer wird uns künftig Honig geben? Wie köstlich war das Muskatellergericht! Und den Königinnenbrei bekomme ich nirgends wieder!«
»Ich werde dir Honig geben! Ich bereite dir auch ein Muskatellergericht!« so drohte ihm erzürnt Max. »Mach, daß wir fortkommen von hier!«
Großzang fügte sich mit wehem Herzen. Am Ausgang des Bienenstockes standen sie noch ein Weilchen, überschauten Abschied nehmend nochmals die gastliche Stätte und sagten still ein herzliches Lebewohl.
Hatten sie hier doch so viel Gastfreundschaft genossen, und bis jetzt war ihnen nur Gutes widerfahren. Kaum hatten sie drei Schritte gemacht, als sie im Hause hinter sich festliches Gesumse hörten, das sich dem Ausgang näherte. Es erschien eine stattliche Bienenschar, die junge Königin und Siegerin inmitten. Singend und tanzend flogen sie vorm Haustor auf und nieder. Diese jungen Bienen hielten scharf Umschau und prägten sich die Lage ihrer Wohnung und deren Eingang genau ein. Dann unternahm die Königin einen Flug um den Stock, worauf sie zu den Genossen zurückkehrte. Ein zweites und drittes Mal wiederholte sie dies gefällige Spiel, bis sie endlich fröhlich ausrief:
»Nun finde ich meinen Weg sicher wieder allein zurück!«
Beifall summend rief die Menge:
»Es lebe die Königin! Es lebe die Braut!«
Hoch in die blauen, sonnigen Lüfte ging der Flug. Unter freiem Himmel, inmitten des Wohlgeruches aller Blumen jubelten die Männchen summend ihr nach. Sie erwählte sich zum Hochzeitsreigen einen Gemahl, der nach dem Tanze draußen auf blumiger Flur sein Leben endete. Die Königin aber kehrte als fruchtbare Mutter zurück zu ihrem Volke und sang ihr Lied:
»Kommende Völker umschließet mein Schoß.
Mächtig entfaltet
Sich euer Reich.
Einig erhaltet,
Kinderlein, euch!
Ehret die Mutter, sie machet euch groß!«