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Leider verging der Tag nicht mit Blitzesschnelle, sondern wie keiner noch schlich er langsam dahin. Übrigens brachte er schwere, schreckliche Ereignisse. Max bemerkte schon in aller Frühe, als er der Königin begegnete, eine unbegreifliche Veränderung. Sie war merkwürdig unruhig und nicht so würdevoll gelassen wie sonst. Er hatte sich zu ihr begeben wollen, um sein Scheiden aus ihrem Reiche zu melden. Sein Adjutant, der ihn bei dem Abschiedsbesuch begleitete, wollte gleich ihm sich bedanken für die große Gastfreundschaft, die beide empfangen hatten.
Voller Erregung und mit rauher Stimme redete die Königin ihn zuerst an:
»Du kommst eben recht! Du hast mich vor kurzem um meine Macht und mein Ansehen beneidet. Ist es nicht so?«
»Gewiß!« erwiderte Max; »ich wüßte niemand, der so mächtig, so verehrt – –«
»Mächtig? Verehrt?« fiel ihm die Königin in seine beginnende Lobrede; »willst du erleben, wie groß meine Macht ist, wie mich meine Untertanen ehren?«
Sie wandte sich an eine vorübereilende Gruppe von Bienen und rief ihnen zu:
»Heda! Bringt mir das Frühstück!«
Bestürzt sah Max, wie die eiligen Bienen den Kopf schüttelten und sich nicht weiter um den Befehl kümmerten.
»Ha, siehst du, wie gehorsam meine Untertanen sind! Und warum? Man erwartet die Geburt einer neuen Königin, der ich selbst das Leben gab.«
»Wie!« rief Max, »diese großen Zellen dort im Hintergrunde enthalten also Königinnen, die dich stürzen wollen?« Die Königin antwortete nicht, sondern sah gespannt nach der Richtung, die Max bezeichnet hatte. Mit einem Wutschrei stürzte sie unversehens dorthin:
»Ah, da sind sie ja schon, diese neuen Königinnen!« rief sie gellend.
Max folgte ihr erschrocken. Aber bei den Königinzellen war ein dichter Schwarm von Arbeiterinnen, die ersichtlich Wache standen. Sie hatten die Ankunft der alten Königin im voraus erwartet, warfen sich ihr entgegen, trieben sie zurück und schrien sie an:
»Hier kommt niemand durch!«
Max war außer sich über eine solche Frechheit. Er hatte seit seinem Eintritt ins Bienenhaus so viele Beweise von Ergebenheit gesehen, die dieses Volk seiner Herrscherin zollte, und konnte darum nicht glauben, daß alles plötzlich anders geworden sei und heller Aufruhr herrsche. Nun geschah doch das Unbegreifliche; es blieb nicht mehr zu zweifeln: eine Umwälzung begann. An diesem Tage waren nur ganz wenig Bienen ausgeflogen, die Stadt steckte voll von erregten Arbeiterinnen, welche da und dort in Gruppen herumstanden und hastig hin und her redeten. Im Vorübergehen hörte Max eine Biene, die mitten in einem beifallspendenden Schwarm eine Rede hielt:
»Es sind zuviel hier bei uns!« schrie sie; »seit zwei Tagen sind fünftausend neue Bürger geboren. Wenn wir nicht alle ersticken wollen, müssen wir einen Entschluß fassen!«
Max begriff nichts. Aber gewiß handelte es sich um große Dinge im Staat. Er suchte daher Süßchen auf, um sie zu befragen; aber in der wirren Menge konnte er sie nicht finden. Er verlangte Auskunft von andern Bienen, aber sie antworteten ihm nicht. Sie waren alle zu erregt, zu beschäftigt mit eigenen Gedanken, um auf ihn zu achten.
Max ging jetzt auf sein Zimmer und blieb dort in schweren Gedanken. Hier traf er mit Unwillen Großzang, der, aller höheren Interessen bar, die Reste des Muskatellerhonigs verzehrte.
»Unglückseliger!« rief er, »wie kannst du jetzt noch deinem unersättlichen Magen dienen, wo draußen das ganze Volk in hellem Aufruhr tobt!«
Der Adjutant stand mit offenem Munde vor Staunen da. Dann gab er sich einer letzten Versuchung hin und rief:
»Majestät, noch einen Mundvoll, dann komme ich sofort!«
Max aber, auf dem Gipfel seines Zornes, ergriff ihn an der Gurgel, schüttelte ihn heftig und schrie:
»Wenn du diesen Mundvoll hinunterschluckst, dann sollst du mich kennenlernen!«
Er ließ ihn nicht eher los, bis er den schönen Mundvoll herausgegeben hatte.
»Was gibt's denn?« stammelte Großzang, sobald er wieder Atem bekam. »Sind denn alle verrückt geworden in dieser Stadt?«
Die Gärung hatte indessen zugenommen. Jetzt summten und brummten alle Bienen, schlugen mit den Flügeln und gebärdeten sich so aufgeregt, als ob sie wirklich alle den Kopf verloren hätten. Da näherte sich die alte Königin. Erhaben und bewundernswert in ihrer Majestät sprach sie:
»Mein Volk! Bis jetzt glaube ich meine Pflicht als gemeinsame Mutter peinlich genau erfüllt zu haben. Die ungeheure Zahl der jungen Bienen beweist es, die ich unter euch sehe, lauter Kinder, die seit kurzem geboren sind und denen ich das Leben gab.«
»Wahr ist's! Es lebe die Königin!« riefen viele.
»Danke!« erwiderte sie kühl das Haupt neigend. »Ich sehe, meine Sendung ist hier erfüllt; die Nachkommenschaft, die ich geschaffen und für die ihr alle gearbeitet habt, braucht Platz. Sie muß ihre eigene Tätigkeit hier beginnen, muß ein neues und junges Reich gründen. Schon öffnet sich die Zelle einer neuen Königin.«
»Es lebe die neue Königin!« riefen andere.
»Sie lebe!« fuhr die alte Königin fort, »und sei glücklich in eurer Mitte! Doch ihr wißt, daß in einem geordneten Bienenstaat nicht zugleich zwei Königinnen, zwei Mütter, leben dürfen. Unverbrüchlichen Gehorsam, zarte Sorge und unteilbare Liebe bringt ihr der einen Mutter des Volkes entgegen. Nie werden diese Gefühle für zwei bestehen können. So bleibe denn die junge Königin hier. Möge sie neue, starke und mutige Geschlechter erzeugen! Ich habe meine Lebensaufgabe noch nicht ganz erfüllt; viele neue Wesen fühle ich noch an meinem Herzen schlagen, viele junge Leben haben das meine noch nötig. Ich scheide daher und gehe, um ein neues Reich zu gründen, neuen Kindern Mutter zu sein. Ich danke der Natur, die mir die Kraft gegeben hat, zwei Völker zu gründen und zu beherrschen. Wer mich liebt, der folge mir nach!«
Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, ging sie dem Ausgang zu.
In der Volksmenge entstand jetzt eine unbeschreibliche Verwirrung, ein schreckliches Gedränge. Eine große Anzahl von Bienen folgte der alten Königin zum Ausgang. Auf ein Zeichen von ihr nahmen sie in raschester Bewegung ihren Flug hinaus zum Bienenstock. Mitten aus dieser dichten Wolke von summenden Bienen hörten die beiden Ameisen eine Stimme rufen:
»Lebe wohl, lieber Max!«
Schnell lief er dem Ausgang zu, wo er Süßchen sah, die, ihrer alten Königin treu, dem ausziehenden Schwarm folgte. Die zwei Ameisen kehrten wehmütig in die Stadt zurück und waren untröstlich über die Veränderungen. Sie wurden noch schmerzlicher bewegt, als sie sahen, daß die Erregung im Hause immer noch wuchs. Die zurückgebliebenen Bienen zogen in unordentlichen Reihen zu den Königszellen, wo immer noch der dichte Bienenschwarm Wache hielt, der die alte Königin abgewiesen hatte. Jetzt widerhallte im Stock ein Schreien und Rufen:
»Obacht! Hier ist sie schon!«
Eine junge Biene hatte eben die Wachsdecke ihres Geburtszimmerchens durchbrochen. An dem längeren Körper sowie an den kürzeren Flügeln konnte man gleich sehen, daß es ein Weibchen war. Sie schaute rings umher. Als sie neben sich die königlichen Zellen bemerkte, geriet sie in so schlechte Laune, daß sie sich plötzlich mit gezücktem Stachel wuchtig auf die nächste Zelle warf. Sie war schon im Begriffe, deren Decke mit ihrem spitzen Degen zu durchbohren und schrie:
»Was sollen diese andern? Weg mit ihnen!«
Die stets bereiten Wachen aber verhinderten die rasende Biene an einer solchen Freveltat. Schnell wurde sie vom Volke umringt, fortgezogen, und nicht nur an den Flügeln, sondern auch an den Beinen festgehalten. Unmöglich konnte sie daher einen zweiten Versuch machen. Vergebens suchte sie sich aus der Gefangenschaft zu befreien. Ermüdet und nach überwundener Aufregung einsichtig genug, blieb sie schließlich sitzen. Man sah aber, es ging in ihrem Innern etwas vor; denn ohne die Flügel auszubreiten, bewegte sie diese leise bebend. In dieser Stellung sang sie erst ganz leise, dann immer lauter das hinreißende Morgenlied ihres Daseins:
»Stunde des Werdens, gegrüßet sei mir!
Leben zu geben,
Ordnung und Heil,
Ward mir das Leben
Heute zuteil.
Schöpfer des Lebens, wie danke ich dir!
Kommende Völker, umschließet mein Schoß,
Mächtig entfaltet
Sich euer Reich.
Einig erhaltet,
Kinderlein, euch!
Ehret die Mutter, sie machet euch groß.«
Alle Bienen hielten still in der Arbeit ein. In Ehrfurcht neigten sie das Haupt. Unwiderstehlich erfaßte sie das Lied der Mutter und Königin. Alle gelobten Liebe und Treue.
Nach kurzer Zeit erhob sich diese junge Königin, blickte über die Menge und sprach: »Ich habe meinen hohen Beruf erfaßt, ich gehe frohgemut meiner Bestimmung entgegen. Treu will ich ihn erfüllen, wie die Mütter, die vor mir waren, zum Segen aller, die nach mir kommen sollten. In der unendlichen Zahl der Geschlechter bin ich das verbindende Glied vom Vergangenen ins Zukünftige. Wer von euch begleitet mich nun zum segensvollen Hochzeitsflug in die weite Welt hinaus?«
Sogleich schlossen sich Tausende mit Heil- und Hochrufen an, und die Zurückbleibenden sandten dem Schwarm herzliche Glückwünsche nach.
Max beobachtete auch diesen Auszug mit Interesse, und mit Bedauern hörte er noch seine Freundin, die ihm als Luftschiff dienen wollte, zurückrufen:
»Leb' wohl, Kaiser Butziwackel!«
»Ach«, seufzte er betrübt, »wann werde ich nun mein Haus Wiedersehen!«