Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Das Kriegsgericht.

Die fünfbeinige Ameise schüttelte sich stöhnend den Staub ab, stellte sich inmitten der Versammlung und rief mit zornbebender Stimme:

»Es wäre gut, so sage ich euch, diesem General mit dem Hanfpanzer den Prozeß zu machen, ehe man ihn tötet.«

Max hatte im ersten Augenblick Hoffnung geschöpft, seine Lage könnte sich verbessern, jedoch seine Täuschung währte nicht lange.

»Wie ihr seht«, so fuhr die Ameise fort, »bin ich eine von denen, die dem Feind entgegengeschickt wurden, um ihn von unserem Heer abzulenken.«

»Vortrefflich!« rief der Rote General; »was bringst du Neues? Wie kommt es, daß du allein bist?«

»Ach«, sagte mit bitterer Miene die Ameise, »die andern Kameraden sind alle gestorben und verdorben und längst verdaut.«

»Verdaut? Was soll das heißen?«

»Fragt den Hanfgeneral! Er weiß es.«

Max hielt es für klug, zu schweigen.

»Stellt euch vor«, begann die Klägerin und diesmal mit verächtlichem Ausdruck, »daß dieser Tropf sich mit einem Dutzend Bombardieren verbündet hatte. Verräterisch standen sie an der großen Kürbishalle, und kaum hatten wir uns dorthin gewendet, beschossen sie uns dermaßen mit Gas, daß die ganze Kolonne sofort betäubt niederstürzte. Ich selbst bin wie durch ein Wunder entkommen, zwar nicht heil, aber doch lebend. Diese elenden Bombardiere stürzten sich sofort auf die Gefallenen, um sie zu fressen. Sie waren bereits gesättigt, bis sie an mich kamen, und rissen mir nur noch ein Bein aus.«

Ein Schrei der Entrüstung ging nach diesem Berichte durch den versammelten Rat der Roten.

»Was!« rief der General zu Max gewendet. »Das hast du getan? Du, der du zu einer Ameisenart gehörst, die uns Barbaren und Räuber schimpft! Anstatt offen und ehrlich zu kämpfen, hast du zu der gemeinsten und unwürdigsten List gegriffen! Hast dich nicht entblödet, mit den Käfern, diesen Kannibalen, ein Bündnis zu schließen!«

Max wollte erwidern:

»Auch die Menschen schließen im Kriegsfall Bündnisse mit andern, die nicht zu ihrer gleichen Rasse gehören.«

Allein er wußte ja bereits, daß das Beispiel menschlicher Sitten und Gebräuche auf die Ameisen keinerlei Eindruck macht.

»Wir sind ein Räubervolk«, rief der Rote General, »aber zu solchen Gemeinheiten verstehen wir uns niemals!«

Die hinkende Ameise nahm jetzt wieder das Wort:

»Das ist noch gar nichts!« rief sie. »Ihr müßt wissen, daß ich auf der Flucht aus jenem Gemetzel diesem Schlingel mit seinem Heer begegnet bin. Ich versteckte mich hinter einem Stein, und ich habe gehört, daß er sich zum Oberhaupt aller Ameisen ausrufen ließ mit dem Namen: Kaiser Butziwackel der Erste!«

»Ausgezeichnet! Butziwackel der Erste!« rief hohnlachend der General der Roten.

»Du hast also versucht, unsere gesellschaftliche Ordnung aufzuheben, in der alle gleich sind mit denselben Rechten und Pflichten.«

Die Ameisen, die Max im Kreise umstanden, waren bei dieser Mitteilung vollständig fassungslos. Max begriff jetzt, daß es unmöglich sei, mit menschlichen Gedanken und Vorstellungen unter Ameisen auszukommen und zu leben.

Allein für ihn war sowieso keine Rettung mehr vom Tode!

Was lag ihm auch noch daran, nachdem er mit Grauen das Unglück überschaute, das sein Ehrgeiz angerichtet hatte! Was bot ihm das Leben, nachdem seine liebe Fuska enthauptet war und der beste, größte Lehrer der Ameisen seine letzten Worte gesprochen hatte!

.

Er war bereit, zu sterben. Doch seine mutige Ergebung wurde durch den Roten General schwer erschüttert, der also anhub:

»Hört es alle an! – Dieser Wahnsinnige hat sich unbeschreiblicher Verbrechen schuldig gemacht, darum sei auch seine Strafe eine unerhörte. Ergreift ihn, zwickt ihm nach und nach alle Beine ab, dann die Fühler; sein Kopf soll zuletzt fallen, damit er noch mit eigenen Augen seiner Strafe zusehen kann!«

Max war bei der Vorstellung einer solchen Tortur nahe daran, ohnmächtig zu werden.

Mühsam erhob er sich auf seine Hinterbeine und rief flehend:

»Jawohl, ich bin schuldig; ich erkenne alle meine Fehler. Tötet mich, aber laßt mich nicht so grausam leiden!«

Helles Hohngelächter gellte von allen Seiten. Man warf ihn zur Erde. Zwei Henker ergriffen seine Hinterbeine; sie zogen aus Leibeskräften, aber die Beine saßen fest und ließen sich nicht ausreißen. Zwei andere zerrten an dem mittleren Beinpaar, das ohne Schwierigkeit vom Leibe brach. Max aber schrie seine Henker in dieser unerhörten Lage an:

»Mörder! … Diebe! … Schurken!« …

Doch merkwürdig. Der Verlust der beiden Beine hatte Max gar nicht wehe getan, und auch nach dieser Verstümmelung fühlte er sich noch im Vollbesitz seiner Kräfte. Sodann wollten die beiden Henker seine Vorderbeine abreißen, aber diese saßen sehr fest, so daß der Rote General, als er die unnütze Anstrengung seiner Diener sah, ganz wütend wurde und ausrief:

»Ihr Trottel seid zu nichts zu gebrauchen! Fort, laßt mich selber machen! Ich will doch sehen, ob ich diesem Teufel nicht mit einem einzigen Biß den Kopf abtrenne!«

Verwegen näherte er sich Max. Noch aber hatte er keine drei Schritte getan, als er wankend ausrief:

»O weh! Das ist mein Tod!«

Wie Max das hörte, glaubte er, den General hätte ein Schlaganfall getroffen, und er wollte schon der göttlichen Vorsehung dafür danken; jedoch es war nicht dieses. Eine fremde Person erschien plötzlich, die, wie es schien, auch ihrerseits an dem gräßlichen Werke der Hinrichtung teilnehmen wollte und blitzschnell über den Roten General hergefallen war. Mit verdüsterter Miene murmelte Max:

»Ich bin vom Regen in die Traufe gekommen!«


 << zurück weiter >>