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5. Max war Ei, Larve und Puppe. Nun ist er weder männlich noch weiblich.

Fuska führte Max zu einer Saalecke, wo in langen Reihen höchst eigenartige Geschöpfe standen. Nein, wie sie doch aussahen! Oben waren sie dünn wie ein Fädchen, schwollen nach unten langsam an wie eine dicke Träne, die aus dem Auge rollt. Im Fallen wird sie dicker, und wenn sie über ein ungewaschenes Kindergesichtlein rinnt, nimmt sie eine schmutziggraue Farbe an. Gerade solche Färbung wiesen diese Wesen auf. Wie in einer Schule waren sie in Reihen nach der Größe aufgestellt. Beim Nähertreten bemerkte Max, daß die Dinger winzig kleine Köpfchen, aber weder Augen noch Füße hatten. Fast sahen sie aus wie eine Reihe von Zipfelmützen, die mit Lumpen ausgestopft und unten zugenäht sind. Max mußte bei diesem ungewohnten Anblick unbändig lachen.

»Sehr geehrte Larven«, so redete er sie an und hob dabei seine Fühler hoch, »wieviel Hörner strecke ich?«

Einige erwachsene Ameisen sahen ihn verweisend an.

»Wie magst du dich über unsere Kleinen lustig machen?« sprach Fuska. »Hast du doch selbst vor kurzer Zeit nicht anders ausgesehen!«

»Wie?« erwiderte Max; »bin ich auch so häßlich, so lächerlich gewesen?«

»Und nur unserer Hilfe hast du es zu verdanken, daß du in diesem Zustande nicht elendiglich zugrunde gingst!«

In der Tat konnte Max zusehen, wie die großen Ameisen sich mühten, diese Larven zu päppeln und sie mit zärtlicher Pflege zu umgeben.

Nun war er ganz kleinlaut geworden, der übermütige Max.

»Wie lange bleibt man denn in diesem Zustande?«

»Je nachdem. Manche sind in vier Wochen fertig, andere brauchen zu ihrer Entwicklung neun Monate.«

»Und ich? Habe ich so lange gebraucht?«

»Nun, du hattest es eilig. In zwanzig Tagen warst du schon aus der Larve eine Puppe geworden.«

»Herrje! Eine Puppe!«

Nun, drängte Fuska ihn zu den hintersten Reihen, damit er genau die Tierchen in ihrer zweiten Verwandlung sehen könne. Wie entsetzlich schwer es aber für Max war, vor Fuska zu verbergen, daß ein neuer Lachkrampf bei ihm auszubrechen drohte, ist nicht zu sagen.

»Das heißt man Puppen!?« kicherte Max mit mühsamer Zurückhaltung, denn er mußte sich fest auf die Lippen beißen und ein Füßchen vor den Mund drücken, um nicht herauszuplatzen vor Lachen. Diese trottelhaften Dinger reizten wirklich dazu.

Waren denn das Ameisen? An den weichen, weißlich gelben Körper hatten sie Beine und Fühler eng angezogen, und so lahm lagen sie da, als hätte man sie eben durchs Öl gezogen.

»Also, so soll ich ausgesehen haben?« sagte Max, der sich endlich zu einem artigen Ton gefaßt hatte.

»So sahst du aus. Und wie sie, hast auch du eines Tages aufgehört zu essen, und obwohl es nicht alle Puppen so machen, hast du dich selber in ein Knäulchen eingesponnen und versteckt, und als du zu dem vierten Grade deines Lebens reif geworden warst, hast du angefangen zu nagen in deinem Knäulchen, und ich habe dir geholfen herauszukommen.«

Max starrte Fuska mit seinen sämtlichen Augen an und rief: »Ich glaubte, Ameisen kämen zur Welt als richtige und fertige Ameisen.«

»Wir Insekten sind allen jenen Verwandlungen unterworfen, die dir so wunderbar scheinen. Du wirst im Leben noch deren andere, viel merkwürdigere sehen.«

»So bin ich also Ei gewesen, habe mich in eine Larve verwandelt, bin Puppe geworden und habe als solche ein Knäulchen gesponnen.«

»Und dies Knäulchen«, so sagte Fuska überlegen, »das nennen die Menschen irrtümlich ein Ameisenei.«

»Kann schon sein«, sagte Max. »Wie ist es nur möglich, daß ich mich gar nicht daran erinnere, das alles getan zu haben!«

»Das glaube ich gerne; in jener Zeit war dein Körper unentwickelt und dein Verstand erst im Werden.«

Diese Begründung leuchtete Max wohl ein.

Eigentlich, so dachte er sich, machen auch die Menschen eine Reihe von Verwandlungen durch, von der Zeit an, wo sie als kleine Wickelkinder mit rotem Köpfchen und dickem Bäuchlein zur Welt kommen und gepäppelt werden müssen, bis zu ihrem vollkommenen Zustand, wo sie Schnurrbart und Backenbart tragen. In diesem Augenblick gab es eine neue Überraschung.

Jene geflügelte Ameise war inzwischen mit Eierlegen fertig geworden. Nun sah man sie im Winkel dort mit einer, wie es schien, schmerzhaften Arbeit beschäftigt, denn sie strich sich gewaltsam heftig mit den Beinen über den Rücken und stöhnte laut dabei:

.

»Ach, ach, ach!« Mit den Beinen stieß und drängte sie ihre vier geöffneten Flügel, bis es schließlich gelang, sie abzureißen. Dann seufzte sie tief auf und stöhnte erleichtert:

»Gottlob, das hätten wir hinter uns!«

Alle im Saale Anwesenden riefen ihr im Chore zu: »All Heil!« und »Hurra!« und »Wir gratulieren dir!«

»Hörst du«, sagte Max neugierig, »sie gratulieren. Hat sie Geburtstag?« – Dabei schaute er mit seinen drei einfachen Augen voll Verwunderung und mit den hundertzwanzig zusammengesetzten fragend und neugierig um sich.

Bereitwillig erklärte Fuska weiter:

»Dies ist eine weibliche Ameise, wie ich dir schon sagte. Die meisten unserer jungen Ameisenmädchen suchen sich in der Luft einen Bräutigam, um Hochzeit zu halten. Diese hat aber ihr Fest in der Nähe des Hauses unter unserer Aufsicht in Gras und Blumen gehalten. Wir haben sie dann nach Hanse zurückbegleitet, und weil sie eine kluge Frau ist, entledigte sie sich eben ihrer Flügel. So kann sie nicht mehr in Versuchung fallen, eines Tages fortzufliegen, bleibt dafür hübsch gut versorgt bei uns und schenkt uns ihre Eier, um unsere Familie groß und stark zu machen.«

Verwirrt von soviel Neuem mußte Max ein bißchen ausruhen und darüber nachdenken. Nun wandte er sich wieder an Fuska:

»Wie kann und mag man denn in der Luft Hochzeit halten? Das verstehe ich nicht.«

»Es ist eben so.«

»Liebe Fuska, ich habe ja keine Flügel, wie soll dann ich um Himmels willen einmal in der Luft meine Hochzeit halten?«

»Was kümmert dich das? Männlein und Weiblein haben ja ihre Flügel.«

Nun glaubte Max aber wirklich verrückt zu werden. »Weibchen haben Flügel. Gut. Männchen haben Flügel. Noch besser. Aber, darf ich fragen, was sind dann wir beide eigentlich? Ich und Sie, wir haben keine Flügel, ich begreife nicht …«

»Das ist sehr einfach: wir sind weder männlich noch weiblich.«

»Waaaas???«

»Wir sind geschlechtlose Wesen.«

Wäre Max nicht von so dunkler Hautfarbe gewesen, hätte Fuska sehen müssen, wie er erblaßte. Wie ein frischgewaschenes Leintuch, so weiß, hätte er wohl ausgesehen. Es fuhr ihm durch alle Glieder. Bis jetzt hatte er für einen tüchtigen Buben gegolten, der ein großer Mann werden konnte. Wäre er als Ameisenmädchen geboren worden, er hätte sich in Gottes Namen darein gefügt. Aber nichts zu sein, weder Mann noch Frau, das war ja nicht zu ertragen. Im Ausbruch einer wilden Verzweiflung schrie er Fuska an:

»Ich will nicht geschlechtlos sein! Ich will nicht, ich mag nicht. Ich bin ein Mann und will einer bleiben. Der Alte mit dem grauen Rock hatte kein Recht, aus mir zu machen, was ihm beliebte! Wenn er ein gerechter Mann gewesen wäre, hätte er mich erst fragen müssen.« Weinerlich bettelte er jetzt: »Ich will ein Mann sein, liebe Fuska, ich will Flügel haben! Kannst du mir nicht die Flügel ankleben, die von dem Weibchen dort abgeworfen wurden?«

Fuska tröstete ihn liebevoll.

»Dein kindliches Verlangen ist zu verstehen; leicht beneidet man diejenigen, die uns glücklicher scheinen, als wir es sind. Aber glaube mir, wenn man solche Leute oft näher kennenlernte, würde man froh sein um das, was man ist, und Gott dafür danken.«

Allein Fuska hatte gut reden. Max traf dieser Schlag zu schwer. Wie vorhin, als er vom Beginn eines Unterrichts hörte, spürte er eine angstvolle Bangigkeit, die ihm den Hals zuschnürte. Tiefunglücklich schlug er sich mit dem rechten Vorderbeinchen vor die Stirne und stützte so seinen Kopf. Das Weinen war ihm näher als je.

Aber auch diesmal bezwang er den ungeheuren Schmerz mit seiner Vernunft; er besann sich eines Bessern. Tränen weinen aus hundertdreiundzwanzig Augen, nein! Das hätte eine schöne Überschwemmung gegeben.


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