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28. Zwei Insekten finden ihr Haus wieder.

Es mußte sicher die Muskatellerrebe sein. Das Haus, an dem die Biene ihr Nest gemauert hatte, mußte seine Heimat sein.

Weshalb denn? Nun deshalb, weil Max sich nach dem Nest der Maurerbiene erkundigt hatte, um ein gutes Werk zu tun. Gute Taten aber lohnen sich immer. Und noch ein anderer Grund: Max hatte an seine Mutter gedacht, sich ihrer Mahnungen erinnert und war jetzt voll Eifer, sie zu befolgen. Wenn ein Kind sich so gut benimmt, kommt immer etwas Rechtes dabei heraus.

»Ich scheide nun«, sagte Max zu den Hummeln, »mit einem Herzen voll Dankbarkeit gegen euch. Ihr seid liebe Geschöpfe, und eure Güte ist so groß, daß ihr selbst nicht wißt, wie vielen Unglücklichen ihr mit euren Wohltaten Trost spendet. Denn seht, die Barmherzigkeit, die ihr an der armen Maurerbiene übtet, bringt mir das unnennbare Glück, meine Heimat wiederzufinden. Darum muß ich euch doppelt dankbar sein!«

Max hatte recht. Das ist die wunderbare Kraft der Nächstenliebe, daß ihre Wirkungen weiter gehen, als jene ahnen, die Gutes tun. Darum erntet auch ein Mensch, der seine Mitmenschen wirklich liebt und dem Bedürftigen Wohltaten spendet, so vielen Dank, und der Segen der Armen und Notleidenden strömt ihm zu und beglückt ihn wie den Wanderer der Duft der Blüten, ohne daß er selbst wüßte, wie er so viel innere Freude verdient hätte. Voll Mut und Vertrauen folgte also Max dem Weg, den ihm die Biene gewiesen hatte. Er ging, ohne sich zu verweilen, rüstig vorwärts. Die Straße war gut, und kein Hindernis stellte sich ihm diesmal in den Weg. Als er fast den ganzen Tag marschiert war, befand er sich endlich vor seinem Hause.

Es war wirklich sein Haus. Wer könnte beschreiben, liebe Kinder, mit welchen Gefühlen Max die zwei Stufen emporkletterte, die er an jenem denkwürdigen Julimittag, mit der lateinischen Grammatik in der Hand, in Gesellschaft der Geschwister herabgestiegen war!

»Was ist aus Moritz und Therese geworden?«

Das war eine brennende Frage, auf die er keine Antwort wußte.

Erfährt er etwas darüber, wenn er ins Haus eintritt? Aber so groß auch sein Verlangen war, erst wollte er der Biene, die ihm unverhofft so unendlich nützlich gewesen war, sein Versprechen einlösen.

Es war ihm wie ein Gelübde, das er zu erfüllen hatte. Er krabbelte an der geschlossenen Haustüre hinauf, lief kreuz und quer an der Vorderwand des Hauses herum, um das Nest zu finden, das er wiedererobern wollte. Ganz oben, unter dem Dache, sah er ein solches, das sicher von einer geschickten und starken Maurerbiene gebaut worden war. Es bestand aus Tonerde und sah sich von außen an wie ein schwach gebogenes Rohr, das aus der Mauer herauswächst. Eben schlüpfte eilig ein geflügeltes Insekt hinein, das eine arme Raupe mit den Vorderbeinen an seine Räuberbrust drückte und mithineinschleppte. So rasch er konnte, rannte Max zum Eingang der Röhre und rief hinein:

»Ist jemand zu Hause?«

Sofort ließ sich im Innern ein zorniges Kreischen und Schelten hören. Gleich darauf erschien die rechtmäßige Besitzerin an der Schwelle des wohlgebauten Häuschens.

Wäre unser Held nicht rasch beiseite getreten, das Insekt, blind vor Zorn, hätte ihn über den Haufen gerannt. Das Nest, an das Max geraten war, gehörte einer Mauer-Lehmwespe. Dieses ist ein kräftiges Insekt, dabei aber mißtrauisch und zornwütig im höchsten Grade. Nur wenig entfernt von dieser Stelle erblickte Max ein anderes Gebäude, das von außen genau aussah wie eine Handvoll Schlamm, der an die Mauer gepappt war. Als er es aber näher betrachtete und sich dabei der Beschreibung erinnerte, die die Biene ihm von ihrem Haus gemacht hatte, erkannte er, daß er jetzt gefunden hatte, was er suchte. Er entdeckte den Eingang, näherte sich ihm und hörte jemand drinnen summen. Mit Geduld bewaffnet und seine scharfen Zangen in Bereitschaft, stellte er sich hier auf und wartete. Die Sonne war schon untergegangen, und Max stand seinem Worte getreu noch da, um den Dieb, sobald er herauskäme, zu fassen. Endlich kam das Gesumme näher, die Biene zeigte sich an der Türe des geraubten Hauses. Mit sicherem Sprung saß er ihr auch schon auf dem Rücken, ergriff sie mit den Kieferzangen beim Kopf, umschlang mit vier Beinen ihre Flügel und den Leib, und wie er sie so kräftig unter sich gebracht hatte, daß sie sich nicht mehr rühren konnte, sagte er spöttisch:

»Sie entschuldigen wohl gütigst, ich komme nur, um den Mietzins für das Haus einzutreiben.«

Die Biene drohte mit ihrem Stachel. Aber Max biß ihn schnell mit seinen Zangen ab und rief dazu:

»Tut mir leid, aber es muß sein. Sie haben keine Erlaubnis, Waffen zu tragen!«

Auf diese Weise hatte er sie unschädlich gemacht; jetzt ließ er sie los und sagte ihr verächtlich:

»Mach, daß du schleunigst fortkommst, und lasse dich hier nicht mehr sehen. Sei froh, daß ich dir nur den Stachel nehme. Ohne ihn wirst du deine frechen Räubereien in Zukunft wohl unterlassen.«

Die freche Landstreicherin verlangte nichts mehr und flog davon. Max aber vernahm eine Stimme:

»Du liebe Ameise, laß dich umarmen!« Sie kam von der rechtmäßigen Nestbesitzerin. Diese war von den Hummeln weggeflogen und hatte schon wieder angefangen, sich in der Nähe ein neues Nest zu bauen. Aufmerksam geworden durch die laute Zänkerei, war sie zufällig Zeugin des ganzen Vorfalls zwischen Max und der bösen Biene gewesen.

»Siehst du, daß ich fähig war, mein Versprechen zu halten«, sagte Max. »Jetzt kannst du wieder dein Haus beziehen ohne Furcht und Bangen, und deine Feindin wird dir die Arbeit nie mehr vereiteln.«

Hierauf krabbelte unsere brave Ameise die Mauer hinab und ging der Haustüre zu. –

»Und die Muskatellertrauben?« so werden die Leser mit wässerigem Mund fragen.

Nun, die bleiben, wo sie waren.

Maxens Sinnen und Trachten war ganz darin aufgegangen, der armen Maurerbiene zu ihrem Rechte zu verhelfen. Als er das getan hatte, fühlte er nur den einen Drang, in sein Haus hineinzukommen. Darum fiel es ihm heute auch gar nicht ein, die Muskatellertrauben zu versuchen, an denen er früher als Kind tagtäglich genascht hatte.


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