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Am folgenden Tag beim Morgengrauen versammelte Max alle erwachsenen Ameisen im großen Saale, und mit dem schnarrenden Befehlston eines Offiziers, der das Kommandieren längst gewöhnt ist, sagte er ohne Umschweife:
»Ich teile euch mit, daß ich heute morgen einen Angriff auf die Roten Ameisen beabsichtige und ihnen eine Feldschlacht liefern will.«
Der Professor schüttelte höchst mißbilligend den Kopf und sprach ernst:
»Auf solche Weise verlassen wir das gute Recht und stellen uns auf die Seite des Unrechts. Gestern handelten wir in gerechter Notwehr, heute dagegen wollen wir bösartige Angreifer werden.«
Eifrig hielt Max eine Gegenrede:
»Wir müssen entschieden dem Handel ein kurzes Ende machen, sonst kann aus dem glorreichen Siege, den ich euch gestern erstritten habe, keine Gewähr für eine sichere Zukunft erstehen.«
»O weh!« warnte der gute, weise Lehrer.
»Du beginnst bereits, uns deine geleisteten Dienste vorzuzählen und zu prahlen, weil du deine Pflicht erfülltest!«
»Ach was, Pflicht«, versetzte Max unwirsch; »hätte ich nicht meinen Mann gestellt, weiß Gott, wie es heute um euch stünde! Kurzum, meine Anordnungen sind gegeben, ich werde mich in kurzer Frist mit meinem Heer in Bewegung setzen.«
Nun sprang der Professor aber zornbebend auf.
»Dein Heer? Dein Heer! Wer gibt dir, Unsinniger, ein Recht, über Leib und Leben deiner Kameraden wie über dein Eigentum zu verfügen? Hast du denn ganz vergessen, daß in unserem Staate alle gleich sind und jeder dieselben Rechte und Pflichten hat?«
»Wenn alle gleich sind«, antwortete Max hochmütig, »warum hat dann nicht ein anderer getan, was ich tat?«
Ohne weitere Einwände anzuhören, ohne selbst auf Fuskas entschiedenen Rat zu achten, verließ er den Saal und rief mit erhobenem rechten Vorderbein:
»Ob es euch zusagt oder nicht, – die Soldaten, die mich gestern kämpfen sahen, haben Vertrauen zu mir und werden mir folgen!«
Und unglaublich! Der größte Teil der Ameisen, berauscht vom Siege und der Aufregung des vorigen Tages, folgte mit Begeisterung Maxens Anordnungen.
Schnurstracks marschierte er mit seiner Streiterschar zum Tor hinaus und dachte: »Kein Zweifel, das Heer ist mir zugetan. Ich kann sicher auf dessen Treue zählen, und nach der siegreichen Rückkehr ist ein Staatsstreich unausbleiblich.«
An nicht allzu ferner Stelle kommandierte er »Halt!« Seine Soldaten stellte er in Reihen auf und verteilte Ämter und Würden. Dies wollte er tun, um ihren Ehrgeiz zu spornen, dann aber auch, um die einzelnen an sich zu fesseln, schließlich aber auch, um folgende Rede halten zu können:
»Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften! Ihr habt bereits Beweise eures Mutes gegeben; ich werde mit eurer Hilfe auch heute den Feind vernichten.«
»Hoch der General mit der weißen Fahne, hoch, hoch, hoch!« so schrien sie alle im Chor, und Max fuhr fort:
»Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften! Heute kann ich euch die besten Hoffnungen machen. Durch eine Überraschung wird uns der Sieg über die Feinde sicher sein. Bleibt hier in Bereitschaft und erwartet mich! Sobald ich zurückkomme, werden wir gegen den Feind anmarschieren!«
Nach dieser Rede übertrug er das Kommando an Dickkopf und Großzang, zwei verdiente Krieger, die er zu seinen Adjutanten erhoben hatte und in die er volles Vertrauen setzte. Dickkopf gehörte zwar nicht zu den Gescheitesten, besaß aber eine außerordentliche Kraft und Ausdauer. Großzang war mit zwei schrecklichen Kieferzangen bewaffnet. Er hatte nur einen Fehler, und zwar den, daß er nie satt werden konnte. Tag und Nacht quälte ihn der Appetit. Diese beiden tapferen Streiter hatten ihrem Führer Max schon derartige Beweise ihrer Ergebenheit geliefert, daß er sich unbedingt auf sie verlassen konnte.
Max begab sich zu dem bekannten Kürbisblatt, in dessen kühlem Schatten der gute Professor seinerzeit so warm für den Ameisenvölkerfrieden eingetreten war. Hier gerade traf General Butziwackel mit dem Käfer zusammen, mit dem er tags zuvor ein Bündnis für den Krieg geschlossen hatte.
»Gut, daß du da bist!« sagte er ihm. »Wo sind die andern Bombardiere?«
»Hier sind sie«, sprach der Käfer.
Max sah unter einem Blatt die Kameraden seines Verbündeten versammelt, überzählte sie und rief erfreut:
»Ihr seid ein volles Dutzend! Gut! Die andern stehen alle selbstverständlich unter deinem Kommando, nicht wahr?«
»Jawohl!«
»So passe jetzt mal gut auf! Ich bin der General, vorderhand wenigstens, später hoffe ich es noch weiter zu bringen; ich bin der General der Ameisen und Höchstkommandierender. Mein Heer ist ganz in der Nähe bereitgestellt, und ich werde es an den Feind heranführen! Sobald wir mit ihm in Fühlung geraten sind, üben wir einen Druck auf ihn aus, nach dieser Seite hin, verstanden? Sobald er in euer Feuerbereich kommt, kommandierst du sofort ›Feuer‹ und bum! bum! bum! schießt ihr alles ohne Gnade und Erbarmen über den Haufen!«
»Verlaß dich auf uns!« sprach der Herr Oberbombardier, – »sie sollen schwimmen in ihrem Blute!«
»Nun, guten Morgen und guten Appetit zur rechten Stunde!« rief Max und eilte zu seinem Heer zurück.
»Nichts Neues?« fragte er Großzang und Dickkopf.
»Zu Befehl, Herr General«, meldete Großzang, »in kurzer Entfernung von uns machte sich ein Fähnlein Roter bemerkbar, das gegen uns anzurücken schien. Als sie uns sahen, sind sie fluchtartig entwischt.«
»Vorwärts also! Wir spüren sie auf, umzingeln sie und drängen den Feind dorthin zu jenem Kürbisblatt.« – Er zeigte mit wichtiger Miene die genaue Stelle. – »Dort steht meine Artillerie. Bataillon! Vorwärts, marsch!«
Das Heer ging vor. Neben Max marschierte als Führer eine Ameise, die von der gestrigen Verfolgung her die Straßen genau kannte. Von dieser kundigen Ameise geleitet, gelang es in kürzester Zeit, das Feindesheer zu entdecken, das bereits den Kampf zu erwarten schien.
Mittels eines schlauen Manövers umging Max den Feind derart, daß er ihn im Rücken fassen und leicht nach der gewünschten Richtung drängen konnte. Der Gegner schien keine Ahnung von den Plänen des Feindes zu haben.
»Welch einfältige Kerle!« murmelte Max. »Sie haben keinen Begriff von Kriegskunst.«
Im geeigneten Augenblick ging er zum Angriff über. Die Roten versuchten keinen Widerstand, da sie höchstens zu fünfzig waren.
»Drängt sie vorwärts!« rief Max seinen Soldaten zu.
Doch es war unnötig. Als ob die Roten gar nichts Besseres wünschten, so ließen sie sich zum Kürbisblatt hintreiben. Nur hie und da schaute, in voller Flucht, einer um, ob man ihnen auch wirklich noch auf den Fersen sei.
Im selben Augenblick, als sie an dem Kürbisblatt ankamen, hörte man das laute Kommando:
»Feuer!«
Ein donnernder Schuß mit einer wohlgezielten Ladung folgte dem Kommando. Die Roten waren plötzlich in eine Rauchwolke gehüllt, deren ekler und scharfer Geruch ihnen den Atem raubte. Nochmal wiederholte sich das Kommando, und nochmal, dichter und heftiger, verbreitete sich der Dampf. Max hielt sein Heer an, zeigte seinen Leuten die dichten Gaswolken und rief:
»Dort stehen meine Bombardiere, die den Feind mit Kanonendonner empfangen!«
Jetzt begriffen alle, welch frohe Überraschung ihnen Max zum glücklichen Ausgang des Kampfes bereitet hatte; in unbändiger Begeisterung toste es durch das Heer:
»Hurra! Hurra! Hurra!«
Indessen drang aber der üble Dampf der Geschosse bis zu den eigenen Reihen. Max ließ darum eine Schwenkung nach links machen, und während die erstickten Roten im letzten Todeskampf zuckten, führte er seine Leute hinter einen Steindamm in Sicherheit, stellte sie in Reih und Glied auf und hielt folgende Ansprache:
»Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften! Ehe wir zu dieser Schlacht ausrückten, wollten sich einige alte Ameisen mit allen möglichen Behauptungen meinen Plänen widersetzen. – Und nun seht! Ein schöner, großer Erfolg krönt mein Werk. Dank den mächtigen Verbündeten, welche ich für unsere Sache zu erwerben wußte, ist unser Haus gerettet vor seinem unerbittlichen Erbfeinde!«
»Jawohl, jawohl!« riefen die Soldaten.
»Längst schon habe ich beobachtet«, fuhr Max mit sorgenschwerer Miene fort, »daß die Regierung unseres Staates eine recht mangelhafte und einseitige ist! Viel zu wenig persönliche Freiheit gewährt sie, viel zu wenig Fortschritt ist von ihr zu erhoffen. Fortschritt und Freiheit aber sind die zwei notwendigsten Dinge für eine moderne Ameise. Wenn die Gleichberechtigung aller Ameisen weiter besteht, dann werden wir auch ferner mit Altweibergeschwätz, mit veralteten Anschauungen und mit Kinderängsten zu kämpfen haben.
Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften! Ich schlage daher vor, daß ihr aus euren eigenen Reihen eine Ameise von Geist und Mut erwählt, eine Ameise, zu der ihr volles Vertrauen habt; daß ihr diese Ameise zu eurem Oberhaupte ernennt, zu eurem König oder, wenn ihr wollt, zu eurem Kaiser!«
»Jawohl, jawohl!« riefen alle zusammen.
»Kurz, es müßte eine Ameise sein von hervorragenden Gaben des Geistes und des Herzens wie zum Beispiel ich; eine Ameise, welche die Kriegskunst kennt, wie ich sie kenne; eine Ameise, die gegebenenfalls eine Schlacht zu gewinnen verstünde wie ich! Eine Ameise braucht ihr, die euch zum Ruhm zu führen weiß, wie ich es tat! Doch ich selbst mische mich nicht in eure Wahl. Ihr seid frei, zu wählen, wen ihr wollt und wer euch gefällt.«
Nach diesen Worten zog sich Max mit unglaublicher Bescheidenheit und edlem Anstand zurück.
Aber das Heer brach einstimmig in den Ruf aus:
»Max wollen wir wählen! Unsern Butziwackel mit dem weißen Fähnlein.«
Das ließ sich unser Held nicht zweimal sagen.
Würdevoll trat er vor seine Soldaten, grüßte, alle Reihen abschreitend, vornehm seine Truppen und erklärte feierlich:
»So nenne ich mich denn:
›Butziwackel I.,‹
Kaiser aller Ameisen.«
Und alles Volk rief:
»Hoch Kaiser Butziwackel I., hoch, hoch, hoch!«