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18. Der Überfall.

So war also Maxens Traum verwirklicht. Seinen Ehrgeiz wußte er vor sich selbst glänzend zu rechtfertigen, und er sprach still vor sich hin:

»Obwohl ich im Grunde nie große Lust zum Lernen hatte, bin ich doch stets ein gescheites Kind gewesen. Da ich Ameise geworden bin, finde ich es nur natürlich, daß ich es bei diesen kleinen Ameisen so bald schon zum Kaiser brachte.«

Wenn aber einer ein ehrgeiziger Streber ist, so trifft ihn todsicher die gerechte Strafe dafür. Der Ehrgeiz läßt sich nämlich niemals befriedigen. Sobald der Streber ein Ziel erreicht hat, steckt er sich gleich ein anderes, noch höheres. So kam auch unser Max nicht mehr zur Ruhe. Der Traum einer neuen, größeren Stellung lockte ihn; hinter dieser winkte eine noch größere Würde, und so immer weiter. Niemals würde er sagen können: »Jetzt ist mir's wohl! Ich bin froh und habe ein zufriedenes Gemüt.«

»Kaiser der Ameisen«, dachte Max eben bei sich, »das ist durchaus nicht mehr als ein Titel, der mir gebührt. Ich muß noch viel mehr werden! Die Ameisen sind nur ein Teil der großen Ordnung der Hautflügler. Wie wäre es, wenn ich das Oberhaupt der ganzen Ordnung würde? Und dann, nachdem ich schon ein Bündnis mit den Bombardieren geschlossen habe, könnte ich ja meine Macht über die Ordnung der Käfer auch ausdehnen. Und wer könnte in weiterer Folge etwas dagegen haben, wenn ich Kaiser über sämtliche Insekten der Welt würde? Ist vielleicht der Mensch nicht der Beherrscher der Tiere? Wenn schon also ein Menschenkind sich in ein Insekt verwandelt, so muß es zum mindesten danach streben, Kaiser aller Insekten zu werden!«

Vorderhand freilich mußte er sich begnügen, auf der immerhin sehr erhabenen Sprosse in der Leiter seines Ruhmes zu stehen; der Ehrgeiz aber riß seine Gedanken und ausschweifenden Wünsche zur schwindelnden Höhe aller Ehren und Würden empor. Im Tone gnädiger Herablassung sprach er zu seinen Leuten:

»Gut, gut! Ich will den Titel eures Kaisers annehmen; doch wird es der Form halber gut sein, in mein Reich mit euch zurückzukehren, um dort in aller Feierlichkeit von meinem erhabenen Amte Besitz zu nehmen.«

Ganz leise fügte er für sich hinzu: »Was für ein Gesicht wird wohl der einfältige Professor mit seinem unnötigen Latein dazu machen? Der wird sich hübsch ärgern!« Mit kühnem Blick überflog er noch einmal das Schlachtfeld. Dort vergnügten sich die Bombardiere daran, die Roten Ameisen, welche im Gasdampf erstickt waren, laut schmatzend aufzufressen. Max aber verlor für solchen ekelhaften Anblick keine Zeit; er stellte sich an die Spitze seines Heeres und führte es zum Ameisenhaus zurück. Vor dem Eingang blieb er wie angewurzelt stehen. Ein kalter Schrecken überfiel ihn.

»Was ist hier los?« rief er bestürzt.

Es mußte etwas Schlimmes geschehen sein. Schon das Äußere machte einen unordentlichen Eindruck. Der ringsum aufgeführte Schutzdamm war teilweise zerstört, der Gang ins Innere da und dort schwer beschädigt. Max stürmte voll böser Ahnungen mit seinem Generalstab ins Innere. Im großen Saal befand er sich zu seinem maßlosen Staunen von einer Menge Ameisen umringt, die er im ersten Schrecken gar nicht erkannte. Deutlich vernahm er sofort eine scharfe Stimme:

»Auf, ihr Leute! Sorgt, daß dies Heer nicht mehr hereinkommt!«

Diese Worte und verschiedene andere gefährliche Zeichen entschleierten plötzlich dem armen Max die entsetzliche Lage, in welcher er sich mit den Gefährten befand. Sein Reich, sein eigenes Reich war bereits von den Roten Ameisen besetzt! Er konnte weder das Wie noch das Woher verstehen, aber der Fall war so klar, daß kein Zweifel blieb. Während er in seiner Aufregung vergeblich nach einer Erklärung suchte, spürte er zwei fremde Fühler, die ihn zudringlich betasteten. Auf einmal schrie's mit höhnender Stimme:

.

»Aha, da haben wir ihn, den General mit dem Hanfküraß. Das ist der Held, der die großen Feldschlachten liefert!«

Voll Zorn schrie Max: »Das geht mir denn doch zu weit! Was soll das heißen?«

»Gleich erkläre ich es dir, hochberühmter Schlachtenlenker! Du dachtest uns daranzukriegen, und inzwischen haben wir dir ein Schnippchen geschlagen. Nach unserer gestrigen Niederlage hätten wir kaum mehr einen Angriff gewagt. Aber du bist mit deinem Heere ausgerückt, um die große Schlacht zu schlagen. Du wolltest uns angreifen. Wir waren durch unsere Spione über deine Absichten wohlunterrichtet und haben dir inzwischen hier im Hause einen schönen Empfang bereitet!«

Richtig. Max erinnerte sich, daß Adjutant Großzang ihm ein Fähnlein Roter Ameisen gemeldet hatte, die in der Nähe umhergeschlichen waren.

»Nachdem wir«, fuhr der andere fort, »unsere Erkundigungen durch Spione eingezogen hatten, schickten wir dir fünfzig Leute entgegen mit dem Befehl, dich um jeden Preis aufzuhalten und irgendwie zu beschäftigen. Das geschah. Während du die Fünfzig verfolgen ließest, sind wir mit ganzer Heeresmacht hierher marschiert, haben dein Reich, das du ohne Verteidigung zurückließest, überfallen, und jetzt …, nun, du wirst ja hören und sehen, was weiter geschieht.«

Der Sprecher befahl nun in völlig verändertem Tone:

»Bewacht diesen Gefangenen! Ich werde ihm zeigen, was wir Roten aus seiner Kriegskunst gelernt haben!«

Max stand wehrlos der Übermacht gegenüber. Den Sinn der letzten Worte verstand er bald nur zu gut. Aus den Bewegungen rings umher und aus den Kommandorufen, die er hörte, konnte er schließen, daß die Roten dasselbe Spiel wiederholten, das er selbst gegen sie gestern angewendet hatte. Während eine Abteilung Roter den Eingang verteidigte, marschierte eine andere durch den berühmten Regenwurmtunnel, um von hinten her in Maxens Regiment einzufallen und es zu vernichten. Einen Augenblick hoffte er, daß seine wackeren Soldaten dem Angriff widerstehen würden, und er verharrte in atemloser, gespannter Angst um die Seinen. Die Minuten schienen zur Ewigkeit zu werden. Da hörte er die Stimme von vorhin von der Höhe des Haupteinganges herunterschreien:

»Sieg, Sieg!«

Nun blieb dem armen Max keine Hoffnung mehr. Sein gutes Heer war geschlagen, alles war verloren. Geknickt beugte er sein Haupt, und so leise, daß niemand es verstehen konnte, flüsterte er:

»Jetzt ist's vorbei mit Kaiser Butziwackel I.!«


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