Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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3. Bemerkungen zu den Abenteuern des Spiegelschwaben.

Meine Vermuthung, daß es zur schwäbischen Iliade auch eine Odyssee gebe, ist eingetroffen; und ich war in meinen antiquarischen Nachforschungen so glücklich, eine ziemlich gut erhaltene Handschrift zu bekommen, welche ich denn hiemit, in treuem Abdruck, meinen Lesern übergebe, verhoffend, daß ihnen die Wanderungen des Spiegelschwaben ein nicht geringeres Vergnügen machen werden, als die »Abenteuer der sieben Schwaben«.

Den Verfasser dieser, in ihrer Art einzigen Epopöe auszumitteln, wird schwer, wo nicht gar unmöglich sein. Keinem Zweifel unterliegt es aber, daß es einer und derselbe sei, der beide Gedichte, oder, wenn man so will, Geschichten erfunden hat. Es läßt sich dies schon aus der Gleichheit des Stils und der Sprache, wie der nationalen Gesinnung abnehmen. Die Zeit der Abfassung möchte ich jedoch hieraus nicht bestimmen, da, wie ich schon anderswo bemerkt habe, eine Ueberarbeitung überall sichtbar ist, und die ursprüngliche Form durch Verwischung des Dialects und Uebertragung ins Hochdeutsche theilweise sehr gelitten zu haben scheint.

Künftigen Kommentatoren dieses National-Epos sei es auch überlassen, zu untersuchen und zu bestimmen, ob (was mein altdeutscher Freund vermuthet) der Verfasser den Homer gekannt habe, und ob er damit wol gar dessen unsterbliche Gesänge habe parodiren wollen? Ich wenigstens glaube, daß eine solche Behauptung zu gewagt sei. Denn obwol z. B. unter den homerischen Helden einzelne, nicht zu verkennende Gegenstücke an den sieben Schwaben nachzuweisen sind, ein Agamemnon-Allgäuer, ein Achilles-Blitzschwab, ein Thersites-Knöpfleschwab u. s. w.; und obgleich vorzüglich in dem Charakter, den einzelnen Verhältnissen und Abenteuern des Spiegelschwaben anfallende Reminiscenzen und Allusionen aus Odysseus, seine Penelope, und auf so manches Abenteuer desselben, als mehr oder minder klar, zu entdecken sind: so sind das doch lauter Einzelnheiten und Zufälligkeiten, die meines Erachtens zu einem solchen Urtheile keineswegs ermächtigen; zumal, da es den literarischen und kritischen Standpunkt ganz verrücken würde, woraus man diese, so wie ähnliche Volksgeschichten beurtheilen soll. Halten und nehmen wir das Büchlein geradezu für das Product eines einfältigen Mönchs, der, aus der Einsamkeit seiner Zelle, die Welthändel und Weltmenschen in der camera obscura seiner Phantasie vor sich spielen läßt, um jene, die Welt, noch mehr verachten, und diese, die Menschen, bei all ihren Thorheiten, noch mehr lieben zu lernen.

Was nun insbesondere den zweiten Theil dieser in ihrer Art einzigen Epopöe und dessen Helden anbelangt, so wird dem Kenner alter Volksgeschichten sogleich ein ergötzliches Gegenstück beifallen, das aber eben nur als solches, nicht etwa als Vorbild des letztern gelten mag. In der That ist der Spiegelschwab ungefähr ein oberdeutscher Eulenspiegel, der dem niederdeutschen an schalkhafter Laune nichts nachgibt. Zugleich aber stellt sich ein wesentlicher Unterschied zwischen beiden heraus, so daß, wenn man einmal solche Käuze der Lust wegen sich vorhalten möchte, die Sympathie sich ohne Widerrede dem letztern zuwenden müßte. Der niederdeutsche nämlich erscheint als ein arglistiger, heimtückischer, unflätiger Geselle, der seine Freude hat an dem Schaden Anderer, und um dieses Schadens willen, wie ein boshafter Kobold, die Leute geckt und neckt. Der oberdeutsche dagegen übt reinen Spaß um des Spaßes willen; er ist gemein, ja niedrig, aber nicht grob, nicht niederträchtig; er lügt und trügt, aber aus Instinct, nicht aus böslicher Absicht; er ist immer bereit, Andere zum besten zu haben, aber er versteht auch Spaß über sich selbst, und ist nicht ungehalten darüber, wenn man den Scherz sogar fühlbar und handgreiflich macht. Es leuchtet aus seinen Reden und Handlungen, bei aller Schalkhaftigkeit, immer eine gewisse Gutmüthigkeit hervor, und seine heitere frohe Laune verläßt ihn niemals, ungeachtet so mancher herben Erfahrungen. Um dieses guten Humors willen, der eben nur ein unterhaltendes Spiel mit sich und Andern treibt, kann ihm keine Posse mißdeutet oder verargt werden, zumal da er gelegentlich wol auch sich selbst auf den Pranger und zur Schaulust anstellt. Sogar seine entschiedene, feindselige Richtung gegen das Frauenvolk, die allein ihn sonst widerlich, ja ekelhaft machen müßte, erscheint doch nur als Maske, womit er, komisch genug, sich selber zu täuschen sucht. Offenbar will er für die Unbilden, die ihm, wol nicht ohne eigene Schuld, von seinem ehelichen Weibe widerfahren, sich schadlos halten durch einen geheuchelten Haß gegen das ganze Geschlecht, der aber, ohnehin nur in Worten sich rächend, unwillkürlich den Stachel gegen sich selbst kehrt.

Wir wollen aber unsern gebildeten Lesern in ihrem Urtheile über den ästhetischen und moralischen Werth dieser Geschichte keineswegs vorgreifen. Wol aber sei es uns erlaubt, zur Bekräftigung unsers Urtheils, aus der kritischen Abhandlung, welche der Handschrift beigebunden war, und aus der Feder eines vor-Gottschedischen Kritikers geflossen zu sein scheint, einen Auszug zu geben und anzufügen:

»Der Scopus der Geschichte, sagt der ehrliche Autor, sei augenscheinlich kein anderer, als zu zeigen, wie elend ein Mann sei, ohne ordentliche Hausfrau, die ihn vor allen Extravaganzen bewahre und in Züchten und Ehren erhalte. Das sehe man an dem Spiegelschwaben als einem augenfälligen Exempel, indem er bei aller Indole animi und Sagacitate ingenii als gemeiner Landstürzer und Vagabund, ein jämmerliches, unstätes Leben führe, und mancherlei Gefahren des Leibs und der Seele ausgesetzt sei. Was die Inventionem anbelange, so fehle es ihr weder an Simplicität, da sich die ganze Handlung so ziemlich um alltägliche Bedürfnisse und Ereignisse drehe, noch aber an ergötzlicher Abwechselung, da auf dem Scenario, wie in einem Guckkasten, verschiedene Oerter und Leute erscheinen, und man sich, so zu sagen, immer in eine neue Welt versetzt zu sein glaubt. Auch die Dispositio sei recht gut, immaßen es die sicherste und beste Norma einer Geschichte sei, daß man die Begebenheiten und Actiones secundum ordinem loci et temporis aufführe, weil dann der Leser dem Autori Schritt vor Schritt gemächlich folgen könne, ohne sonderliche Ermüdung und Ermattung des Verstandes und der Attention.

Ueber die Moralität der Geschichte äußert er sich folgendermaßen: »Man müsse vor Allem den Helden und die Hauptperson ins Auge fassen, und mehr darauf sehen, was er sei, als was er thue – quid sit, non quid faciat – woraus man erst recht die motiva und die Beweggründe seines Thuns und Handelns zu beurtheilen im Stande sei. Wenn man annehme und supponire, was ein Mensch in seinen Verhältnissen – ein böses Weib im Haus und kein Geld im Sack – Ruchloses anfangen könne: so müsse man sich vielmehr wundern, daß er nicht mehr Scandala begangen habe. Auch seien die Streiche, die er anfange, nicht allzeit ihm und seinem bösen Genio zuzuschreiben, sondern oft nur der Dummheit und Leichtgläubigkeit anderer Menschen, die, da sie sich auf plumpe Weise betrügen lassen, auch mit Recht Schande und Schaden davon hätten. Dem Autori selbst sei es keineswegs als Schuld zuzurechnen, wenn er den Spiegelschwaben als Fatznarren und Landstürzer beschreibe, wie er einer gewesen; vielmehr sei er hoch zu loben und zu preisen, daß er die Wahrheit und die identitatem characteris durchaus inne gehalten. Sodann sei sowol aus der Geschichte selbst, als aus den angehängten Sprüchen und adagiis viel Weisheit und Tugend zu erlernen, was man leicht finden könne, wenn man eben nur suchen wolle. Es arte der Held freilich mitunter bis zur Ruchlosigkeit aus, z. B. in der Geschichte mit dem Pfaffen und mit den Zigeunern. Es sei dies aber eben eine gar sinnreiche Erfindung des Autoris daß er das Maaß der Sünden voll werden lasse, damit den Sünder die Gnade um so sicherer ergreifen könne; was denn auch geschehen. Kurz – schließt der Beurtheiler – es ist ein gar sinnreiches Gedicht oder Geschichte, daraus man vieles Nützliche lernen kann, ohne lange Weile und Verdruß, was von Büchern, welche Frömmigkeit lehren wollen, nicht immer der Fall ist.«

Diese letztere Bemerkung hätte sich der ehrliche Mann ersparen können. Wol aber wird gern jeder Leser zugestehen – wenn doch die Moralität eines Helden in einem solchen Gedichte in Anschlag gebracht werden soll, – daß der Spiegelschwab, bei allen seinen Kniffen und Griffen, Ränken und Schwänken, ungleich noch sittlicher erscheine, als so mancher Tugendheld in ***schen und ähnlichen Romanen, die zur Erbauung und Ergötzung des gebildeten Janhagels geschrieben sind.

Schließlich ist zu bemerken, daß seit dem J. 1829, wo ich die Geschichte des Spiegelschwaben, nebst andern Historien, als Probeblätter zuerst mitgetheilt habe Scherz und Ernst. München, bei Jos. Lindauer. , mir noch eine andere Handschrift zu Gesicht gekommen ist, die ich denn auch zur Verbesserung und Ergänzung der ersten Ausgabe mit kritischer Umsicht benutzt habe. Leider aber ist das ohne Zweifel interessante Kapitel von der Hochzeit des Blitzschwaben, angeblich beschrieben durch den Adolphus, den fahrenden Schüler, hier ebenfalls lückenhaft befunden worden. Es schien darum rathsam, auch in dieser Ausgabe die Schilderung einer schwäbischen Hochzeit, wie ich sie selbst an Ort und Stelle aufgenommen, als Beilage anzufügen, und so den Mangel des ursprünglichen Textes mindestens durch das Bild eines ähnlichen Thatbestandes zu ersetzen.


Ende des zweiten Theiles.


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