Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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Beilage.

Die schwäbische Bauernhochzeit.

Ein Gemälde im Stile der niederländischen Schule.

Vor der Kirche ist schon Groß und Klein versammelt, neugierige Leutchen (der Verfasser darunter), um den Brautzug, der so eben herauskommt, gemächlich anzusehen. Die Musikanten, zwei Fideln sammt Brummbaß, eröffnen den Zug; voran die »Buben«, groß und klein, in Feiertagsröcken, einen Rosmarin auf dem Hute, im Gesichte Gesundheit, Muth und Frohsinn; zwischen ihnen und den Männern der Bräutigam, ein frischer, lebensmuthiger Bursche, mit einer Haltung und Miene, aus denen der Kampf zwischen frohem Leichtsinn und ernster Sorge sichtbar wird. Dann das liebliche Mädchenvolk, von dem Kinde herauf bis zur mannbaren Jungfrau, alle anständig und sittig in Kleid und Gebärde; hierauf, von den Matronen begleitet, die Braut – den Blick zur Erde gesenkt, um das naßgeweinte Auge zu verbergen, das in den feierlichen Augenblicken der Copulation mit Wehmuth auf die verlorne Jugend zurück, und mit Sorge auf das lange, bange Hausmutterleben vorwärts blickte; – eine schöne, jungfräuliche Gestalt, in einem schwarzen Kleide, mit weißer Schürze, den Rosmarinkranz auf dem entblößten Haupte, wie ein zum Tode geweihtes Opfer. »Gott sei mit dir! und Er gebe dir Trost und Kraft und Milde und Demuth; und Er lohne dich für deine Mühen und Schmerzen, die sich wie Nächte und Stürme in dein Leben hineinschleichen werden, mit recht vielen lichten und freundlichen Tagen, und mit der Liebe und Treue deines Mannes und mit der noch unendlich größern Freude an deinen Kindern!«

Der kürzeste Weg von der Kirche ist in das Wirthshaus, das daran liegt. Es scheint, als wenn der Ort schon begeistere; denn es poltert und lärmet die Stiege hinauf in den Soler, als wenn Alles losgelassen wäre, die Hölle selbst. Einzelne, tüchtig accentuirte »Juhhe!« begrüßen den Ort der Freude, und der Tanz des jungen, heitern Völkleins geht sogleich an, während die übrigen sich in und außer dem Hause zerstreuen.

Um zwölf Uhr gehen sie zu Tische, aber nicht, wie das liebe Vieh und vornehme Leute, sondern wie Christen, die, ehe sie die Gottesgabe empfangen, darum bitten. Männer und Weiber sitzen zusammen; bei jenen der Bräutigam, bei diesen die Braut – Alles in Züchten und Ehren . . . Nun gibt es in der Regel nichts Langweiligeres für einen Zuschauer, als ein Gastmahl während der ersten Gerichte; bei Bauernhochzeiten ist es aber anders. Wenn man diesen gesunden Appetit der Leute bemerkt; wenn man sieht, mit welchem Antheil Leibs und der Seele sie jeden Bissen zu Mund und Gemüthe führen; wenn man bedenkt, daß ihnen eine solche Tafelfreude schon um der Seltenheit willen doppelt theuer sein muß und auch wirklich ist; dann müßte man der gefühl- und appetitloseste Kerl von der Welt sein, wenn man ihnen nicht ein herzliches »Gott gesegn' es!« zuriefe, und alsobald, von gleichem Hunger angesteckt, hinab liefe in die Küche und sein Essen bestellte, wie z. B. ich jetzt thue.

Sobald es oben wieder zu fideln und zu stampfen beginnt (es ist Ein Uhr, Suppe und Voressen droben vorbei), so eile ich wieder hinauf zum Tanzplatz.

Braut und Bräutigam haben bereits, von einer Schranke von Zuschauern umgeben, ihre Stellung eingenommen, und Wind und Licht richtig verteilt. Ein Menuett beginnt. Der Bursche, in kecker, doch nicht frecher Stellung, die beiden Hände in die Seiten gestemmt, – das Mädchen sittsam, doch nicht blöde, die Schürze an beiden Seiten fassend und ausbreitend – machen nun ihre stattlichen pas, so gut sie dieselben von der lieben alten Gewohnheit und von der einfachen, ungekünstelten Natur erlernt und ausgebildet haben. Es geht aber wacker. Sie zeigen nicht nur Tact, richtige Wendung und Stellung, mit mannichfach abwechselnden Formen, sondern sie bringen auch Dessin hinein, und (ich möchte fast sagen) eine Art von Tactik der Liebe. Anfänglich ersieht man aus Allem, Blick, Haltung und Bewegung, etwas Fremdthuendes, Formen der Höflichkeit, ein bloßes Annähern und Entfernen ohne Haß und ohne Liebe. Bald aber tritt Interesse ein. Der Jüngling wird freier, offener, kühner; er sucht, verfolgt, drängt das Mädchen, dieses erwiedert, aber nur in verstohlenen Blicken der Zärtlichkeit, in halbem Annähern, halbem Entfernen, dem Zudringlichen aber mit Entschiedenheit ausweichend. Die Wärme nimmt zu. Es begegnen sich Aug und Aug, Hand und Hand. Die Formen bekommen mehr Runde; sie verschmelzen sich allmählich, wie ihre Seelen, und bereiten sich zur Vereinigung; doch herrscht noch einige Unsicherheit im Annähern des Jünglings, noch sittige Schüchternheit im Entfliehen des Mädchens. Wie er jetzt sie verfolgt, wieder ergreift! wie sie dann plötzlich entschlüpft, sich entfernt, durch Drehen und Wenden dem Verfolger ausweicht – und sich zuletzt doch wieder erhaschen läßt! Endlich gibt sie sich ihm ganz hin; mit kräftigem Arm umschlingt er die Nachgiebige, und reißt sie wonnetrunken in den Wirbel des Walzers, er, sein Auge zärtlich auf die Geliebte herabsenkend, sie, ihr Haupt schamhaft an seine Brust oder an seine Schulter lehnend, beide selig in der innigsten Vereinigung.

Sobald das Brautpaar, unter Beifall, den Platz verlassen, nimmt ihn wiederum das lustige, junge Völklein ein, und verkürzet sich und Andern durch mancherlei Tänze die Zeit. Jetzt führen sie den »Agatter« (à quatre) auf (auch zu acht und sechzehn Personen) mit vielerlei Abwechslung in Stellung und Wendung, in Verschlingung und Entwirrung, vom Schülertritt an bis zu den Meistersprüngen, in einer Reihe von Probestücken, die anfangs ein Jeder einzeln, später mehrere zusammen, endlich alle zugleich ausführen, und, wie immer, in den Alles und ganz vereinigenden Walzer auslaufen von drei bis sechs Touren. Dann wagen wol auch einige der Flinkern unter ihnen, welche Waden- und Lungenkraft genug haben, den ermüdenden Hupfauf; oder ein einzelner Kerl, der berühmteste Tänzer der Umgegend, den Meistertanz, die sieben Sprüng'; und Andere Anderes.

Schlag zwei Uhr wird eine neue Tracht Speisen servirt. Die jüngeren haben sich schon wiederum Appetit getanzt (der Bauernmagen verdaut ohnehin gut in einer Stunde); die ältern verkosten nur mehr und schicken die Schüssel lieber ihren Kindern nach Hause, um sie an den Hochzeitsfreuden theilnehmen zu lassen, vermeinend, es sei keine Freude ganz, an der nicht Alle etwas hätten.

Um drei Uhr, nachdem man neue Herz- und Magenstärkung zu sich genommen, bricht das junge Gesindel auf, um in einem feierlichen Zuge das Wickele abzuholen aus dem Mutterhause der Braut; eine schöne, bedeutsame Gewohnheit, womit der Braut symbolisch die ganze Pflichtenlehre der Hausmutter, Arbeitsamkeit, Reinlichkeit, Sparsamkeit vors Auge gerückt werden soll. Der Zug, die Musikanten an der Spitze, ist aber von etwas bacchantischer Natur; die Kerle, bei denen schon der Rausch von Trank und Liebe in leichtem Anflug ist, überbieten sich förmlich im »Jodeln und Juchezen«, mit den sonderbarsten Modulationen; Schaaren von Kindern umschwärmen sie, miteinstimmend in den Jubel. Auf der Rückkehr sucht man sich einen bequemen Wiesenplatz auf; die Kunkel, zierlich angelegt und bunt bebändert, wird in die Mitte gestellt, und der fröhliche Reigen bewegt sich nun lärmend auf dem beblümten Plane rundum. Dann kehrt man ins Wirtshaus zurück zur vierten Tracht.

Indessen hat der Bräutigam, seinen Gästen und allem Volke zu gefallen, ein paar Spiele angeordnet, die nun, nach aufgehobenem Incidentmahle, zum Besten gegeben werden.

Fürs erste haben die Mädeln zu ringen, welche die flinkeste sei im Eierklauben, die geschickteste im Eimertragen, und so in andern Dingen. Sodann kommt die Reihe an die Buben. Die haben sich blos zu balgen, zu zerklopfen, zu zerhaaren und zu überrennen um der Pfenninge wegen, die unter sie ausgeworfen werden. Höhere Preise werden gesetzt für die besten Raufer und Laufer. Den Beschluß macht heute ein Wettrennen, aber blos mit Ochsen. Die »Gaudi« ist groß. Das Vieh, ungewohnt zu galoppiren, wozu es doch mit unmäßiger Strenge angetrieben wird, gibt sein Mißfallen verschiedentlich zu erkennen. Der eine läßt sich durchaus nicht von der Stelle bringen, sondern bewegt sich als Kreisel, bis ihm und dem Reiter Sehen und Hören vergeht. Ein anderer brüllt wol entsetzlich, geht aber desto langsamer, und im Zickzack. Ein dritter rennt, wie besessen, voran, aber blos dem wohlbekannten Stalle zu, von dem er nicht mehr wegzubringen ist. Ein vierter, in lauter Schwingungen auf und ab, hin und her sich bewegend, wirft den Reiter ab, und geht, dessen froh, seines Weges weiter. Ein fünfter rennt zwar streckenweise, hält aber zu oft Stand, und bedenkt sich zu lange, wohin und wie weit; während der sechste, der gescheidtere, zwar gemächlich einher trottet, aber doch zeitig genug, nämlich der erste, das Ziel erreicht. Der bekommt denn auch (der Reiter nämlich, nicht der Ochs) den Ehrenkranz aus der Hand der Braut.

Man speiset zum fünften Mal und tanzt zum zwanzigsten Mal und trinkt zum hundertsten Mal. Nun haben auch (bald) die Männer das Ihrige, und rühren sich mit dem Maule, so lang und so gut es geht . . . Heute aber schwirrt das muntere Gespräch (besonders von der Weiberseite her), zu sehr in einander, als daß man sich selbst recht verstehen könnte, geschweige der Nachbar. Einzelne Trinksprüche nur schlagen mir vornehmlich ins Ohr; z. B. »Gott verläßt keinen Deutschen – hungert's ihn nicht, so dürst's ihn« – »Alles versoffen bis ans End, macht ein richtig's Testament.« – »Duck dich, mein' Seel', es kommt 'n Platzregen« u. dgl . . . Ein dicker Mann in der Ecke fällt mir indessen auf. Er spricht am wenigsten, aber trinkt am meisten. Seine Miene hat eine ganz seltsame Mischung von tiefem Ernst und freundlicher Milde. Mit unverwandtem Blicke auf den Krug, mit schmunzelndem Munde scheint er, wie gewisse Dichter, Theorie und Praxis, des Trinkens nämlich, zugleich zu betreiben, und eben darum beide wechselsweise zu veredeln. Nichts kann graziöser sein, als die Art, wie er den Krug faßt. Während des Trinkens scheint er alle fünf Sinne in Bewegung zu setzen, um recht zu genießen. Er beschaut das lautere kostbare Naß; er beriecht's (hören kann er's nicht); er schmeckt's – Himmel, mit welcher Wonne! Man möchte den Seligen beneiden, wäre man nicht schon selig genug in seiner bloßen Anschauung.

Ja, wenn du mir, kalter, strenger Moralist, mit deinem grinsenden Bocksgesicht in die Zechstube und meine Beschreibung hinein stierest! Du, der du nicht einmal Kraft genug hast, um eine ordentliche Sünde zu begehen, oder der du eine Sünde blos in einen dünnen, langen Faden ausspinnest und dich weit zierlicher einwickelst, während Andere ihren Fehler en gros auslegen und mit Einem Male; der du, was eigentlich Ohnmacht an dir ist, als Kräftigkeit betrachtest, und dich aller Tugenden befleißest, auch der Enthaltsamkeit, nur der größten und ersten nicht, der Liebe! Mit dir will ich nicht rechten über die Moralität meiner Hochzeitleute. Du weißt nicht, wie wohlthätig, ja wie nothwendig nach langen, schwülen Werktagen ein solcher Platzregen ist für die durstende Natur im Bauer, um all die Mühen und Sorgen wegzuschwemmen, und, wenn auch nur auf einige Stunden, sein halb verdorrtes, eingeschrumpftes Leben aufzuweichen und zu erfrischen! Was willst du denn nach deinem Maaßstab die Sündhaftigkeit seines Genusses ermessen, da du ja auch nicht die Mühseligkeit seines Tagwerkes zu würdigen verstehst! Geh einmal statt seiner hin, schieb an dem Pfluge den ganzen Tag hindurch, iß seine harte, grobe Nahrung wochenlang, placke dich ein Jahr hindurch mit seinen Sorgen und Arbeiten und Jammer und Noth; und dann komm, wenn du's noch vor Gott und Menschen zu verantworten glaubst, schließe die Bierschenken an Sonn- und Feiertagen, schaffe die Kirchweihen ab und die Volksfeste, und verpöne jeden Rausch im Lande mit Kirchenbuße und Kettenstrafe . . . Freund, ich denke, du wirst's bleiben lassen, und dem Landmanne seine Freuden gönnen und ihn nicht darin stören, geh' es auch manchmal zu bunt zu und über die Schnur.

Den hätt' ich, Gott Lob! weg; und so kann ich in meiner Beschreibung ruhig und sittsam fortfahren.

Nachdem die letzte Speise (ich glaub', es ist sieben Uhr) verzehrt worden, füllt sich das Wirthshaus immer mit andern Gästen. Die Zeit ist da zum Schenken. Wer nur Geld hat im Dorfe und einiges Interesse an und von den Brautleuten, der legt seinen Pfenning auf den lebendigen Opferaltar, die Braut; um so mehr die Teilnehmenden am Gastmahle, welche, außer für Kost und Trunk des Tages, nichts bezahlen dürfen, als eben auch ein Geschenk. So ist's Sitte, und gewiß eine löbliche; denn (so meinen sie in ihrer ehrlichen Einfalt) Anfänger im Hauswesen müßten am Hochzeittage unterstützt, nicht des Ihrigen beraubt werden; und sodann sei dies Geben nur ein Leihen; die Reihe gehe um, und andere Bräute würden mit der Zeit die Zinsen einfordern von dem Capitälchen, das die anwesende Braut heute empfange.

Nach vollbrachter Schenkung tritt der Hochzeitredner auf und haranguirt die Anwesenden in einer zierlichen, herkömmlichen Rede. In ehrwürdiger Stille und Haltung (denn es ist ja von geistlichen Dingen die Rede) wird der Spruch vernommen. Der Redner (um es meinen Lesern kurz zu sagen) fängt an von Anfang, nämlich von Erschaffung der Welt. Nachdem er das Thema, »er schuf sie ein Männlein und ein Fräulein« hinreichend erklärt, geht er die Beispiele namhafter Ehen im alten Testamente durch, kommt sodann auf Christus und die Hochzeit zu Cana in Galiläa, und recapitulirt kürzlich die evangelische und apostolische Haustafel für Eheleute. Sodann geht er über zu den gegenwärtigen »tugend- und ehrsamen Paar Brautleuten,« rühmt mit Bescheidenheit (Alles steht so in seinem Formular) ihren bisherigen Lebenswandel, gedenket ihrer lieben Eltern und Wohlthäter, besonders der seligen (hier wird ein andächtiges Vater unser und ein Ave Maria eingeschaltet), und schließt endlich mit dem Danke an die Anwesenden im Namen der Brautleute für die Ehre des Besuches und die gesteuerten Gaben, und mit der Bitte um ihre fernere Freundschaft.

Der erste Theil der Rede, die, wie der Leser bemerken wird, keine üble Disposition hat, wird mit einer wahrhaft frommen Andacht vernommen; der andere nicht ohne innige Theilnahme, ja sogar mit lautem Weinen und Schluchzen, besonders wenn der Todten gedacht wird. Aber – nur wer den beweglichen Charakter des gemeinen Volkes kennt, wird mir dies glauben, so wie das, was folgt – sobald das letzte Wort des Redners verklungen, so beginnt wieder bei dem einfallenden ersten Tone der Musikanten der fröhliche Lärm mit seinen »heisa! hopsasa's!« und der Tanz und die Fur geht von vornen an, wo möglich noch ärger und dauert bis in die tiefe Nacht.

Doch was dann noch weiter vorfällt in der Brautnacht, will und kann der Referent nicht referiren.


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