Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

53. Volkssagen aus Franken.

1.

In Rothenburg an der Tauber ist ein Gäßchen, das heißt das Freudengäßchen. Dort hat vor Zeiten der Scharfrichter seine Behausung gehabt. Wie aber dasselbe zu dem Namen gekommen, davon wird folgende Geschichte erzählt. Als nach der Schlacht bei Nördlingen der Tilly in Rothenburg eingezogen, hatte man ihm und seinen Leuten ein stattliches Mahl zubereitet auf dem Rathhause. Dabei ward ihnen denn auch in einem großen Humpen, der noch heutigs Tags zu sehen ist, Wein kredenzt vom Rothenburger Gewächs, dem besten. Wie nun Tilly den Mund ansetzte, fand er den Wein ganz abscheulich; und vermeinend, daß die Rothenburger ihm diesen Trank zum Spotte gereicht, ergrimmte er in Zorn, und sprach zu Bürgermeister und Rathsherren: Dieser euer Wein soll euch schlecht bekommen. Denn ich sage euch: wenn nicht einer von euch diesen Humpen in einem Zuge austrinkt, so seid ihr alle des Todes. Und er ließ auch sogleich den Scharfrichter holen, daß er bereit stehe mit seinem Schwerte, um einem nach dem andern den Kopf abzuhauen. Da erbarmte sich aus Patriotismus einer der jüngern Rathsherren der übrigen, und trat vor, und trank den Wein allen in Einem Zuge aus, wie es der grausame Tilly verlangt hatte. Also sind Bürgermeister und Rathsherren mit dem Leben davon gekommen und der Scharfrichter ist unverrichteter Dinge wieder abgezogen. Darüber ist nun in Rothenburg große Freude gewesen. Und es wurde, um dieses Ereignisses wegen, jenes Gäßchen, in welchem der Scharfrichter seine Wohnung gehabt, von der Zeit an das Freudengäßchen genannt.

2.

Bei Rothenburg an der Tauber ist eine rauhe, wilde Steig, die Kniebrechen genannt wegen ihrer Steile. Da hat sich vor Zeiten eine grausame That begeben, an welche jeder, der des Weges geht, mit Schaudern denkt. Die Geschichte lautet, wie folgt. Es wurden zu jener Zeit drei Männer aus Rothenburg an des Kaisers Hof gesandt, um ein Anliegen ihrer Stadt an den Herrn zu bringen. Der Kaiser empfing die Abgeordneten auf leutselige Art, und er fragte vorerst einen nach dem andern nach ihren Namen, wie sie sich schrieben. Der erste sagte, er schreibe sich Vötter; worauf der Kaiser: das ist ein gar schöner, freundnachbarlicher Name. Der andere, gefragt, sagte, er schreibe sich Brueder. Der Kaiser: das ist ein noch schönerer Name, der einem wahrlich ins Herz hinein wohl thut. »Und wie schreibt denn Ihr Euch?« fragte zuletzt der Kaiser den dritten. Der antwortete nach einigem Zögern, fast kleinlaut: »Ich schreibe mich Mörder.« »O pfui!« sprach der Kaiser, »das ist ein garstiger, ein schlimmer Name; es möchte einem die Haut drob schaudern.« Das hatte der Kaiser im Scherz gesprochen. Jener aber hielt es für Ernst, und es beschlich Neid und Mißgunst sein Herz, und weil ihn die andern darob neckten, zuletzt Haß und Rache. Als sie daher nach Hause zurückkehrten, so überfiel er sie, Angesichts der Vaterstadt, auf der Kniebrechen, und schlug sie todt. Darob wurde der Mörder eingefangen und hingerichtet; und es ist der letzte seines Stammes gewesen zu Rothenburg an der Tauber.


 << zurück weiter >>