Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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31. Das Darlehen.

Wer recht und wohl thut, ist Gott angenehm unter jedem Volke. . . . Ein junger Gelehrter, ein Jude, der sich zum Amte eines Rabbiners anschicken wollte, trat eines Tages vor einen sehr reichen Mann, der sein Glaubensgenosse war, um von ihm ein Darlehen zu erbitten. Er wollte aber keine Gelder haben – denn deren bedurfte er nicht bei seiner großen Genügsamkeit – sondern nur einige seltene und kostbare Bücher, welche er zu seinen Studien brauchte, und die, wie er wußte, der reiche Jude nebst andern Schätzen besaß. – Nachdem der junge Mann seine Bitte in demüthiger Weise vorgebracht, sprach der Alte: »Was braucht's da viel zu bitten und zu betteln? Ich bin ein Handelsmann und gebe Geld, aber nur für Waare, und mache Darlehen, aber freilich nur gegen gute Procente.« Der Bittsteller erwiderte hierauf: »Procente könne er eben leider nicht geben, denn er sei blutarm, und habe kaum so viel, um seines Leibes und Lebens Nothdurft zu befriedigen.« – »Nun, was macht's? versetzte der Alte; ich lasse handeln. Der Herr verschreibt mir das Drittel von Gottes Lohn, der ihm dereinst werden wird für seine Arbeiten in Gottes Dienste.« Der junge Gelehrte willigte ein, und der Alte führte ihn sofort zu seiner Bücherei, und ließ ihn suchen und wählen nach Gutbedünken. Es ward hierauf ein genaues Verzeichniß der dargeliehenen Bücher gefertigt (die Rubriken der Preise blieben offen), sodann vom Empfänger mit jener Clausel unterzeichnet, und zuletzt vom Darleiher bei den Schuldbriefen hinterlegt. – Und hier wird der günstige Leser ohne Zweifel denken: Ein Drittel von Gottes Lohn begehren von dem künftigen Einkommen des jungen Mannes, als Rabbiners, als Gelehrten, als Hausmanns, das sei doch wahrlich mehr als jüdisch. So hat's auch der junge Mann verstanden, und er hat doch den Vertrag eingegangen, weil er sich um jeden Preis tüchtig machen wollte zu dem Amte, das er zu verdienen und zu erhalten suchte. – Die Sache ist aber, wie's nun eben in der Welt geht, ganz anders gekommen. Der junge Mann starb nach ein paar Jahren, ehe er noch zu Amt und Geld und Weib gelangt war. – Die kostbaren und seltenen Bücher brachte der Vater des Verstorbenen dem alten reichen Juden alsbald zurück mit höflichstem Dank. »Er wüßte freilich wol, sagte er mit schüchtern zögerndem Tone, daß sein Sohn diese Bücher als ein Darlehen erhalten habe um ein Drittel Procent von Gottes Lohn. Aber er seines Theils vermöcht' es nicht, die Zinsen zu bezahlen, und der, welcher sie entlehnt, noch weniger, da er im Leben nichts erworben hätte, und durch den Tod vollends verdorben wäre.« – »Was? sagte der alte Jude, nichts erworben? vollends verdorben? Ich weiß besser, wie es mit ihm gestanden. Hat er nicht gelebt und gestrebt, Gottes Weisheit zu erforschen in den Büchern der Väter, um einst Gottes Weisheit zu lehren in der Gemeinde der Auserwählten? Wahrlich! der Herr wird ihm das lohnen, und mir wird auch der Theil werden, den ich mir ausbedungen; denn Gott rechnet nach Rechten.« Sofort zerriß er den Brief, und erklärte, daß er sich bezahlt halte für Kapital und Zinsen; und der Vater könne mithin die Bücher als sein Eigenthum betrachten und aufs beste verwerthen nach Gutdünken.

Diese Geschichte hat sich vor vielen Jahren in München ereignet; und der, welcher es dem Volksfreund erzählt hat, ist ein Enkel desjenigen, der es gethan hat. Wollt ihr wissen, wie der alte Jude geheißen? Gott weiß es!


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