Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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19. Der Talisman.

Prinz und Prinzessin lebten noch in ihren Honigmonaten. Sie fühlten sich überaus glücklich und zufrieden; nur eines beunruhigte sie zu Zeiten, der Gedanke, ob es wol immer so bleiben werde. Daher wünschten sie wol, sie möchten einen Talisman erhalten, der sie sicher stellen könnte gegen jegliche Unzufriedenheit in der Ehe. – Nun hatten sie oft von einem Einsiedler gehört, der als ein Wissender galt unter dem Volke, und der jedermänniglich gern zu Rathe stand in den Nöthen und Angelegenheiten des Lebens. Zu dem begaben sich nun Prinz und Prinzessin, und trugen ihm ihr Anliegen vor. Der Einsiedler, als er ihr Ansuchen vernommen, sagte er zu ihnen: Ziehet durch nahe und ferne Lande, und wo ihr irgend ein zufriedenes Ehepaar findet, da bittet euch ein Stücklein aus von ihrem Hemde, und so ihr dies erhaltet, so tragt es bei euch immerdar. Das ist ein probates Mittel. – Prinz und Prinzessin ritten fort, und bald ward ihnen ein Rittersmann genannt, der mit seiner Frau in überaus glücklicher Ehe lebe. Sie kamen auf das Schloß und befragten dieselben, ob sie so ganz zufrieden seien in ihrer Ehe, wie die Rede von ihnen gehe. Da ward ihnen die Antwort: Ja, bis auf das Eine, daß wir keine Kinder haben. Es war also der Talisman bei diesen nicht zu finden, und Prinz und Prinzessin mußten weiter ziehen, um nach ganz zufriedenen Eheleuten zu forschen. – Sie kamen darauf in eine Stadt, wo sie vernahmen, es sei ein Bürgersmann daselbst, der mit seinem Weibe in großer Eintracht und Zufriedenheit lebe. Zu dem gingen sie und befragten ihn gleichfalls, ob er wirklich so zufrieden sei in seiner Ehe, wie die Leute sagen. Der Mann antwortete: Ei ja wol! wir leben glücklich mit einander und sind auch zufrieden, bis auf das Eine, daß wir so viele Kinder haben, die uns freilich viel Sorge und Kummer machen. Von diesen war also der Talisman auch nicht zu erwarten, und Prinz und Prinzessin zogen weiter durch das Land, und erkundigten sich überall nach zufriedenen Eheleuten; es geschah aber weiter keine Meldung davon. – Eines Tages, wie sie Felder und Wiesen entlang ritten, bemerkten sie einen Hirten unfern des Weges, der gar lustig auf seiner Schalmei blies. Und sie sahen, wie so eben ein Weib zu ihm herbeikam, das ein Kind auf dem Arme trug und einen Knaben an der Hand führte. Und der Hirt, als er sie sah, ging ihnen entgegen und begrüßte sie, und er nahm der Frau das Kind ab, das er küßte und herzte; und an den Knaben kam der Phylax heran, der ihn liebkoste, bellend und frohlockend. Das Weib aber stellte indeß den Topf zurecht, den sie mitgebracht, und sagte: Vater, jetzt komm und iß! Und der Mann setzte sich und langte zu; das erste Bißlein bekam aber das Kind, und die andern theilte er mit dem Büblein und dem Phylax. Das alles sahen und hörten Prinz und Prinzessin; und sie kamen herbei und redeten die Leute an, und sagten: Ihr seid ja doch wol Eheleute, und zwar recht glückliche und zufriedene Eheleute? Ja, sagte der Mann, das sind wir, Gott sei Dank, und Prinzen und Prinzessinnen können es nicht mehr sein. – Nun, so vernehmt und gewährt uns, sagte der Prinz, ein kleines Ansuchen. Es soll euch nicht gereuen, wenn ihr uns willfahret. Gebt uns ein Stücklein von euren Hemden. Hirt und Hirtin sahen wunderlich drein bei dieser Anrede; zuletzt sagte der Mann. Ei wie gern wollten wir euch nicht nur ein Stücklein geben, sondern das ganze Hemd. Aber, leider! haben wir keins. – Also mußten Prinz und Prinzessin unverrichteter Dinge weiter ziehen; und da sie des langen, eitlen Herumfahrens müde geworden, so kehrten sie wieder ihres Weges zurück. Als sie nun wieder zur Hütte des Einsiedlers kamen, schalten sie ihn, daß er sie so übel beraten habe und erzählen ihm die Geschichte. Der Einsiedler lächelte und sprach: Seid Ihr denn umsonst des Weges gezogen, und kommt Ihr nicht reicher zurück an Erfahrung? Ja, sagte der Prinz, ich habe erfahren, daß die Zufriedenheit ein gar seltenes Gut auf Erden sei. Und ich habe gelernt, sagte darauf die Prinzessin, daß man, um zufrieden zu sein, eben nichts brauche, als – zufrieden zu sein. Drauf gaben sich Prinz und Prinzessin die Hand, und sahen sich mit liebreichen Blicken an. Und der Einsiedler segnete sie und sprach: Ihr habt ihn gefunden, den rechten Talisman, in eurem Herzen. Bewahret ihn sorgfältig, und der böse Geist der Unzufriedenheit wird euch nichts anhaben können auf ewige Zeiten.


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