Ludwig Aurbacher
Ein Volksbüchlein
Ludwig Aurbacher

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9. Die Weisheit auf der Gasse.

Es lebte zur Zeit, da man noch die Weisheit auf der Gasse lehrte, in einer Stadt ein Mann, der wegen seiner Rechtschaffenheit im Handel und Wandel eben so geachtet, als wegen der Weisheit in seinen Reden und Räthen bewundert wurde. Seine Worte zeichneten sich aber dadurch aus, daß sie die Wahrheit gleichsam in einer Nuß enthielten, und es mußte die Schale erst gebrochen werden, ehe denn der Kern gewonnen werden konnte. – Als zum Beispiel: Eines Tages fragte ihn Jemand, was rathsamer und für das Seelenheil ersprießlicher sei, die Welt zu verlassen, oder in der Welt zu bleiben. Dem antwortete er: Es ist keines an sich selbst rathsam, wol aber beides zugleich. Auf die weitere Frage, wie er dies meine, sagte er: Ich meine, daß wir in der Welt leben sollten, als lebten wir nicht in der Welt. Willst du wissen, wie? Wenn wir in die Ereignisse der Welt tüchtig eingreifen, ohne die Gesinnungen der Weltmenschen anzunehmen. – Ein anderes Mal ward er befragt: was vorzuziehen sei, um Geld und Gut sorglich zu werben, oder sich nicht darum zu bekümmern. Dem antwortete er: Eins ist so schlimm, wie das Andere; löblich und recht ist es aber, eins ums Andere zu thun. Auf die Frage, wie dies zu machen sei, sagte er: Spare in der Zeit, so hast du in der Noth, und versag' dir selbst den Ueberfluß, damit du dem Bedürfniß Anderer abhelfen mögest. – Zu einer andern Zeit stellte man die Frage an ihn, was zu thun sei, um im Guten zuzunehmen und vom Bösen abzulassen. Da war seine Antwort: Nichts und Alles. Und auf die weitere Frage, wie das zu verstehen sei, sagte er: der Mensch muß Alles thun; er muß reuten und pflanzen und begießen; – er thut aber damit doch nichts, denn Gott allein gibt das Gedeihen. – Auf diese Art pflegte er Jedem über jedes zu antworten, worüber man ihn befragte; und es war zwar nur kleine, aber gute Münze, die er zum Almosen gab auf der Gasse.


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