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Der böse Kropf.

Die Schilddrüse ist vielen Leuten nicht einmal dem Namen nach bekannt. Andere aber wissen über sie ein böses Liedlein zu singen. An diesem oder jenem Hals tritt sie nämlich aus ihrem bescheidenen Dasein heraus und erweitert sich zu dem verpönten Kropf. Neben den Ärzten haben sich zu allen Zeiten auch Laien auf diesem Krankheitsgebiet versucht. Noch im 18. Jahrhundert schrieb man den Königen von England und Frankreich die Kraft zu, Kröpfe durch Auflegen der Hand heilen können. Wie oft die fürstlichen Hände in Tätigkeit traten und welche Erfolge dabei erzielt wurden, meldet freilich die Kronik nicht. An Kranken hat es gewiß nicht gefehlt, und auch in Schwaben hatte es Arbeit gegeben; denn in gewissen Tälern soll der verrufene Halsschmuck besonders gut gedeihen.

So darf ein romantisch gelegenes Städtchen auf den Spottnamen »Kropfberg« stolz sein. Zu dieser anzüglichen Bezeichnung hat ein biederer Handwerksmeister, der nebenbei noch etwas Landwirtschaft trieb, viel beigetragen. Ohne sein Verschulden mußte er den Kopf hoch halten, damit der Kropf unter demselben Platz hatte. An einem Sonntagmorgen führte er seine Kuh dem Marktbrunnen zu, wo sie ihren Durst stillen sollte. Gar zu gerne hätte der Besitzer ihr dabei zugesehen; aber – der Kopf konnte sich nicht senken, und die Augen erreichten den Wasserspiegel des Brunnens nicht. Da tauchte an einem Fenster des gegenüberstehenden Hauses der Kopf des Nachbars auf. Kurz entschlossen wurde ihm zugerufen: »Johannes, sauft mei Kuah?« – Wie die Sage geht, soll durch dieses Städtchen einmal ein Fremder gekommen sein, der von den Kindern verspottet wurde, weil er keinen Kropf hatte. Eine Frau verwies das den Kindern und sprach: »Danket Gott, daß ihr eure gesunden Glieder alle habt!«

Bei Wählerversammlungen kann es zuweilen recht ungemütlich werden. In einem idyllisch gelegenen Badeort aber vertrieb eine kleine Kropfgeschichte in wenigen Augenblicken die drohenden Gewitterwolken. Der Hauptredner hatte geendet und, wie es oft zu gehen pflegt, nicht allgemeine Zustimmung gefunden. Die heftigen Entgegnungen, die nun folgten, konnten kein freundliches Echo erregen. Ein Bürger des Orts, den die Natur am Halse überreich bedacht hatte, wollte dem Kandidaten zu Hilfe kommen und stellte in seiner stockenden Rede mit steigendem Tone zweimal die unbestimmte Frage: »Was fehlt uns?« Ehe er aber in der Aufregung die richtige Antwort zu geben vermochte, rief ein Gegner im Hintergrund lachend: »Ein halber Zentner Kropfpulver!«

(Mündlich von G. A. Volz.)

Schlußvignette

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