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Etwas vom alten Flattich.

Eine Erscheinung von eigenartiger Urwüchsigkeit war der schwäbische Landpfarrer Johann Friedrich Flattich, geboren als Sohn des Schertlinschen Amtmanns zu Beihingen a. N. den 3. Oktober 1713, gestorben zu Münchingen den 1. Juni 1797. Schon zu seinen Lebzeiten trug er den ehrenden Beinamen eines »schwäbischen Salomo«, und in der Überschrift eines Büchleins über ihn ward er als »ein Sokrates unserer Tage« bezeichnet. Er sagte mit Lachen die Wahrheit, und auch in seinen derben Scherzen offenbarte sich erzieherische Weisheit. Wir stellen hier einige Züge seines Bildes in zwangloser Reihenfolge zusammen.

Die unguten Neigungen der Jugend suchte Flattich durch Übersättigung zu vertreiben und zu heilen. Einige seiner Zöglinge, deren er immer in seinem Hause hatte, überraschte er am Feierabend beim Kartenspiel. Sie wollten die Spielkarten geschwind verstecken, er aber rief ihnen zu: »Nur weiter gespielt, ich tue auch mit, her mit den Karten!« Er nahm sie, mischte das Spiel, teilte aus und begann zu spielen und schien gar nicht genug daran bekommen zu können. Die Essenszeit kam, er ließ die Jungen nicht fort. Es wurde immer später, sie durften nicht zu Bette; der Nachtwächter rief umsonst die zwölfte Stunde; und es ging dem Morgen zu, aber erst in der Dämmerung legte er die Karten weg, ermahnte sie lächelnd mit ein paar Worten, diesen Zeitvertreib zu unterlassen, und entließ die schlaftrunkenen Jungen zu einem kurzen Morgenschläfchen. – Sie haben nie wieder gespielt.

Die ledigen Burschen von Münchingen freuten sich, daß das Geknall ihrer Peitschen am Pfarrhaus so kräftig widerhallte. Ein Verbot hätte wohl nicht viel gefruchtet, deshalb griff Flattich zu einer List. Einer knallte einst nach Herzenslust, als er gerade vor dem Pfarrhaus stand. Flattich rief ihn heran und sprach: »Ei, Hannesle, du kannst aber schön knallen; weißt du was? – ich geb' dir einen Sechsbätzner, wenn du in meinen Hof hereinkommst und mir so lang im Takt vorknallst, bis ich genug habe.« Das Lob aus diesem Mund reizte den Burschen zur Ausübung seiner vermeintlichen Kunst, und das versprochene Trinkgeld lockte ihn noch mehr. Er trat näher. Der Pfarrer zog sich in sein Stübchen zurück und schaute ihm vom offenen Fenster aus zu, freundlichen Beifall nickend und ihn fortwährend zu weiterem Tun ermunternd. Flattich war augenscheinlich ganz unersättlich in diesem Ohrenschmaus. Er verstand die fragenden und die bittenden Blicke des armen Geißelbruders nicht, der schon eine ganze lange Stunde seine Kraft dieser Unterhaltung geopfert hatte und müde wurde, sondern bat eindringlich um Fortsetzung. Erst nach zweistündiger Arbeit gab er dem getreuen Knechte seinen sauerverdienten Lohn. Unter dem Hohngelächter der gesamten Gassenjunkerschaft zog dieser ab, und von nun an knallte niemand mehr in der Nähe des Pfarrhauses.

Unter seinen Zöglingen, deren er in Münchingen oft über ein Dutzend beisammen hatte, befand sich einer, den sein Vater bei der Übergabe als vollendeten Faulpelz bezeichnet hatte. Flattich ließ ihn, während die andern lernten, frei laufen, ohne ihn nur im geringsten zu hindern; selbst zu den Spielen der Alters- und Hausgenossen wurde er nicht eingeladen. Nach einigen Wochen fiel ihm seine Ausnahmestellung auf; sein zweckloses Leben wurde ihm unbehaglich, und endlich schlich er sich herbei und fragte, warum denn er allein nicht mittun dürfe? »Ei, du willst es ja so haben,« sagte Flattich. »Nein,« begann er zu flüstern, »es gefällt mir nicht mehr, lassen Sie mich doch auch mitlernen.« Der Anfang ward gemacht, und seine Lernarbeit wurde mit der Zeit von gutem Erfolge gekrönt.

Einmal bekam Flattich ein verwöhntes Kind, das nicht schreiben lernen, sondern in launenhafter Anwandlung nur Tüpfeln machen wollte. Flattich gab ihm mehrere Schreibhefte, die es nun Seite für Seite mit lauter Tupfen und Tüpfeln anfüllen sollte. Das war dem Kind eine Freude – aber wie lang? Das ewige Einerlei entleidete ihm endlich, und es bat, nun doch auch einmal etwas Rechtes schreiben zu dürfen. Mit Vergnügen lernte das Knäblein Buchstaben machen und sie zu Silben und Wörtern zusammensetzen; das Schreiben nahm jetzt seinen ununterbrochenen Fortgang.

Ein Oberamtmann übergab Flattich seinen Sohn, der sehr schwer lernte, zur Erziehung und bemerkte, daß er sich geradezu schämen müsse, einen so gering begabten Knaben zu haben. »Ei,« sagte Flattich, »trösten Sie sich, Herr Oberamtmann, unser Herrgott braucht nicht bloß Lichter, er muß auch Putzscheren haben.«

Einer von Flattichs eigenen Söhnen war im Lernen etwas zurückgeblieben und kam im niederen Seminar (Denkendorf) anfangs nur schwer mit den andern Zöglingen voran. Darüber wunderten sich die Lehrer, welche ja aus Flattichs Hand schon manchen tüchtigen Jüngling überkommen hatten. Er zog sich aber rasch besonnen aus der Verlegenheit, indem er sich mit den Worten rechtfertigte: Do han i do jetzund – gerade weil ich den Herren schon so viele »Rechte« zugeschickt habe, will ich mit dem meinigen einmal eine Probe machen, ob Sie imstande sind, einen Rechten aus ihm zu machen.

Großen Wert legte er auf gelegentliche Belehrung oder Warnung. Einige seiner jungen Leute kamen in einem unbewachten Augenblick auf den Einfall, ein Vogelnest auszunehmen, das sich am Vorsprung des Dachs vom Münchinger Pfarrhaus befand. Sie schleppten vom benachbarten Rathaus die lange Feuerleiter herbei, legten sie an, und einer stieg hinauf, um das schlimme Werk zur Ausführung zu bringen. Bei der unsicheren Stellung der Leiter war das Unterfangen ein waghalsiges Stücklein. Als der Knabe schon fast ganz oben war, fing die Leiter stark zu schwanken an, und er fiel herunter. Da kam Flattich dazu. »Du hast den armen Vögeln das Ausfliegen verwehren wollen, jetzt hast du zur Strafe selber fliegen müssen; do han i do – laß dir das zur Warnung sein!«

Ein Schrecken der Verlegenheit war es für ein ungeschicktes Büblein, das in Münchingen mit seinem Schlitten etwas gedankenlos den Abhang hinunterfuhr und denselben nimmer seitwärts zu lenken vermochte, als der Geistliche plötzlich auf der Bildfläche erschien. Auch dieser dachte an nichts, und so kam's zu einem unangenehmen Zusammenstoß, bei welchem Flattich zu Boden fiel. Das Büblein war sprachlos vor Schrecken. Aber der leutselige Herr, ein geborener Kinderfreund, sagte, nachdem er wieder auf den Beinen stand: »O Büeble, wie bist du im Kreuz! Gelt, ich hätte dir besser aus dem Weg gehen sollen!«

Mit seinen Dienstboten lebte Flattich in recht väterlichem Verhältnis; doch mußten sie vorher irgend eine verfängliche Probe bestehen, ehe er sie einstellte. Zu einem jungen Mann, den er auf einige Zeit für die Gartenarbeit brauchte, konnte er sagen: »Hau Er mir vorher den Baum um, er macht mir zuviel Schatten!« War der Mann sofort dazu bereit, so schickte Flattich ihn sogleich wieder fort; trug er aber Bedenken, ein solches Zerstörungswerk vorzunehmen, dann behielt ihn Flattich und schenkte ihm sein Vertrauen während der ganzen Zeit. Ein Mädchen, das sich bei ihm als Magd verdingen wollte, fragte er: »Folgst auch? gingst fünfzehnmal des Tages die Stiege hinauf und hinab, wenn ich's verlangen täte?« Sie antwortete freudig: »Ja, recht gerne, Herr Pfarrer.« Doch dieser erklärte kurzweg: »Dich will ich nicht, du bist nichts nutz und willst bloß den Lohn einnehmen; eine ehrliche Magd will auch Nutzen schaffen.«

Wegen der unansehnlichen Kleider, die er gewöhnlich trug, ward er manchmal mit einem andern verwechselt. Im Dämmerschein des Abends wollte er sich einst noch etwas im Freien ergehen. Da sah ihn ein Mädchen, das einen Bündel Futter gesammelt hatte und die Last nicht allein auf den Kopf brachte. Sie hielt ihn für einen Juden und rief von ferne: »Mauschel, hilf mir doch auf!« Flattich gab sogleich Antwort: »'s ist recht, ich will kommen.« Aber wie erschrak sie, als es ihr Pfarrer war, den sie so angerufen hatte, und sie bat ihn deshalb um Verzeihung. Er beruhigte sie aber: »Do han i do jetzund, Mädchen, das hat nichts zu sagen, ich nehm dir's auch gar nicht übel; aber wenn du von einem Juden einen Liebesdienst brauchst, so mußt du ihn nicht schimpfen, sonst könnte er dir's abschlagen.«

In Flattichs Haus kam eines Tages ein reisender Handwerksbursche und bat um ein Paar Strümpfe; er kehre, sagte er, von seiner Wanderschaft heim, sei bis an den Rhein gekommen, und jetzt habe er noch den Weg bis hinter Ellwangen vor sich – er wisse nicht, wie er mit diesen Fetzen bei seinen wehen Füßen vollends nach Hause kommen solle. Da geht der Pfarrer zum Kasten hin und holt ihm sein bestes Paar Strümpfe. Einige Tage hernach bemerkte die Hausfrau deren Abgang und fragte: »Lieber Mann, hast du das neue Paar Strümpfe aus dem Kasten herausgetan?« – »Ja,« sagte er, »ich habe sie einem armen Handwerksburschen geschenkt.« Sanft strafend entgegnete sie: »Warum hast du ihm gerade deine besten und nicht ein Paar geringere geschenkt?« – »Meine liebe Frau,« antwortete er, »do han i do jetzund – schlechte hatte der arme Mensch selber.«

Von einem größeren Ausgang kam Flattich eines Abends ohne Schuhwerk heim und trat nur mit Strümpfen an den Füßen in die Wohnstube herein. Alles staunte, und seine Frau fragte in ängstlicher Aufregung: »Sag, lieber Mann, was hat es denn gegeben?« Flattich antwortete lächelnd: »Do han i do jetzund – der Weg, auf dem ich ging, war tief kotig. Auf einmal sank ich auf einer Seite so tief ein, daß der Schuh mir stecken blieb, und da ich ihn trotz aller Mühe nicht wieder herausbringen konnte, so dachte ich: Mein einer Schuh, den ich noch habe, hilft mir nicht viel, drum ist's das beste, ich ziehe ihn auch aus und stelle ihn neben dran – so hat der Finder doch zwei Schuhe und kann sie brauchen.«

Flattich machte viele Besuche in den Häusern, um nach der Not der Leute zu sehen und ihnen mit Rat und Tat beizustehen. Auf einem solchen Weg stand er einst schon vor der Stubentüre eines Bauernhauses und hörte, daß drinnen laut gesprochen ward. Eben wollte er umkehren, da merkte er, daß es sich um ihn handle und man über ihn gar derb herfalle; die Hausfrau und ihre Nachbarin ließen kein gutes Fädelein mehr an ihm, als sie auf seine Eigentümlichkeiten zu reden kamen. Flattich hörte ihnen mit der größten Gelassenheit zu und ging dann, als sie auf einen anderen Gegenstand kamen, wieder nach Hause. Dort angekommen, sagte er zu seiner Magd: »Du mußt gleich zu der N. und ihr einen Laib Brot und eine Schüssel voll Mehl bringen und ihr einen schönen Gruß von mir ausrichten und da sei der Wäscherlohn« (das war zu selbiger Zeit der übliche Taglohn für eine tüchtige Wäscherin). Die Magd tat unbefangen, wie ihr befohlen war. Jenes Weib hielt die ganze Sache für ein Mißverständnis und begab sich eilends ins Pfarrhaus, um selbst auch etwas dazu beizutragen, daß die Sache ins rechte Haus komme, denn sie habe ja für das Pfarrhaus nichts gewaschen und könne also den Lohn auch nicht behalten. Flattich belehrte sie aber kurz und gut: »Freilich habt Ihr ihn verdient; ich bin mein Lebenlang noch nie so schön gewaschen worden als heute von Euch und Eurer Nachbarin.«

Eine Frau, die einen Trunkenbold zum Mann hatte, kam öfter ins Pfarrhaus, um zu klagen, daß sie von ihm geschlagen werde, wenn er in später Nachtstunde wüst nach Hause komme. Flattich merkte wohl, woran es fehle, und sagte ihr geheimnisvoll: »Frau, ich will Ihr, weil sie es ist, einen guten Rat geben und ein Mittel sagen, das sicher hilft: Geh' Sie bei Sonnenaufgang hinunter an den Bach und hol' Sie dort einen Kieselstein, nicht zu breit und nicht zu schmal, nicht zu dick und nicht zu dünn, ganz glatt, und den leg' Sie unbesehen und unbeschrieen unter die Zunge, wenn Ihr Mann im Rausch nach Hause kommt – paß Sie auf, das hilft.« Das Weib glaubte ihm und folgte seiner Lehre. Sie kam gleich am ersten Tag ohne Streiche davon, so auch am zweiten und dritten. Der Mann wunderte sich nicht wenig über ihr nunmehriges Betragen und erzählte auch seinen Saufbrüdern davon, die begierig waren, die an ihr vorgegangene Veränderung auch mitanzusehen, weshalb sie ihn am vierten Tage nach Hause begleiteten. Das Weib hörte die Gesellschaft die Stiege heraufpoltern und wappnete sich mit dem Zauberstein. Als ihr Mann für sich und seine Genossen einen Trunk begehrte, ging sie ohne Widerrede unter den Boden und stellte dann den gefüllten Krug schweigend auf den Tisch. Das machte einen tiefen und unheimlichen Eindruck auf die Tafelrunde, und die Gäste gingen bald auseinander. Als sie fort waren, sagte ihr Mann: »O Weib, wie ganz anders bist du jetzt!« Dann bat er sie um Verzeihung und besserte sich selbst auch in sichtlicher Weise.

Auch auf anderem Wege und in anderen Orten gelang es ihm ganz ungesucht, Frieden zu stiften und neues Glück in die Häuser zu bringen. Er wurde nach Stuttgart in ein vornehmes Haus (zu Präsident Georgii) eingeladen, doch ward ihm gleichzeitig von verwandtschaftlicher Seite der Wink gegeben, hiebei bessere Kleider anzulegen, damit er keinen Anstoß errege. Er ließ sich das sagen, und seine Tochter gab ihm zu diesem Zweck 30 Gulden mit. Unweit von Feuerbach hört er plötzlich ein klägliches Jammern und heftiges Weinen von der Seite her. Gleich ging er hin und fand eine arme Frau, die am Raine graste und dabei laut seufzte. Er fragte nach ihrem Kummer, und sie erzählte nach einigem Zögern, daß ihr trunksüchtiger Mann sie um Hab und Gut bringe, und heute werde ihre einzige Kuh verkauft, weil er wegen 30 Gulden eingeklagt sei. Da griff Flattich in seine Tasche und bot ihr sein Geld an. Sie wollte es nicht nehmen, er aber redete ihr zu, sie solle Gott dafür danken, ihm kindlich vertrauen, mit ihrem Mann Geduld haben und für ihn beten. Nach zwei Jahren erfuhr er, daß der Mann von seiner Rettungstat selbst sehr gerührt gewesen sei und sich von da an gründlich gebessert habe.

In Münchingen war Flattich im Schloß des Edelherrn von Harling, der nach den Kriegszeiten seine alten Tage hier verlebte, stets willkommen. Harling hatte den witzigen Pfarrherrn aufrichtig lieb und war für seine Eigenart ganz eingenommen, wenn auch dann und wann eine kleine Meinungsverschiedenheit der beiden Männer zum Ausdruck kam. Auf einem gemeinsamen Gang ins Freie ließ der Herr General einst seinen Jagdhund allerlei Kunststücke ausführen, über welche sich Pfarrer Flattich recht wunderte, Harling fragte ihn, ob seine Zöglinge auch so auf den Wink folgten wie dieser Hund. Der rasche Gehorsam sei doch das erste und beste, was man bei der Kindererziehung anstreben müsse. Flattich stellte die Gegenfrage, wodurch er denn das Tier so weit gebracht habe, Harling antwortete: »Durch Schläge, welche Sie auch bei Ihren Zöglingen nicht ganz werden entbehren können.« »Do han i do jetzund,« sagte Flattich, »wenn ich meine Zöglinge bloß durch Schläge voran bringen wollte, so wäre das nur eine Hundezucht und keine Kindererziehung.«

Man sprach einst über den Ehestand im allgemeinen und über den häuslichen Frieden im besonderen; auch die Gattin des Schloßherrn war anwesend. Harling fragte, wie die Händel im Ehestand zu vermeiden seien. Flattich bat um seine Ansicht darüber, ob denn der Mensch immer gleich gescheit sei. Harling antwortete: »Nein, es ist niemand zu allen Zeiten gleich gescheit; mag er noch so gescheit sein, so kommt doch auch zuweilen eine närrische Stunde an ihn.« – »Nun,« antwortete Flattich, »do han i do jetzund, gnädiger Herr, wenn die närrische Stunde an Ihre Frau kommt, so seien Sie so gescheit und geben Sie fein nach, und Sie, gnädige Frau, wenn die närrische Stunde an den gnädigen Herrn kommt, so geben Sie nach; nur wenn der Narr zusammenkommt, gibt's Händel.«

An einem Regentag machte unser Pfarrherr auch einen Besuch im Harlingschen Schloß. Er brachte schmutzige Hosen mit; im Schloß aber saß bereits ein gar feiner Herr. Dieser wies unzart auf die Spuren der Straße an den Beinkleidern des Geistlichen hin. Flattich war nicht ängstlich und bezahlte mit gleicher Münze: »Do han i do jetzund, es kommt nur darauf an, wo man den Dreck hat – ich hab' ihn außen, die Edelleute haben ihn oft innen.«

Pfarrer Flattich war auch auf einem andern benachbarten Edelsitz gerne gesehen. Leider fehlte es an der erwünschten Eintracht unter dem gnädigen Paare. Die Frau schmähte und schmälte ihren abwesenden Gatten, daß es fürwahr eine Schande war, und bezeichnete ihn namentlich als einen echten und gerechten Bärenhäuter. Flattich hatte eine Zeitlang schweigend zugehört, dann brach ihm aber der Geduldsfaden, und er platzte heraus: »Do han i do jetzund, hüten Sie sich, daß Sie das ja nicht mehr tun, daß Sie Ihres Mannes Fehler erzählen und ihn verkleinern; denn das Weib bekommt den Namen von dem Mann, und daher sind Sie, wenn Sie Ihren Mann zum Bärenhäuter machen, eben auch nur die Frau Bärenhäuterin.«

Eine reiche und vornehme Stuttgarter Frau verehrte ihn hoch und sah ihn gern bei sich. Weil Flattich stets in so geringer Kleidung einherging, so erbot sie sich, ihm einen neuen seinen Rock zum Geschenk machen zu lassen. Flattich erwiderte, daß er für solches Wohlwollen von Herzen danke, aber er könne den Rock nur annehmen, wenn er ganz nach seinem Geschmack gefertigt sei. Auf die Frage, was denn sein Geschmack in dieser Hinsicht verlange, antwortete er: »No han i do jetzund – wenn Sie mir einen Rock aus feinstem Tuch und nach der neuesten Mode machen lassen wollen, so müßte er auf jeder Seite eine große Tasche haben, worin die eine beständig mit Sechsbätznern und die andere mit Dreibätznern gefüllt wäre; denn wenn ich in solchem schönen Rock gekleidet einherginge, so wären die Bettler nicht mehr zufrieden, wenn ich ihnen bloß einen ganzen oder halben Kreuzer schenkte.«

Bei einem Gastmahl, an dem er teilnehmen mußte, hatte ein junger Herr vom Adel einen kostbaren Becher vor sich stehen, auf welchem die Worte eingegraben standen: Mit der Zeit! »Nicht wahr, Herr Pfarrer,« fing der adelige Herr an, Flattich zu foppen, »auf diesen Spruch finden Sie keinen Reim?« – »Doch, doch,« entgegnete Flattich, »Mit der Zeit – wird man g'scheit!«

Als Flattich einst zu Stuttgart im »Hirsch« zu Mittag aß und vorher still nach seiner Gewohnheit für sich betete, fragte ihn ein junger Geck spöttisch: »Nicht wahr, bei Ihnen zu Haus betet wohl alles?« – »Nein,« sagte Flattich, »ich habe im Stalle ein paar Säue, die beten nicht.«

Herzog Karl von Württemberg hielt sich damals oft auf der Solitude auf und lernte den froh-frommen Landpfarrer auch kennen. Durchlaucht liebte schlagfertige Antworten und nahm dabei auch derbe Wahrheiten mit in den Kauf. Am Geburtstag des Herzogs begegnete Flattich Seiner Durchlaucht ganz zufällig. Karl Eugen fragte gnädig vom Pferde herunter: »Was hat Er denn heute an meinem Geburtstag gepredigt?« Flattich entgegnete: »Do han i do jetzund, was werd' ich gepredigt haben? Fürsten sollen fürstliche Gedanken haben.«

Auch zur herzoglichen Tafel wurde der Pfarrer von Münchingen gerufen. Flattich hatte es einst bei dieser Gelegenheit unterlassen, nach dem damaligen Brauch sein Haupthaar zu pudern. Als Durchlaucht fragte, warum er ungepudert komme, antwortete er: »Durchlaucht, ich brauch' mein Mehl zu de Knöpfle.«

Flattich ward zuweilen aufgemuntert, die ihm lächelnde Gunst des Herzogs mehr zu benützen und Seiner Durchlaucht in Solitude häufiger seine, Aufwartung zu machen. Er aber entgegnete: »Do han i do jetzund – ich fürchte, die Hunde, die in großer Herren Hof herumlaufen, möchten nicht mehr von der Rasse sein, welche dem Lazarus seine Schwären leckten, sondern könnten mich auch beißen, wie sie so viele Leute schon gebissen haben.«

Eine Art Narrenfreiheit hatte er aber dem Herzog gegenüber gleichwohl, wie aus folgender Begebenheit hervorgeht. Der Reiteroberst Naso auf der Solitude hatte den Pfarrer von Münchingen zu Gevatter gebeten und schickte seine Kutsche dorthin, um ihn abzuholen. Flattich aber ließ sie gleich wieder umwenden und leer zurückfahren. Er selbst machte sich zu Fuß auf den Weg – er danke Gott, daß er laufen könne, das Fahren überlasse er den Krüppeln und Elenden, ließ er dem Oberst sagen. Der Herzog hörte die Meldung und sagte: »Wenn Flattich nicht fahren will, so muß er reiten,« und sandte einen Reitknecht mit einem zweiten wohlgesattelten Pferd Flattich entgegen. Dem Bedienten war der gemessenste Befehl erteilt und ihm ein deutlicher Wink mit der Reitpeitsche gegeben worden, Flattich auf dem Pferde vorzuführen. Bei der Begegnung erklärte Flattich rundweg, daß er sein Leben keinem unvernünftigen Tier anvertraue, auch habe der Herr Jesus seinen Aposteln nicht gesagt: »Reitet in alle Welt«, sondern »gehet hin in alle Welt!« Als die eigentümliche Reisegesellschaft in die Nähe des Schlosses gelangte, bat der Reitknecht den Pfarrherrn inständig, er möchte doch nachgeben und aufsitzen – ihm sei recht bange vor dem Zorn und der Ungnade des durchlauchtigsten Herzogs. Allein es half nichts, und sie kamen in der bisherigen Ordnung ans Ziel. Droben stand der Herzog mit der Reitpeitsche in der Hand und ließ sie unter Zischen und Pfeifen durch die Luft streichen als bedenkliches Vorzeichen dessen, was der arme Knecht zu erwarten habe. Flattich legte sich ins Mittel: »Durchlaucht, das sind Narrenpossen; nehmen Sie mich lieber in Ihr Kabinett, wir haben von wichtigeren Dingen zu reden.« –

Die Worte Flattichs: »Do han i do jetzund«, mit denen er regelmäßig seine Antworten, Gespräche und Predigten einleitete, haben wohl den Anlaß gegeben, daß er bei seiner Gemeinde in einen schlimmen Verdacht kam. Der Herzog, den einst die Jagd nach Münchingen geführt hatte, fragte die Bauern, wie sie mit ihrem Pfarrer zufrieden seien. »Er wäre schon recht,« meinte einer, »wenn er nur nicht jeden Sonntag das gleiche predigen würde.« Bei einer der nächsten Predigten hatte Flattich unter seinen Zuhörern den Herzog, der selbst ein Urteil gewinnen wollte. Nach Schluß des Gottesdienstes ließ Karl den Pfarrer und die Bauern zu sich kommen und sagte zu den letzteren: »Ihr habt mir unlängst verraten, daß euer Pfarrer jeden Sonntag dieselbe Predigt hält. Was hat er denn heute in seiner trefflichen Rede ausgeführt?« – »Jo, des wisse mir net!« ertönte es im Chor. Der Herzog drehte sich um und sagte lachend: »Flattich, noch einmal ein Jahr die gleiche Predigt!«

 

Hinter jedem Scherzwort Flattichs verbarg sich der tiefe Ernst des Mannes, der so hoch über dem Durchschnitt seiner Zeitgenossen stand und dennoch sich stets zum Diener jedermanns machte. Was er sprach und tat, war eine Art lustiger Frömmigkeit – wir nennen ihn den Pestalozzi einer häuslichen Lebensschule, einen Demokrit (lachenden Philosophen) der Erziehung.

(Nach Ph. Paulus, Ledderhose, Barth, Ehemann, Schäfer, v. Schubert, »Schwabenland« 1895 von A. Holder, Volz und Hummel.)

Schlußvignette

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