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Der Eichele von Bopfingen.

Ein Bopfinger Bürger, genannt der Eichele, verfeindete sich mit dem Stadt- oder Bürgermeister dermaßen, daß dieser schwur, ihn an den Galgen zu bringen. Der Stadtmeister wußte es auch einzurichten, daß Eichele eines schweren Verbrechens geziehen und vor das Gericht gestellt wurde. Seine Unschuld lag zwar klar zutage. Aber die Herren vom Rat, da sie sahen, daß der Stadtmeister von seinem Willen nicht lassen und dem Eichele an Leib und Leben gehen wollte, ließen der Sache ihren Lauf. Eichele hatte jedoch in der Stadt viele Freunde, die auf seine Unschuld schwuren und mit Gut und Blut zu ihm stehen wollten. Es war ohnehin eine Spaltung zwischen der Bürgerschaft und ihrem Rat entstanden. Denn die Zünfte, die bei den vielen Kriegen in Wehr und Waffen freisam geworden waren, wollten sich die Herrlichkeit der Geschlechter, die in Gericht und Rat saßen, nicht allewege mehr gefallen lassen. So verzog sich denn der Entscheid über Eichele geraume Zeit. Als aber endlich Friede ward und der Rat seine alte Macht wieder erlangt hatte, so wagte er's doch zuletzt und sprach das Todesurteil, daß Eichele wegen des Frevels zwischen Himmel und Erde an seinen Hals gehenkt werden solle.

Da nun das Armensünderglöcklein grillte, machte sich alles Volk auf und zog zum Tor hinaus, um den Eichele auf seinem letzten Gange zu begleiten. Niemand unterstand sich, ihm zu helfen; aber sie riefen ihm Abschiedsgrüße zu und sahen ihn traurig an, denn er war ein treuer, kühner, fröhlicher Gesell. Fröhlich und aufrecht schritt er auch bei diesem sauren Gang einher, also daß sich männiglich über ihn verwunderte. Ja, es schien zuweilen, als ob er sich Gewalt antun müßte, um das Lachen zu verbeißen. Zu seiner Rechten ging ein Priester, zu seiner Linken sein Fürsprech und Rechtsanwalt, der seine Sache vor Gericht geführt hatte. Endlich, als sie zur Richtstätte gelangten, sah sich alles Volk um, still und verwundert. Aber bald brachen sie in ein großes Gelächter aus; denn es war ihnen auf einmal klar, warum ihr Freund solche fröhliche Zuversicht blicken ließ. Es war nämlich weit und breit kein Galgen zu sehen, dieweil ihn die Feinde während einer Fehde erbeutet und mit fortgenommen hatten. Nun erst, als sie ihn nicht mehr auf seinem Platz sahen, gedachten die Bopfinger daran. Die Gerichts- und Ratsherren waren sehr erbost und befahlen, daß alsbald ein neuer Galgen aufgerichtet werden solle. Da trat aber Eicheles Fürsprech hervor und sprach: »Mit nichten, edle Herren, das wäre gegen Recht und Gesetz. Habt Ihr den Galgen nicht mehr, so habt Ihr auch die Gerechtigkeit verloren; denn sonst könnte ein jeglicher, der etliche Balken aufeinander zu zimmern vermag, den Blutbann ausüben. Wollet Ihr aber henken nach wie vor, so müsset Ihr entweder den alten Galgen bei unseren Feinden holen oder Euch einen neuen Freibrief für Galgen und Stock und alles Hochgerichte, auch was das Blut und Leib und Gut betrifft, vom Kaiser erbitten und ausstellen lassen.« – Was der Anwalt gesprochen hatte, das wurde von dem ganzen Volke mit einer Stimme für Recht erkannt, und der Rat mußte sich, wiewohl mit widerhaarigem Herzen, darein fügen. Ja, er mußte sogar, da Eicheles Freunde eine große Sicherheit und Bürgschaft für ihn darbrachten, den Verurteilten aus der Haft entlassen und bis zum Austrag der ganzen Sache auf freien Fuß stellen.

Nun wurmte es jedoch den Geschlechtern und Zünften und allem Volk und auch dem Eichele selbst, daß die Feinde ihren Stock und Galgen haben sollten. Sie schickten demnach zu ihnen und ließen ihr dreibeiniges Eigentum zurückfordern. Die Feinde lachten und antworteten, sie seien nicht gewohnt, ein geschenktes Gut wieder herauszugeben; wenn man den Galgen mit Gewalt holen wolle, so sei solches nicht verwehrt, in Güte werden sie ihn nun und nimmer lassen. Wäre es nun den Bopfinger Herren nach ihrem Sinn ergangen, so wäre abermals der Krieg entbrannt; aber die Zünfte wollten keinen neuen Krieg und sagten, der vorige sei nur aus Eigennutz der Herren angesponnen worden, die dabei ihr Schäflein geschoren hätten. Also waren die Herren genötigt, von ihrem Fürnehmen abzustehen. Sie wurden aber einig, an den Kaiser zu gehen und eine neue Galgengerechtsame zu erwirken. Denn der Kaiser war für alle Schäden gut, wenn man an ihn kommen konnte; nur war er nicht leicht zu finden, denn er zog das ganze Jahr im Reich umher und war bald da, bald dort. Also rüstete der Rat mit großen Kosten Gesandte aus; die zogen dem Kaiser nach und fragten allenthalben nach ihm. Es währte aber lang, bis sie ihn fanden. Und als sie ihn gefunden hatten, konnten sie nicht gleich vor ihn kommen; denn es waren Botschafter und Verordnete aus allen Landen da, und jeder wollte etwas von ihm und hatte ihm etwas zu klagen, also daß er viel zu richten und zu schlichten hatte. Da blieben sie einstweilen bei ihm, bis daß sie Gehör erlangen sollten, und zogen mit seiner Hofhaltung von Ort zu Ort durch das ganze Reich. Und weil sie auf solche Weise ihren Reisepfennig verzehrten, so mußten sie jeweils einen aus ihnen gen Bopfingen heimschicken, um neue Wegzehrung für sie zu holen. Auch mußten sie allen die Hände schmieren und salben, vom untersten Diener bis zu den obersten Erzämtern hinauf, um endlich zu dem Kaiser durchdringen zu können. Und auch vor dem Kaiser durften sie nicht mit leeren Händen erscheinen. Solches dauerte jahrelang, und die Bopfinger haben viel Geld und Gut dabei zusetzen müssen.

Unter dieser Zeit begab sich's einmal, daß ein fremder Dieb zu Bopfingen auf frischer Tat ergriffen wurde. Da saßen sie über ihn zu Gericht, und er bekannte ihnen frei, daß er um dieser und anderer Taten willen den Galgen reichlich verschuldet habe. Sintemal sie aber nicht hatten, woran sie ihn henken konnten, schämten sie sich sehr, gaben ihm fünfzig Gulden und sagten, er solle sich anderswo einen Galgen suchen. Der Dieb meinte, sie hätten das aus Verachtung seiner getan und wollten ihren Galgen schonen, ward also sehr erbost, lief hin zu den Feinden und bot ihnen die fünfzig Gulden, so sie ihm zu seinem Recht verhelfen wollten. Diese aber pochten und sprachen: »Was bedürfen wir eines Fremden? Dieser Galgen ist für uns und unsere Kinder« – und ließen ihn mit diesen Worten wieder laufen. Der Dieb zog auch lang umher im Reich und konnte nicht zu seinem Rechte kommen, bis er zuletzt nach Westfalen geriet und der heiligen Feme in die Hände fiel. Dieselbige erbarmte sich sein, henkte ihn an den nächsten Baum, wie es ihre Weise, Handhabung und Gewohnheit war, und steckte ihr Messer dazu. Denn dieses Gericht übte großen Fleiß und nahm sich aller Missetaten an, die sonst in den Landen deutscher Zunge ihr Recht und ihren Strick nicht finden konnten.

Nachdem nun die Gesandten der Bopfinger viele Jahre mit dem Kaiser umhergefahren waren, erdrangen sie endlich einen Brief von ihm, worin ihnen die Freiheit und Gewalt erteilt war, einen neuen Stock und Galgen aufzurichten und sich desselbigen zu gebrauchen. Und alsbald, da sie das Pergament mit dem kaiserlichen Siegel nach Hause brachten, ließ der Rat den Galgen zimmern und den Eichele hinausführen, um das vergilbte, aber noch rechtskräftige Urteil nunmehr durch die Hand des Meisters Hämmerling an ihm zu vollstrecken. Und abermals zog die Gemeinde traurig mit und getraute sich nicht, ihren Freund zu erretten. Der aber war betagt und lebenssatt. Und als sein Anwalt im Hinausziehen zu ihm sprach, diesmal werde ihm nicht mehr zu helfen sein, so antwortete er, es liege ihm nicht viel daran, und doch, so lange er noch nicht von der Leiter gestoßen sei, könne sein Heil noch blühen, und seine Feinde hatten keine Ursache, sich zu freuen. Da er nun auf der Leiter stund, so verlas ein Ratsherr mit lauter Stimme den kaiserlichen Freibrief vor der Gemeinde. Der Eichele hörte aufmerksam zu, und bei einer Stelle gab er seinem Anwalt einen Wink. Dessen Gesicht aber sah mit einmal ganz freundlich aus wie ein Herbsttag, wenn sich das Gewölke verzieht. Der Ratsherr, da er zu Ende war, wollte den Befehl zur Hinrichtung geben, und der Henker griff schon zu. Da trat aber der Anwalt hervor und sprach: »Edle, gestrenge, feste, wohlweise, fürsichtige Herren! Ihr habt zwar von kaiserlicher Majestät die Freiheit erlangt, Holz im Walde zu fällen und einen Galgen daraus zu zimmern, selbigen auch aufzurichten, nebst Bewilligung andern Zubehörs an Eisen, Klammern, Nägeln, Leiter und mehr. Aber die Hauptsache ist von kaiserlicher Majestät übersehen und vergessen worden, nämlich die Gerechtigkeit, einen Strick an dem Galgen zu haben, da doch sonsten in dem Privilegio aller Punkten gar besonders gedacht wird und kein Jota mangelt, nur allein den Strick ausgenommen. Bin derhalben gänzlich der Meinung, Ihr müsset den Kaiser noch einmal beschicken und des Stricks wegen um ein vollständiges Privilegium einkommen, anheute aber und bis auf weiteres Euch vorhabender dieser Exekution bemüßigen.« – Über solchen Protest entstand ein unermeßliches Frohlocken in der Bürgerschaft, und der Eichele ward mit lachendem Munde von der Leiter herabgeholt. Der Rat wollte sich zwar dagegen setzen, aber er mußte die Satzung und den Rechtsbuchstaben ungescholten lassen, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als auf ein oberstrichterliches Erkenntnis anzutragen, bis zu dessen Findung und Fällung der Eichele abermals gegen Bürgschaft seiner Freunde auf freien Fuß gesetzt werden mußte. Die Sache kam vor das löbliche Kammergericht, das jegliches Unrecht von Herzen scheute und darum ein Urteil in keinerlei Weise übereilte. Endlich erließ es aber doch seinen Spruch und erkannte, daß der Rat allerdings den Kaiser erst um ein besonderes Privilegium, sich des Stricks zu bedienen, bitten müsse, und daß er, bevor ihm sotanes Privilegium erteilt sein würde, sich eines peinlichen Halsgerichtes, wobei auf den Strick erkannt werde, in allwege zu enthalten habe.

Da nun der Spruch, nach welchem der Verurteilte den »dürren Baum reiten« sollte, nicht mehr zu ändern war und seine Widersacher sich nicht unterstehen durften, ihn mit einer andern Strafe anzusehen, so zogen die Gesandten wieder dem Kaiser nach und mit dem Kaiser im Reich umher. Weil jedoch der Herr bei dem großen Drang des Regiments nicht gern von derselbigen Sache zweimal hören wollte, so hatten sie mit dem Strick noch viel mehr Kummer, Aufenthalt und Hindersal, denn sie zuvor mit dem Galgen gehabt hatten. Da sie aber zuletzt doch ihre Werbung vollbracht hatten und mit der Gerechtigkeit des Stricks als alte eisgraue Männer nach Hause kamen, da fanden sie die Geschlechter vertrieben, die Zünfte in Rat und Gericht eingesetzt und die ganze Ordnung umgekehrt. Sie legten der neuen Obrigkeit Rechenschaft von ihrer Sendung ab, überlieferten die besiegelte Urkunde und erlangten freien Abzug, worauf sie eilends weiter reisten, um ihre alten Freunde aufzusuchen.

Auf solche Weise sind die Bopfinger endlich wieder zu ihrem Galgen und Strick gekommen. Der unversöhnliche Bürgermeister erlebte dies aber nicht mehr. Am Tage, wo die Zünfte über den Rat obsiegten, war er vor Leid und Unmut gestorben, und auch der Eichele schlief schon längst, aller Todesangst überhoben, unter einem schönen Grabstein, den ihm seine Freunde aus den Zinsen des Bürgschaftsgeldes hatten setzen lassen. Nach alter Sitte war auf dem Stein der Inschrift beigefügt: Ascensionem exspectans, und das heißt zu Deutsch: Er harret seiner Erhöhung.

(Nach Hermann Kurz.)

Schlußvignette

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