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Ein schwäbisches Dorf, das nicht zu Europa gehört

In einem Dörflein auf der Schwabenalb, das zwischen Münsingen und Urach und zwischen Paris und dem Schwarzen Meer gelegen ist, ereignete sich vor vierzig und noch ein paar Jahren folgende anmutige und wahre Geschichte. Der Schulinspektor war ins Dorf gekommen und hatte die Mägdlein und die Burschen geprüft und loben können. Was er aber nicht loben konnte, das war die Knauserei der Gemeinderäte, die nicht einmal die für die Schule notwendigen Wandkarten angeschafft hatten. Er versammelte nun nach der Visitation den Gemeinderat samt dem Schultheißen um sich und sagte ihnen dieses und jenes, was sie für die Schule zu tun und nicht zu unterlassen hätten. Und zuletzt forderte er auch die Anschaffung einer Wandkarte von Europa. Darob war nun allgemeines Schütteln des Kopfes bei allen Gemeinderäten des Dorfes, und der Schulze erhob bedeutsam zuerst den Zeigefinger und dann die Stimme und sprach: »Ihr Herre, zu was auch? Eine Karte von Europa, sonst nix! I schätz, von alle onsre Kender kommt jo doch nie amol ois noch deam Europa. Also brauchet mer au koi Kart von Europa.« Sprach's, und die andern nickten. Und damit war der Erdteil Europa laut Gemeinderatsbeschluß von Dingsheim im Handumkehr um eine ganze Gemeindemarkung mit ungefähr zwölfhundert schwäbischen Morgen Land kleiner und um etliche 300 kluge Leute ärmer geworden. Und seit dieser Zeit ist das europäische Gleichgewicht gestört und die Erdachse läuft nun schief, dieweil die Dingsheimer keine Europäer sein wollen.

(C. Schnerring-Kirchheim u. T.)

Schlußvignette

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