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Der fatale Spittelbrei.

Zwei Jahre vor seinem Tod besuchte Herzog Christoph den Bürgerspital in Stuttgart, um in demselben nach Kost, Wein und Lein zu schauen, ob alles nach Vorschrift bestünde. Es war den 20. April 1566. Gewöhnlich ging der Herzog in einem einfachen schwarzen Gewande, und seine Figur war schmächtig, sein Angesicht bleich und furchenvoll. Wer ihn nicht kannte, sah ihm seinen hohen Stand nicht an. Sein Begleiter war der Kirchenkastenknecht Schnell, den er auf dem Weg bei der Heuladgasse zum Mitgehen ansprach, und der eben nur sein Werktagswams anhatte. Es wurde deshalb wenig nach den unbekannten Zweien gefragt, als sie sich in der Küche und in den Zimmern umsahen; sie bekamen auch auf ihre Fragen über dieses oder jenes nur kurzen Bescheid. Endlich kamen sie auch in die Gemächer der sogenannten »reichen Pfründner«, d. h. solcher Spitalinsassen, welche von ihrem Vermögen lebten und gegen Bezahlung von der Anstalt Dach und Fach, Kost usw. hatten. Hier traf nun der Herzog eine alte Frau, welche eben einen Nudelteig knetete. Unwirsch schon über den ungebetenen und unzeitigen Besuch dankte die Alte den Eintretenden nicht auf ihren zweimaligen Gruß. Dies machte jedoch den gutgelaunten, allezeit gütigen Fürsten nicht irre. – »'s scheint, Mütterlein,« sagte er, »Ihr wißt es Euch hier recht weich und bequem zu machen; denn wenn man am Werktag Fladen (Kuchen) menget, so mag einem das Zwirnziehen (Spinnen) nicht gar anliegen.« Ob dieser Rede wurde das Weib, das den Herzog nicht kannte, entsetzlich bös und schrie: »So? Ist's etwa eine Sünde, wenn der nicht Spittelbrot frißt, der in reicher Pfründe sitzt? Versucht einmal jenen Hirsenstampf, der dort auf dem Ofeneck steht, von der Küche weder g'schmalzen noch g'salzen; es wird Euch ein eingeschlagen Ochsenaug auch besser munden!« Vergnüglich trat der Fürst hinan, nahm den Löffel und tat ein »Schüblein«. Kaum aber hatte er den Brei gekostet, so ließ er den Löffel darin stecken. »Ei, daß dich der Satan hol', du Schleckhans! Gelt, es wären gelbe Nudeln dir jetzt auch lieber!« schrie grimmig die erzürnte Alte. »So sei doch nicht so böse,« beschwichtigte Christoph, »Ihr seid schon so nahe an der Ewigkeit und habt vielleicht nur noch einen Schritt zum Grabe; darum befreundet Euch mit der Versöhnung Eurer Feinde und mit gottseliger Frömmigkeit.« – »Was Frömmigkeit!« gab die Alte zurück, »was Grab und Ewigkeit! Sorget nur erst für Euch selbst oder lasset Euch hängen; denn zu einem solch hohen Alter wie ich werdet Ihr es doch nicht mit Ehren bringen!« Darüber lachte der Fürst herzlich und wendete sich gegen die Türe. Plötzlich aber ergriff das erboste Weib die Schüssel mit dem Hirsenbrei und warf sie dem Herzog in den Nacken. – »Es tut mir nur leid um mein Feierkleid und um den Hirsenbrei,« sprach gelassen der Herzog, »aber man hole mir doch einmal den Vogt!« (den Vorsteher des Spitals). Nach kurzer Weile erschien der Gerufene zitternd vor dem Herzog, dessen Unglück er eben vernommen hatte. – »Habt Ihr eine Sperrstube für Ungebärdige in diesem Hause?« fragte gelassen Christoph, den das Weib immer noch nicht kannte. – »In allweg, Herzogliche Durchlaucht!« sagte der Vogt. »So sperrt dieses Weib,« befahl der Herzog, »welches dieses Hauses Atzung so schnöde ehret, drei Monde hinein mit der Aufgabe, daß sie jeden Werktag, den sie gesund ist, tausend Faden spinne; dabei sei ihr aber tagtäglich nur Hirsebrei zugedacht. Und sollte sie die Zahl der aufgegebenen Faden nicht zwirnen, so versage man ihr auch die Hirsensuppe und gönne ihr nur Spittelbrot nebst eitel Wasser.« – Es geschah dem Weib, wie der Fürst befohlen hatte. Anfangs wollte sie zwar ihrer Auflage nicht nachkommen, allein in einigen Tagen schon drillte sie die aufgegebenen Fäden. Nach Umfluß von drei Monaten wurde das Weib wieder befreit. Von jener Zeit an wurde die Strafstube »Spinnstube« genannt.

(Nick, Stuttgarer Chronk und Sagenbuch)

Schlußvignette

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