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Der Buttenlochschneider von Heubach.

»Alles ist schon dagewesen« soll einst ein weiser Mann gesagt haben. Hätte er den Buttenlochschneider von Heubach gekannt und seine Abenteuer, gewiß er hätte diesen Ausspruch nicht getan oder wenigstens ihn eingeschränkt. Zwar sagte man in Heubach vom Buttenlochschneider, er sei nicht nur ein Schneider mit Nadel und Schere, sondern auch ein echter und gerechter Aufschneider. Den Buttenlochschneider kümmerten aber solche Reden nicht; er war von der Wahrheit seiner Erzählungen ganz durchdrungen und über das Wundersame daran selber so sehr erstaunt, daß er gewöhnlich seine Rede mit den Worten schloß: »Sollte man so etwas auch für möglich halten!« Uns Kinder ließ der Streit, ob der Buttenlochschneider die Wahrheit sage oder nicht, ziemlich kühl. Für uns war es ein Fest, wenn der Buttenlochschneider ins Haus kam zum Ausnähen oder im Herbst, um das Kraut einzuschneiden. Alles drängte sich dann um ihn und lauschte seinen Worten. Und je wunderbarer seine Geschichten waren, und je ärger uns dabei das kalte Grausen den Buckel hinauslief, desto schöner waren sie gewesen.

Aus seiner Jugendzeit erzählte uns der Buttenlochschneider folgende merkwürdige Geschichte. Meine Lehrzeit als Schneider war aus, und ich wollte nun wie andere Burschen wandern. Ich nahm also das Felleisen auf den Rücken und den Knotenstock in die Hand und wanderte mutig der Sonne entgegen. Auf der Wanderschaft ging es mir gut. Kam ich in eine Stadt, wo es mir gefiel, so nahm ich Arbeit. Gefiel es mir nicht mehr, so sagte ich dem Meister und der Meisterin Ade und zog meines Weges weiter. Sorgen machte ich mir keine, und hatte ich einmal kein Geld in der Tasche: ein ordentlicher Handwerksbursche kann auch fechten. So verging die Zeit nur zu rasch, und ich kam immer weiter von der Heimat weg. Endlich sogar in ein Land, wo man mich nicht mehr verstand, und wo die Leute mit dem Kopf schüttelten, wenn ich sie etwas fragte. Doch gaben sie mir genug zu essen, wenn ich mit der Hand auf den offenen Mund zeigte, und am Trinken fehlte es mir auch nicht, denn Wein und Bier gibt es dort mehr als bei uns. Wer weiß, ob ich den Heimweg je wieder gefunden hätte, wäre mir nicht eines Tages etwas Merkwürdiges passiert. An diesem Tage nämlich wanderte ich durch ein weites, ebenes Land. Nirgends war ein Dorf oder ein Haus zu sehen. Wie ich nun in einen Wald biege, liegt vor mir ein ungeheuer großes Wasser. Es muß wohl das Meer gewesen sein, denn nirgends sah ich davon ein Ende. Ich folgte dem Weg, der auf einem schmalen Landstreifen weiterging, und stand plötzlich vor einer hohen Bretterwand, höher als ein Haus und links und rechts umgeben von Wasser. Der Weg hatte ein Ende, und ich lief an dem Bretterverschlag auf und ab, um eine Türe zu suchen; ich konnte aber nirgends eine finden. Nur ein kleines Spältlein war zu entdecken, durch das ich ein wenig schauen konnte, und denket euch mein Erstaunen: Hinter den Brettern war nichts, auch gar nichts zu sehen, und ich stand also offenbar am Ende der Welt. Um ein wenig auszuruhen, denn ich war müde geworden, warf ich mein Felleisen ins Gras und setzte mich darauf. Wie ich mir nun die Bretterwand, die das Ende der Welt bedeutete, näher anschaue, sah ich an ihr weit oben mehrere Luftlöcher; durch sie flogen die Schwalben aus und ein. Unter den Löchern aber standen in großen Buchstaben die Worte: »Tropf, kehr' um!« – Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich nahm mein Bündel wieder auf den Rücken und wandte meine Schritte rückwärts. Ich kam auch glücklich wieder in bewohnte Gegenden und auf langen Wegen endlich zurück nach Heubach. Hier kaufte ich mir im Buttenloch ein Haus und bin so der Buttenlochschneider geworden. Aber heute noch freut es mich, daß ich auf der Wanderschaft so weit gewesen und gar ans Ende der Welt gekommen bin, allwo man nicht mehr weiter kann, dieweil die Welt mit Brettern vernagelt ist.

Von seinen Abenteuern als Jägersmann wußte der Buttenlochschneider eine Menge Geschichten zu berichten. Hier eine Probe davon. – Mein Nachbar im Buttenloch war der alte Feldmeier. Der klagte mir eines Morgens, daß in der Nacht ein Marder seinem Hühnerstall einen Besuch gemacht und seine beste Henne von den Eiern weggeholt habe. »Warte nur,« sagte ich, »dem wollen wir das Handwerk legen.« Ich nahm also eine Falle, tat ein Ei hinein und stellte sie vorsichtig beim Hühnerstall auf. Richtig, am andern Tag hing auch schon der Marder in der Falle. Es war ein großes, prächtiges Tier. »Weib,« sagte ich zu meiner Alten, »das gibt morgen ein saftiges Sonntagsbrätlein; ich will ihn abziehen und zurichten, daß du ihn nur noch in die Pfanne legen darfst.« Der Sonntag kam, und meine Alte briet den Marder schön braun und stellte ihn mittags auf den Tisch. Uns allen lief das Wasser im Munde zusammen, so prächtig roch der Braten. Wie ich mich nun mit Messer und Gabel hinter den Marder machen und ihn zerlegen will, da auf einmal springt das Tier auf, ist im Hui über dem Tisch drüben und zum offenen Fenster hinaus. Wir alle waren zuerst starr vor Schreck und Staunen. Dann aber sprang ich schnell zum Fenster, um den Flüchtling womöglich noch zu erhaschen. Aber was mußte ich sehen! Der Marder war drüben schon auf Feldmeiers Hof unter einer Schar Hennen, hatte eine am Kragen gepackt und lief jetzt mit ihr im Galopp davon. Sollte man so etwas für möglich halten? Wenn ich's nicht mit meinen eigenen Augen gesehen hätte, glauben würde ich's nicht.

Noch eine andere Jägergeschichte des Buttenlochschneiders. – Eines Abends, als ich noch auf die Jagd ging, war ich droben am Scheuelberg auf dem Anstand. Ich hatte dort einen Rehbock auskundschaftet und gedachte ihn nun zu erlegen. Um von dem Tier nicht gesehen zu werden, setzte ich mich in eine kleine Felsenspalte und legte neben mich auf den Wasboden meine Jagdtasche, deren Deckel aus dem Fell eines jungen Rehkitzchens gemacht war. Wie ich nun so dasitze und warte, höre ich plötzlich einen Uhu rufen. »Donner!« dachte ich, der verscheucht mir gewiß meinen Rehbock!« Der Uhu kam näher und näher. Plötzlich rauscht sein Flügelschlag über mir, und jetzt stürzt das Tier herab auf meine Jagdtasche, die es wohl für ein schlafendes Rehkitzlein hielt, packt sie mit den Krallen und trägt sie hinauf in die Luft. Das ging aber alles so geschwind, daß ich weder Feuer geben noch mich von dem Riemen der Jagdtasche frei machen konnte. Also hange ich an meiner Tasche droben in der Luft, und der Uhu trägt mich vom Scheuelberg über Heubach hinweg zum Rosenstein hinüber, wo er sein Nest hatte. Glücklicherweise war der Riemen stark genug, um mich zu tragen, sonst wäre ich in die grausige Tiefe gefallen. Drüben auf dem Lärmfelsen, als der Uhu ganz nahe über der Erde flog, nahm ich mein Gewehr, das ich immer fest in den Händen gehalten hatte, wandte es gegen die untere Seite des Vogels und drückte ab. Mit einem schrillen Klageton fiel der Uhu langsam zu Boden. So war ich gerettet, ohne daß mir ein Haar gekrümmt worden wäre. Sollt' man so etwas glauben? An den Flug vom Scheuelberg bis hinüber zum Rosenstein werde ich aber meiner Lebtag gedenken.

(Mündlich von K. Rommel-Reutlingen.)

Schlußvignette

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