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Geschichte von dem Könige, dem alles verloren ging, und dem Gott alles wiedergab.

In Indien lebte ein sehr rechtschaffener, gottesfürchtiger und weiser König, der sich alles Verbotenen enthielt. Er hatte eine seiner Nichten geheiratet, die von königlichem Geschlecht und mit allen Tugenden sowie auch mit vorzüglicher Schönheit ausgestattet war. Sie wurde Mutter von zwei Knaben, die an Liebenswürdigkeit ganz ihr Ebenbild waren. Das Schicksal, welches niemand abzuwenden vermag, fügte es, daß ein anderer König gegen ihn auszog und diejenigen seiner Untertanen, die sich nach Plünderung sehnten, gegen ihn aufstanden und sich mit jenem Könige verbanden, der nun sein Land überfiel, seine Truppen in die Flucht schlug und seine treusten Soldaten tötete. Der König sah sich genötigt, mit seiner Frau und seinen Kindern die Flucht zu ergreifen und nur das Notwendigste mitzunehmen. Als sie schon ziemlich weit entfernt waren, überfiel sie ein Haufen Räuber, die ihnen nichts ließen als die Kleider, die sie anhatten. Sie setzten ihren Weg fort, bis sie an einen großen Wald kamen, der durch einen Strom von ihnen getrennt war. Da dieser indes eben nicht viel Wasser enthielt, so entschloß sich der König, seine Kinder eins nach dem andern hinüberzutragen. Als er nun auch ihre Mutter abholte, um sie hinüberzutragen, und sie glücklich an den Ort brachte, wo er seine Kinder verlassen hatte, fand er sie beide nicht mehr. Er begab sich sofort in die Mitte der waldigen Insel und fand daselbst einen Greis und eine alte Frau, die sich da eine Hütte gebaut hatten. Diesen übergab er seine Frau und ging sodann weiter fort, um seine Kinder aufzusuchen. Indes er vermochte nicht die mindeste Spur von ihnen anzutreffen. Diese waren nämlich tiefer in den Wald gegangen, hatten sich getrennt und so verirrt, daß keiner von dem andern etwas wußte. Schon seit mehreren Tagen hatten sie die Stelle, wo sie ihr Vater hingebracht hatte, wiederzufinden gesucht, waren aber an einer ganz entgegengesetzten Stelle des Waldes wieder herausgekommen. Ihr Vater kehrte nun betrübt zu seiner Gattin zurück, und sie lebten von nun an mit den beiden alten Leuten von den Früchten der Insel.

Eines Tages ankerte ein Schiff an dieser Insel, um sich mit frischem Wasser zu versorgen. Dies Schiff nebst der ganzen Ladung gehörte einem Magier, der ein Kaufmann war. Der Greis, der sehr geldgierig war, benachrichtigte den Magier von der Schönheit der Frau des Königs und erweckte in ihm die Begierde, sich ihrer mit List zu bemächtigen. Er schickte nun in dieser Absicht einen Boten an sie ab mit der Meldung, daß auf dem Schiffe sich eine schwangere Frau befände, die ihrer Entbindung so nahe zu sein schien, daß sie vermuteten, sie würde schon in dieser Nacht entbunden werden. »Wolltest du nun nicht die Güte haben,« fügte der Bote hinzu, »ihr behilflich zu sein?« Sie willigte gern darein und wurde demzufolge in das Schiff hinübergeholt, welches sie ohne alle Besorgnis betrat. Kaum aber war sie da angelangt, als die Anker gelichtet, die Segel aufgezogen wurden und das Schiff eiligst davonsegelte. Da erhob der König, welcher es sah, ein großes Klagegeschrei, und die Königin im Schiffe weinte und wollte sich ins Meer stürzen, worauf der Magier seinen Schiffsleuten befahl, sie festzuhalten. Die Nacht begann schon dunkel zu werden, und das Schiff verschwand endlich ganz aus den Augen des Königs, welcher darüber ohnmächtig zu Boden sank. Als der Morgen anbrach, beweinte er das Schicksal seiner Frau und seiner Kinder und sang folgende Verse:

»O Geschick, wie lange wirst du noch feindlich gegen die Menschen verfahren? Sage, bleibt wohl noch jemand übrig, den du verschont hättest?

Alles, was ich liebte ist mir geraubt, und mit ihm meine Freude! Ach, wie wenig wußte ich sie zu schätzen und das Glück ihres Besitzes zu würdigen!

Doch als wir getrennt wurden, da brannte mein Herz von der Flamme des Schmerzes. Ich werde nie den Tag vergessen, wo sie von mir gingen und mich allein zurückließen.

Wenn ich vor Trennungsgram mein Herz zermalmte, ehe ich meine Kleider zerriß, so könnte mich wahrlich niemand deshalb tadeln.«

 

Neunhundertundzwanzigste Nacht.

Betrübt ging der König an dem Ufer des Meeres mehrere Tagereisen weit fort, nährte sich von Kräutern, erblickte aber kein lebendes Wesen. Endlich gelangte er auf eine bebaute Ebene und zuletzt zu einer Stadt am Ufer des Meeres. Da es schon sehr spät war, so wollte man ihm die Tore nicht öffnen, weshalb er die Nacht außerhalb des Tores zubringen mußte.

Der König dieser Stadt war soeben kinderlos gestorben, und die Bewohner waren über die Wahl eines Nachfolgers uneinig. Beinahe hätten sich die Parteien bekriegt, wofern sie nicht noch folgenden Vorschlag angenommen hätten. Sie beschlossen nämlich, denjenigen zum Könige zu wählen, welchen der Lieblingselefant des verstorbenen Königs auszeichnen werde, und sich wegen dieser Sache nicht weiter zu entzweien. Sie führten also den Elefanten aus der Stadt, in welcher kein Mensch, weder Mann noch Weib, zurückblieb, weil alle bei diesem Ereignis gegenwärtig zu sein wünschten. Der Elefant wurde geschmückt, auf seinem Rücken ein Thron befestigt und ihm in den Rüssel eine Krone gegeben. Er fing nun an, die Leute genau zu betrachten, und blieb endlich vor dem fremden unglücklichen Könige stehen, vor diesem neigte er sich, setzte ihm die Krone aufs Haupt und hob ihn auf den Thron. Die versammelten Menschen neigten sich hierauf ebenfalls vor ihm und wünschten sich Glück, ihren Zwist nunmehr beendigt zu sehn. Mit Musik begleitet zog er nun in die Stadt und in das königliche Schloß ein, woselbst er sich gekrönt auf den Thron setzte und die Huldigungen empfing. Hierauf fuhr er nach seiner früher gewohnten Weise daselbst fort, zu regieren und als König zu handeln, indem er die Angelegenheiten der Untertanen richtete, die Kriegsheere instand setzte, den Gefangenen die Freiheit schenkte und die Bedrückten erleichterte, so daß alle Leute in dem Urteile übereinstimmten: er sei ein großer König.

Sein Vorfahr hatte eine Frau und eine Tochter hinterlassen, und man wünschte allgemein, daß sich der König mit der letzteren verehelichen möchte. Der König versprach es zwar, setzte aber die Feierlichkeit sehr lange aus, und zwar wegen seiner ersten Frau, neben welcher er keine andre heiraten wollte. Er fastete, betete, spendete Almosen und bat Gott, er möchte ihn doch bald wieder mit seiner Frau und seinen Kindern vereinigen. Nach Verlauf eines Jahres kam daselbst ein mit kostbaren Waren angefülltes Schiff an, und da es Brauch war, daß der König auf jedes neu angekommene Schiff vertraute Leute sendete, um die Waren zu betrachten und sie dem Könige vorzulegen, damit er das, was ihm gefiele, kaufen könne, so sandte er diesmal zwei junge Leute aus das Schiff.

Um unterdes auf die Frau des Königs zurückzukommen, so hatte der Magier derselben die Ehe angeboten und ihr ein bedeutendes Vermögen zugesichert; allein sie hatte alles zurückgewiesen und wäre am liebsten vor Schmerz gestorben, ja sie würde sich wirklich ins Meer gestürzt haben, wenn sie nicht der Magier hätte in Fesseln legen lassen, vor Wut drohte dieser ihr nun: »Ich will dich mit Schimpf und Schande bedecken und dich peinigen, bis daß du einwilligest!« Sie blieb indes standhaft und traute auf den erhabenen Gott, daß er sie von diesem Bösewicht doch endlich befreien werde. In diesem Zustande waren sie von Land zu Land gereist und waren endlich zu der Stadt gekommen, in welcher ihr Gemahl König war. Als dieser die Waren des Schisses unter Aussicht nehmen ließ, verbarg der Magier die Frau in einen großen Kasten, damit die beiden jungen Leute, die bereits bei dem verstorbenen Könige Edelknaben gewesen waren, und die der jetzige in seinen Diensten behalten hatte, sie nicht erblicken möchten. Nachdem der Abend herangekommen war, unterhielten sich die beiden Edelknaben aus dem Schiffe – sie erinnerten sich bei dieser Gelegenheit an die Sage ihrer Kindheit, und wie ihre Eltern aus ihrem Lande sich flüchten mußten, und wie sie bei einem Walde entführt worden wären, und überhaupt, wie das Geschick sie von ihren Eltern getrennt hatte. Als die Frau diese Unterhaltung vernahm, rief sie aus dem Kasten: »Ich bin eure Mutter, und zum Zeichen, daß ich die Wahrheit sage, gebe ich euch das und das an.« An diesem Merkmale erkannten beide sogleich ihre Mutter wieder, stürzten sich aus den Kasten, erbrachen ihn und befreiten ihre Mutter aus demselben. Wie diese nun ihre Kinder wiedersah, drückte sie dieselben an ihre Brust, und alle drei umarmten sich und blieben lange Zeit in dieser Umarmung. Die Leute auf dem Schiffe wunderten sich über diesen Anblick, erkundigten sich nach der Ursache und erfuhren von den Söhnen alsbald den ganzen Verlauf der Sache. In demselben Augenblicke kam der Magier, erhob ein fürchterliches Geschrei und sagte zu den beiden Brüdern: »Warum habt ihr den Kasten zerbrochen? Ich hatte darin kostbare Edelsteine, die ihr mir gestohlen habt, und jene Frau ist meine Magd, die mit euch übereingekommen ist, um durch diese List mein Vermögen zu rauben.« Er zerriß hierauf seine Kleider, schrie um Hilfe und sprach: »Bei Gott, ich werde den König ersuchen, daß er mich von diesen beiden gottlosen Aufsehern befreie.« Sie dagegen riefen: »Dies ist unsere Mutter, und du hast sie geraubt!« Es entstand nunmehr ein heftiger Wortwechsel, worauf sie alle vor den König geführt wurden. Als nun jeder demselben seine Angelegenheiten vorgestellt hatte, erkannte sie der König wieder, sein Herz schlug vor Freude, und seine Augen füllten sich mit Tränen beim Anblick seiner Frau und seiner Kinder, und er pries den erhabenen Gott und dankte ihm für diese Wiedervereinigung. Sodann befahl er der Versammlung, sich zu entfernen, zugleich ließ er den Magier nebst der Frau und den beiden Edelknaben in Verwahrung bringen und befahl, sie streng zu bewachen bis zum andern Morgen, wo er die Richter und Weisen versammeln würde. Dies wurde denn auch genau befolgt, und der König brachte seine Nacht mit Beten und Lobpreisungen zu.

 

Neunhundertundeinundzwanzigste Nacht.

Als am andern Morgen die Weisen des Reichs, die Richter und ihre Stellvertreter zusammengekommen und der Magier, die beiden Edelknaben und ihre Mutter vorgeführt worden waren und der König sich nach ihren Angelegenheiten erkundigt hatte, sagten die beiden Jünglinge, bei denen er die Untersuchung anfing, folgendes: »Wir sind die beiden Söhne des Königs N. Böse Menschen und Feinde hatten sich des Reichs bemächtigt, und unser Vater war genötigt, mit uns vor ihnen zu entfliehen.« – »Ihr sagt da etwas ganz Sonderbares,« unterbrach sie der König, »und was geschah mit eurem Vater?« – »Wir wissen nicht, was das Geschick seitdem über ihn verhängt hat.« Der König schwieg, wandte sich nach einer Weile zu der Frau und fragte sie: »was sagst du deinerseits?« Diese erzählte ihm nun alles bis zu der Begebenheit mit dem Greise und der alten Frau, die am Meere wohnten. Auch erwähnte sie der List, die der Magier angewandt, und wie er sie aus alle Art und Weise gepeinigt habe. »Dir ist viel Unglück begegnet,« sprach der König vor der ganzen Versammlung. »Weißt du aber wohl etwas von deinem Manne?« – »Bei Gott, ich weiß nichts von ihm!« erwiderte sie; »aber keine Stunde vergeht, wo ich nicht für ihn bete, und nie werde ich ihn, den Vater meiner Kinder, der zugleich mein Oheim war, vergessen.« hier konnte der König sich kaum der Thränen enthalten; dennoch sprach er mit fester Stimme zum Magier: »Was hast du dawider zu sagen?« – »Es ist meine Sklavin, die ich mit meinem Gelde mir gekauft habe,« antwortete dieser, »und zwar in dem und dem Lande und um den und den Preis. Ich liebte sie und vertraute ihr mein ganzes Vermögen an; sie hat mich aber hintergangen und sich mit einem dieser beiden Jünglinge verbunden, um mich zu töten, wofür sie ihm versprach, ihn nach meinem Tode zu heiraten. Sobald ich mich nun davon überzeugt hatte, so ergriff ich sie; sie indes hat sich mit den beiden Edelknaben beredet, alles das vorzugeben, was sie dir soeben erzählt haben. Laß dich aber nur nicht von ihnen betören.« – »Du hast gelogen, Verräter!« rief ihm der König zu und befahl, ihn zu binden. Sodann wandte er sich zu den beiden Jünglingen, seinen Söhnen, drückte sie weinend an seine Brust und sprach: »O ihr versammelten Richter, Rechtsgelehrten und Großen des Reichs, wisset, daß diese beiden Jünglinge meine Kinder sind, und daß jene da meine Gattin ist. Ich war König in dem und dem Lande,« und so fuhr er fort, ihnen seine ganze Geschichte zu erzählen, deren Wiederholung hier überflüssig sein würde. Die Anwesenden waren über dieses Ereignis tief gerührt, wünschten dem Könige. Glück zu diesem Ausgange und baten ihn, die Strafe des Magiers zu beschleunigen, welche er indes noch einige Tage verschob.

 

Neunhundertundzweiundzwanzigste Nacht.

Drei Tage hatte sich bereits der König an den Freuden des Wiedersehens mit seiner Gattin und seinen Kindern geletzt, ohne irgend jemanden vor sich gelassen zu haben. Am vierten aber bestieg er seinen Thron. Zugleich versammelte sich alles Volk, ein jeder nach seinem Rang und seiner Würde, und alle vereinigten sich, ihn zu preisen, wofür er ihnen seinen Dank an den Tag legte. Hierauf befahl er, den Magier vorzuführen. Dieser wurde nun auf ein dazu eigens erbautes Gerüst gestellt, und nachdem der König dem versammelten Volke seine Schandtaten entdeckt hatte, befahl er den Anwesenden, ihm ins Gesicht zu speien. »Denn dieser Bösewicht,« sagte er, »ist der peinlichsten Strafe wert.« Sodann befahl er der Versammlung, ihn zu verfluchen. Dies taten sie denn auch, und hierauf wurde ihm seine Zunge abgeschnitten. Am zweiten Tage befahl er, ihm auch noch die Ohren und die Nase abzuschneiden und die Augen auszustechen. Am dritten Tage wurden seine Hände und am vierten seine Füße abgehauen, und so immer ein Glied nach dem andern, welches dann jedesmal ins Feuer geworfen wurde, bis er endlich seinen Geist aushauchte. Hierauf wurde sein Körper auf der Stadtmauer drei Tage lang ausgestellt, dann verbrannt, zuletzt zerstoßen und die Asche in die Luft zerstreut. Nach Beendigung der Strafe schickte der König nach dem Großrichter, welcher die beiden Töchter des verstorbenen Königs seinen Söhnen anvermählen mußte. Das Fest dieser Vermählung dauerte drei Tage. In der Folge lebte diese ganze Familie bis in die spätesten Zeiten sehr glücklich, bis endlich der Zerstörer aller Freuden, der Zertrenner aller Gesellschaften, der Verwüster aller Schlösser und der Bevölkerer der Gräber sich ihnen nahte.

Doch diese Geschichte ist nicht so schön als diejenige von dem jungen Manne aus Chorassan, seiner Mutter und seiner Schwester.

 


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