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Neunhundertundsechzehnte Nacht.

Geschichte von dem Erzbetrüger.

»Ein großer Betrüger, der sich aber das Ansehen der größten Redlichkeit zu geben verstand, pflegte unter dem Scheine des Handeltreibens in die Städte zu gehen, sich zu den vornehmsten Bewohnern zu gesellen und durch das rechtlichste Benehmen sich alle Leute zu Freunden zu machen: sodann aber durch irgend eine List jemanden zu betrügen und hierauf in ein anderes Land zu entweichen.

Einst trug es sich zu, daß er mit Waren in eine Stadt kam und daselbst sehr bald mit den vornehmsten Kaufleuten eine Freundschaft schloß, die in kurzem so weit ging, daß er fast immer bei ihnen oder sie bei ihm waren. Dies hatte bereits eine lange Zeit gedauert, als er sich zur Abreise anschickte. Als sich diese Nachricht unter seinen Freunden verbreitete, so wurden diese darüber sehr betrübt. Eines Morgens wandte er sich an den reichsten unter ihnen, setzte sich neben ihn, borgte sich etwas Geld, auf welches er ihm ein Pfand gab, und als er weggehen wollte, bat er ihn um die Auslieferung dessen, was er bei ihm niedergelegt habe. »Was hast du denn bei mir niedergelegt?« fragte der Kaufmann. – »Ach, du weißt ja, ich meine den Beutel mit den tausend Goldstücken.« Da sprach der Kaufmann: »Wann hast du mir ihn denn gegeben?« – »Bei Gott,« erwiderte der andere, »war es nicht an dem und dem Tage? Bei dem und dem Kennzeichen wirst du dich gewiß noch daran erinnern.« – »Davon weiß ich kein Wort,« entgegnete der Kaufmann wiederum, hiermit entspann sich zwischen ihnen ein lebhafter Wortwechsel, der so laut wurde, daß die Nachbarn alles hörten, was zwischen ihnen vorgefallen war. Der Betrüger wendete sich nun zu ihnen und sagte: »Dieser ist mein Freund; ihm habe ich etwas zu verwahren gegeben, was er mir nun ableugnet! Wem kann man nun trauen?« Die Leute sprachen: »Dieser Mann ist uns nur als sehr rechtschaffen bekannt, wir haben nichts als Treue, Redlichkeit und Verstand bei ihm bemerkt. Er wird doch jetzt nicht unser Zutrauen täuschen.« Andere wandten sich dagegen zum Kaufmann und sagten: »Erinnere dich doch; vielleicht hast du es vergessen.« Er indes erwiderte: »Ich weiß nicht, was er sagt; er hat mir nie etwas anvertraut.« Der Betrüger sagte dagegen: »Ich bin eilig und im Begriff abzureisen. Ich habe, Gott sei Dank! viel Vermögen, und dieses ist mir nicht verloren; aber er muß mir versprechen, es künftig zu bezahlen.« Dies fanden die Leute sehr billig, und der Kaufmann kam fast in Gefahr, seinen guten Ruf zu verlieren. Einer seiner Freunde indessen, der sich für sehr klug und verständig hielt, näherte sich ihm heimlich und versprach ihm, den Betrüger zu überlisten, denn er kenne ihn als einen Lügner. »Du sollst von dem Verdachte bald befreit werden,« fügte er hinzu; »denn ich werde ihm sagen, daß er den Beutel bei mir niedergelegt habe, und daß du es nicht gewußt habest.« Der Kaufmann war damit sehr zufrieden, und sein Freund wandte sich zum Betrüger und sprach: »Mein Herr, ich bin der und der. Ihr seid im Irrtum; der Beutel ist bei mir, und mir habt Ihr ihn anvertraut. Meinem Freunde ist die Sache ganz fremd.« Da erwiderte der Betrüger mit Ruhe und Höflichkeit: »Bei Gott, der Beutel, den du bei dir hast, du edler und rechtschaffener Mann, ist in sichern Händen. Ich bin deshalb ganz unbesorgt; denn er ist bei dir so gut wie bei mir aufgehoben. Ich habe nur mit dem Beutel angefangen, den ich bei diesem Manne eingelegt habe, weil ich wußte, daß er nichts weniger als habsüchtig ist.« Diese Wendung machte den Mann so bestürzt, daß er nicht wußte, was er antworten sollte, und die Leute wurden dadurch so getäuscht, daß sie jeden der beiden zwangen, dem Betrüger tausend Goldstücke auszuzahlen, welcher somit zweitausend davontrug und bald darauf abreiste.

Der Kaufmann sagte nun zu seinem Freunde, der sich für so klug hielt: »Die Geschichte, die sich mit uns zugetragen hat, gleicht ganz der Fabel von dem Falken und der Heuschrecke.« – »Erzähle mir diese Fabel.«

 


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