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Achthundertundvierundachtzigste Nacht

Geschichte des Seif Sul Jesn

In den ältesten Zeiten war ein König von Yemen mit Namen Sul Jesn, ein Hamjaride von dem Geschlecht der Fubbaa, welche noch lange vor der Zeit Mohammeds herrschten, der hatte zahlreiche Heere und einen großen Hofstaat. Sein Minister, welcher Jottreb hieß, war sehr bewandert in den Wissenschaften der Alten. Einst sah er im Traum den Namen des Propheten und die Verkündigung seiner Sendung in spätern Zeiten, und daß er der letzte der Propheten sein werde. Da glaubte er an ihn noch vor seinem Erscheinen, verheimlichte aber seinen Glauben. Eines Tages hielt der König Heerschau über seine Truppen und freute sich ihrer Zahl und ihrer Schönheit. »Gibt es wohl,« fragte er seinen Wesir, »jemanden auf der Erde, der mir an Macht gleichkäme?« – »O doch,« erwiderte dieser, »es ist der König Baal-Beg; seine Truppen füllen die Wüste und bebautes Land, die Ebenen und die Schluchten.« – »Den muß ich bekämpfen,« rief der König aus, »und seine Macht vernichten!« Sogleich befahl er, daß das Heer sich bereithalten solle, und nach wenigen Tagen schon hörte man die Trommeln und die Kriegstrompete. Der König selbst mit seinem Wesir zog im prachtvollsten Schmuck aus, und sie gelangten nach beschleunigtem Marsche vor die heilige Stadt Medina, welcher Gott ihren Ruhm erhalten möge. »Hier,« sagte der Wesir zum Könige, »ist das heilige Haus Gottes und der Ort der großen Zeremonieen. hier geziemt es niemandem einzutreten, außer ganz rein, mit entblößtem Haupt und barfuß. Wandle mit deinen Begleitern um dasselbe herum, wie es die Araber zu tun pflegen.« Dieser Ort gefiel dem König so wohl, daß er beschloß, ihn zu zerstören, die Steine des Hauses in sein Land zu bringen und es dort für sich aufbauen zu lassen, damit die Araber von nun an zu ihm wallfahrten möchten und er sich dann vor allen andern Königen brüsten könne. Mit diesem Vorsatze beschäftigte er sich die ganze Nacht; allein am andern Morgen fand er sich fürchterlich aufgeschwollen. Sogleich schickte er zum Wesir und klagte ihm seinen Zufall. »Dieses ist ein Pfeil,« entgegnete der Wesir, »womit dich der Herr dieses Hauses getroffen hat. Ändere deinen Vorsatz, den Tempel zu zerstören, so wirst du gesund werden.« – Der König gab seinen Vorsatz auf und fühlte sich bald geheilt. Bald darauf sagte er: »Das war ein Übel, welches mir bei Nacht zustieß und am andern Tage von selbst verging; ich will doch das Haus vernichten.« Aber am andern Morgen erkannte man sein Gesicht nicht mehr vor lauter Geschwüren, die es bedeckten. Da nahte sich der Wesir und sprach: »König, entsage deinem Vorhaben, denn es wäre eine Widersetzlichkeit gegen den Herrn des Himmels und der Erde, der jeden Widerspenstigen vernichten kann.« – Als der König diese Worte hörte, ging er in sich und sprach: »Was willst du, daß ich tun soll?« Da erwiderte der Wesir: »Bekleide das Haus mit Teppichen aus Yemen.« Der König beschloß, dieses zu tun, und da die Nacht einbrach, begab er sich zur Ruhe. Da hatte er eine Erscheinung. Sie befahl ihm, nicht weiter in das Land des Königs Baal-Beg einzudringen, sondern nach Abessinien und Nigritien zu gehen. »Dort bleibe und wähle es zu deinem Wohnort, und wahrlich, es wird aus deinem Geschlecht einer hervorgehn, durch welchen die Drohung Noahs in Erfüllung gehen wird.« Als der König am andern Morgen erwachte, erzählte er dies Gesicht seinem Wesir, der ihm aber empfahl, ganz nach seinem eigenen Gutdünken zu handeln. Alsbald gab der König Befehl zum Aufbruch. Das Heer setzte sich in Bewegung, und nach zehn Tagen gelangten sie in ein Land, dessen Boden aus Kreide bestehen mochte, denn es war ganz weiß anzusehn. Da nahte sich der Wesir Jottreb dem Könige und bat ihn um die Erlaubnis, hier eine Stadt für sein Volk gründen zu dürfen. »Warum dieses?« fragte der König. – »Weil hier einst,« erwiderte er, »der Zufluchtsort des Propheten sein wird, welcher zu Ende der Zeiten, mit Namen Mohammed, gesandt werden wird.« Der König gab hierauf seine Zustimmung, und Jottreb ließ sogleich Baumeister und Feldmesser kommen, welche den Grund ausgruben und Mauern aufführen ließen und prachtvolle Paläste anlegten. Mit dieser Arbeit hörten sie nicht auf, bis der Wesir einst einer Anzahl Leute seines Volks befahl, die Stadt mit ihren Familien zu bewohnen. Dies geschah, und ihre Nachkommen leben noch dort bis auf den heutigen Tag. Dann überlieferte er ihnen eine Schrift und sagte: »Derjenige, der zu euch kommt als ein Auswanderer zu diesem Hause, wird Besitzer dieser Stadt sein.« Er nannte sie nach seinem Namen Jottreb, und die Schrift vererbte sich unter den Nachkommen, bis der Gesandte Gottes erschien als Auswanderer aus Mekka. Diesem gingen die Einwohner entgegen und überreichten ihm dieselbe. Auch wurden sie später seine Helfer, die unter dem Namen Anszar bekannt sind.

Doch nun wenden wir uns wieder zum Könige Seif Sul Jesn. Er war schon mehrere Tage auf dem Wege nach Abessinien und gelangte endlich an ein schönes fruchtbares Land, woselbst er seinem Wesir eröffnete, daß er hier eine Stadt für sein Volk bauen wolle. Er gab die dazu nötigen Befehle, welche eifrig vollzogen wurden. Man zog Kanäle und bepflanzte die Umgegend. Die Stadt wurde Medina al Hamra, die Rote, genannt. Endlich gelangte die Kunde davon zum König von Abessinien mit Namen Seif Arr-ad, Donnerschwert, dessen Hauptstadt Medinat Addur, die Häuserreihe, genannt wurde. Ein Teil dieser Stadt lag auf dem festen Lande, der andere war in die See gebaut. Dieser Fürst konnte ein Heer von sechshunderttausend Mann ins Feld rücken lassen, und seine Herrschaft erstreckte sich bis an die Grenzen der damals bekannten Welt. Als ihm die Kunde von Sul Jesus Einfall wurde, ließ er seine beiden Wesire kommen, wovon der eine Sikra Divas und der andere Arrif hieß. Dieser letztere war sehr bewandert in den Büchern der Alten und hatte darin gefunden, daß Gott einen Propheten senden würde, der die Reihen derselben beschließen sollte. An diesen glaubte er, verbarg es aber vor den Abessiniern, denn diese beteten noch den Saturn an. Als sie nun vor den König kamen, sagte er zu ihnen: »Seht, wie die Araber eindringen; ich muß sie bekämpfen.« Sikra Divas widersetzte sich diesem Vorhaben, weil er befürchtete, daß alsdann die Drohung Noahs in Erfüllung gehen würde, »Vielmehr würde ich dir raten,« fügte er hinzu, »ihrem Könige ein Geschenk zu überschicken und das schönste Mädchen, welches sich in deinem Palast befindet, mitzusenden. Gib ihr aber heimlich Gift mit und trage ihr auf, wenn sie sich mit dem Könige allein befände, ihn zu vergiften. Wenn dieser dann tot ist, so wird sein Heer ohne Kampf abziehen.« Der König befolgte diesen Rat. Er ließ die Geschenke und das schönste Mädchen vor sich bringen, dessen Gesinnung zugleich als sehr bösartig bekannt war. Sie hieß Kamrye, Mondlicht. Der König sagte zu ihr: »Ich bin entschlossen, dich als ein Geschenk abzusenden, welches einen verborgenen Zweck hat. Ich werde dir nämlich Gift mitgeben, und wenn der Fürst, dem ich dich bestimme, mit dir allein sein wird, so schütte es in seinen Becher, damit er es genieße. Sobald er dann gestorben sein wird, werden seine Truppen uns verlassen.« – »Sehr wohl, mein Herr,« antwortete das Mädchen, »ich werde deinen Willen erfüllen.« Hierauf sandte er sie nebst den Geschenken mit einem Briefe ab, und sie begab sich nach der Stadt des Sul Jesn. Der Wesir mit Namen Arrif aber war kaum vom Könige zurückgekehrt, so schrieb er einen Brief und befahl einem Sklaven, denselben an Sul Jesn zu überbringen. »Gibst du ihn noch vor der Ankunft der Sklavin ab,« fügte er hinzu, »so schenke ich dir die Freiheit.« Der Sklave eilte nun zum Könige der Araber fort, dennoch kamen die Geschenke früher an als er. Ein Kammerherr trat zum Könige und meldete ihm, daß an der Pforte ein Gesandter mit Geschenken vom Könige Abessiniens die Erlaubnis einzutreten erwarte. Sul Jesn gab sogleich Befehl, daß er eingeführt würde, und sofort wurden ihm die Geschenke nebst dem Mädchen übergeben. Als er sie sah, erstaunte er über ihre Schönheit und freute sich außerordentlich. Er befahl, sie sogleich in sein Schloß zu bringen, und sehr bald hatte sich die Liebe zu ihr seiner bemächtigt. Eben wollte er die Sitzung aufheben und sich zu Kamrye begeben, als der Wesir Jottreb ihn davon abhielt, indem er sagte: »halt ein, o König, ich fürchte, daß hinter diesem Geschenk eine List verborgen ist; denn die Abessinier hassen die Araber sehr und fürchten doch, sie zu bekriegen, weil sie besorgen, daß die Drohung Noahs in Erfüllung gehen könne. Dieser schlief einst, vom Genuß des Weins berauscht, ein; da entblößte ihn der Wind, worüber sein Sohn Ham lachte, ohne ihn zu bedecken; Seth hingegen, sein anderer Sohn, trat hinzu und bedeckte ihn. Als Noah erwachte, rief er gegen Ham aus: »Gott möge dein Antlitz schwarz werden lassen!« Zu Seth dagegen sagte er: »Möge Gott die Nachkommenschaft deines Bruders der deinigen dienstbar werden lassen bis zum Tage der Auferstehung!« Das ist die Drohung, die sie als Nachkommen Hams fürchten.« Während der König sich noch mit seinem Wesir unterhielt, meldete der Kammerherr einen Boten, der einen Brief überbringe. Er wurde sogleich eingelassen und übergab den Brief, den der Wesir Jottreb alsbald las. »Arrif,« sagte er in demselben, »sei auf deiner Hut vor Kamrye, o König, denn sie hat Gift bei sich und ist beauftragt, wenn sie mit dir allein ist, dich dadurch zu töten.« – Nun brach der König in Lobeserhebungen über den Scharfsinn seines Wesirs aus und begab sich augenblicklich mit gezogenem Schwerte zu Kamrye. Als er bei ihr eintrat, erhob sie sich und küßte die Erde. Er aber rief ihr zu: »Du bist gekommen, um mich zu vergiften!« Bestürzt zog sie das Gift heraus, überreichte es dem König voll List und dachte bei sich selbst: »Wenn ich ihm die Wahrheit sage, wird er eine bessere Meinung von mir bekommen, und wenn er Zutrauen zu mir gewinnt, kann ich ihn noch auf andere Art als mit diesem Gifte töten.« So geschah es auch. Der König liebte sie, gab ihr die Aufsicht über seinen Palast und seine Sklavinnen und fühlte sich sehr glücklich durch ihren Besitz. Aber auch sie verlebte schöne Tage. Der König Seif Arr-ad schickte indes sehr oft und ließ sie fragen, warum sie seinen Auftrag nicht ausführe. »Warte,« war stets ihre Antwort, »ich spüre nach einer Gelegenheit, denn er ist sehr mißtrauisch.« So hatte sie ihn eine geraume Zeit hingehalten, als sie endlich schwanger wurde. Im sechsten Monat ihrer Schwangerschaft wurde Sul Jesn krank; als seine Krankheit zunahm, berief er die vornehmsten seines Hofes, benachrichtigte sie von dem Zustande Kamryens, empfahl sie ihnen und verordnete, daß, wenn sie einen Sohn gebären sollte, dieser ihr König sein solle. Diesem Befehl gelobten sie zu gehorchen, und nach wenig Tagen verschied Sul Jesn. Kamrye beherrschte nunmehr das Land, bis sie einen Knaben zur Welt brachte. Dieser war von ausgezeichneter Schönheit und hatte ein kleines Mal auf der Wange. Als sie ihn sah, ergriff sie der Neid, und sie sprach bei sich selbst: »Wie? Dieser sollte mir das Reich entreißen? Nein, das soll nicht geschehen,« und von der Zeit an ging sie mit dem Gedanken um, ihn zu töten. Nach vierzig Tagen verlangte das Volk seinen König zu sehn. Sie zeigte ihm denselben und setzte ihn auf den Thron des Königreichs, worauf es ihm huldigte und sich dann zerstreute. Seine Mutter nahm ihn nun in den Palast zurück, ihr Neid nahm so zu, daß sie einst schon das Schwert ergriffen hatte, um ihn zu töten, als ihre Amme eintrat und sie fragte, was sie vorhabe. »Töten will ich ihn,« erwiderte sie. – »Hast du nicht bedacht,« entgegnete jene, »daß, wenn du ihn tötest, sein Volk sich empören wird und auch dich umbringen kann?« – »Laß mich ihn töten,« fuhr sie fort, »mögen sie mich auch umbringen, so bin ich doch erlöst von diesem Neide.« – »Tue es nicht,« warnte jene, »du wirst es bereuen, wenn die Reue dir nichts mehr helfen kann.« – »Es muß geschehen,« sagte Kamrye. – »Nun, wenn es nicht abzuwenden ist, so wirf ihn wenigstens in die Wüste; bleibt er am Leben, so ist's ein Glück für ihn, stirbt er, so bist du befreit für immer.« Diesen Rat befolgte sie, und zur Nachtzeit begaben sie sich mit dem Kinde auf den Weg und hielten in einer Entfernung von vier Tagereisen an, wo sie sich in der Wüste unter einen Baum setzten. Sie nahm ihn auf ihren Schoß und säugte ihn noch einmal, dann legte sie ihn auf ein Bett und unter sein Haupt einen Beutel mit tausend Goldstücken und viele Edelsteine. »Wer ihn findet,« sagte sie hierauf, »kann ihn für dieses Geld erziehen,« und so verließen sie ihn.

Durch Gottes gnädige Veranlassung geschah es, daß Jäger, die auf der Gazellenjagd waren, eine Gazelle mit einem Jungen überraschten; die erstere nahm die Flucht, und die Jäger nahmen das Kleine mit sich. Als die Mutter von der Weide zurückkehrte und ihr Junges nicht mehr fand, so durcheilte sie die Wüste nach allen Richtungen, um es zu suchen, bis endlich das Weinen des ausgesetzten Kindes sie zu demselben hinlockte. Sie legte sich neben dasselbe, und das Kind saugte an ihr. Die Gazelle verließ es darauf wieder, ging weiden und kehrte, wenn sie wieder voll Nahrung war, jedesmal zu dem Kleinen zurück. Dieses trieb sie so lange, bis es Gott gefiel, daß sie einst in die Netze eines Jägers geriet. Da wurde sie wütend, zerriß das Netz und floh. Der Jäger verfolgte sie und ereilte sie, als sie bei dem Kleinen ankam und ihm zu trinken geben wollte. Doch die Ankunft des Jägers zwang die Gazelle zu fliehen, und der Kleine weinte, weil er noch nicht gesättigt war. Der Jäger erstaunte über den Anblick, hob das Kind auf, fand unter seinem Kopfe den Beutel und bemerkte zugleich an seinem Halse eine Juwelenschnur. Sofort nahm er das Kind zu sich und gelangte an eine Stadt, die einem abessinischen Könige mit Namen Afrach gehörte, der dem Könige Seif Arr-ad untertan war. Diesem übergab er das Kind mit der Bemerkung, daß er es in einem Gazellenlager gefunden habe. Als jener das Kind in Empfang nahm, lachte es ihn freundlich an, und Gott erweckte in ihm Liebe zu demselben. Zugleich bemerkte er das Mal an seiner Wange. Als indes sein Wesir Sikar Diun, Bruder des Sikar Sivas, der bei Seif Arr-add Minister war, eintrat und den Kleinen bemerkte, erfüllte Gott sein Herz mit Haß gegen denselben. »Glaube nicht,« sagte er, als ihm der König die wunderbare Art seines Auffindens mitteilte, »was dieser Mann dir sagte; das kann nur das Kind einer Frau sein, die es durch unerlaubten Umgang empfangen und es in der Wüste ausgesetzt hat; laß es lieber töten!« – »Das wird mir nicht leicht werden,« erwiderte der König. Kaum aber hatte er dieses gesagt, als das Schloß sich mit freudigem Jubel erfüllte, und als er sich nach der Ursache erkundigte, meldete man ihm, daß seine Frau soeben entbunden worden sei. Bei dieser Nachricht nahm er den Kleinen auf den Arm und begab sich zu seiner Gemahlin und erfuhr, daß es ein Mädchen sei, was zur Welt geboren worden, und daß es auf seiner Wange ein rotes Mal habe. Da wunderte er sich über die beiden Mäler und sagte zu Sikar Diun: »Sieh doch, wie schön sie sind.« Als der Wesir dieses sah, schlug er sich in das Gesicht, warf seine Mütze zur Erde und rief: »Wenn diese beiden Mäler sich vereinigen, so verkündige ich dir den Untergang Abessiniens, denn ihre Bedeutung ist großes Unglück. Töte daher entweder den Kleinen oder deine Tochter.« – »Ich werde keins von beiden tun,« sagte der König, »denn sie haben nichts verbrochen.« Er ließ sogleich Ammen für beide besorgen, nannte seine Tochter Schame (Mal), den Knaben aber Wachs el-Fellath (Einsamer oder Wüste) und ließ jedes in einem besondern Gemache erziehen, so daß keins das andere sehen konnte. Als sie zehn Jahre alt waren, nahm Wachs el-Fellath sehr an Kräften zu und wurde bald ein geübter Reiter, so daß er alle seine Genossen in dieser Kunst und im Fechten übertraf. Im Alter von fünfzehn Jahren aber hatte er ein solches Übergewicht über alle, die ihn umgaben, gewonnen, daß Sikar Diun dem Könige drohte, er werde dem Könige Seif Arr-ad berichten, daß er seinen Feind bei sich auferzöge, wenn er ihn nicht augenblicklich aus seinem Lande verstieße. Dies jagte dem König Afrach große Furcht ein. Nun traf es sich, daß er einen Heerführer hatte mit Namen Charag el-Schaker (Baumspalter), der so genannt wurde, weil er nach Bäumen mit seinem Wurfspieße warf und sie dadurch spaltete. Dieser besaß eine Festung, drei Tagereisen von der Stadt entfernt. Zu ihm sprach der König: »Nimm Wachs el-Fellath in deine Festung und laß ihn nie dieser Gegend sich nahen.« Heimlich fügte er noch hinzu: »Gib wohl auf ihn acht und behüte ihn vor allem Unglück und laß ihm Unterricht geben in allen Künsten.« – Der Heerführer entfernte sich und nahm den Knaben mit in seine Festung und vervollkommnete ihn in allen Übungen und Wissenschaften. Einst sprach er zu ihm: »Eine Kunst des Krieges ist dir noch unbekannt.« – »Welche ist dies?« fragte Wachs el-Fellath. »Komm und siehe selbst!« erwiderte er ihm. Hierauf führte er ihn an eine Stelle, wo mehrere Bäume standen, und zwar so starke, daß ein Mann sie nicht umklammern konnte. Nun nahm er seinen Wurfspieß, warf nach einem derselben und spaltete ihn. Wachs el-Fellath bat sich den Wurfspieß aus und vollbrachte zum Erstaunen seines Erziehers dasselbe Stück. – »Wehe dir,« rief dieser aus, »ich erkenne in dir denjenigen, durch welchen die Drohung Noahs an uns in Erfüllung gebracht werden wird. Fliehe und laß dich nicht mehr in unserm Lande sehen, sonst lasse ich dich töten!« – Wachs el-Fellath verließ also die Stadt, ohne zu wissen, wohin er sich wenden sollte. Drei Tage lebte er von Pflanzen der Erde, bis er endlich an eine mit hohen Mauern umgebene Stadt gelangte, deren Tore verschlossen waren. Die Bewohner waren schwarz gekleidet und ließen schmerzliche Klagen hören, vor allem sah er ein Brautzelt und ein Trauerzelt. In das erste trat er ein. Es war dies nämlich die Stadt des Königs Afrach, der ihn erzogen hatte, und die Veranlassung zur Betrübnis der Einwohner war folgende: Sikar Diun hatte nämlich aus Zorn über den König, weil dieser seinem Rate, den Knaben töten zu lassen, nicht gefolgt war, die Stadt verlassen und sich zu einem Freunde begeben, der ein Zauberer war, und hatte ihm den ganzen Hergang erzählt. – »Was hast du nun vor?« fragte ihn dieser. »Ich will versuchen, eine Trennung zwischen ihm und seiner Tochter zu veranlassen.« – »Dazu will ich dir behilflich sein,« war die Antwort des Zauberers. Er traf auch sogleich die nötigen Vorbereitungen und ließ einen bösen Geist erscheinen, der Muchtatif (Entführer) hieß. »Was begehrst du von mir?« fragte dieser. »Begib dich eilends nach der Stadt des Königs Afrach und bewerkstellige, daß die Einwohner sich aus der Stadt begeben.« – Zu jener Zeit nämlich hatten die Menschen noch Umgang mit den höheren Geistern und erreichten die einen durch die andern ihre Zwecke. Erst seit dem Erscheinen des Propheten zogen sich die Geister zurück. – »Wenn also,« fuhr er fort, »die Bewohner die Stadt verlassen haben, werden sie dich fragen, was dein Begehr sei. Sprich dann: »Führt mir Schame, die Tochter eures Königs, heraus, geschmückt mit all ihren Juwelen; morgen werde ich kommen und sie hinwegführen. Tut ihr das nicht, so zerstöre ich eure Stadt und vernichte euch alle miteinander.« – Als Muchtatif die Worte dieses Priesters der Zauberkunst hörte, tat er, wie ihm gesagt wurde, und stürzte sich in die Stadt. Sikar Diun aber, als er dies gesehen, kehrte zum König Afrach zurück, um zu erfahren, was sich nun zutragen würde. Er war kaum dort angelangt, als schon Muchtatifs Stimme über der Stadt erscholl. Da begaben sich die Einwohner zum Könige und sagten: »Du hast gehört, was verlangt wird; gibst du sie nicht gutwillig heraus, so wirst du es durch Gewalt tun müssen.« Da begab sich der König weinend zu ihrer Mutter und meldete ihr den Vorfall. Diese konnte sich vor Verzweiflung kaum fassen, und jedermann im Schlosse weinte über diese Trennung. Indessen wurde Schame geschmückt, ihren Eltern entrissen und in jenes Zelt vor der Stadt gebracht, um dort von dem bösen Geiste abgeholt zu werden. Die Einwohner waren auf der Stadtmauer versammelt und weinten. In diesem Augenblicke war es, wo Wachs el-Fellath aus der Wüste kam und sich in das Zelt begab, um zu sehen, was darin vorging. Als der König Afrach, der sich auch auf der Stadtmauer befand, ihn erblickte, rief er ihm zu; dieser aber hörte nicht darauf, sondern stieg vom Pferde, band es an eine Zeltstange und trat ein. Hier erblickte er ein Mädchen von außerordentlicher Schönheit und Vollkommenheit, die in Tränen zerfloß. Während er von ihrer Schönheit ganz betroffen war, machte er auf sie einen nicht minder tiefen Eindruck. »Wer bist du?« fragte ihn das Mädchen. »Sage mir vielmehr, wer bist du,« entgegnete er. »Ich bin Schame, die Tochter des Königs Afrach.« »Du bist Schame?« rief er aus, »und ich bin Wachs el-Fellath, den dein Vater erziehen ließ.« Als sie sich gegenseitig erkannt hatten, setzten sie sich zueinander und erzählten einander ihre Begebenheiten; bei dieser Gelegenheit berichtete sie ihm nun, was sich mit dem Geiste zugetragen hatte, und daß er kommen würde, sie zu holen. »Oh, du sollst sehen, wie ich mit ihm verfahren werde,« unterbrach er sie; doch in demselben Augenblicke nahte sich der böse Geist, und seine Flügel verfinsterten die Sonne. Während die Einwohner ein schreckliches Geschrei ausstießen, stürzte sich der Geist auf das Zelt und wollte es emporheben, als er einen Mann darin erblickte, der sich mit der Tochter des Königs unterhielt. »Wehe dir, du Erdensohn!« rief er ihm zu, »was berechtigt dich, neben meiner Erwählten zu sitzen?« Als Wachs el-Fellath die schreckliche Gestalt des Geistes erblickte, ergriff ihn ein Schauder, und er bat Gott um Hilfe. Zugleich zog er sein Schwert und schlug den Geist, der soeben seine rechte Hand ausgestreckt hatte, um ihn zu ergreifen. Der Schlag war so kräftig, daß er die Hand abhieb. – »Was? Du willst mich töten?« rief Muchtatif, hob seine Hand auf, steckte sie unter den Arm und flog davon. Nun erscholl ein lautes Freudengeschrei von den Wällen der Stadt. Die Tore wurden geöffnet, und der König Afrach trat heraus und zugleich eine Menge Volks mit musikalischen Instrumenten, die sie in ihrer Freude ertönen ließen, Wachs el-Fellath aber wurde mit Ehrenkleidern angetan. Als ihn Sikar Diun erblickte, ergoß sich seine Galle. Der König indes ließ für Wachs el-Fellath ein besonderes Gemach bereiten, und während Schame sich in ihr Schloß zurückbegab, veranstaltete der König ein großes Fest, um die Befreiung von dem Bösen zu feiern. Nachdem dieses sieben Tage gedauert hatte, begab sich Schame zu Wachs el-Fellath und sagte ihm: »Halte morgen bei meinem Vater um mich an, denn du hast mich befreit, und er wird es dir nicht abschlagen können.« – Sehr gern willigte dieser ein und begab sich am andern Morgen früh zum Könige. Dieser nahm ihn sehr wohl auf und ließ ihn neben sich auf den Thron setzen; gleichwohl hatte Wachs el-Fellath nicht den Mut, seine Bitte vorzutragen, so daß sie nach einer kurzen Unterhaltung sich wieder trennten. Noch nicht lange war er in seinem Zimmer angelangt, als Schame eintrat, ihn grüßte und fragte: »Warum hast du nicht um mich angehalten?« – »Ich scheute mich, es zu tun,« erwiderte er. – »Laß ab von deiner Scheu,« erwiderte sie, »und halte um mich an.« – »Wohl, morgen tue ich es gewiß,« erwiderte er. Sie brach nun wieder auf und begab sich in ihr Gemach zurück. Am andern Tage früh trat Wachs el-Fellath wieder beim Könige ein. Dieser kam ihm freundlich entgegen und hieß ihn zu sich setzen. Jener aber vermochte wiederum nicht, sein Anliegen vorzutragen, und so kehrte jeder wieder in seine Gemächer zurück. Bald darauf kam Schame zu ihm: »Wie lange wird diese Verschämtheit dauern? Fasse Mut, wo nicht, so beauftrage jemanden, der für dich spricht.« Sie verließ ihn hierauf, und am andern Morgen wiederholte er seinen Besuch beim Könige. »Was ist dein Begehr?« fragte ihn dieser. »Ich komme als ein Bewerber und bitte dich um den Besitz deiner edlen Tochter Schame.« Als Sikar Diun diese Rede hörte, schlug er sich ins Gesicht. »Was fehlt dir,« fragte ihn der König. »Das war's, was ich vorausgesehen habe,« erwiderte jener, »wenn diese beiden Male sich begegnen: gegenwärtig also die Zerstörung Abessiniens.« – »Wie kann ich sie ihm abschlagen,« erwiderte der König, »da er sie doch erst von dem Bösen gerettet hat.« »Sage ihm,« erwiderte Sikar Diun, »daß du diese Angelegenheiten deinem Wesir überlassen werdest.« – hierauf wendete sich der König zu Wachs el-Fellath und sagte: »Mein Sohn, dein Anliegen ist bei uns so gut wie bewilligt, indessen ist alles, was sie betrifft, meinem Wesir übertragen; bei diesem mußt du um sie anhalten.« Sogleich wandte sich Wachs el-Fellath zu diesem und trug sein Anliegen vor. Mit freundlicher Miene erwiderte ihm Sikar Diun: »Deine Sache ist so gut wie abgemacht; nur für dich ziemt sich die Tochter des Königs; aber du weißt, daß den Töchtern der Könige eine Morgengabe gebührt.« – »Verlange, was du willst,« sagte Wachs el-Fellath. – »Geld oder Geldeswert verlangen wir nicht,« sprach der Wesir, »aber wir verlangen das Haupt eines Mannes, der Sudun der Äthiopier heißt.« – »Wo ist er anzutreffen?« – »Man sagt,« war die Antwort, »er sei in der Festung Reg, drei Tagereisen von uns entfernt.« »Wenn ich aber das Haupt Suduns nicht bringe?« fragte er. »Nun, du sollst es haben,« war die Antwort. Bei dieser Bedingung wurde die Sitzung aufgehoben, und jeder begab sich in sein Gemach.

Dieser Sudun aber hatte seine Festung auf dem Gipfel eines hohen Berges gebaut. Sie war sehr fest, und er behauptete sie mit der Schärfe seines Schwertes. Sie war sein steter Aufenthaltsort, von wo aus er die Wege unsicher machte und Räubereien beging. Endlich gelangte die Kunde von ihm zu Seif Arr-ad, und er schickte gegen ihn dreitausend Mann; aber er zerstreute und vernichtete sie. Hierauf schickte er eine größere Anzahl wider ihn, die dasselbe Schicksal hatten. Er rüstete ein drittes Heer gegen ihn aus; da befestigte sich Sudun von neuem und erhöhte die Wälle seiner Festung dergestalt, daß sie beinahe für Adler unzugänglich wurden. Doch wir kehren zu Schame zurück. Sie begab sich zu Wachs el-Fellath und machte ihm Vorwürfe wegen der Bedingungen, die er eingegangen war. »Besser wär's, du machtest dich auf, nähmest mich mit dir, und wir begeben uns in den Schutz irgend eines mächtigen Königs.« – »Behüte Gott,« erwiderte er, »daß ich dich auf eine so ehrlose Art mitnähme.« – Da er sich ferner standhaft weigerte, dies zu tun, wurde sie zornig und verließ ihn. Wachs el-Fellath wollte sich zur Ruhe begeben, aber er konnte nicht schlafen. Da machte er sich auf, bestieg sein Roß und ritt mitten in der Nacht von dannen, bis daß er am Morgen einem Reiter begegnete, der sich ihm in den Weg stellte. Dieser war so gepanzert und geharnischt, daß man sein Gesicht nicht sehen konnte. Als Wachs el-Fellath ihn erblickte, rief er ihm zu: »Wer bist du, und wohin willst du?« Dieser aber, statt ihm zu antworten, drang auf ihn ein und wollte ihm eben einen Schlag beibringen, welchem aber Wachs el-Fellath glücklich auswich. Es entspann sich nunmehr zwischen beiden ein Kampf, der bis gegen Abend dauerte. Endlich wurde Verschiedenheit der Kräfte bei ihnen bemerkbar, und Wachs el-Fellath brachte seinem Gegner einen solchen Stoß mit seinem Wurfspieß bei, daß das Roß desselben auf die Erde stürzte. Da stieg er ab und wollte ihn töten, als ihm der Ritter zurief: »Tue das nicht, du Tapferer, denn wenn du mich tötest, wirst du es bereuen, und dann kann dir die Reue nichts mehr nützen.« – »So sage mir, wer du bist,« erwiderte Wachs el-Fellath. – »Ich bin Schame, die Tochter des Königs Afrach,« erwiderte der Ritter. »Und warum hast du das getan?« fragte er sie. – »Ich wollte dich erproben, ob du gegen die Leute Suduns aushalten würdest. Jetzt habe ich dich geprüft und tapfer befunden und fürchte nun nichts mehr für dich. Nimm mich also mit dir, o Held.« »Behüte Gott, daß ich das tue,« versetzte dieser, »was würden Sikar Diun und die andern sagen? Sie würden sprechen, wenn Schame nicht mit ihm gewesen wäre, so würde er nichts über Sudun vermocht haben.« – Da erhob sie die Augen gen Himmel und sprach: »O Gott, laß ihn in eine Gefahr fallen und laß mich allein ihn daraus erretten!« hierauf setzte Wachs el-Fellath seine Reise weiter fort, ohne ihrer Rede Gehör zu geben. Am dritten Tage war er an das Tal gelangt, worin die Festung Suduns lag. Nun fing er an, sich hinter den Bäumen durchzuschleichen, bis er gegen Abend an der Festung selbst ankam, die er mit einem Graben umgeben und deren Tore er verschlossen fand. Noch ungewiß, was er beginnen sollte, wurde er durch Geräusch überrascht. Es war eine Karawane, die heranzog. Um sie zu beobachten, verbarg er sich im Graben der Festung. Da bemerkte er, daß eine starke Mannschaft sie antrieb und die Kaufleute auf den Maultieren festgebunden waren. Als sie beim Schlosse ankamen, klopften sie ans Tor. Die Mannschaft trat ein, und er mischte sich unter sie. Die Waren wurden abgeladen und die Gefangenen gefesselt. Wachs el-Fellath wurde glücklicherweise nicht bemerkt. Ms die Bewaffneten ihre Arbeit vollendet hatten, stiegen sie das Schloß hinan, er aber blieb unten. Nach einiger Zeit wollte er nachfolgen. Indes als er die erste Stufe betrat, senkte sie sich unter ihm, und ein Dolch drang ihm entgegen, der ihn in die Weichen traf. Da füllten sich seine Augen mit Tränen, und schon hielt er seinen Untergang für gewiß, als ihm vom Eingange des Schlosses her eine Gestalt entgegentrat, die ihn befreite. Indem er sie näher betrachtete, erkannte er in ihr Schame. Voll Staunen rief er ihr zu: »Gott hat dein Gebet erhört! Wie bist du hierher gekommen?« »Ich bin deiner Spur gefolgt,« erwiderte sie, »bis du in das Schloß tratest, dann folgte ich deinem Beispiel und mischte mich ebenfalls unter die Mannschaft. Siehe, nun habe ich dich gerettet, obgleich du mich abgehalten hast, mit dir zu gehen; doch wenn du nun weiter fortschreitest, so unterlasse nicht, Stufe für Stufe mit der Spitze deines Schwertes zu untersuchen, ob sie fest ist.« – Nun begann er wieder zu steigen und zu untersuchen, bis er endlich an die letzte Stufe gelangte; Schame war ihm gefolgt. Hier sahen sie, daß die Treppe mit einer Scheibe endigte, die sich drehte. »Spring auf die höhere,« riet ihm Schame, »denn ich bemerke einen Wurfspieß, den die List der Zauberei hier angebracht.« Sie schwangen sich hinüber, setzten ihren Weg fort und gelangten in ein geräumiges Vorgemach, welches durch eine gewölbte Kuppel Licht erhielt, hier blieben sie stehen und untersuchten und beobachteten alles genau. Endlich näherten sie sich der Türe eines Gemachs, durch deren Ritze sie ungefähr hundert bewaffnete schwarze Männer erblickten und in ihrer Mitte einen schwarzen Sklaven, der wild wie ein Löwe aussah. Das Zimmer war durch Wachskerzen erleuchtet, die auf goldnen und silbernen Leuchtern standen. In diesem Augenblick sprach der Schwarze: »Ihr Sklaven, was habt ihr mit den Gefangenen von der Karawane gemacht?« – »Wir haben sie unten in der Feste an Ketten und am sichersten Ort gelassen.« – Darauf erwiderte er: »Wenn einer unter ihnen nachlässig gefesselt wäre, so könnte er sich befreien und die andern auch entfesseln, und sie könnten sich der Treppe bemächtigen. Einer von euch gehe also hinab, beaufsichtige sie genau und befestige ihre Bande.« Es verfügte sich also einer hinunter, und die beiden verbargen sich im Vorzimmer. Als er an ihnen vorbei war, trat Wachs el-Fellath hervor und durchbohrte ihn mit seinem Schwerte; Schame schleppte ihn beiseite, und beide hielten sich hierauf eine Weile ruhig. Als aber den Sklaven ihr Genosse zu lange ausblieb, rief Sudun: »Geht sehn, warum er nicht kommt: denn seitdem wir heute eingezogen sind, bin ich in großer Furcht.« Da trat der zweite heraus, nahm sein Schwert, und als er in das Vorzimmer gelangte, spaltete ihn Wachs el-Fellath mit einem Hiebe in zwei Teile, und Schame schaffte ihn ebenfalls beiseite. Wiederum verhielten sie sich nun eine Weile ruhig. Hierauf sprach Sudun: »Es scheint, als ob Jäger diesen Sklaven aufpaßten und einen nach dem andern erlegten.« Nun eilte ein dritter hinaus, und Wachs el-Fellath versetzte ihm einen so heftigen Schlag, daß er tot zur Erde stürzte, und Schame schaffte ihn wieder fort. Da auch dieser so lange ausblieb, stand Sudun selbst auf und mit ihm die übrigen. »Habe ich euch nicht gesagt und gewarnt? Mein Ohr klingt mir, mein Herz zittert, denn es müssen Leute hier sein, die den unsrigen aufpassen.« Nun trat er selbst heraus, und die übrigen folgten ihm mit den Kerzen, ihre Hand aufs Schwert gestützt, als plötzlich einer der vordersten stehen blieb. »Warum gehst du nicht weiter?« fragten ihn die andern. »Wie soll ich vorschreiten,« sagte er, »da der, welcher auf unsre Freunde Jagd macht, vor uns steht.« Dieselbe Antwort gaben sie dem Sudun, als er ihnen mit Donnerstimme ihr Stillstehn vorwarf. Als er dieses hörte, durchbrach er ihre Mitte und erblickte bald daraus Wachs el-Fellath. »Wer bist du, Satan,« schrie er ihm zu, »wer hat dich hierher gebracht?« »Ich bin hierher gekommen,« sagte er, »um dein Haupt abzuschlagen und dein Andenken zu vernichten.« – »Willst du etwa eine Blutrache an mir sühnen?« fragte ihn Sudun, »oder ein Vergehen an mir rächen?« »In meinem Herzen ist gegen dich kein Groll,« erwiderte dieser, »und von dir ist mir keine Untat begegnet, aber ich habe um Schame bei ihrem Vater angehalten, und er hat mir zur Bedingung dein Haupt gestellt. Sei auf deiner Hut, damit du nicht sagen kannst, ich hätte dich betrogen.« – »Wahnsinniger,« rief ihm Sudun zu, »ich fordere dich zum Zweikampf: willst du innerhalb oder außerhalb der Festung fechten?« – »Die Wahl hast du,« erwiderte Wachs el-Fellath. – »Nun wohl, so erwarte mich,« war die Antwort. Sudun trat nun ein, bekleidete sich mit vergoldeten Waffen, umgürtete sich mit einem sägeartigen Schwerte, kam heraus und hielt in seiner Hand eine glänzende Keule. Vor Zorn wußte er nicht, was er sagen sollte, und stürzte auf Wachs el-Fellath los. Jeder warf sich nun auf seinen Gegner wie ein wütender Löwe; wie hungrige Wölfe fielen sie einander an, jeden verließ die Hoffnung des Sieges. Die Schwerter führten eine harte Sprache auf den Schilden, und jeder von ihnen wünschte, er wäre nicht geboren. Als dieser verzweifelte Kampf eine Zeitlang gedauert hatte, empfand Schame die größte Besorgnis, daß Sudun siegen möchte. Da ergriff sie den Dolch und stieß ihn auf Sudun so, daß sie die Nerven seiner Hand verletzte und ihm das Schwert entfiel. Sie rief Wachs el-Fellath zu: »Mache ein Ende mit ihm!« – »Nein,« erwiderte er, »ich will mich seiner lebendig bemächtigen, denn er ist ein tapferer, kühner Ritter.« – »Mit wem sprichst du?« fragte ihn Sudun. »Mit Schame,« erwiderte er. – »Ist die mit dir gekommen?« – »Ja,« versetzte jener. »Nun so stelle sie mir vor.« – Sie trat nun vor ihn, und Sudun sprach zu ihr: »Deinem Vater wurde wohl die Welt zu enge, daß er nichts zur Mitgift für dich verlangen konnte als mein Haupt?« »So war sein Wunsch,« erwiderte sie. Wachs el-Fellath sagte hierauf: »Nimm dein Schwert und verteidige dich, denn ich will nicht mit dir kämpfen, während es deiner Hand entfallen ist.« Sudun entgegnete: »Ich will nicht mit dir kämpfen, denn ich bin verwundet, nimm mein Haupt und geh in Frieden mit deiner Gattin.« Hier setzte er sich und neigte sein Haupt. »Wenn du wahr sprichst,« sagte Wachs el-Fellath, »so entferne dich von deinen Leuten.« »Warum?« – »Weil ich fürchte, daß sie auf mich eindringen und mich nötigen, sie zu bekämpfen, und ich habe nicht nötig, ihr Blut zu vergießen.« Da verließ Sudun das Schloß, neigte sein Haupt und sprach: »Beschleunige dein Werk.« Wachs el-Fellath aber sprach: »Wenn du die Wahrheit sagst, so komm mit mir über den Graben des Schlosses hinaus ins Freie.« Das tat er, nachdem er das Schloß verriegelt hatte, und sprach: »Nun nimm mein Haupt.«

Als die Sklaven dieses sahen, stiegen sie auf die Mauern, weinten und wehklagten. Schame aber rief Wachs el-Fellath: »Nimm sein Haupt und beeile unsere Rückkehr, ehe der Morgen beginnt.« – »Wie,« sprach dieser; »ich sollte einen solchen Tapfern auf so hinterlistige Art töten, da er so edel und großmütig ist?« Zugleich näherte er sich dem Sudun, küßte ihn auf sein Haupt und sprach: »Erhebe Dich, du Tapfrer deiner Zeit, du bist sicher vor mir sowie deine Gefährten.« Sie umarmten sich nun alle und stifteten ein Schutz- und Trutzbündnis. »Nimm mich lebend mit dir, du Tapfrer,« sprach Sudun, »und stelle mich dem Könige vor als Mitgift seiner Tochter. Willigt er ein, so ist es gut, wo nicht, so nimm dann mein Haupt und erwirb deine Frau.« – »Behüte Gott,« sprach Wachs el-Fellath, »daß ich das tue nach deinem Edelmut. Gehe vielmehr in dein Schloß und verkündige deinen Gefährten deine Rettung.« Dieses alles trug sich vor den Augen der andern Bewaffneten zu. Diese, welche sich über die Ritterlichkeit beider freuten, kamen nun herab, fielen dem Sudun zu Füßen und umarmten ihn sowie den Wachs el-Fellath, dessen Hände sie küßten, und den sie mit Lobeserhebungen überhäuften. Nun begaben sie sich alle ins Schloß und kamen miteinander überein, bald aufzubrechen. Zugleich nahmen sie, was darin an Schätzen befindlich war, und Wachs el-Fellath befahl, die Gefangenen zu befreien und ihnen ihre Güter wiederzugeben. Alle begaben sich nun zu Roß und zogen nach dem Lande des Königs Afrach, höchlich erfreut über die gegenseitige Liebe dieser Tapfern. Als sie in der Nähe der Stadt anlangten, trennte sich Schame von ihnen, damit man nichts von ihrer Anwesenheit beim Zuge bemerkte. Während dieser Zeit war der König Afrach mit Sikar Diun auf der Jagd, mit Spiel und Scherz beschäftigt, und schickte täglich Kundschafter wegen Wachs el-Fellath aus. »Was mag nur aus ihm geworden sein,« sprach er einst zu Sikar Diun. »Den hat Sudun gewiß getötet,« erwiderte dieser, »und du wirst ihn nie wiedersehn.« Während dieses Gesprächs bemerkten sie eine große Staubwolke, und je näher sie kam, desto deutlicher wurden in ihr Bewaffnete sichtbar, die ein schwarzer Ritter anführte, an dessen Seite ein jüngerer weißer ritt. Als der König dieses sah, rief er dem Sikar Diun zu: »Nun kommt Wachs el-Fellath zurück mit Sudun und seiner Schar.« – »Warte noch,« sprach jener zu ihm, »bis wir Gewißheit davon haben.« Als sie aber näher kamen und sie sich überzeugt hatten, wandte Sikar Diun sein Roß und floh, ebenso der König und sein Gefolge, bis sie in die Stadt kamen, deren Tore sie verschlossen. Von den Mauern herab beobachteten sie, was geschehen würde. Da sie nun bemerkten, daß die Fremden abstiegen und Zelte aufschlugen, so ließ der König, dieses für ein gutes Zeichen haltend, die Stadt schmücken, die Tore öffnen, und er selbst begab sich, von großem Gefolge umgeben, hinaus und näherte sich den Zelten. Jene stiegen nun auch zu Pferde, um ihnen entgegenzugehen. Als sie einander nahe gekommen waren, wollte der König Afrach absteigen, aber Wachs el-Fellath verhinderte ihn daran, und der König umarmte ihn und wünschte ihm Glück zu seiner Rettung. Hierauf grüßte er auch den Sudun, dieser aber erwiderte den Gruß nicht. Er lud ihn nun ein, in die Stadt zu kommen, doch dieser weigerte sich so wie Wachs el-Fellath, der sich von seinen Gefährten nicht trennen wollte. Der König kehrte also mit den Seinigen allein zurück und veranstaltete die beste Verpflegung der Angekommenen. Am andern Morgen hielt der König eine allgemeine Sitzung, wobei Sikar Diun höchst niedergeschlagen erschien. »Habe ich dir nicht vorausgesagt,« sprach er zum Könige, »was du jetzt siehst von diesem Bösewicht? Haben wir ihn nicht geschickt, damit er das Haupt Suduns bringe, und nun kommt er mit ihm wohlbehalten und im besten Einverständnis hierher, während unser Herz von Kummer erdrückt ist.« – »Wohl hast du recht,« erwiderte der König, »aber was ist nun zu tun?«

Hier wurden sie durch ein Geräusch unterbrochen, indem Wachs el-Fellath mit Sudun erschien, um den König zu begrüßen. Dieser hieß sie sich setzen, aber Sudun blieb stehen. Der König nötigte ihn von neuem, worauf dieser antwortete: »Du Schwächling, dir war wohl die Welt zu enge, daß du mein Haupt als Mitgabe für deine Tochter verlangtest?« – »Setze dich nur,« sprach jener, »ich weiß, daß du jetzt zornig bist.« – »Wie kann ich mich setzen, da du meinen Tod befohlen hast.« – »Behüte Gott,« sprach der König, »daß ich so ungerecht handeln sollte; das hat Sikar Diun getan.« – »Wie,« sprach dieser, »in meiner Gegenwart beschuldigst du mich einer solchen Tat?« – »Hast du nicht diese Bedingung festgesetzt und ihn abgesandt?« Hierauf wandte sich Sikar Diun zu Sudun und sprach: »Setze dich, tapfrer Ritter, das haben wir nur aus Liebe zu dir getan, damit dadurch eine Verbindung mit dir zustande käme und du dich zu uns gesellen mögest.« – Sudun verbarg nach dieser Antwort seinen Groll und setzte sich. Nun wurden Speisen aufgetragen, und nach beendigtem Mahle begaben sich Wachs el-Fellath und Sudun in die Zelte zurück. Auf diese Art verstrichen mehrere Tage, bis einst Sudun zu Wachs el-Fellath sagte: »Herr, es ist schon geraume Zeit her, daß du Schame zur Frau begehrst, nachdem du sie mit der Schärfe deines Schwertes befreit hattest. Die Bedingung, die sie dir machten, hast du längst erfüllt, indem du ihnen mein Haupt darreichtest; bis jetzt hast du nichts weiter erreicht. Halte noch einmal um sie an, und erhältst du sie nicht, so will ich mit meinem Schwerte dreinschlagen, wir wollen Schame rauben und dann die Stadt verwüsten.« – »Morgen will ich sie nochmals zur Frau begehren,« versicherte der andere. Als er sich den andern Tag in den Saal begab, fand er daselbst den König und alle Großen seines Hofes versammelt. Bei seinem Anblick erhoben sich alle von ihren Sitzen. Als sie sich wieder gesetzt hatten, blieb er allein stehn. – »Warum setzest du dich nicht,« sprach der König, »alle deine Wünsche sind ja nun erfüllt.« – »Ich habe noch um Schame zu bitten,« entgegnete er. – »Du weißt ja,« erwiderte der König, »daß ich seit ihrer Geburt alles, was sie betrifft, den Anordnungen Sikar Diuns unterworfen habe.« – Nun wandte er sich an diesen. Ganz zuvorkommend sagte dieser ihm: »Sie ist dein, du hast die Bedingungen erfüllt, nun brauchst du nur noch die Geschmeide zu geben.« – »Und worin sollen sie bestehn?« fragte er. »Wir wünschen,« erwiderte dieser Treulose, »statt des Geschmeides ein Buch zu erhalten, welches die Geschichte des Nils umfaßt. Bringst du uns dieses, so ist sie ganz dein, wo nicht, so ist an keine Ehe zu denken.« – »Wo ist dies zu finden?« »Das kann ich Euch selbst nicht sagen.« – »Wohl,« erwiderte Wachs el-Fellath, »bringe ich euch das Buch nicht, so soll Schame für mich verloren sein; des sind alle Anwesenden Zeugen.« – Mit diesen Worten ging er hinaus, bahnte sich einen Weg durch die gedrängte Versammlung und Sudun hinter ihm, bis sie an ihre Zelte kamen. – »Warum hast du das versprochen?« sagte Sudun, »lassen wir lieber unsere Schwerter über ihnen walten und Schame ihnen entreißen.« – »Nein,« erwiderte Wachs el-Fellath, »nur auf ehrenvolle Art will ich sie besitzen.« – »Und doch weißt du nicht einmal den Weg, um zu dem Buche zu gelangen,« entgegnete Sudun, »höre lieber aus meinen Rat, nimm deinen Rückzug in meine Festung und laß mich in ihrer Gewalt.« – »Nie werde ich das tun,« sagte Wachs el-Fellath, »und sollte ich den Tod deshalb erleiden.« Nach solchen und ähnlichen Gesprächen wurde das Abendessen gebracht, und jeder begab sich dann in sein Schlafgemach. Kaum war Wachs el-Fellath eingetreten, als Schame sich einfand. – »Was hast du getan,« sprach sie, »welche Verpflichtung bist du eingegangen! Wie kannst du diese Bedingung erfüllen? Siehst du nicht ein, daß ihr einziger Zweck ist, dich zu vernichten oder wenigstens zu entfernen. Ich bin gekommen, dich davon zu benachrichtigen. Nochmals sage ich dir, nimm mich mit dir zu der Festung Suduns, dort wollen wir in Ruhe leben; tue ja nicht, was sie dir sagen.« – »Ich will es aber tun,« entgegnete er, »nicht wie ein Weichling will ich dich besitzen, und sollte ich mit Schwertern zerschnitten werden.« – Zornig verließ ihn Schame bei diesen Worten, er aber begab sich zur Ruhe, doch der Schlaf wollte sich nicht einfinden. Da stand er auf, ging zu seinem Roß, sattelte und bestieg es und ritt davon, ohne zu wissen, wohin, sich ganz dem Willen Gottes überlassend. Mehrere Tage irrte er so herum, bis er an einen einsam stehenden Turm gelangte, an dessen Pforte er klopfte, woraus eine Stimme sprach: »Sei willkommen, du, der du dich von den Deinen getrennt hast, sei ohne Furcht, tritt ein, du tapfrer Seif Ibn Sul Jesn.« Als er an die Türe stieß, öffnete sie sich, und es stellte sich seinen Augen ein edler, ehrwürdiger Greis dar, bei dessen Anblick man gleich merkte, daß er des strengsten Lebens und der Gottesfurcht sich befleißige. »Sei willkommen,« rief er ihm nochmals zu, »wärst du gen Osten oder gen Westen gezogen, du hättest niemanden gefunden, der dir die Mittel, um das Buch, welches du suchst, zu erlangen, so gut anzeigen könnte als ich; denn ich bin hier und erwarte seit sechzig Jahren deine Ankunft.« – »Das ist,« sagte Wachs el-Fellath bei sich selbst, »ehe ich noch geboren ward.« Sodann fragte er ihn laut: »Was war das für ein Name, womit du mich anredetest?« »O Seif,« antwortete jener, »das ist dein wahrer Name, denn Seif (Schwert) bist du für die Abessinier: doch wen betest du an?« »Herr,« war die Antwort, »die Abessinier beten den Saturn (Suchal) an, ich aber bin befangen und weiß nicht, was ich anbeten soll.« »Mein Sohn,« sprach der Greis, »bete den an, der den Himmel ohne Säulen über uns erhoben, der die Erde aus Wasser gebettet hat, den einzigen ewigen Gott, den Herrn, dem nur allein gehuldigt werden muß. Ich bete ihn an, und neben ihn stelle ich nichts, denn ich folge der Religion Ibrahims.« »Wie heißest du?« fragte ihn hierauf Wachs el-Fellath. – »Ich heiße Scheich Gyath.« – »Was für ein Bekenntnis muß ich aber ablegen,« fragte er den Greis, »um deiner Religion anzugehören?« – »Sprich, es ist kein Gott außer Gott, und Ibrahim ist der Freund Gottes; mit diesem Bekenntnis gehörst du zu den Gläubigen.« Dieses legte er ab, und Scheich Gyath hatte darüber große Freude. Die Nacht wandte er dazu an, ihm die Geschichte Ibrahims und seiner Religion und den Gottesdienst zu lehren. Gegen Morgen sagte er: »Mein Sohn, solltest du in den Krieg gehen, so sprich: »Gott ist groß, verleihe den Sieg, o Gott, vernichte die Ungläubigen«, und die Hilfe wird nahe sein.« Begib dich nun auf den Weg, laß dein Roß bei mir, bis du wiederkommst; gehe dann unter Gottes Schutz in das vor dir gelegene Tal, und nach drei Tagen wirst du jemanden antreffen, der dir behilflich sein wird.« Diesen Weg schlug Wachs el-Fellath ein, und nach drei Tagen trat ihm ein Ritter entgegen, der ihn begrüßte und rief: »Willkommen, Seif Sul Jesn, du beglückst diese Gegend.« Seif erwiderte seinen Gruß und fragte: »Woher kennst du mich, und wie weißt du meinen Namen?« »Ich bin,« war die Antwort, »kein tapfrer, kein berühmter Ritter, sondern eine der Jungfrauen dieses Landes; meine Mutter hat mich deinen Namen gelehrt.« – »Wie heißt du, und wie ist der Name deiner Mutter?« »Meine Mutter heißt Alka,« erwiderte sie, »und ich heiße Taka.« – Als er dieses hörte, war er sehr erfreut, denn er erinnerte sich, daß Scheich Gyath ihm gesagt hatte: »O du, dessen Geschick durch Alka und Taka entschieden werden wird.« »O edle Jungfrau,« redete er sie an, »wer ist deine Mutter Alka?« – »Sieh dich um,« antwortete sie ihm, und er erblickte in einiger Entfernung eine sehr hohe große Stadt. »Wisse,« sagte sie, »daß in dieser Stadt dreihundertundsechzig erfahrne Weltweise sind. Meine Mutter Alka ist ihre Oberin, auf sie stützt sich ihre Sache und ihr Walten. Sie hat gewußt, daß du in diese Gegend kommen würdest, um das Buch über die Beschaffenheit des Nils zu erlangen, ein Buch, welches Japhet, der Sohn Noahs, verfaßt hat. Sie will, daß du durch ihre Vermittelung deinen Zweck erreichst. Zugleich hat sie mir von dir Kunde gegeben und dich mir versprochen, indem sie sagte: »Keinen andern Gemahl sollst du haben als ihn.« Heute erwarteten wir dich, und sie trug mir auf, dir entgegen zu kommen. »Warne ihn,« fügte sie hinzu, »bei Tage in die Stadt zu gehen, sonst ist es sein Untergang.« Bleib also hier, bis die Dunkelheit eintritt, und nur bei Nachtzeit nähere dich; wende dich rechts der Mauer entlang und bleibe beim dritten Turm stehn, dort werden wir deiner harren. Sobald wir dich sehen, werfen wir dir ein Seil zu; dieses binde um deine Hüften, und wir ziehen dich damit herauf. Dann ist die Sache leicht.« »Aber warum machst du solche Umstände?« fragte sie Seif Sul Jesn. – »Wisse,« erwiderte sie, »daß die Einwohner dieser Stadt aus ihren Büchern die Kenntnis deiner Ankunft erlangt haben, und daß du ihr Buch davon tragen werdest, das sie in abgöttischen Ehren halten. Den ersten jeden Monats begeben sie sich in ein Gebäude, worin sie es aufbewahren; dort verehren sie es und fragen es in ihren Angelegenheiten um Rat. Auch haben sie einen König mit Namen Kamrun. Als sie erfuhren, daß du wegen dieses Buchs kommen würdest, haben sie Talismane gegen dich errichtet. Sie haben nämlich eine kupferne Statue verfertigt, ihr ein messingenes Horn in die Hand gegeben und sie auf das Stadttor gestellt. Trittst du ein, so läßt die Bildsäule das Horn erschallen, und nur bei deiner Ankunft tönt es. Dann würden sie dich ergriffen und getötet haben. Deshalb also wollen wir ihre Weisheit unwirksam machen, indem wir dich an einer andern Stelle über die Stadtmauer ziehen.« – »Gott vergelte es euch tausendmal,« rief er aus; »aber geh und benachrichtige deine Mutter von meiner Ankunft.« – Sie ging; und bei der Dunkelheit der Nacht näherte er sich der Stadt und gelangte an den dritten Turm rechts, wo Alka und Taka sich befanden. Als sie ihn erkannten, warfen sie ihm sogleich das Seil zu, woran er sich befestigte. Als er hinaufgezogen war, stiegen sie von der Mauer herab und wollten sich eben nach Alkas Hause begeben, als plötzlich der Talisman wirkte und die Gestalt laut ihr Horn ertönen ließ. – »Beeile dich,« sprach Alka, »unser Haus zu erreichen.« – Sie gelangten auch noch glücklich hinein und verschlossen die Türe, als der Lärm sich vermehrte. Da erhob sich die ganze Einwohnerschaft der Stadt, und die Straßen füllten sich. »Warum dieses Getöse?« fragte Seif. »Das geht von dem Lärm des Bildnisses aus, weil du die Stadt betreten hast. Morgen wird deshalb eine große Versammlung sein, alle Weisen werden sich einfinden, um den Aufenthalt des Eingedrungenen zu erforschen; aber mit Gottes Hilfe will ich sie irreführen und ihren Verstand verwirren. Geh,« sagte sie zu ihrer Tochter, »sieh, was unser Nachbar, der Fischer, gefangen hat!« Sie ging und berichtete, er habe einen großen Fisch von der Größe eines Menschen gefangen. »Nimm dieses Goldstück,« sagte die Mutter, »und bring uns den Fisch.« Sie nahm es und brachte auch bald das Verlangte. »Nimm ihn aus,« sagte die Mutter. Dies geschah. Nun wurde Speise aufgetragen, sie aßen und unterhielten sich. Die Nacht ging ruhig vorüber; aber am andern Morgen ließ Alka den Seif Sul Jesn seine Kleider ausziehen und hieß ihn sich in der Fischhaut verbergen; dann brachte sie ihren Mund an das Maul des Fisches, nahm ein langes Seil und band es Seif unter den Achseln fest. Hierauf ließ sie ihn in einen tiefen Brunnen hinab und befestigte ihn dort, indem sie sprach: »Hier bleibe, bis ich zurückkomme.« Sodann verließ sie ihn und begab sich in den großen Saal des Königs, wo sie den Diwan schon versammelt und den König auf seinem Throne sitzend fand. Alle erhoben sich bei ihrem Eintritt, und als sie sich gesetzt hatte, sprach der König zu ihr: »O Mutter, hast du gestern nicht das Toben des Horns gehört, und warum bist du nicht mit uns ausgezogen?« »Ich habe es wohl gehört,« antwortete sie, »aber mich nicht damit beschäftigt.« »Du weißt doch,« sprach er, »daß das Getöse nur um des Fremden willen erschallen kann, welcher das Buch haben will.« – »Das weiß ich, o König, erlaube mir, daß ich vierzig von den hier versammelten Männern auswähle.« Dieses tat sie, und aus den vierzig wählte sie nochmals zehn. Zu diesen sagte sie: »Schlaget ein Trachtramml (Sandbrett, worauf die Araber Geomantie und Punktierkunst treiben), und sehet und erforschet.« Dieses taten sie; kaum war es geschehen, als sie einander verwundert ansahen. Sie vernichteten ihre Arbeit und schlugen ein zweites; auch dieses verwarfen sie wieder und begannen ein drittes, und bei diesem blieben sie ganz bestürzt. »Was treibt ihr denn da?« fragte endlich der König. »Ihr arbeitet und vernichtet eure Arbeit wieder, was seht ihr denn da?« – »O König,« sprachen sie, »wir sehen zwar den Fremden, er ist in die Stadt gekommen, aber durch kein Tor gegangen, er scheint zwischen Himmel und Erde gleich einem Vogel hineingekommen zu sein, hierauf hat ihn ein Fisch verschlungen; dieser ist mit ihm in ein dunkles Wasser hinabgestiegen.« – »Seid ihr Toren?« sprach der König erzürnt und wandte sich zu Alka, »hast du je gesehn, daß ein Mensch zwischen Himmel und Erde fliegt, daß ihn dann ein Fisch verschlingt und mit ihm in ein dunkles Wasser geht?« – »O König,« sprach sie, »ich verbiete den Weisen immer, schwere Speisen zu essen, denn sie stören den Verstand und schaden dem Scharfsinn, sie lassen sich's aber nicht wehren.« Da ward der König zornig und vertrieb sie augenblicklich aus dem Saal. Alka aber sprach: »Morgen soll klar werden, was geschieht.« Sie verließ den Saal, und als sie zu Hause angelangt war, zog sie Sul Jesn heraus, der sich wieder ankleidete. Sie setzten sich, und Alka sprach: »Heute habe ich ihren Verstand verwirrt, und morgen wird eine große Sitzung sein, wo ich sie noch mehr auf Abwege führen werde.« Hierauf aßen sie und begaben sich dann zur Ruhe. Am andern Morgen rief Alka ihre Tochter und sprach: »Bringe mir die Gazelle.« Dies geschah. Sodann sagte sie: »Bringe mir Adlerflügel.« Auch diese überreichte sie ihr, und Alka band sie auf den Rücken der Gazelle, hierauf nahm sie einen Zirkel und schlug ihn in die Decke des Zimmers ein. Sodann nahm sie zwei andere Zirkel, wovon sie den einen zwischen die Vorderfüße, den andern zwischen die Hinterfüße der Gazelle festband. Nachher befestigte sie ein Seil an dem Zirkel an der Decke und die beiden Enden davon an die beiden andern Zirkel. Den Seif Sul Jesn aber stellte sie so, daß sein Haupt sich zwischen den Füßen der Gazelle befand. »Bleibe hier,« sagte sie zu ihm, »und erwarte meine Rückkehr.« Sie begab sich nun zum Könige, bei dem sie die Weisen sehr zahlreich versammelt fand. Sobald sie eintrat, ließ sie der König neben sich auf den Thron setzen. »Mutter Alka,« sprach er, »ich habe diese Nacht kein Auge zugetan vor Kummer über das gestrige Ereignis.« – »Hast du nicht Weise,« sprach sie zu ihm, »die das Brot des Diwans essen?« hieraus wandte sie sich zu jenen. »Wählt die Weisesten unter euch aus.« Sie wählten vierzig. »Wählet aus diesen die Weisesten.« Sodann gebot sie ihnen: »Schlaget wieder ein Sandbrett.« Dieses verwirrte dieselben so, daß sie dreimal von vorn anfangen mußten. »Was seht ihr?« fragte der König erzürnt. »Herr,« sagten sie, »der, den wir suchen, ist von einem Tier der Wüste genommen worden, welches mit ihm zwischen Himmel und Erde fliegt.« – »Wie,« sprach der König zu Alka, »hast du jemals so etwas gesehn?« Erzürnt griff der König nach seinem Schwert. Drei flohen, und er tötete vier von ihnen. Als Alka nach Hause kam, befreite sie den Seif und erzählte, was geschehen war. Den andern Morgen nahm Alka die Gazelle und schlachtete sie in einem kupfernen Kessel, dann nahm sie einen goldnen Mörser und stellte ihn verkehrt hinein, und zu Seif Sul Jesn sprach sie: »Setze dich auf diesen Mörser, bis ich wiederkomme.« – Hierauf begab sie sich in den Diwan, wählte sechs Weise aus, die wieder das Sandbrett schlugen und es dreimal in der Verwirrung wiederholen mußten. »Wehe,« sprach der König voll Zorn, »was seht ihr für ein Unglück?« – »Herr,« riefen sie bestürzt, »unser Verstand verwirrt sich, denn wir sehen ihn auf einem goldnen Berge sitzen, welcher inmitten eines Blutmeeres ist, und dieses umgibt eine kupferne Mauer.« Da zürnte der König, und er hob die Sitzung auf. »Auf dich, o Alka,« sprach er, »will ich nun allein vertrauen.« »Morgen,« erwiderte sie, »werde ich den Fremden dir zu zeigen suchen.« Zu Hause angekommen, benachrichtigte sie Seif von dem vorgefallenen und sprach: »Morgen werde ich schon wissen, was ich dem König sagen soll, um ihn zu beschäftigen und von deiner Verfolgung abzuhalten.« Um andern Morgen traf sie Taka, wie sie sich heimlich mit Seif unterhielt. Sie fragte dieselbe: »Was verlangt er?« – »Mutter,« erwiderte diese, »er wünscht in das Schloß des Königs zu gelangen, um ihn und den Diwan zu sehen.« – »Was du wünschest, soll geschehen,« erwiderte sie, »aber du darfst nicht sprechen.« – Diese Bedingung ging er ein, und so bekleidete sie ihn mit dem Anzuge ihres Dieners, gab ihm ein Sandbrett und verfügte sich mit ihm zum König. Dieser sagte ihr: »Die ganze Nacht habe ich nicht geschlafen, weil ich mich mit dem Fremden, den wir suchen, beschäftigt habe.« – »Nun die Sache mir anvertraut ist,« versetzte sie, »werde ich dir Schutz genug sein gegen ihn.« – Zugleich befahl sie Seif, ihr das Sandbrett zu übergeben. Sie schlug es, und nachdem sie ihre Berechnungen gemacht hatte, sagte sie freudig zum Könige: »Herr, ich kann dir die frohe Botschaft von der Flucht des Fremdlings verkünden, die er aus Furcht vor dir und deinen Räten ergriffen hat.« Der König indes, als er dies hörte, zerriß seine Kleider, schlug sich ins Gesicht und sprach: »Der wird nicht fortgegangen sein, ohne das Buch genommen zu haben.« – »Ich kann nicht sehn, ob er etwas mitgenommen hat,« erwiderte sie. – »Heute ist der erste des Monats,« sprach der König, »komm, wir wollen sehen, ob es fehlt.« Er begab sich hieraus mit einem großen Gefolge in das Gebäude, wo das Buch aufbewahrt wurde. Alka trennte sich einen Augenblick vom Könige, um Seif zu sagen: »Tritt nicht mit uns ein, denn wenn du hineintrittst, so wird der Kasten sich von selbst öffnen und das Buch auf dich zufallen. Das würde dich gleich verraten, man würde dich ergreifen und dich töten. Alle meine Mühe wäre dann vergebens gewesen.« – hier verließ sie ihn und schloß sich an den König an. Als sie an das Gebäude kamen, wurde die Türe geöffnet, der König trat ein, und man fand das Buch. Sie erwiesen ihm sogleich die üblichen Ehrenbezeigungen und verlängerten diese Art Gottesdienst, während Seif an der Türe stand und mit sich kämpfte, ob er eintreten solle oder nicht. Da siegte seine Ungeduld, und er trat ein, und in demselben Augenblicke wurde der Kasten erschüttert, und das Buch fiel heraus. Da befahl der König allen, aufzustehen, und das Buch rollte auf Seif Sul Jesn zu. Jetzt zogen alle die Schwerter und drangen aus ihn ein. Seif zog auch das seinige und rief, wie ihn der Scheich Gyath gelehrt hatte: »Gott ist groß!« Zugleich hörte er nicht auf zu Kämpfen und sich zu verteidigen, indem er die Türe zu gewinnen suchte. Die ganze Stadt geriet in Aufruhr, ihn zu verfolgen, da stürzte er über einen Getöteten, und man ergriff ihn. »Laßt mich sein Angesicht nicht sehen,« rief der König, »sondern werfet ihn in die Grube!« Diese war achtzig Ellen tief und seit sechzig Jahren nicht geöffnet worden. Sie hatte einen schweren bleiernen Deckel, den sie wieder darüber deckten, nachdem sie ihn, mit Ketten belastet, hineingeworfen hatten. Da saß nun Seif in der Finsternis, tief betrübt, und klagte seine Lage demjenigen, der nie schläft. Da öffnete sich eine Seitenwand der Grube, und es trat hervor eine Gestalt, die sich ihm näherte und ihn bei seinem Namen begrüßte. »Wer bist du?« fragte Seif. »Ich bin ein Weib, heiße Akisse und bewohne den Berg, wo der Nil entspringt. Wir sind ein Volk, das sich zu dem Glauben Ibrahims zählt. Unter uns wohnt ein sehr frommer Mann in einem schönen Palaste; es war aber zu gleicher Zeit bei uns ein böser Geist mit Namen Muchtatif, der mich liebte und von meinem Vater zur Frau begehrte. Aus Furcht willigte er ein, aber ich wollte mich nicht mit einem Bösewicht vermählen, der ein Feueranbeter war. »Wie kannst du mich,« sagte ich meinem Vater, »einem Manne versprechen, der ein Ungläubiger ist?« »Ich will dadurch,« erwiderte er mir, »seine Bosheit von mir abwenden.« Da ging ich hinaus und weinte und klagte dem frommen Manne meine Angelegenheit. »Weißt du, wer ihn töten wird?« fragte er mich. Ich antwortete: »Nein!« – »Ich will dich,« versetzte er, »zu dem Hinweisen, der ihm die Hand abgehauen hat; er heißt Seif Sul Jesn und befindet sich jetzt in der Stadt des Königs Kamrun in der Grube.« Darauf brachte er mich zu dir, und wie du siehst, bin ich gekommen, dich in mein Land zu führen, damit du ihn tötest und die Erde von seinen Bosheiten befreiest.« Hierauf berührte und schüttelte sie ihn, und die Ketten fielen alle ab. Sie lud ihn nun auf ihre Schultern und brachte ihn in den Palast des Greises, welcher Abdas Salam hieß. Da hörte er eine Stimme, welche ihm zurief: »Tritt ein, Seif Sul Jesn.« Er tat es und fand einen Ehrfurcht einflößenden Greis, der ihn sehr wohlwollend empfing. »Warte bis morgen, dann wird Akisse kommen und dich zum Schloß des Muchtatif führen.« Er blieb daher die Nacht bei ihm, und am andern Morgen kam die Erwartete, welcher der Greis Eile empfahl, damit die Welt bald von diesem Ungeheuer befreit würde. Nunmehr verließen sie diesen ehrwürdigen Mann, und als sie eine Strecke Wegs zurückgelegt hatten, sagte sie zu ihm: »Sieh jetzt vorwärts.« Er blickte hin und bemerkte in einiger Entfernung eine schwarze Masse. »Dies ist das Schloß dieses Bösewichts,« sagte sie, »aber ich kann von hier keinen Schritt weiter gehn.« Er setzte also seinen Weg allein fort, und in der Nähe des Schlosses angelangt, ging er um dasselbe herum, um den Eingang zu suchen. Als er die außerordentliche Höhe des Schlosses betrachtete, welches zwar seinen Standort auf der Erde hatte, aber die Wolken zu überragen schien, bemerkte er, daß ein Fenster sich öffnete und mehrere Personen heraussahen, welche riefen: »Das ist er. das ist er!« und mit den Fingern auf ihn zeigten. Sie warfen ihm ein Seil zu, an das sie ihn baten sich zu binden. Sie zogen ihn an demselben hinauf, und als er ankam, fand er dreihundertundsechzig Mädchen, die ihn bei seinem Namen begrüßten.– – –

 

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Hier bricht unsere tunesische Handschrift ab und gibt nicht den Schluß dieser interessanten Erzählung, welche wir aber auch als Bruchstück mitzuteilen nicht unterlassen wollen. (Anm. Habichts.)

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