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Geschichte von dem Manne, der den Leuten Gutes erzeigte, ohne sie zu kennen.

Ein Araber von sehr hohem Ansehen und vielen edeln Eigenschaften hatte mehrere Brüder, die ihn oft einluden oder ihm sonst Gesellschaft leisteten. Das eine Mal war die Reihe an ihm, seine Freunde zu bewirten; und er hatte deshalb alles aufs festlichste vorbereitet. Wohlriechende Wachskerzen erleuchteten die Zimmer, die kostbarsten Früchte prangten auf den Tellern, alle Seltenheiten waren hervorgerufen, sogar die schönsten Sänger und Sängerinnen waren befehligt zu erscheinen. Der Wirt ging eben aus, um seine Freunde zusammenzusuchen. Es befand sich niemand in seinem Hause, und da er bald wiederkommen wollte, legte er bloß ein gewöhnliches Vorlegeschloß an seine Türe.

In derselben Stadt befand sich ein sehr gebildeter junger Mann, der als Kaufmann mit vielen Waren dahin gekommen war. Allein er war so freigebig und verschwenderisch gewesen, daß er sein großes Vermögen vertan und nichts mehr hatte, als was er von Kleidungsstücken auf dem Leibe trug. Ja, er war sogar genötigt, sein Bett zu verkaufen und die Wohnung, wo er so glückliche Tage verlebt hatte, zu verlassen und die Einwohner der Stadt von Tage zu Tage um eine Nachtherberge zu ersuchen. Als er eines Tages auch so in den Straßen umherirrte, begegnete er einer sehr schönen Frau, deren Anblick ihn seine unglückliche Lage vergessen ließ. Er nahte sich ihr, und sie merkte wohl, daß er sich scheute, mit ihr zu sprechen. Da sie ihn indes auf alle Art zum besten hatte, so wollte er es seinerseits auch nicht fehlen lassen, und er rief sie daher an und lud sie ein, ihn zu begleiten. Sie willigte sogleich ein und sagte lachend: »Ich will mit dir in deine Wohnung gehen.« Da bereute er sein Unglück, daß er keine Wohnung mehr hatte, und war außer sich, sie nicht bewirten zu können. Doch schämte er sich aber auch, es ihr abzuschlagen, da er sie einmal eingeladen hatte.

Ganz mit dem Gedanken beschäftigt, wie er sie auf eine gute Art loswerden könnte, ging er von einer Straße zur andern und kam endlich in eine Gasse, die keinen Ausweg hatte. Am Ende derselben bemerkte er eine Türe, die durch ein Vorlegeschloß verschlossen war. »Ach, verzeihe,« rief er plötzlich aus, »ich sehe soeben, daß mein Bedienter ausgegangen ist, und daß er die Türe verschlossen hat. Was machen wir nun, und wer wird sie uns öffnen?« – »Ach,« rief sie, »mein Herr, dieses Schloß ist nicht zehn Drachmen wert.« –

 

Neunhundertundfünfte Nacht.

Sie ergriff hierauf einen Stein, streifte ihre Ärmel auf, wobei er ihren schönen weißen Arm zu bewundern Gelegenheit hatte, und schlug mit solcher Gewalt auf das Schloß, daß es zersprang, und sagte sodann: »Nunmehr tritt herein, mein Herr.« Dieses tat er denn auch, obgleich in banger Besorgnis. Sie folgte ihm und schloß die Tür hinter sich zu, und beide befanden sich nun in einem herrlichen Gebäude voll der kostbarsten Sachen. Der Mann setzte sich auf den vornehmsten Platz und stützte sich auf das Kopfkissen; die Frau griff nach ihrem Schleier, den sie abnahm, so wie sie denn auch die lästigsten Kleider ablegte. Er bewunderte ihre Schönheit und unterhielt sich höchst angenehm mit ihr, und da der gute Mann in sich eine starke Eßlust spürte, so sagte er zu ihr: »Ich bin in meinem Hause gar nicht recht bewandert; denn ich verlasse mich zu sehr aus meinen Bedienten. Bemühe du dich also und siehe einmal, was der Mensch in der Küche bereitet haben mag.« Die Frau erhob sich und ging in die Küche hinab, wo sie kupferne Pfannen über dem Feuer fand, worin verschiedene kostbare Gerichte waren. Sie ergriff hierauf ein paar Schüsseln und schöpfte in dieselben aus den kupfernen Pfannen allerlei Speisen, die sie ihm vorsetzte. Sie aßen, tranken und vertrieben sich die Zeit höchst angenehm. Hierauf setzte sie ihm auch Früchte vor.

Sie waren bereits länger als eine Stunde beisammen, als der Hausbesitzer mit seinen Freunden heimkam. Da er das Schloß abgenommen fand, so klopfte er leise, indem er zu seinen Freunden sagte: »Ich sehe soeben, daß jemand von meiner Familie bei mir ist. Entschuldigt mich also.« Aus Bescheidenheit entfernten sich nun die Freunde, und er klopfte von neuem an die Türe. Als der Mann das hörte, entfärbte er sich, die Frau indes sagte: »Ich glaube, dein Bedienter kommt zurück.« – »Jawohl,« erwiderte er; und sie eilte nun, um ihm die Tür zu öffnen, indem sie sagte: »Wo bist du denn so lange geblieben? Dein Herr ist sehr böse auf dich.« – »Gnädige Frau,« erwiderte der Hausbesitzer, »ich war in seinen Angelegenheiten aus.« Hierauf band er sich eine Schürze um, trat ins Zimmer und grüßte den Fremden, welcher ihn fragte: »Wo bist du denn gewesen?« – »Ich habe deine Angelegenheiten besorgt,« war die Antwort. – »So gehe nun und iß, dann komme zurück und trinke,« sagte der Fremde. Der Hausherr entfernte sich also, wie ihm geheißen wurde. Nachdem er gegessen hatte, setzte er sich zu ihnen an den Tisch und unterhielt sich mit ihnen. Dies beruhigte den Fremden wieder, und er wurde so froh und heiter, daß die Fröhlichkeit unter ihnen bald allgemein wurde.

Als die Nacht vergangen war, sagte die Frau, daß sie nach Hause gehen wollte. Der Fremde entließ sie also, und sie ging von dannen; der Hausbesitzer aber folgte ihr und überreichte ihr einen Beutel voll Gold, indem er ihr sagte: »Entschuldige nur meinen Herrn, denn er ist außerordentlich nachlässig.« Hierauf begab er sich zu dem Fremden und sagte: »Stehe auf, das Bad ist schon bereit.« Dieser dankte ihm außerordentlich und bat ihn: »Sage mir, wer bist du? Ich glaube nicht, daß in der Welt jemand dir gleicht an Güte und Höflichkeit.« Hierauf erzählten sie sich beiderseits, was sie zu wissen verlangten, und gingen miteinander ins Bad. Der Hausbesitzer lud hierauf seinen neuen Freund nebst seinen andern Bekannten ein, denen er den Vorfall erzählte, und die ihn nicht genug wegen seines Benehmens loben konnten. Der Fremde blieb ihr Gesellschafter, solange er sich noch in der Stadt aufhielt, und kurze Zeit darauf hatte er das Glück, sich nach seinem Geburtsort begeben zu können, wo seine Umstände sich sehr zu seinem Vorteil änderten.

Doch diese Geschichte ist lange nicht so schön als diejenige von dem reichen Manne, der sein Vermögen und seinen Verstand verloren hatte.

 


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