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Geschichte von dem Kaufmanne, der alten Frau und dem Könige

In der Stadt Chorassan waren mehrere Familien, die mit Glücksgütern überhäuft waren und sich die höchsten Ämter in der Regierung zugeeignet hatten. Jedoch ihre Gunst nahte sich ihrem Ende; denn alle Leute haßten sie, und sie wanderten alle aus bis auf eine alte Frau, die, so gebrechlich sie auch war, von niemandem unterstützt, aus der Stadt getrieben wurde. Man hatte ein so großes Vorurteil gegen sie, daß man allgemein sagte: »Was soll diese Frau bei uns? 5ie ist ja nur unheilbringend für jeden, der ihr wohltut; denn sie belohnt ihn mit Bösem.« – Man brachte sie also außer der Stadt in ein verfallenes Gebäude an der Landstraße, wo ihr die vorüberreisenden Fremden Almosen gaben.

Als sie einige Zeit sich dort aufgehalten hatte, begab es sich, daß der König von seinem Neffen angefeindet wurde. Sein Volk liebte ihn nicht; dennoch lag es in dem Ratschluß Gottes, daß der König die Oberhand behielt; indes in seinem Herzen blieb Groll gegen den Neffen. Er benachrichtigte seinen Wesir von allem, was vorgefallen, und daß die größte Geldnot im Schatze herrsche. Zugleich ließ er einen begüterten Mann nach dem andern zu sich rufen, ihn nach seiner Religion und nach seinen Vermögensumständen befragen, und wenn er nicht gründliche Antworten darüber gab, ließ er ihm alles, was er hatte, nehmen.

Einstmals kam auch ein sehr reicher reisender Kaufmann an; er wußte von allen diesen Bedrückungen nichts und kehrte, da es Abend war, in dem zerstörten Gemäuer ein, wo sich die Alte aufhielt, und gab ihr etwas Geld. Hierauf erhob sie ihre Stimme, um für sein Wohl zu beten, und da der Kaufmann von ferne Leute bemerkt hatte, die ihm nachkamen, und die er für Räuber hielt, so entschloß er sich, bei der Alten zu übernachten. Sie gewährte ihm sehr freundschaftlich seine Bitte, und während ihrer Unterhaltung benachrichtigte sie ihn auch zugleich von den Fragen, die der Minister jedem Fremden vorlegte. »Doch sei unbesorgt,« fügte sie hinzu, »nimm mich nur mit dir in die Stadt und frage mich um Rat; ich werde dir seine Fragen auslegen helfen.«

Als nun der Kaufmann den andern Morgen in die Stadt reiste, nahm er sie mit und verbarg sie in seinem Hause. Gleich darauf wurde der Wesir von der Ankunft des Fremden benachrichtigt, und alsbald ließ er ihn auch vor sich fordern. Er unterhielt sich mit ihm aufs freundschaftlichste von seinen Reisen und schloß mit den Worten: »Ich will dir doch einige Fragen vorlegen; wenn du sie mir beantwortest, so wird es gut für dich sein. Wieviel wiegt der Elefant?« fragte ihn hierauf der Wesir. Hier verstummte der Kaufmann und glaubte schon seines Untergangs gewiß zu sein. Doch ermannte er sich und bat um drei Tage Aufschub. Dieser ward ihm denn auch vergönnt. Als er nun nach Hause kam, erzählte er der Frau, was vorgefallen war. Diese sagte zu ihm: »Gehe du nur morgen zum Wesir. Um das zu erfahren, mußt du ein Schiff haben, es ins Meer setzen und darein den Elefanten tun. Das Schiff wird sinken, und dann mußt du die Stelle am Schiffe bezeichnen, bis wohin das Wasser gestiegen ist. Dann schaffe den Elefanten heraus und wirf so viel Steine in das Schiff und fahre so lange damit fort, bis es ebensoweit hinabsinkt und das Wasser wieder bis an denselben Fleck zu stehen kommt. Hierauf nimm die Steine heraus, wiege sie, und daraus wird sich das Gewicht des Elefanten ergeben.«

Als er am andern Morgen dem Wesir diese Antwort brachte, erstaunte dieser und warf ihm folgende Frage auf: »Was sagst du zu einem Manne, der in seinem Zimmer vier Öffnungen sieht, und aus deren jeder eine Schlange sich auf ihn zu stürzen im Begriff ist. In demselben Zimmer befinden sich vier Stangen, und jede Öffnung kann nur mit dem Ende zweier dieser Stangen verstopft werden. Wie wirst du es machen, diese vier Öffnungen auf einmal zu verstopfen und dich vor den Schlangen zu sichern?« Da bat der Kaufmann sich wieder Aufschub aus, der ihm auch bewilligt wurde. Seine alte Freundin, welche ihn bestürzt hereintreten sah, ließ sich sogleich alles erzählen. »Sei unbesorgt,« sagte sie hierauf zu ihm: »Geh du morgen nur zum Wesir und sage: »Folgendes ist die Antwort auf deine Frage. Du nimmst nämlich die zwei Enden zweier Stangen und verstopfest damit ein Loch, da diese zwei Stangen aber noch zwei andere Enden haben, so verstopfe du mit diesen letzteren das sich gegenüber befindende Loch. Dann nimmst du die zwei andern Stangen, legst sie quer über die schon befestigten und steckst die vier Enden in die zwei einander gegenüberstehenden Öffnungen.«

Da wunderte sich der Wesir, daß er seine Frage so gut beantwortet hatte, und sprach: »Gehe in Frieden; dich werde ich nicht mehr fragen; wenn alle deine Kenntnis hätten, so würde ich bald um meine Stelle kommen.« Der Wesir unterhielt sich hierauf noch eine Weile mit ihm und erfuhr, daß die alte Frau ihm diesen Rat gegeben hätte, worauf der Wesir äußerte, daß der vernünftigste Mann doch immer eines vernünftigen Freundes nötig habe. Das sehe man hier recht deutlich, da jene alte gebrechliche Frau diesem Manne das Leben und sein Vermögen auf das leichteste gerettet habe.

Doch diese Geschichte ist nichts im Vergleich mit dem Toren, der sich in alles gemengt hat, was ihn nichts anging.

 


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