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Neunhundertundzehnte Nacht.

Geschichte von dem Weber, der auf Anstiften seiner Frau ein Arzt wurde.

In Persien hatte sich ein Mann mit einer Frau verheiratet, welche von edlerem Geschlecht war als er, und obwohl diese es immer verabscheut hatte, sich mit einem Manne zu verheiraten, der unter ihrer Würde war, so hatte sie sich doch zu dieser Heirat entschlossen, weil sie niemanden hatte, der sich ihrer annahm oder für sie sorgte. Sie hatte ihm indes einige Bedingungen vorgeschrieben, zu denen er sich schriftlich verpflichten mußte. Unter andern hatte er sich anheischig machen müssen, ganz unter ihrem Befehl zu stehen und sich ebenso nach ihren Verboten zu richten, so daß es ihm nicht möglich war, weder in Worten noch in Taten gegen ihren Willen zu handeln. Er war übrigens seinem Gewerbe nach ein Weber und hatte ihr zehntausend Drachmen verschrieben.

Sie hatten bereits einige Jahre zusammen gelebt, als einst die Frau bei einem ihrer Ausgänge einen Arzt sah, der einen großen Teppich auf der Straße ausgebreitet und Kräuter, Wurzeln und chirurgische Instrumente vor sich liegen hatte und mit den Leuten sprach, welche ihn von allen Seiten umringten. Die Frau wunderte sich über den bedeutenden Gewinn, den er haben mußte, und sprach bei sich selbst: »Ach, wenn doch mein Mann ebenso wäre! Da könnten wir ein herrliches Leben führen und dürften uns nicht so einschränken.«

So kam sie denn ganz betrübt nach Hause, und ihr Mann, der sie so bekümmert sah, fragte sie um die Ursache. »Ich bin deinetwegen bekümmert,« antwortete sie; »denn ich will nicht länger in Entbehrung leben, und bei deinem Handwerkgewinst hast du ohnehin nichts. Entweder suche dir einen andern Erwerb, oder ich trenne mich von dir, und du mußt mir meinen Pflichtteil geben.« Der Mann machte ihr darüber Vorwürfe und warnte sie; allein vergebens. Im Gegenteil befahl sie ihm, sogleich hinauszugehen und dem Arzte genau zuzusehen, um ihm seine Kunst abzulernen. »Wenn es bloß darauf ankommt,« erwiderte er, »so sei nur ganz unbesorgt; ich will alle Tage zu ihm gehen und seine Kunst lernen.«

Er begab sich auch wirklich sofort zu ihm und merkte sich, was der Arzt verschrieb, und die Regeln der Diät, die er zu befolgen gebot. Als er sich nun genau mit Kenntnissen bereichert zu haben glaubte, kehrte er zu seiner Frau zurück und sagte: »Ich habe mir die Reden des Arztes gemerkt; ich kenne den Weg, den er in der Diät befolgt wissen will, ich kenne die Merkmale der Krankheiten, ich verstehe die Wundarzneikunst, ich kenne die Namen der Mittel; mit einem Worte, ich habe deinen Befehl ausgeführt. Was ist nun ferner dein Wunsch?« Da sprach sie: »Verlaß die Weberei und öffne einen Laden als Arzt.« – »Aber,« erwiderte der Mann, »meine Landsleute kennen mich ja; das kann nicht anders als in einem fremden Lande mit Erfolg ausgeführt werden. Komm daher, wir wollen unser Land verlassen und als Fremde in ein anderes Land ziehen. Auf diese Art werden wir reichliches Einkommen haben.« – »Tue, was dir gefällt,« erwiderte die Frau.

Der Mann nahm nun seine Weberwerkzeuge, verkaufte sie und handelte dafür Arzneimittel und Wurzeln ein. Auch nahm er einen Teppich und reiste so in ein andres Dorf, worin sie sich wohnhaft niederließen. Von hier aus bereiste er die Umgegenden, und zwar in der Kleidung eines Arztes, wodurch er sich ein reichliches Einkommen verschaffte und seine Umstände bedeutend verbesserte. So gelangten sie endlich bis nach Griechenland und kamen in eine Stadt, wo sich Galenus befand, welchen der Weber aber nicht kannte, und von dem er auch nie hatte reden hören. Der Weber ging nach seiner Gewohnheit aus, um einen Ort aufzusuchen, der sehr von den Leuten besucht wäre, um ihn dann zur Ausübung seiner Kunst zu benutzen. Er fand auch einen, ganz so, wie er ihn wünschte, von Menschen häufig besucht, und mietete ihn sogleich. Das Ungefähr wollte aber, daß es der Platz war, auf dem Galenus die Kunst ausübte. Der Weber beschäftigte sich nun sogleich mit Ausbreitung seines Teppichs und Ausstellung seiner medizinischen Wurzeln und Kräuter, und als er auch seine chirurgischen Instrumente geordnet hatte, fing er an, sich außerordentlich zu loben, seine Geschicklichkeit zu preisen und sich für den verständigsten Arzt, der nur je existiert habe, auszugeben. Als Galenus, der sich auch unter der Menge befand, diese Lobpreisungen hörte, so glaubte er einen der geschicktesten Arzte Persiens vor sich zu haben und dachte: »Dieser Mann würde gewiß nicht den Platz gewählt haben, dessen ich mich selber bediene, wenn er in seiner Kunst nicht fest und zuverlässig wäre oder sich vor meinen Einwendungen fürchtete.« Dies machte ihm nun großen Kummer. Endlich aber nahte er sich doch dem Weber, um zu sehen, was für einen Mann er hier vor sich habe. Er sah hier, daß die Leute zu ihm hinströmten, ihm ihre Krankheiten schilderten, und daß er ihnen dagegen Mittel verschrieb, wobei er manchmal fehlte, doch auch ebensooft die richtigen angab, so daß Galenus bis jetzt noch kein sicheres Urteil über ihn fällen konnte, bis endlich eine Frau kam, ein gläsernes Gefäß in der Hand haltend, worin sich Urin befand. Als der Weber dieses Glas in der Ferne erblickte, rief er ihr schon in der Ferne zu: »Du trägst mir ja den Urin eines Fremden hierher.« – »Jawohl,« erwiderte sie. »O,« sagte er hierauf, »das ist ja ein Jude, und er leidet an Unverdaulichkeit.« – »Jawohl,« erwiderte sie; »du hast ganz recht.«

Als das die Leute hörten, waren sie ganz verwundert, und selbst Galenus staunte, weil er hier etwas hörte, was er noch nie von einem Arzte mit solcher Sicherheit hatte aussprechen hören; denn die damaligen Ärzte konnten nur durch das Schütteln des Wassers und durch Besichtigung desselben in der Nähe auf die Krankheit schließen, auch konnten sie nicht unterscheiden, ob das Wasser von einem Manne oder einer Frau wäre, noch ob es von einem Fremden oder einem Juden wäre.

Da sprach die Frau zu ihm: »Was rätst du mir für ein Mittel an?« – »Gib mir zuerst,« versetzte er, »die Bezahlung.«

 

Neunhundertundelfte Nacht.

Sie gab ihm nun etliche Drachmen, wofür er ihr einige Arzneimittel hinreichte, welche aber dieser Krankheit gar nicht angemessen waren, sondern sie im Gegenteil verschlimmern mußten. Dies bemerkte Galenus und erkannte deutlich den Fehler. Er rief daher einige seiner Schüler, die gerade gegenwärtig waren, zu sich und trug ihnen auf, den Arzt nebst seinen Mitteln und Gerätschaften zu ihm zu bringen.

Nichts war schneller ausgeführt als dieses; denn in einem Augenblick hatten ihn die Schüler vor ihren Lehrer gebracht. Galenus fragte ihn hierauf, ob er ihn kenne, welches er mit Nein beantwortete. »Kennst du den Galenus?« fragte er ihn ferner. »Nein,« war die Antwort. »Was hat dich denn veranlaßt, dich für einen Arzt auszugeben?« Auf diese Frage erzählte ihm nun der Weber seine ganze Geschichte, und daß bloß seine Frau daran schuld sei. Galenus, der hierüber ganz erstaunt war, behandelte ihn sehr freundschaftlich und bat ihn, ihm zu sagen, woran er erkannt habe, daß in der ihm dargereichten Flasche das Wasser eines Mannes, und zwar eines Fremden, ja eines Juden enthalten gewesen sei. »Und woher hast du bemerkt,« fuhr er fort, »daß er an der Unverdaulichkeit litt?« – »Das kommt daher,« erwiderte der Weber, »daß wir Perser insgesamt uns sehr gut auf die Physiognomie verstehen. Ich hatte nämlich sogleich bemerkt, daß die Frau kleine blaue und verweinte Augen hatte, was mich vermuten ließ, daß sie den Mann liebte, und woraus ich zugleich schloß, daß es seine Gattin sein müßte; daß er aber ein Fremder sei, habe ich daraus ersehn, daß die Frau anders gekleidet war, als es hier Sitte ist, ferner bemerkte ich an der Öffnung des Gefäßes ein gelbes Bändchen, woraus ich richtig schließen konnte, daß er ein Jude und sie eine Jüdin sei. Endlich kam sie Sonntags; da ich nun weiß, daß die Juden zur Gewohnheit haben, Sonnabends Brei und andre schwer verdauliche Speisen zu essen, daß sie dieselben bald heiß, bald kalt hintereinander verschlingen und sich daher wegen ihres vielen Essens Unverdaulichkeit zuziehen: da urteilte ich, daß er sich Sonnabends, als den Tag vorher, seiner jüdischen Gewohnheit müßte überlassen haben.«

Diese Erzählung freute den Galenus so sehr, daß er sich vornahm, den Mann von seiner Frau zu erlösen. Er gab ihm daher so viel, als ihm seine Frau mitgebracht hatte, befahl ihm, es ihr zu übergeben und sich von ihr zu trennen, verbot ihm aber auch zugleich, je wieder die Arzneikunst auszuüben und je wieder eine Frau zu heiraten, die edlerer Abkunft als er wäre. Hierauf entließ er ihn, indem er ihm noch einige Geschenke gab und ihm einschärfte, nur ja zur Weberei wieder zurückzukehren.

Doch diese Geschichte ist nichts gegen diejenige von den sich gegenseitig überlistenden Schlauköpfen.

 


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