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Geschichte von dem alten Weibe und dem Seidenhändler.

»Ein Seidenhändler hatte eine sehr schöne und tugendhafte Frau. Diese sah ein junger Mann, als sie eben aus dem Bade kam, und wurde von Liebe zu ihr überwältigt. Schon hatte er vergebens alle möglichen Mittel versucht; aber es war ihm nicht gelungen, auch nur ein einziges Wort mit ihr sprechen zu können. In diesem für ihn so traurigen Zustande wandte er sich an ein altes Weib, das ihm auch sofort versprach, ihm zu seinen Wünschen behilflich zu sein. Er versprach ihr dafür die reichlichste Belohnung, und sie erteilte ihm nun folgenden Rat. »Gehe zu ihrem Manne und kaufe von ihm eine Turbanbinde von dem kostbarsten Stoffe.« Der junge Mann befolgte dies, kaufte eine von dem feinsten Batist und überbrachte sie der Alten. Diese verbrannte die Binde an zwei Orten, nahm sie mit sich, ging damit in das Haus des Seidenhändlers und klopfte an die Tür. Die Frau des Seidenhändlers, welche die Alte in der Kleidung, welche die büßenden Frommen anzulegen pflegten, dastehen sah, öffnete ihr sogleich und empfing sie mit aller Auszeichnung.

Sie hatte sich mit ihr bereits eine Weile unterhalten, als die Alte von ihr Wasser zu den gesetzlichen Abwaschungen verlangte und sie bat, ihr doch einen Ort anzuweisen, an welchem sie ihr Gebet verrichten könnte. Sie überreichte ihr sogleich das Wasser, und nach der Waschung begab die Alte sich zum Gebet. Nachdem sie dieses beendigt hatte, ließ sie die Turbanbinde in dem Betstuhle liegen, nahm Abschied von der Frau und entfernte sich. In demselben Augenblicke trat der Seidenhändler in sein Haus, und da es die Gebetszeit war, so verrichtete er sein Gebet an demselben Orte, welchen die Alte soeben verlassen hatte. Hier sah er etwas in dem Betstuhle liegen, betrachtete es genau und erkannte die Turbanbinde, die er selbst verkauft hatte. Dies befremdete ihn und erweckte seinen Argwohn. Er vermochte seinen Zorn vor seiner Frau nicht zu verbergen, sondern behandelte sie von nun an sehr hart und sprach kein Wort mehr mit ihr. Die Frau wußte sich die Ursache dieses Benehmens gar nicht zu erklären; sie bemerkte bloß in seinen Händen eine Turbanbinde, welche Brandlöcher hatte, und vermutete, daß daher sein Zorn rühren könnte.

Als der Seidenhändler am andern Morgen, immer noch erzürnt, ausgegangen war, kam die alte Frau zu seiner Gattin und fand dieselbe ganz niedergeschlagen und höchst betrübt. Nachdem sie die Ursache ihrer Traurigkeit erfahren hatte, sagte sie zu ihr: »Meine Tochter, sei unbesorgt; ich habe einen Sohn, der ist so geschickt im Ausbessern und Zuflicken, daß es nicht möglich ist, die Stelle zu erkennen, wo ein Fehler war. Dieser wird dir deine Turbanbinde schon wieder ganz herstellen.« – »Wann wirst du mir ihn herschicken?« fragte die Frau sehr erfreut. »Morgen, wenn's Gott beliebt,« sagte die Alte, »werde ich ihn dir selbst herbringen, und zwar, wenn dein Mann dich verlassen haben wird. Er wird sie auf der Stelle ausbessern und dann weggehen.« Sie fügte noch einige Trostformeln hinzu, entfernte sich, begab sich zu dem jungen Manne und benachrichtigte ihn, daß sie ihn morgen abholen werde.

Am andern Morgen begab sie sich auch wirklich zu ihm und brachte ihn bis an die Türe des Seidenhändlers, welcher, seitdem er den Turban bei seiner Frau gefunden hatte, entschlossen war, seine Frau zu verstoßen, wenn er gehörige Beweise haben würde, weil er sich vor ihren Verwandten scheute, es ohne Grund zu tun. Die Frau öffnete der schändlichen Alten, welche den jungen Mann an ihrer Hand führte und ihr sagte, sie möchte das herbeibringen, was auszubessern wäre, und es ihrem Sohne übergeben. In dem Augenblicke aber entfernte sich die Alte und schloß die Türe hinter sich zu. Diese Zeit benutzte der junge Mann, um seine Liebe zu erklären. Er wurde günstig aufgenommen, und als er sie verließ, trat die Alte herein und sagte zu ihr: »Wisse, daß dieser mein Sohn dich unaussprechlich liebt und aus Sehnsucht nach dir beinahe gestorben wäre. Ich wußte kein anderes Mittel, ihn zu retten, als diese List; denn der Turban gehört nicht deinem Manne, sondern meinem Sohne. Ich habe nun meinen Zweck erreicht. Laß du mich jetzt noch eine List ausführen, um deinen Mann wieder mit dir auszusöhnen: doch mit der Bedingung, daß du uns stets ergeben bleibest.« – »Es sei!« entgegnete die Frau, »tue, was dir beliebt!« Die Alte begab sich hierauf zu dem jungen Mann und sagte zu ihm: »Deine Sachen mit der Frau habe ich in Ordnung gebracht: indes mir liegt jetzt noch etwas anderes ob. Gehe du sogleich fort zu dem Seidenhändler und erzähle ihm das Unglück, das du gehabt hast, dir nämlich deinen Turban zu verbrennen. Ich werde dann bei euch vorbeigehen; und sobald du mich erblicken wirst, so springe du auf und halte mich fest. Ich will nämlich die Frau mit ihrem Manne wieder aussöhnen, und zwar so, daß du dessenungeachtet bei seiner Frau Zutritt behalten sollst.«

Der junge Mann verfügte sich hierauf zu dem Seidenhändler, setzte sich zu ihm und sprach: »Du erinnerst dich an den Turban, den ich bei dir gekauft habe.« – »Jawohl,« antwortete jener, »Weißt du, was mir damit begegnet ist?« – »Nein,« war die Antwort. »Als ich ihn von dir kaufte,« fuhr der junge Mann fort, »band ich ihn um und wollte mich räuchern; da trug sich's zu, daß ich ihn an zwei Orten verbrannte. Um ihn auszubessern, gab ich ihn einer alten Frau, deren Sohn, wie man sagte, sehr gut auszubessern verstand. Seit der Zeit habe ich sie nicht mehr wiedergesehen und weiß nicht, wo sie wohnt.« Als der Seidenhändler dies hörte, wunderte er sich und fing an, seinen Argwohn gegen seine Frau zu bereuen.

Es dauerte nicht lange, so ging die Alte vorbei, und sogleich stürzte sich der junge Mann auf sie los, hielt sie fest und verlangte von ihr die Turbanbinde. »Ach, lieber Herr,« sagte sie, »als du mir sie gabst, bin ich in ein Haus eingetreten, um zu beten und mir Waschwasser geben zu lassen, und dort habe ich sie im Betstuhle vergessen. Nun aber kann ich mich nicht mehr besinnen, in welchem Hause es war. Vergebens suche ich es schon mehrere Tage auf.« Als der Seidenhändler diese Erzählung der Alten hörte, sprach er: »Du bist zur glücklichen Stunde gekommen. In meinem Hause hast du die Binde vergessen. Ich habe sie hier; und hier hast du sie wieder.«

 

Neunhundertundachtzehnte Nacht.

»Die Alte übergab nunmehr die Turbanbinde dem jungen Manne, und der Seidenhändler versöhnte sich mit seiner Frau und beschenkte sie mit kostbaren Stoffen und Schmuck, worüber sie viel Freude hatte.«

Als der König diese Geschichte von seinem Kammerherrn gehört hatte, wurde er beschämt und sprach: »Fahre fort, deinen Dienst wie gewöhnlich zu verrichten und dein Land zu bebauen; denn der Löwe ist zwar hineingekommen, er hat aber darin nichts verletzt und wird nie dahin zurückkehren.« Hierauf beschenkte er ihn mit Ehrenkleidern und machte ihm noch außerdem ein beträchtliches Geschenk, und der Kammerherr begab sich froh wieder zu seiner Frau, welches eine Freude für die ganze Familie war.

Aber diese Geschichte ist nicht halb so unterhaltend als die Geschichte von der schönen Frau mit dem garstigen Manne.

 


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