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Geschichte von dem Könige, der sich in ein Bildnis verliebte

Ein König, dessen Reich an Persien grenzte, zeugte in seinem hohen Alter einen Sohn, den er in allen Wissenschaften unterrichten ließ. Auch baute er ihm ein prächtiges Schloß. Als der Sohn dieses Prachtgebäude bezog, erblickte er an der Decke eines Zimmers das Gemälde einer weiblichen Schönheit, die nicht ihresgleichen hatte. Sie war von einer Menge Sklavinnen umgeben dargestellt.

 

Achthundertundfünfundneunzigste Nacht

Er war von ihrer Schönheit so ergriffen, daß er besinnungslos zur Erde fiel; denn die Liebe zu ihr hatte sich ganz seiner Seele bemächtigt. Als er wieder zu sich selbst kam, blieb er darunter sitzen, und man vermochte ihn nicht von dieser Stelle wegzubringen.

Als sein Vater nach einigen Tagen zu ihm kam, fand er ihn ganz blaß und mager. Dieser, der die Ursache dieser Veränderung nicht wußte, glaubte, er wäre krank, und schickte deshalb nach den Ärzten, um ihn zu heilen. Da diese indes es nicht vermochten, so sagte er zu einem seiner Getreuen: »Wenn du herausbringst, was meinem Sohne fehlt, so sollst du bei mir zur größten Gunst gelangen.« Jener begab sich hierauf zum Sohne und benahm sich so geschmeidig gegen ihn, daß er erfuhr, sein ganzes Übel komme von jenem Bildnisse her. Als er den König davon unterrichtet hatte, versetzte dieser den Sohn in ein andres Haus, welchem er zugleich die Bestimmung gab, alle Fremden, die irgend an seinen Hof kamen, aufzunehmen. Jeden, der sich nur daselbst einfand, befragte der König über dieses Gemälde; doch keiner konnte ihm davon Kunde geben, bis eines Tages ein Mann ankam, welcher beim Anblick dieses Gemäldes ausrief: »Bei Gott, das hat mein Bruder gemacht!« Der König ließ ihn sogleich näher ausfragen und sich nach dem Wohnort seines Bruders erkundigen. Der Fremde antwortete: »Wir sind zwei Brüder; der eine von uns ging nach Indien, wo er die Tochter des Königs sah, in die er sich heftig verliebte. Als er nun Indien verließ, machte er ein Gelübde, daß er in jedem Lande, welches er betreten würde, sie malen würde, und das Gemälde, welches sich in deinem Schlosse befindet, ist das wohlgetroffene Bildnis dieser Prinzessin. Ich suche meinen Bruder auf und bin auf meiner Reise ihm schon sehr lange auf der Spur.«

Als der Sohn des Königs dies vernahm, rief er aus: »Ich muß nach Indien reisen und diese Fürstin sehen.« Auch begab er sich bald darauf auf den Weg, nachdem er unermeßlich kostbare Geschenke mitgenommen hatte. Nach vielen Beschwerlichkeiten erreichte er Indien, erhielt die Erlaubnis, vor dem Könige zu erscheinen, und hielt um die Hand seiner Tochter an. Der König erwiderte, daß er ihn sehr gern zum Eidam haben würde, wenn man es nur wagen dürfte, dieses vor seiner Tochter zu erwähnen, weil sie einen unüberwindlichen Haß gegen alle Männer habe.

Der Königssohn ließ infolge dieser Antwort seine Gezelte unter den Fenstern des königlichen Schlosses aufschlagen, und nach einigen Tagen war er so glücklich, eine der Lieblingssklavinnen der Prinzessin zu sehn. Er beschenkte sie sehr reichlich und sagte ihr die Ursache seiner Reise, indem er sie bat, das möglichste für ihn zu tun. Sie aber sagte ihm ganz offen, daß sie es nicht unternehmen würde, das mindeste für ihn zu tun, ja, daß er selbst bei seinem Vorhaben sich großen Gefahren aussetzte. Diese Nachricht betrübte ihn so sehr, daß er gefährlich krank wurde, und da er nicht unterließ, den Sklavinnen der Prinzessin kostbare Geschenke auszuteilen, so nahm sein mitgebrachtes Vermögen so schnell ab, daß er zuletzt seine Dienerschaft nicht mehr bezahlen konnte, weshalb einer nach dem andern ihn verließ. In dieser Not sagte er zu einem, in den er das größte Vertrauen setzte, daß er in sein Vaterland zurückkehren und mit größeren Schätzen wiederkommen wolle. Dieser fand denn auch diesen Plan sehr passend. Die Reise wurde auch sogleich mit den noch übrigen Getreuen angetreten. Da aber der Weg sehr lang war, so hatte er bald alles verzehrt, und seine Reisegefährten starben bis aus einen, und auch dieser wurde ihm einige Tage darauf durch einen Löwen geraubt. Da mußte nun der Königssohn allein weiter wandeln, was ihn so angriff, daß ihm die Füße schwollen. Endlich gelangte er nach Sagestan, fast nackt und halb verhungert. Nur noch ein einziger Edelstein blieb ihm übrig, welchen er einem Ausrufer übergab, um ihn zu verkaufen. Dieser übernahm die Sache und führte ihn zu einem Juwelier, welcher ihn fragte, wie er zu dem Besitze dieses kostbaren Kleinods gekommen sei. Er erzählte diesem nun seine Geschichte, und daß er der Sohn eines Königs wäre. Über diese Unglücksfälle erstaunt, zahlte ihm der Juwelier tausend Goldstücke und machte sich anheischig, den Königssohn auf sein Verlangen während seiner Reise zu begleiten.

Als sie an den Grenzen des Landes seines Vaters ankamen, da erkannten ihn die Leute, überhäuften ihn mit Ehrenbezeigungen und ließen den König sogleich von der Ankunft seines Sohnes benachrichtigen. Dieser kam ihnen eilig entgegen und behandelte den Juwelier mit der größten Auszeichnung.

Nach einem kurzen Aufenthalte begab sich der Sohn des Königs wieder in das Land der schönen Königstochter zurück. Der Juwelier begleitete ihn dahin. Unterwegs wurden sie von Räubern angefallen, welche der junge Prinz auf das tapferste bekämpfte. Endlich aber unterlag er und wurde getötet. Da begrub ihn der Juwelier, baute ein Denkmal auf sein Grab und kehrte dann traurig in sein Vaterland zurück, ohne jemandem von diesem Vorfälle etwas zu sagen.

Was nun die Tochter des Königs von Indien betrifft, um deretwillen der Prinz sein Leben eingebüßt hatte, so hatte sie die Gezelte bemerkt und die Schönheit des Prinzen bewundert. »Was ist aus diesen Leuten geworden?« rief sie eines Tages, als sie die Zelte nicht mehr bemerkte; »und wer waren sie?« – »Es waren,« sagte die Sklavin, »die Diener und die Begleitung des Sohnes des Königs von Persien, der wegen dir so viele Beschwerlichkeiten auf seiner Reise erfahren hat, und den du nicht annehmen wolltest.« – »Wehe dir,« rief die Prinzessin aus, »warum hast du mir nicht gleich alles so umständlich erzählt?« – »Ich fürchtete mich vor deinem Zorne,« war die Antwort der Sklavin.

Die Prinzessin ging hierauf zu ihrem Vater und bat ihn um die Erlaubnis, dem Prinzen folgen zu dürfen. »Denn, bei Gott,« fügte sie hinzu, »ich muß ihn nun aufsuchen, wie er mich aufgesucht hat; sonst würde ich nicht gerecht gegen ihn sein.« Sie bereitete sich nun zur Reise vor und gelangte endlich mit vielen Schätzen durch die Wüste bis nach Sagestan. Hier ließ sie einen Juwelier kommen, um sich ein Geschmeide machen zu lassen. Dieser erkannte sie sogleich; denn der Königssohn hatte ihm von ihr erzählt und sie ihm genau beschrieben. Als er sich nach dem Zwecke ihrer Reise erkundigt und sie ihm alles mitgeteilt hatte, schlug er sich ins Gesicht, zerriß sich die Kleider, streute Erde auf sein Haupt und weinte bitterlich. »Weshalb tust du dieses,« fragte ihn die Prinzessin. – »Ach,« erwiderte er, »ich war sein Gefährte, als er auf der Rückreise zu dir war. Da überfielen ihn Räuber und töteten ihn.«

Die Prinzessin ward durch diese Nachricht in die tiefste Betrübnis versetzt, und ohne sich aufzuhalten, reiste sie sogleich zu seinen Eltern, welche sie von dem Schicksale ihres Sohnes benachrichtigte, und denen sie seine Grabstätte anzeigte. Sie begaben sich nun alle zusammen dahin und beweinten laut seinen Verlust. Die Prinzessin aber hielt sich einen ganzen Monat an seinem Grabe auf und ließ Maler kommen, die ihr Bildnis neben das des Königssohnes malen mußten. Sie schrieb hierauf ihre Geschichte und die Unglücksfälle, die sie betroffen hatten, auf und legte sie nebst den Bildnissen in die Grabstätte, worauf sie sich insgesamt fortbegaben.

Achthundertundsechsundneunzigste Nacht

»Doch ist,« sagte der Wesir Rachuan, »diese Erzählung noch lange nicht so schön wie die Geschichte des Gerbers und seiner Frau.

 


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