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Geschichte des Sängers und des Gewürzkrämers

»In der Stadt Hamadan lebte ein Mann von ausnehmend schöner Gestalt. Er war jung, sang schön, spielte gut die Laute und war überall gern gesehen. Einst zog er aus, um in die Ferne zu reisen, und gelangte so endlich mit seiner Laute in eine schöne Stadt. Als er sich in dieser umsah, kam er bei einem Gewürzkrämer vorbei, der, sowie er ihn erblickte, ihn zu sich rief. Er trat zu ihm hinan, sie setzten sich zueinander, und der Gewürzkrämer befragte ihn nach seinen Umständen. Als er ihm diese berichtet hatte, ließ er ihn in seinen Laden treten und bewirtete ihn mit Speise und Trank. Darauf sagte er zu ihm: »Wenn du hier dein Glück machen willst, so nimm deine Laute, begib dich in die Straßen der Stadt, und wenn du irgendwo den Geruch von guten Speisen und Getränken spürst, so gehe zu den Leuten hinein und melde dich als Sänger an. –

 

Achthundertundneunundachtzigste Nacht

Sie werden sich dann freuen und dir sagen: »Komm nur zu uns herein.« Wenn du ihnen nun wirst etwas vorgesungen haben und sie deine Kunst kennen werden und du dich dadurch in der Stadt bekannt gemacht haben wirst, so wird sich dein Schicksal sehr günstig gestalten.« Der Sänger dankte ihm für diesen guten Rat, ging und tat so, wie ihm der Gewürzkrämer gesagt hatte, bis gegen Mittag, doch ohne jemand zu finden, der das angenehme Geschäft des Essens oder Trinkens ausgeübt hätte. Da begab er sich endlich in eine enge Straße, um auszuruhen. In derselben bemerkte er ein schönes hohes Haus, in dessen Schatten er sich vor den Sonnenstrahlen schützte. Als er den schönen Bau desselben betrachtete, wurde ein Fenster geöffnet, und er erblickte an demselben ein Gesicht, das schön war wie der Mond. Zugleich rief ihm die Frau zu: »Was stehest du da unten? Brauchst du etwas?« Er antwortete: »Ich bin ein fremder Mann, ein Sänger,« u. dgl. m. – »Was würdest du wohl sagen,« erwiderte sie, »wenn dir ein guter Schmaus und Trank gereicht würde, und zwar in Gesellschaft einer hübschen Frau, und noch dazu ein dir sehr nützliches Geschenk?« – »O meine Herrin, das ist eben, was ich wünsche; deshalb gehe ich eben in der Stadt herum und suche.«

Sie öffnete ihm hierauf die Tür, ließ ihn neben sich in das schönste Zimmer des Hauses setzen und reichte ihm Speise. Er ließ es sich gut schmecken, vernachlässigte auch nicht zu trinken und überhäufte die Frau mit Zärtlichkeiten. Nach dem Essen überließen sie sich verliebten Tändeleien bis an den Nachmittag, wo ihr Mann heimkam. Sie konnte in der Eile keinen bessern Ort finden, den Sänger zu verbergen, als ihn unter einen Teppich zu stecken, welcher in einem Winkel des Zimmers lag.

Als der Mann eintrat, bemerkte er sogleich einige Unordnung im Zimmer und den Geruch des Weins. Auf die Frage, was das wäre, antwortete sie ihm: »Es war eine Freundin bei mir, die ich beschwor, etwas zu sich zu nehmen. Da habe ich denn mit ihr einen Krug Wein getrunken. Sie ist den Augenblick weggegangen.« Der Mann glaubte, sie hätte die Wahrheit gesprochen, und ging bald darauf wieder in seinen Laden zurück. Dieser ihr Mann aber war kein anderer als jener Gewürzkrämer und Ratgeber des Sängers. Dieser kroch nun wieder unter dem Teppich hervor und koste mit ihr bis gegen Abend. Da gab sie ihm ein Stück Geld und sprach zu ihm: »Morgen komm nur wieder.« Er versprach es ihr und ging.

Der Sänger begab sich nun ins Bad und trat am andern Morgen wieder in den Laden des Gewürzkrämers, seines Freundes. Als dieser ihn sah, empfing er ihn sehr freundlich und fragte ihn, wie er den gestrigen Tag zugebracht hätte. – »Ach, herzlichen Dank, mein lieber Bruder,« rief er ihm entgegen, »du hast mir einen herrlichen Rat gegeben.« Darauf erzählte er ihm alles und fuhr sodann fort: »Da kam eben ihr Mann, der Dummkopf, und klopfte an die Türe. Sie wickelte mich schnell in einen Teppich. Als er nun wieder weggegangen war, kroch ich hervor, und wir fingen wieder von neuem an zu spielen, zu scherzen und zu kosen.« Diese Worte gaben dem Gewürzkrämer Stoff zum Nachdenken. Er bereute es nun, ihm diesen Rat gegeben zu haben, und hatte einigen Verdacht auf seine Frau. Doch ließ er sich nichts merken, sondern fragte weiter: »Und was sagte sie dir denn, als du weggingst?« – »Sie lud mich ein, morgen wiederzukommen. Ich bin jetzt soeben auf dem Wege zu ihr und bin nur einen Augenblick hereingekommen, um dich zu benachrichtigen, damit du nicht wegen meiner in Sorgen seiest.« Hierauf empfahl er sich und ging.

Der Gewürzkrämer, sobald er vermuten konnte, daß der Sänger in seinem Hause angelangt sein könnte, warf plötzlich seinen Laden zu und begab sich voll Verdachts gegen seine Frau nach Hause und klopfte an die Türe, kurz darauf, nachdem der Sänger eingetreten war.

Die Gewürzkrämerin sagte schnell zu diesem: »Komm, krieche geschwind in diesen Kasten.« Der Sänger tat es, und sie deckte schnell den Deckel darüber. Nun erst machte sie ihrem Manne auf, der eilig und ganz außer sich hereintrat. Er durchsuchte das Haus, fand aber niemanden; denn der Zufall wollte, daß er immer über den Kasten hinwegsah. Da sprach der Mann bei sich selbst: »Es ist wohl auch möglich, daß das Haus, wie er es mir beschrieben hat, nur meinem Hause ähnlich sieht und meine Frau desgleichen.« So kehrte er denn beruhigt in seinen Laden zurück und der Sänger aus seinem Kasten. Sie überließen sich nunmehr denselben Belustigungen wie am vorigen Tage bis auf den Abend, wo sie ihm wieder ein Stück Geld gab und ihn entließ, nachdem sie ihn auf den morgenden Tag abermals eingeladen hatte.

 

Achthundertundneunzigste Nacht

Am andern Morgen begab er sich wieder zum Gewürzkrämer, den er nach freundlichem Empfang wieder von den Begebnissen des vorigen Tages unterrichtete. Als er nun an die Stelle kam, wo er erzählte: »Da kam wieder ihr Mann, der Dummkopf, und sie steckte mich diesmal in einen Kasten, den sie zudeckte; der Mann aber kehrte das Haus von unterst zu oberst, und als der arme Narr wieder wegging, kroch ich hinaus, und wir fingen von neuem unsere Tändeleien an.« Da wurde es dem Gewürzkrämer ganz klar, daß das Haus das seinige war und die Frau seine Gattin. »Und was wirst du nun heute beginnen?« fragte er ihn. – »Ich gehe den Augenblick wieder zu ihr hin, ich bin nur gekommen, um dir für deinen guten Rat zu danken.« Und hiermit verließ er ihn.

Allein in dem Herzen des Gewürzkrämers loderte nun eine Flamme auf. Er schloß seinen Laden zu, ging nach Hause und klopfte an die Tür. Da sagte der Sänger zu der Frau: »Laß mich wieder in den Kasten kriechen; denn er hat mich gestern nicht gesehen.« – »Nein,« sagte diese, »sondern wickle dich in den Teppich.« Dieses tat er denn auch, aber in einem Nebengemach. Der Gewürzkrämer trat nun herein, schien aber vor Eifer keinen andern Gegenstand zu bemerken als den Kasten, den er sogleich öffnete. Da er aber nichts darin fand, so durchlief er das Haus von oben bis unten, aber ebenso erfolglos. Nun wurde er zweifelhaft, ob er sich dennoch nicht irrte, und ob wirklich der Sänger bei seiner Frau wäre, und er machte sich Vorwürfe, daß er sie in Verdacht gehabt hätte. Es schien ihm vielmehr ihre Unschuld klar wie der Tag, und er ging froh in den Laden zurück. Der Sänger kroch nun auch wieder hervor und blieb bei ihr bis auf den Abend. Sie gab ihm diesmal ein Hemde von den Hemden ihres Mannes, womit er davonging.

Am andern Morgen besuchte er wie gewöhnlich den Gewürzkrämer, welcher ihn freundlich begrüßte, herzlich über seine Erzählung lachte, bis er ihm nun auch erzählte von der Ankunft des Mannes, und wie die Frau ihn verhindert hätte, in den Kasten zu kriechen, und ihn genötigt habe, sich in den Teppich zu wickeln. »Wie nun der Mann hereintrat und nichts Eifrigeres zu tun hatte, als in den Kasten zu gucken, so durchlief er wie verrückt das Haus von oberst bis zu unterst, und ich verbrachte sodann wieder mit seiner Frau den Abend wie gewöhnlich. Da hat sie mir gestern dieses Hemde hier gegeben, und nun gehe ich wieder zu ihr.« Als der Gewürzkrämer das hörte, ward er seiner Sache gewiß und überzeugt, daß das Unheil alles in seinem Hause stattgefunden habe. Bei dem Anblick des Hemdes aber schwand ihm jeder Zweifel, und er fragte ihn bloß noch: »Du gehst also jetzt wieder hin?« – »Jawohl, lieber Bruder,« antwortete ihm der Sänger und entfernte sich.

Der Gewürzkrämer schloß nunmehr seinen Laden, und während er damit beschäftigt war, trat der Sänger schon in dessen Haus. Bald kam auch der Gewürzkrämer an und klopfte an die Türe. Der Sänger wollte sich wieder in den Teppich verkriechen; allein die Frau hinderte ihn daran und sagte zu ihm: »Gehe hinunter in das Haus, krieche in den Backofen und mache ihn zu.« Dieses tat er denn, und sie ging dann hinunter, um ihrem Manne aufzumachen. Dieser durchsuchte sogleich das Haus, ließ aber den Backofen unbemerkt. Nun blieb er nachdenkend stehen und beschloß, nicht eher aus seinem Hause zu gehen als bis am andern Morgen.

Als nun dem Sänger die Zeit zu lang wurde, ging er aus dem Ofen heraus in der Meinung, der Mann wäre weggegangen. Doch guckte er glücklicherweise zuvor durch einen Ritz und erkannte zu seinem Erstaunen den Gewürzkrämer, seinen Freund. Dieses betrübte ihn sehr, und er sprach bei sich selbst: »Es ist doch schrecklich: diesen meinen Freund, der mir so viel Gutes erwiesen hat, habe ich mit Undank belohnt.« Nunmehr fürchtete er, sich wieder vor ihm sehen zu lassen, und wollte unbemerkt aus dem Hause gehen; allein er fand die Türe verschlossen und mußte es nun versuchen, über das Dach in das Haus des Nachbars zu kommen.

Allein in diesem Hause hörten die Bewohner das Geräusch, das er verursachte, und glaubten, es wäre ein Dieb. Sie ergriffen ihn und brachten ihn zum Hausbesitzer, der ein Perser war. Dieser schlug ihn und nannte ihn einen Räuber. »Ich bin kein Dieb,« erwiderte der Sänger, »sondern ein Fremder, der sich durch Gesang ernähret: ich habe euch sprechen hören und kam, um euch etwas vorzusingen.« Nunmehr fingen die Leute an, ihm Gehör zu geben, und versuchten ihn zu retten; allein der Perser sagte: »Laßt euch nicht von seinen Reden betören. Er ist weiter nichts als ein Dieb, der etwas singen kann, und wenn er zu Leuten kommt wie wir, die auf ihrer Hut sind, so ist er Sänger; kommt er zu andern, so ist er Dieb.« Da er nun fortfahren wollte, ihn zu prügeln, so verhinderten ihn noch glücklicherweise seine Leute daran und schleppten den Sänger mit sich in eines ihrer Zimmer, wo er ihnen etwas vorsingen mußte. Sie ergötzten sich sehr daran, besonders eine Sklavin des Persers, die ihn lieb gewann und ihm Gegenliebe einflößte. »Wenn meine Herrschaft,« sagte sie zu ihm, »sich schlafen gelegt haben wird, so werde ich dich abholen.« Der Sänger fuhr nun fort, bei den Leuten zu singen, bis spät abends, wo der Perser mit seiner Sklavin hinwegging.

Nun fügte es sich, daß der Perser kurze Zeit darauf aus seinem Zimmer heraustrat, wobei ihm das Licht auslöschte, so daß er deshalb in der Finsternis einen Fehltritt tat und hinfiel. Bei diesem Geräusch glaubte der Sänger, es wäre die Sklavin, und indem er herbeieilte, um sie aufzuheben, küßte und drückte er den Perser auf das zärtlichste an sein Herz. Dieser aber, solcher Zärtlichkeiten ungewohnt, hielt den Umarmenden fest, bis ihn das herbeigebrachte Licht überzeugte, daß er den Sänger ergriffen habe. Da er nun nichts Gutes von diesem erwartete, so schleppte er ihn in den Hof und band ihn an einen Baum fest.

Eine Sängerin, die in demselben Hause wohnte, wollte sich des Gefesselten erbarmen und ihn losbinden. Da sie indes hierzu sehr viel Zeit brauchte, so machten ihre Anstrengungen eine Ziege aufmerksam, welche der Perser abgerichtet hatte, um mit ihm zu spielen. Diese glaubte nun, der Perser lockte sie; sie lief also auf die Sängerin zu und wollte nach ihrer Gewohnheit mit ihr spielen, stieß sie aber so unglücklich mit ihren Hörnern, daß sie ihr den Kopf spaltete und diese sofort mit einem großen Schrei tot hinfiel. Als der Perser dadurch aus seinem Schlafe erweckt wurde, stand er eilig auf und erblickte den Sänger zwar noch immer angebunden, aber die Sängerin tot vor ihm liegend.

 

Achthundertundeinundneunzigste Nacht

Da sagte der Perser zu ihm: »Kannst du noch keine Ruhe finden? Bist du noch nicht zufrieden, mit deiner Raubsucht ungestraft davon gekommen zu sein?« und fing nun von neuem an, auf ihn loszuschlagen, und warf ihn zuletzt zur Tür hinaus.

Der Sänger war nun genötigt, den noch übrigen Teil der Nacht in einer Ruine zuzubringen. Am Morgen dachte er über sein Schicksal nach und sprach: »Es hat sich doch niemand hierbei etwas vorzuwerfen. Denn ich suchte bloß mein eigenes Bestes, und es ist ja keine Torheit, für sein Bestes zu sorgen, hat doch die Gewürzkrämerin auch nur für ihr eigenes Beste sorgen wollen; aber das Geschick vereitelt alle menschliche Vorsicht. Ich habe in diesem Lande nichts mehr zu suchen und werde mich davonmachen.« Was er denn auch zuletzt tat.

Indessen so artig diese Geschichte auch ist, so ist sie doch in keinem Vergleich mit der Geschichte von dem Könige und seinem Sohne.

 


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