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Neunhundertundneunte Nacht.

Der Tagelöhner und die Frau.

In einem arabischen Dorfe lebte vor alten Zeiten eine Witwe, die von ihrem Manne in guter Hoffnung war. Ebendaselbst wohnte auch ein Tagelöhner, in welchen man viel Zutrauen setzte. Als nun die Zeit der Entbindung herankam, brachte die Frau bei Nacht ein Mädchen zur Welt. Man verlangte nun sogleich bei den Nachbarn Licht, und der Tagelöhner ging, um es zu besorgen. In demselben Dorfe wohnte auch eine Wahrsagerin, die dem Tagelöhner zufällig damals begegnete. »Ist es ein Knabe oder ein Mädchen?« fragte sie. Auf die Antwort, daß es ein Mädchen wäre, fuhr sie fort: »Diese wird sich mit hundert Männern abgeben; ein Tagelöhner wird sie heiraten, und eine Spinne wird sie töten.« Als der Tagelöhner dieses hörte, kehrte er zurück, ging wieder in das Haus der Witwe, nahm unbemerkt das eben geborne Mädchen und schlitzte ihr den Leib auf. Nachdem er dies getan, entfernte er sich eiligst aus dem Orte, lebte lange Zeit in der Ferne und erwarb sich vieles Geld.

Nach zwanzig Jahren kehrte er wieder an seinen Geburtsort zurück und mietete sich eine Wohnung in der Nähe einer alten Frau. Dieser erwies er viel Gutes, und da er einige Tage nach seiner Ankunft ein sehr schönes Mädchen gesehen hatte, so erkundigte er sich nach ihr bei dieser Alten, welche nicht genug Lobeserhebungen von ihrer Schönheit machen konnte. »Doch,« fügte sie hinzu, »von ihrem Rufe kann ich dir eben nicht viel Löbliches sagen.« Da indes der Tagelöhner darauf bestand, ihre Bekanntschaft zu machen, so verfügte sich die Alte zu ihr und lud sie zu dem Manne ein. Das Mädchen aber antwortete auf diesen Antrag: »Ich habe zwar ein unsittliches Leben geführt; jedoch ich bereue es und bin fest entschlossen, mein Leben zu bessern. Will er indes, wie es das Gesetz erlaubt, mein Gatte werden, so bin ich nicht abgeneigt, in seine Wünsche zu willigen.« Mit diesem Bescheide des Mädchens verfügte sich die Alte zu dem Manne zurück, welcher, zu sehr von ihrer Schönheit bezaubert und überhaupt über ihre bußfertigen Gesinnungen sehr gerührt, sich sofort dazu entschloß und sie wirklich heiratete.

Beide liebten sich von nun an aufs zärtlichste. Eines Tages indes, als die junge Frau sich entkleidete, bemerkte der Mann an ihrem Körper die Spuren einer Wunde. Als er sie nun fragte, wie sie an diese Wunde gekommen sei, gab sie ihm zur Antwort: »Ich weiß weiter nichts, als daß meine Mutter mir darüber ganz sonderbare Sachen erzählt hat.« »Und worin bestehen denn diese?« fragte er sie ganz hastig. – »Sie erzählte mir nämlich,« erwiderte sie, »daß sie mich in einer Winternacht zur Welt gebracht habe, und da sie Licht bedurfte, so habe sie einem Tagelöhner, der sich bei uns aufhielt, aufgetragen, ihr welches zu verschaffen. Dieser wäre dann in einer Weile zurückgekommen, hätte mich aus ihrem Arm genommen, mir den Leib aufgeschlitzt und wäre dann geflohen. Meine Mutter, ganz betroffen über dieses Ereignis, habe mich nun gepflegt, mir den Leib zugenäht und mich so behandelt, daß die Wunde wieder zusammenwuchs.« Der Mann fragte nun weiter: »Welches ist denn dein und deiner Eltern Name, und wo sind sie?« – »Sie sind tot«, erwiderte sie und nannte ihm zugleich ihren Namen. Da sagte der Mann zu ihr: »Ich bin der Tagelöhner, der dich so verwundet hat.« – »Warum hast du das aber getan?« fragte die junge Frau. »Ich habe,« erwiderte er, »infolge der Weissagung einer Frau,« – deren Namen er ihr auch entdeckte –, »einen heftigen Abscheu vor dir bekommen, und da sie mir vorhersagte, ich würde dich heiraten, so wollte ich diesem Geschick durch deinen Tod vorbeugen.« –

Beide erstaunten darüber, wie richtig die Prophezeiung bis jetzt eingetroffen war. »Und wie sehr,« fuhr der Mann fort, »muß ich nun fürchten, daß das Ende derselben, welches dich am Biß einer Spinne sterben ließ, auch in Erfüllung gehen könnte.«

Sie erbauten sich daher ein steinernes Haus, welches genau von innen und außen mit Kalk und Gips bestrichen wurde, so daß keine Spalte noch irgend ein Loch darin anzutreffen war. Ferner nahm er zwei Mägde an, die kein anderes Geschäft hatten, als alles rein zu halten und zu fegen, und zwar alles aus Furcht vor den Spinnen. Sie lebten nun eine lange Zeit recht froh und glücklich in diesem Hause, und als eines Tages der Mann eine Spinne bemerkte, warf er sie von der Decke herunter, und seine Frau, welche gerade gegenwärtig war, rief: »Das ist die Spinne, von welcher die Wahrsagerin gesagt hat, daß sie mich töten werde. Ich bitte dich, laß mir das Vergnügen, sie selbst zu töten.« Daran verhinderte sie indes der Mann mit aller Gewalt. Doch sie beschwor ihn so sehr, es zu gestatten, und sie war so eifrig, es auszuführen, daß sie eilig ein Stück Holz ergriff und damit so heftig auf die Spinne losschlug, daß das Holz sich spaltete und ein Schiefer tief in ihre Hand eindrang. Ungeachtet der besten Pflege bildete sich hierauf an der Hand davon ein Geschwür, welches bald ihren Arm, dann ihre Seite einnahm und zuletzt ihr Herz ergriff, so daß sie daran starb.

Allein diese Geschichte ist nicht so schön als die des Webers, der auf Anstiften seiner Frau ein Arzt wurde.

 


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