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21

Am nächsten Morgen, früh um acht, betrat Nuber in Begleitung von zwei finster dreinschauenden Gefährten die Wohnung des Fabrikanten Isheim. Er gab James, der ihm die Tür geöffnet hatte, einen Wink und zog ihn beiseite.

»Ist er da?« fragte er leise.

James nickte.

»Ja. Er hat gerade gefrühstückt und liest jetzt die Tagesblätter. Sie werden mich nicht verraten? Sie haben es mir versprochen.«

Nuber schüttelte unwillig den Kopf.

»Nein!« Seine Stimme klang verächtlich. »Sie können uns vielleicht auch in Zukunft nützlich sein. Wir brauchen Leute wie Sie.«

Beim Eintritt Nubers erhob sich Isheim überrascht.

»Ich verstehe nicht ...« murmelte er. »Was wollen Sie von mir? Was bedeutet das?«

»Ich bitte mein Eindringen zu entschuldigen«, sagte Nuber höflich. »Es liegt eine Anzeige gegen Sie vor. Ich habe Vollmacht, Ihre Wohnung durchsuchen zu lassen. Wollen Sie bitte diese Papiere prüfen?«

Isheim starrte den Kriminalbeamten entsetzt an. Dann griff er nach den Vollmachten, stierte eine Weile, offenbar ohne den Sinn zu erfassen, in die Papiere und reichte sie endlich, mit einer müden Gebärde zurück.

»Bitte«, sagte er mit leicht zitternder Stimme. »Durchsuchen Sie die Räume!«

Ohne sich in den anderen Zimmern auch nur umzusehen, begab sich Nuber sogleich ins Bibliothekszimmer. Seine Begleiter folgten ihm. Als letzter betrat der Fabrikant das Gemach.

Nuber gab seinen Leuten ein Zeichen, worauf sich diese sogleich an die Arbeit machten. Sie gingen mit peinlicher Genauigkeit zu Werke. Teppiche wurden aufgerollt, Tische und Schränke abgerückt und auf Geheimfächer untersucht, Wände und Boden Zoll für Zoll abgeklopft. Sämtliche Bücher wurden von den Regalen geholt, jedes einzeln geprüft, geschüttelt und Blatt für Blatt durchgesehen.

Isheim war jetzt ganz gefaßt. Er stand mitten im Zimmer, leicht auf einen Tisch gestützt und verfolgte mit offensichtlicher Gleichgültigkeit das Tun der Beamten. Nuber saß, die Beine übereinandergeschlagen, in einer Ecke auf dem Sofa und tat, als ginge ihn die ganze Geschichte nichts an. Nur ab und zu gab er mit halblauter Stimme einen Befehl. Oft genügte ein Wink mit der Hand oder ein kaum merkliches Neigen des Kopfes, um den Kriminalbeamten seine Wünsche zu übermitteln.

»Nichts, nichts!« sagte der eine von ihnen nach halbstündigem, fruchtlosem Suchen ratlos.

Nuber schüttelte den Kopf.

»Weiter, weiter! Bilder abnehmen, Kamin abtragen!«

Wortlos machten sich die Beamten wieder an die Arbeit.

Isheim räusperte sich.

»Sie scheinen doch falsch unterrichtet zu sein, Herr Nuber«, bemerkte er mit einem etwas erzwungenen Lächeln.

Der Kriminalbeamte zuckte die Achseln.

»Ganz ausgeschlossen«, entgegnete er sehr bestimmt. »Ich will Ihnen mal etwas sagen, Herr Isheim! Ich kenne das Versteck bereits!«

Für einen Augenblick schien Isheim seine Selbstbeherrschung verloren zu haben.

Nuber sprang auf und lief plötzlich zum Fenster.

»Hier ist es!« sagte er kurz und klopfte auf den Fenstersims. »Meine Herren, lassen Sie den Kamin! Brechen Sie hier die Mauer auf!«

Aus den Augen Isheims sprach jetzt die Qual eines verwundeten Tieres.

»Nicht nötig«, murmelte er und trat ans Fenster. Ein leichter Druck auf eine bestimmte Stelle des Fensterrahmens – dann hob er das Brett hoch, und Nuber erblickte eine Höhlung, die mit Watte und Sägespänen ausgefüllt war. Isheim griff hinein und zog die Watte auseinander. Darunter glitzerte und schillerte es in allen Farben – Uhren, Tabaksdosen, Armbänder, Ringe und Perlenkolliers. Daneben lagen auch mehrere Brieftaschen und Geldbörsen.

»Ich danke«, sagte Nuber gelassen. »Sie haben uns die Mühe des Mauerdurchbrechens erspart.«

Isheim wischte mit einem Tuch über sein bleiches Gesicht.

»Sagen Sie mir bitte, wer hat mich angezeigt?«

»Bedaure. Der Betreffende wünscht aus sehr begreiflichen Gründen, nicht genannt zu sein.«

Isheim seufzte.

»Ich habe dies Versteck selbst in mühevoller Arbeit angelegt«, sagte er trübselig. »Niemand konnte mich dabei beobachten. Ich verstehe nicht, woher Sie das Versteck kannten.«

Nuber lächelte.

»Dieses Rätsel kann ich Ihnen lösen, Herr Isheim. Der Anzeigende kannte Ihr Versteck nicht. Er bezeichnete uns nur das Bibliothekszimmer als den mutmaßlichen Ort. Auch ich kannte ja das Versteck nicht. Sie selbst haben es verraten! Es war ein ganz einfacher Trick ... Als ich Ihnen auf den Kopf zusagte, daß ich das Versteck bereits kenne, blickten Sie sofort nach dem Fenster. Das war es ... Sie können mich deswegen bei meinen Vorgesetzten anschwärzen. Solche Kniffe sind nämlich verboten. Leider!«

»Das war es ...« sagte Isheim leise. »Ich eigne mich eben doch nicht zum Verbrecher.«

»Es tut mir leid«, erklärte der Kriminalbeamte, wieder ernst werdend, »aber es ist meine Pflicht, Sie sofort in Haft zu nehmen. Wollen Sie den Haftbefehl einsehen?«

»Ach, wozu denn?« wehrte Isheim matt ab. »Sie werden gestatten, daß ich meiner Frau noch Lebewohl sage?«

Nuber zog bedauernd die Schultern hoch.

»Es ist mir sehr unangenehm, Herr Isheim«, entgegnete er freundlich, »aber gerade dies darf ich unter gar keinen Umständen zugeben.«


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