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3

Mit einem jähen Ruck warf sich Luise herum. Sie hörte deutlich die Umdrehung des Schlüssels, dann das Zurückschnappen des Sicherheitsschlosses.

»Allmächtiger! Mein Mann!« stammelte sie mit bleichen Lippen.

Ihr Gegenüber, ein schmächtiger, engbrüstiger Mann, der in seinem Äußeren nicht im entferntesten zu der eleganten Fabrikantengattin zu passen schien, sprang erschrocken auf.

»Wohin?« rief er ängstlich, und seine Blicke irrten hilflos umher. Schon hörte man im Vorzimmer dröhnende Schritte.

Luise Isheim stieß ihren Gast hastig durch eine Seitentür und flüsterte heiser vor Erregung:

»Durchs Fenster! Es ist nicht hoch!« Sie schloß die Tür und wandte sich tief aufatmend dem bereits eintretenden Gatten zu. »Schon zurück?« rief sie ihm heiter entgegen, bemüht, ihrer Verwirrung Herr zu werden.

Isheim, ein starker, breitschulteriger, blonder Hüne, lachte über das ganze Gesicht.

»Lu!« rief er mit strahlenden Augen und trat rasch auf sie zu. Wie einen Federball hob er sie mit seinen kräftigen Armen empor und küßte sie auf Stirn und Mund.

»Was ist dir?« fragte er plötzlich besorgt. »Du zitterst ja! Lu! Du wirst mir doch nicht krank werden?«

Lu hatte sich aus seiner Umarmung befreit und stand ratlos, mühsam nach Worten suchend, neben ihm.

»Nein ... Ich ... Ach, du kommst so unerwartet ... die Freude ...«

»Na, wenn's weiter nichts ist!« unterbrach sie der Gatte belustigt. »Aber ... Ich hab' auch was Schönes für mein Frauchen mitgebracht. Wollen mal gleich auspacken!«

Er holte aus dem Vorzimmer einen mächtigen Reisekoffer und schritt auf die kleine Tür zu, hinter der kurz zuvor ein anderer Mann verschwunden war.

Mit einem halberstickten Schrei warf sich ihm Lu um den Hals.

»Nicht jetzt!« bettelte sie. »Ach, bitte, nicht jetzt!«

»Aber warum denn nicht?« Aus seiner Stimme klang Befremden.

»Bitte, bitte nicht jetzt! Ich will mir die Freude für später aufheben!«

»Na denn nicht«, meinte er enttäuscht und stellte den Koffer an die Wand.

»Nicht bös sein«, schmeichelte sie und zog ihn zum Sofa. »Siehst du, jetzt habe ich doch Freude genug, weil du so unerwartet schnell zurückgekommen bist! Und später – da will ich mich noch einmal freuen, wenn ich sehe, daß mein Waldemar auch in Paris an mich gedacht hat.«

Isheim war schon wieder besänftigt.

»Natürlich habe ich an dich gedacht, kleine Maus! Ich war ja so froh, daß die Verhandlungen um volle zwei Tage früher zum Abschluß führten ... Aber sag' mal, Lu, wo ist denn eigentlich die ganze Dienerschaft?«

Lu überlief es heiß.

»Ich habe ihnen allen Urlaub gegeben«, sagte sie stockend und lächelte ihn schüchtern an.

»Allen, Lu?« fragte er verwundert und blickte sie prüfend von der Seite an. »Wie unvernünftig!«

Sie senkte schuldbewußt den Kopf.

»Das ist wirklich ärgerlich«, fuhr er stirnrunzelnd fort. »Ich habe noch Hunger, und nun müssen wir auswärts essen. Du weißt, wie ungern ich das tue.«

Lu war plötzlich aufgesprungen.

»Das ist fein!« rief sie stürmisch und klatschte begeistert in die Hände. »Komm, komm schnell! Schade um jede Minute! Oh, wie ich mich freue!« Übermütig lachend schleppte sie Hut und Pelz herbei und half dem widerstrebenden Gatten beim Anziehen.

»Aus dir soll jemand klug werden«, sagte er kopfschüttelnd, aber seine Augen zwinkerten vergnügt. Arm in Arm schritten sie die Treppenstufen hinab. Plötzlich schien Lu etwas einzufallen.

»Wart' hier einen Augenblick«, bat sie hastig, »ich habe etwas vergessen.«

Eilig lief sie durch das Zimmer und riß behend die kleine Seitentür auf. Entsetzt prallte sie zurück. Vor ihr stand bleich und verstört ihr Besucher.

»Sie ... noch hier ...?« stammelte sie, nach Fassung ringend.

»Natürlich bin ich noch hier«, erwiderte der andere bissig. »Es ist eine unerhörte Zumutung von Ihnen, wenn Sie verlangen, daß ich aus einem Fenster des ersten Stockes türme ...«

Lu nestelte an ihrer Handtasche.

»Hier«, sagte sie fiebernd, »nehmen Sie den Schlüssel! Aber warten Sie einige Minuten, bis mein Mann und ich weg sind. Leben Sie wohl!«

»Halt! Nicht so eilig!«

»Mein Mann wartet ...«

»Der kann ruhig warten. Ich muß Ihnen etwas sagen.«

»Lu, wo bleibst du denn so lange?« erscholl die ungeduldige Stimme Isheims vom Treppengang.

Der Fremde raunte ihr zu: »Gefahr! Sehen Sie zu, daß Sie rechtzeitig über die Grenze kommen!«

»Unsinn!« entgegnete Lu kühl. »Mir droht keine Gefahr.«

»Es droht Gefahr!« wiederholte der andere bestimmt. »Handeln Sie unverzüglich!«

»Ich denke nicht daran! Mein Mann wird nie einwilligen ...«

»Zum Donnerwetter!« zischte der Fremde wütend. »Verstehen Sie doch endlich! Wir – Sie und eine Menge anderer Leute sind verraten worden. Ihr Name ist der Polizei bekannt. Das ist es!«

Lu erwiderte kein Wort. Schweigend drehte sie dem Besucher den Rücken und lief mit Windeseile die Treppenstufen hinab. Aber als sie neben ihrem Mann, bequem in den Polstern des Wagens ruhend, durch die belebten Straßen des nächtlichen Berlin fuhr, zuckte es verräterisch um ihre Mundwinkel, und ihr Gesicht war leichenblaß.


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