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12

Es war noch früh am Nachmittag des nächsten Tages, als Nuber eilig das Kriminalamt betrat. Erstaunt blieb er an der Tür seines Arbeitszimmers stehen. An seinem Tisch erblickte er Halle. Diese Tatsache war an und für sich kein Grund zum Verwundern, aber Halle schien sich heute in einer ausnehmend fröhlichen Stimmung zu befinden. Sein Gesicht strahlte förmlich, und vergebens bemühte er sich, beim Anblick Nubers, seinen Zügen etwas Würdevolles zu verleihen.

»Sagen Sie mal, Nuber«, platzte er heraus, »was soll dieses Buch hier?«

Nuber trat näher, rückte seinen Klemmer zurecht und nahm das Buch in die Hand.

»Das lese ich jetzt«, erklärte er ruhig. »›Verschmachtende Liebe‹ – sehr lehrreich und spannend!«

Halle schüttelte sich vor Lachen.

»Von der Seite kenne ich Sie ja noch gar nicht!«

Nuber blieb unbewegt.

»Alles im Leben hat zwei Seiten!« erklärte er gleichmütig und blätterte in dem Büchlein. »Ich bin jetzt gerade beim fünften Kapitel angelangt – ›Der Lustmord im Affenkäfig‹ – ich sage Ihnen ...«

»Der Lustmord im Affenkäfig«, japste Halle. »Fabelhaft! Fabelhaft! Aber reden wir von was anderem. Ich berste sonst vor Lachen ... Nein, so was! Kriminalinspektor Nuber liest über verschmachtende Liebe, über Lustmorde ... Reden wir von was anderem!«

»Ganz wie Sie wünschen«, entgegnete Nuber gelassen. »Gibt es was Neues?«

Halle wischte sich die Tränen aus den Augen.

»Ja, ja – eine ganze Menge. Vor allen Dingen mal eine Privatsache. Soviel ich weiß, haben Sie doch Ihr Vermögen zum Teil in Isheim-Aktien angelegt ... Ich wollte Sie darauf aufmerksam machen, daß in der Stadt seltsame Gerüchte im Umlauf sind. Ist vielleicht alles Unsinn und Weibergewäsch, aber die Aktien fallen. Gestern standen sie noch auf 105, heute dagegen auf 91. Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, damit Sie sich rechtzeitig einrichten. Es geht mich ja nichts an ...«

»Ich danke Ihnen«, sagte Nuber, und seine Stimme klang etwas wärmer als sonst, »aber Ihre Sorge ist grundlos. Meine Papiere wurden bereits gestern verkauft, also noch zu einem annehmbaren Kurs.«

»Bravo! Das freut mich! Wo Sie nur den Riecher herhaben? Das war wirklich rechtzeitig!«

»Was waren die anderen Neuigkeiten?«

»Hm ... Da ist ein männlicher Leichnam aus dem Wasser gezogen worden. Alles deutet auf Selbstmord, aber ...«

»Nun?«

»Es ist wahrscheinlich Unsinn. Aber mir kam so der Gedanke – der Mann heißt nämlich Krumm und war in den letzten Tagen zweimal bei uns auf dem Amt – ob da nicht gewisse Zusammenhänge sein könnten?«

»Wer hat denn mit Krumm verhandelt?«

»Inspektor Fleischer – beide Male. Ich habe ihn schon gefragt – er sagt, Krumm wollte etwas verraten, verlangte aber dafür 20 000 Mark. Das war natürlich ein lächerliches Ansinnen.«

»Immerhin – das ist sehr wichtig. Ich werde Sie noch heute davon überzeugen, daß tatsächlich ein Zusammenhang zwischen dem Erscheinen Krumms auf dem Kriminalamt und seinem plötzlichen Tod besteht.«

»Versprechen Sie nicht zu viel! Übrigens, wie steht es denn eigentlich mit Ihren Ermittlungen in der Mordsache Olbrig? Ich warte von Tag zu Tag auf einen Bericht. Es ist bereits eine Anfrage von oben eingelaufen ...«

»Beruhigen Sie sich! Meine Ermittlungen sind jetzt abgeschlossen. Wir werden den Mörder noch heute verhaften!«

Halle riß erstaunt die Augen auf.

»Noch heute verhaften? Und das sagen Sie mir erst jetzt?«

»Ja, und ich möchte Sie sogar bitten, mir erst noch die anderen Neuigkeiten mitzuteilen, ehe wir an die Verhaftung gehen. Oder war das schon alles?«

»Nein. Es sind auch wieder zwei neue Radiosendungen abgefangen worden.«

»Natürlich nicht zu entziffern?«

»Nein. Genau so verworren und sinnlos wie alle bisherigen. Es ist zum Verzweifeln! Vielleicht ist es doch nur ein Spaßvogel, der uns einfach zum Besten hat!«

»Ich glaube nicht. Da liegt System drin. Bedenken Sie, seit mehreren Wochen alle paar Tage eine oder zwei Schwarzsendungen. Ich habe mich bei einem Fachmann erkundigt, – das ist gar nicht so einfach zu machen. Zum Senden gehören Spezialkenntnisse und zum Teil auch Spezialapparate und Einrichtungen. Haben Sie die Richtung feststellen können?«

»Ja. Wenigstens bei der einen Botschaft steht fest, daß sie aus dem Westen Berlins abgegeben wurde. Hier, sehen Sie sich mal die Texte an!«

Nuber beugte sich über eine Blatt Papier und betrachtete minutenlang stumm die seltsamen Worte und Ziffern. Dann holte er sein Notizbuch hervor und trug die Zeichen säuberlich ein. Halblaut las er vor:

»›766 machen einsidelei 37 verkuppeln 180 und und 914 starr und bluttriefend.‹ So, das ist die eine. Nun die nächste: ›126 Ahnenbilder sind einer 29 doch Höhle 531 mußte Szene 249 der Untersuchung gefallen.‹«

»Die erste Sendung scheint verstümmelt zu sein«, meinte Halle bedauernd.

»Warum glauben Sie das?«

»Wegen dem ›und‹! Mag dieses ›und‹ auch etwas ganz anderes bedeuten, so ist es doch kaum glaubhaft, daß es zweimal hintereinander gesetzt gehört.«

»Oh!« rief Nuber überrascht. »Da kommt mir eben ein Gedanke! ... In der Tat, so muß es sein ...«

»Sie scheinen ja schon etwas zu wissen?«

»Nein, ich weiß noch nichts. Aber ich vermute einiges. Es wird nicht mehr lange dauern, bis ich diese Geheimsprache beherrsche, und dann werden wir wohl dadurch einige wichtige Aufschlüsse über die Unbarmherzigen erhalten. So, und jetzt wollen wir den Mörder Olbrigs verhaften.« Nuber zog ein Papier aus der Tasche. »Vielleicht würden Sie die Güte haben, diesen Haftbefehl zu unterzeichnen?«

Halle griff hastig nach dem Blatt. Seine kurzsichtigen Augen suchten eifrig nach dem Namen. Plötzlich stieß er einen leisen Schrei aus.

»Sie sind wohl verrückt geworden!«

»Ich hoffe – nicht.«

»Aber da steht doch – Kriminalinspektor Fleischer!«

»Natürlich steht das da! Ich kann doch nicht etwas anderes hereinschreiben, wenn Kriminalinspektor Fleischer der Mörder ist. Er ist sogar mehr. Nämlich ein Mitglied der Unbarmherzigen. Er hat unsere Pläne immer wieder an die Brüder verraten.«

Halle fuhr sich gereizt durchs Haar.

»Wenn das wahr ist ... Wie sind Sie denn dahinter gekommen? Soviel ich mich entsinne, fanden Sie doch am Tatorte keinerlei Spuren?«

»Stimmt! Fleischer war kein Stümper. Ich hatte lediglich eine kleine Vermutung. Passen Sie mal auf: Ich finde die Überreste einer Mahlzeit. Zwei Menschen haben gegessen, haben geraucht und sich miteinander unterhalten. Ich betrachte das Geschirr und bemerke auf dem einen Teller eine geringe Portion Kaviar! Unberührt, wie er von der Schüssel in der Mitte des Tisches genommen wurde. Ferner sehe ich im Aschenbecher ein paar Tropfen Wasser. Damit wurden entweder vom Opfer oder vom Mörder die Zigarren gelöscht. Diese zwei kleinen Fingerzeige brachten mich schließlich doch noch auf die richtige Spur!«

»Ich sehe noch gar nicht, was Ihnen dies nützen konnte ...«

»Nun, ich habe mir folgendes überlegt. Es gibt verhältnismäßig wenig Menschen, die ihre Zigarren mit Wasser zu löschen pflegen. Wenn Olbrig zufällig einer von diesen war, so nützte mir die Beobachtung natürlich nichts. Da Olbrig im Amt nie rauchte, mußte ich dies in den Lokalen feststellen, in denen er häufig verkehrte, wie ich heute genau weiß, auch nur aus rein beruflichen Gründen. Unschwer stellte ich fest, daß Olbrig seine Zigarren stets sehr kräftig ausdrückte. Nunmehr kannte ich eine besondere, geradezu auffallende Angewohnheit des Mörders. Immerhin war meine Aufgabe keine leichte. Es galt in der Millionenstadt Berlin einen Menschen ausfindig zu machen, von dem ich nur wußte, daß er Olbrig genau kannte, sehr dreist war, eine gute Portion Frechheit besaß, seine Zigarren mit Wasser löschte und eine unüberwindliche Abneigung gegen Kaviar hatte.«

»Wieso denn das?«

»Aber das ist doch klar! Alle Teller waren leer. Nur auf einem befand sich Kaviar. Bestimmt hatte den nicht Olbrig übrig gelassen, denn wenn er keinen Kaviar mochte, hätte er ihn nicht erst gekauft. Aus allem ging deutlich hervor, daß Olbrig seinen Gast genötigt hatte, den Kaviar wenigstens zu versuchen. Vielleicht hat er ihm die geringe Menge sogar gegen seinen Wunsch auf den Teller getan. Um aber zur Sache zu kommen – ich beobachtete Fleischer vorgestern beim Löschen einer Zigarre. Er machte dies mit Wasser, genau wie der Mörder Olbrigs! Ich brachte daraufhin gestern einige Butterbrote mit und bot davon Fleischer zunächst ein Schinkenbrot an. Es wurde dankend angenommen und mit frohem Mut verzehrt. Ganz anders erging es mir, als ich mit einem Kaviarbrötchen herausrückte. Fleischer schüttelte sich ordentlich vor Ekel! Das war für mich ein Zeichen, daß es höchste Zeit war, in seiner Wohnung einzubrechen ...«

»Nuber, das dürfen Sie doch nicht! Wie oft soll ich Ihnen denn sagen ...«

»So oft Sie wollen! Es stört mich nicht. Und einbrechen werde ich doch immer wieder, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, Beweise zu erlangen.«

»Nun und? Haben Sie dort etwas gefunden?«

»O ja«, nickte Nuber. »Eine ganze Menge! Ich werde Ihnen das später zeigen. Jetzt aber müssen wir den Knaben unter allen Umständen gleich festnehmen. Er hat nämlich schon sein Köfferchen gepackt und kann jeden Augenblick verschwinden. Auf Nimmerwiedersehen!«

Halle sprang auf.

»Dann ist es aber die höchste Zeit! Ich werde ihn sofort verhaften!«

»Sie selbst?« fragte Nuber gedehnt. »Wollen Sie das nicht lieber mir überlassen? Es könnte gefährlich werden.«

»Glauben Sie etwa, ich fürchte mich? Bleiben Sie ruhig hier. Das erledige ich ganz allein!«

Halle stob zur Tür hinaus. Nuber lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück, zog die Uhr und betrachtete stumm das Zifferblatt.

Aus dem Nebenzimmer erscholl Halles donnerähnliche Stimme. Dann ein dumpfer Knall, als wenn ein Tisch oder ein ähnliches schweres Möbelstück umgeworfen würde. Gleich darauf setzte ein kaum menschenähnliches Gebrüll ein, das durch einen Laut wie Scherbenklirren unterbrochen wurde. Und dann plötzlich – Stille.

Nuber lächelte. Seine Blicke hingen unverwandt an dem Sekundenzeiger seiner Uhr. Genau nach zwei Minuten erhob er sich mit einem Ruck und schritt gemächlich nach dem Zimmer Fleischers.

Das Bild, das sich seinen Blicken bot, entsprach genau seinen Erwartungen. Am Boden kauerte stöhnend und fluchend Oberinspektor Halle und wischte mit einem Taschentuch über sein blutiges Gesicht. Die Scheiben eines Fensters waren zertrümmert. Von Fleischer selbst fehlte jede Spur.

»Der gemeine Kerl!« tobte Halle. »Der vermaledeite Halunke! Haut mir eins in die Fr ... ins Gesicht und springt zum Fenster hinaus. Wer konnte so etwas ahnen?«

»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte Nuber plötzlich zerknirscht, »aber ich ahnte es ... Gewiß, ich ahnte es ...«

»Sie ahnten ... Ich verstehe nicht ...«

»Ich habe Sie belogen!« gestand Nuber mit einem treuherzigen Augenaufschlag. »Fleischer hatte gar nicht die Absicht zu fliehen!«

»Er hatte gar nicht die Absicht ...« brüllte Halle. »Aber warum, in Dreiteufelsnamen, machten Sie mir das weis?!«

»Weil Sie sonst jedenfalls meine Beweise hätten sehen wollen und dann erst den Kerl verhaftet hätten. Ich habe doch recht?«

»Nun ja! Aber das wäre doch ganz dasselbe gewesen!«

»Leider eben nicht. Ich hatte doch bei meinem Einbruch nichts gefunden. Nicht das geringste!«

»Aber das ist doch ...«

»Die Höhe! Ich weiß! Aber was wollen Sie! Das sind eben so meine Mittelchen. Einbruch oder voreilige Verhaftung ... Sie sagen, das sei verboten ... Darum mußte ich es eben allein besorgen.«

»Ver–r–rückt! Und der Kerl ist dabei über alle Berge!«

»Oh, weit wird er wohl nicht kommen. Die Hauptsache war für mich, Beweise seiner Schuld zu erlangen. Jetzt habe ich sie.«

Halle ließ dröhnend die Faust auf den Tisch niedersausen.

»Zum Teufel! Sie sagten doch eben erst, Sie hätten keine Beweise gefunden!«

»Habe ich auch nicht. Vor einer Viertelstunde noch nicht. Aber jetzt! Schauen Sie doch mal in den Spiegel! Ihre Nase ist schon etwas geschwollen! Und sie schwillt zusehends weiter! Ist das nicht ein Beweis?«

»Und ob!« brummte Halle ärgerlich. »Aber ich rate Ihnen – bauen Sir mir nicht noch einmal solche Zicken, sonst ...«

»Ich werde mich ganz bestimmt bessern«, entgegnete Nuber scheinheilig.


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