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16

Der Fabrikbesitzer Isheim gab ein großes Fest. Wohl war seine Stimmung alles weniger als festlich, aber die Einladungskarten waren schon seit acht Tagen versandt, und an eine Absage wagte er nicht zu denken. Das hätte nur das Anschwellen jener sonderbaren Gerüchte zur Folge gehabt, die ihm das Leben ohnehin schon schwer machten. So hatte er denn beschlossen, dem Gerede die Spitze abzubrechen, indem er trotz des bedrohlichen Standes seiner Aktien das große Fest gab und sich dabei vor aller Augen in möglichst fröhlicher und unbekümmerter Laune zeigte.

Auch Muratow gehörte zu den zahlreichen Geladenen. Ziemlich mißmutig schlenderte er durch den prächtigen, festlich geschmückten Saal. Eingezwängt in den ungewohnten Smoking, umgeben von Leuten, deren Denkweise er nicht das geringste Verständnis entgegenbrachte, fühlte er sich hier nicht recht wohl. Nur um seinen Freund Isheim nicht zu kränken, hatte er die Einladung angenommen. Aus denselben Rücksichten verstieg er sich sogar dazu, einige Male mit irgendeinem einsamen Mauerblümchen zu tanzen. Nachdem er gerade eine Viertelstunde lang mit bewunderswertem Gleichmut dem Gezwitscher eines solchen, von der Natur etwas stiefmütterlich behandelten Dämchens gelauscht hatte, beschloß er, sich eine wohlverdiente Ruhepause zu gönnen, und begab sich auf den Weg nach dem Bibliothekszimmer.

In diesem Raume war es dunkel und kühl. Muratow machte kein Licht. Er riß das Fenster auf und schwang sich geschickt auf den Sims. Seine Augen wanderten am dunklen Himmel entlang und suchten nach einigen ihm bekannten Gestirnen, als sein feines Ohr plötzlich das Geräusch von schleichenden Schritten vernahm.

Blitzschnell drehte er sich um. Er sah eine dunkle Gestalt, die leise und behend nach der Tür strebte. Auf die rasche Bewegung Muratows antwortete sie mit einem beherzten Sprung. Schon war sie an der Tür angelangt, hatte sie aufgerissen, um im nächsten Augenblick im stockfinsteren Gang zu verschwinden. Doch noch schneller war Muratow. Mit einem Satz war er an der Seite des Fremden. Derb packte er zu. Mit der einen Hand hielt er den sich nur leicht Sträubenden beim Kragen, mit der anderen drehte er das Licht an.

Sofort ließ er los. Vor ihm stand Inspektor Nuber.

»Einen Griff haben Sie, Muratow!« rief er und rückte an den in Unordnung geratenen Kleidern herum. »Einen Griff – alle Achtung!«

Muratow starrte ihn fassungslos an.

»Was machen denn Sie hier, Nuber?«

Der andere lachte.

»So'n bißchen Außendienst! Abteilung Spionage!«

»Sie haben doch nicht etwa einen Verdacht gegen Isheim? Das wäre Irrsinn! Isheim ist ein prächtiger Kerl!«

Nuber besah sich angelegentlich im Spiegel.

»Möglich«, sagte er kühl. »Aber verdächtigen darf man sogar prächtige Kerle! Nur nicht verurteilen und nach Möglichkeit auch nicht verhaften!«

»Also doch! Sie geben zu –«

»Nichts gebe ich zu!« unterbrach ihn Nuber rasch. »Nur – ich bin hier dienstlich – daß Sie's wissen! Habe natürlich eine Einladungskarte.«

»Aber woher denn? Kennen Sie den Isheim persönlich?«

»Durchaus nicht. Zu solch großartigen Veranstaltungen ist es doch nicht schwer, eine Einladungskarte zu erwischen. Kommen Sie, wir gehen jetzt in den Saal. Halten Sie beide Augen offen! Ich habe alle Ursache, anzunehmen, daß, heute etwas passiert.«

»Ein Mord?«

Nuber zog die Augenbrauen hoch.

»Mord? Wie kommen Sie gerade auf Mord?«

»Nun, Sie sagten das vorhin mit einer so eigenartigen Betonung –«

»Nein«, wehrte Nuber ab. »Kein Mord. Noch sind die Unbarmherzigen nicht so weit. Erst wenn eine Bande knapp vor der Auflösung und Verhaftung steht, fängt sie an zu morden. Heute noch nicht. Aber bald werden wir dieses Zeichen des Untergangs jeder größeren Verbrecherbande auch an den Unbarmherzigen beobachten können.«

»Sie meinen, daß diese bald beginnen werden zu morden. Warum? Wen?«

»Warum? Aus Furcht! Sie nennen es allerdings anders – Strafe! Wen? Das weiß ich nicht. Eines der Opfer könnte ich Ihnen wohl mit ziemlicher Gewißheit bezeichnen ...«

»Nun?«

»Von Gorny.«

»Sie phantasieren!«

Nuber zuckte die Achseln.

»Ich irre mich selten; doch es kann ja sein. Aber kommen Sie jetzt ...«

Die Tür flog auf. In ihrem Rahmen stand mit allen Anzeichen der Verstörtheit der Fabrikant Isheim.

»Gut, daß du hier bist!« rief er Muratow zu. »Ein Unglück ist geschehen!«

Muratow und Nuber wechselten einen raschen, verständnisvollen Blick.

»Was ist geschehen?«

»Der Gräfin Janitscheck ist eine Perlenkette im Werte von 200 000 Mark entwendet worden!«

Muratow war sofort bei der Sache.

»Aufpassen!« rief er. »Hier, das ist Inspektor Nuber, ein Kollege von mir. Ihr beide bringt die Gräfin hierher! Vermeidet jedes Aufsehen! Ich lasse inzwischen die Ausgänge sperren.«

Er stürmte davon. Als er nach einer Viertelstunde zurückkam, stieß er bereits im Saal auf Nuber.

»Nun, was ist?« fragte Muratow.

»Alles in Ordnung«, entgegnete Nuber achselzuckend. »Wir haben sie ins Bibliothekszimmer geschleppt. Isheim tröstet sie jetzt. Ohne Erfolg, glaube ich. Na, Sie werden noch Ihre Freude daran haben!«

»Was heißt ›Freude daran haben‹?«

»Übrigens ist die Frau gar keine Gräfin«, fuhr Nuber unbeirrt fort, ohne den Einwurf Muratows zu beachten. »Wenigstens nicht für mich. Soviel ich weiß, ist sie jahrelang beim steinreichen, im übrigen aber vollkommen verblödeten Grafen Janitschek als Köchin angestellt gewesen. Sie soll in dieser Eigenschaft sogar ein reizender Mensch gewesen sein. Seit er sie aber geheiratet hat, ist sie völlig übergeschnappt. All sein Geld verwandelt sie in Schmuck. Sieht aus wie so ein putziger Pfingstochs weiblichen Geschlechts, wenn Sie sich das vorstellen können.«

»Ihre Ruhe möchte ich haben!« brummte Muratow ärgerlich. »Sie reden wie ein Buch! Übrigens sind wir jetzt angelangt.«

Er drückte auf eine Türklinke, und sie traten ein. Auf dem Sofa lag, nach Atem ringend, eine dicke Matrone. Ihre Hände, Finger und ihr Hals waren derart mit Schmuck überladen, daß Muratow im stillen seinem Kollegen recht geben mußte. Neben der wohlbeleibten Frau verschwand förmlich der um sie eifrig bemühte zittrige, dürre Greis, den der Hausherr den Eintretenden als Grafen Janitschek vorstellte.

»Ein sehr peinlicher Vorfall«, fügte er bekümmert hinzu. »Ich freue mich sehr, daß die Herren gerade anwesend waren, so daß Sie sozusagen auf frischer Spur mit den Nachforschungen einsetzen können.«

Muratow nickte. Dann, sich an die schwer schnaufende Gräfin wendend, fragte er:

»Wann und wie bemerkten Sie den Diebstahl?«

»Wann? Wie?« heulte sie auf. »Eben! Eben jetzt! Wie ich meinen Schmuck prüfend betaste, bemerke ich – die kostbare Kette ist weg!«

»Haben Sie einen bestimmten Verdacht? Ist niemand im Laufe des Abends näher als üblich an Sie herangetreten? Hat niemand Sie gestreift, gestoßen?«

»Gestreift, gestoßen ...« fauchte sie wütend. »Alle haben mich gestreift! Alle! Den ganzen Abend haben sie mich gestoßen. Verdacht? Auf alle habe ich Verdacht! Was fragen Sie mich aus? Soll etwa ich die Kette suchen? Wozu sind Sie da? Ich dachte, Sie würden dafür bezahlt!«

Muratow machte eine verzweifelte Miene. Nuber schob ihn plötzlich beiseite und raunte ihm zu:

»Lassen Sie mich mal mit dem Biest verhandeln!« Zur Gräfin gewandt aber sagte er laut, mit kalter Sachlichkeit: »Ihre kostbare Perlenkette ist weg. Man wird sie auch nie wiederfinden.«

»Meine Kette!« schrie die Gräfin mit aller ihr zur Verfügung stehenden Lungenkraft. »Was? Was reden Sie da?!«

»Um Gottes willen! Mäßigen Sie sich!« flehte Isheim. »Die Gäste sollen nichts merken.«

»Was gehen mich Ihre Gäste an!« kreischte die Gräfin. »Dieses Diebsgesindel! Durchsuchen muß man sie! Alle, alle! Oh, meine schöne Perlenkette!«

»Schreien Sie bitte etwas lauter«, sagte Nuber eisig. »Ihre Perlenkette muß schwerhörig sein. Sonst wäre sie auf das Gezeter hin doch längst hergetippelt.«

Die Wirkung dieser Worte war verblüffend. Die Augen der Gräfin weiteten sich in starrem Staunen, der zum Schrei geöffnete Mund klappte zu.

»Wenn Sie irgend Wert darauf legen, Ihre Kette wiederzusehen«, fuhr Nuber fort, »so beantworten Sie uns jetzt genau die vorhin durch meinen Kollegen an Sie gerichteten Fragen! Und recht leise, bitte. Ich höre nämlich ganz vorzüglich.«

Graf Janitschek machte ein Gesicht, als wenn er das Hereinbrechen des Jüngsten Gerichtes erwartete. Auch Muratow machte sich auf einen Wutausbruch ohnegleichen gefaßt. Aber nichts dieser Art geschah. Die Gräfin erzählte plötzlich sehr ruhig und beherrscht, was ihr im Laufe des Abends an dem einen oder anderen Gast aufgefallen war. Es war nicht viel. Nuber trug es aber dennoch getreulich in sein Notizbuch ein.

»Wo könnten wir wohl ein paar Worte ungestört sprechen?« wandte er sich schließlich an Isheim.

»Vielleicht folgen mir die Herren in mein Arbeitszimmer«, sagte Isheim. »Dort können wir in Ruhe beraten, was in diesem Fall zu tun ist.«

Die Kriminalbeamten nickten zustimmend und folgten dem Fabrikanten in sein Arbeitszimmer.

»Es wird uns wohl nichts anderes übrig bleiben, als dem Verlangen der Gräfin stattzugeben«, sagte Muratow mit bedauerndem Achselzucken, »und eine allgemeine Leibesuntersuchung vorzunehmen.«

»Das darf nicht sein!« widersprach Isheim heftig. »Lieber ersetze ich den Wert. Lieber bezahle ich 200 000 Mark! Aber eine Leibesuntersuchung in meinem Hause? Bei nur geladenen Gästen? Nein, das gebe ich auf keinen Fall zu.«

»Ich kann dich sehr gut verstehn«, murmelte Muratow sinnend. »So etwas ist für den Gastgeber peinlich. Aber was sollen wir sonst tun? Was meinen Sie, Nuber?«

Der Angesprochene steckte gelassen eine Zigarette zwischen die Lippen und kramte in den Taschen. Isheim fuhr ebenfalls schnell in seine Tasche, um gleich darauf bedauernd zu bemerken:

»Habe leider kein Feuer!«

Aber Muratow hielt bereits ein brennendes Hölzchen in den Fingern.

»Danke!« sagte Nuber kurz. Dann fuhr er gleichmütig fort: »Was ich meine? Hm ... Ich meine, daß die Diebstahlssache dadurch besonders schwierig wurde, weil wir drei gleichzeitig nach unserem Feuerzeug suchten.«

»Sie sprechen in Rätseln!« sagte Muratow befremdet. Auch der Fabrikant schüttelte verwundert den Kopf.

Nuber bückte sich plötzlich und hob mit zwei Fingern einen Gegenstand vom Boden.

Es war eine Kette aus wunderbar reinen Perlen.


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