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18

»Ober – zahlen!« sagte von Gorny ruhig und legte das Zeitungsblatt, das er nun schon volle zwei Stunden studiert hatte, beiseite. Er warf dem Kellner einen größeren Schein hin und steckte, ohne zu zählen, die herausgegebenen Münzen in die Westentasche.

Seine Blicke hingen unverwandt an dem Fenster. Nicht ohne Absicht hatte er seinen Platz in dessen Nähe gewählt. Er sah einen Mann, der soeben aus einer Tür, gegenüber dem Kaffeehaus, getreten war und nun spähend nach rechts und links Umschau hielt. Gleich darauf winkte er einen Wagen herbei und fuhr davon. Von Gorny dachte nicht daran, ihn zu verfolgen. Vielmehr schlüpfte er schnell durch die Tür, aus der jener gerade getreten war.

Zwei Treppen höher machte von Gorny halt. Hastig öffnete er mit einem Dietrich eine Tür und dann noch eine. Obwohl es noch heller Tag war, herrschte in den Zimmern fast gänzliche Finsternis. Die Jalousien waren herabgelassen, manche Fenster sogar dicht verhängt. Von Gorny bewegte sich aber in diesem Halbdunkel so sicher und selbstverständlich, wie es nur ein Mann vermochte, der den Plan der Wohnung genau kannte.

Endlich hatte er die letzte Türe geöffnet und wieder hinter sich geschlossen. Erst jetzt ließ er seine Taschenlampe aufblitzen.

In der Ecke, an einem großen Schreibtisch nahm er Platz. Über den ganzen Tisch lagen Papiere, Briefschaften und Akten verstreut. Von Gorny lächelte. Er sah hier einige Briefe, die ihm vor ein paar Tagen aus seiner Wohnung entwendet worden waren. Er hatte es gleich vermutet, daß er hier einiges von dem Gestohlenen wiederfinden würde.

Im übrigen schienen ihn die Briefschaften aber wenig zu kümmern. Der Lichtstrahl seiner Laterne zitterte flüchtig über den Berg der Papiere hinweg und blieb schließlich an dem Marmortintenfaß haften. Von Gorny beugte sich gespannt vor. Zwei Behälter, der eine mit grüner, der andere mit roter Tinte, waren es, denen seine Aufmerksamkeit galt.

Aus der Tasche zog er eine Feder. Abwechselnd tauchte er sie erst in die eine, dann in die andere Tinte. Jedesmal schrieb er damit ein paar Worte in sein Notizbuch. Dann löschte er die Schrift mit einem ebenfalls mitgebrachten Blatt und zog endlich eine kleine Retorte und einen Lichtstumpf aus der Tasche.

Einige Minuten saß er still da. Mit einer Zange hielt er die Retorte über das brennende Licht. Der Inhalt der Retorte, eine Flüssigkeit von unbestimmbarer Farbe, begann zu kochen. Im selben Augenblick hielt von Gorny sein Notizbuch mit den Schriftproben darüber. Dann löschte er die Kerze wieder aus und betrachtete beim Schein der Laterne die Schrift.

Sein Gesicht verfinsterte sich. Die Schrift wies keinerlei Veränderung auf.

Ohne sich lange zu besinnen, machte er sich gleich wieder an die Arbeit. Er kramte in seinen Taschen herum und brachte mehrere Fläschchen zum Vorschein. Einige waren leer, andere enthielten verschiedenfarbige Flüssigkeiten. In zwei von den leeren schüttete von Gorny vorsichtig den Inhalt der Tintenfässer, aus zwei anderen füllte er sie wieder. Ein befriedigtes Schmunzeln kräuselte seine Lippen.

»So, lieber Gabriel«, murmelte er, »das ist die Antwort von Gornys auf deinen ungeschickten Mordanschlag!«

Lautlos, wie er gekommen, verließ er wieder die Wohnung.

Auf der Straße angelangt, nahm er einen Wagen und fuhr nach dem Gelände der »Neptun«-Film-AG. Da er sich als englischer Filmindustrieller einführte, gelang es ihm unschwer, bis zum Direktor ins Allerheiligste vorzudringen.

Dienstbeflissen erhob sich bei seinem Eintritt der Filmgewaltige.

»Womit kann ich Ihnen dienen, äh ... Herr von Gorny, so war doch der Name, äh ... wenn ich mich nicht irre ...« Von Gorny setzte sich und begann ohne Umschweife: »Ich habe da vor einigen Tagen den letzten Film Ihrer geschätzten Gesellschaft gesehen – ›Die Unterwelt Berlins‹. Der Film hat mir sehr gefallen. Ich wollte mal anfragen, wie Sie sich zu einem etwaigen Generalvertrag zwecks Vorführung dieses Films in England stellen würden. Ganz unverbindlich natürlich. Je nach den Bedingungen würde ich ...«

Der Direktor erhob sich plötzlich.

»Ich bedaure sehr, Herr von Gorny! Ein Verkauf des Vorführungsrechts, äh ... nach England, äh ... kommt nicht in Frage. Meine Zeit ist sehr kurz bemessen. Sie werden verstehen, äh ...«

»Gewiß, gewiß, ich verstehe schon!« rief von Gorny lachend. »Sie wollen mich los sein! Aber beantworten Sie mir, bitte, noch die eine Frage – warum kommt der Verkauf für England nicht in Frage? Warum? Wenn ich Ihnen nun das Doppelte des üblichen Betrages biete, würde dann ... vielleicht doch ...«

»Auch dann nicht!« unterbrach ihn der Direktor ärgerlich. »Und wenn Sie mir das Zehnfache, Zwanzigfache bieten! Aber jetzt, äh ... entschuldigen Sie, bitte! Meine Geschäfte, äh ... drängen ...«

Von Gorny merkte, daß er hier nichts weiter erfahren würde, und verabschiedete sich zur nicht geringen Erleichterung des vielgeplagten Direktors.

Auf dem Gelände fing von Gorny einen Vorarbeiter ab, dessen Tätigkeit darin zu bestehen schien, daß er mit wichtiger Miene zwischen Arbeitern herumrannte und allen, die Lust und Zeit hatten, ihm zuzuhören, auf möglichst mannigfaltige Art auseinandersetzte, wie grundverkehrt sie alles machten.

»'n Tag, mein Freund!« sagte von Gorny munter. »Was macht die Kunst? Wie geht's Frau und Kinderchen?«

»Dr Herr had mich bis jetzt vor däm Säjen dr Beweibthet un Nachgommenschaft gnädig bewahrt!« erklärte jener würdevoll und wollte weitergehen.

»Augenblick mal!« Von Gorny packte ihn beim Ärmel.

Der andere wandte sich bissig um.

»Märkn Se den nich, daß ich geene Zeit fir brivate Unterhaltungen habe, he?«

Vor Gorny zog gelassen einen Zwanzigmarkschein hervor.

»Auch dann nicht?«

»Nu ja ...« Der Alte lächelte plötzlich. »Ich bin zwar in gesicherter Bosition ... Aber mein Bruder hat 'ne olle Mudder ...« Der Geldschein verschwand verblüffend schnell.

»Passen Sie mal auf!« begann von Gorny.

»Ich bin schon ganz begierig!«

»Ich wollte bei Eurem Alten das Vorführungsrecht des Films ›Die Unterwelt Berlins‹ für England kaufen. Er schlug es mir rundweg ab. Können Sie mir den Grund nennen?«

Der Alte pfiff leise durch die Zähne.

»Die Unterwelt woll'n Se goofen? Die genn mer ja garnich vereißern ...«

»Ja, warum denn nicht?«

»Mer ham nämlich Bech gehabt mit diesem Film! Wie dr ganze Gitt fert'ch war, was geschieht? Nu, was deng'n Se, was geschieht?«

»Keine Ahnung!«

»Das will ich meenen! Abgebrannt is uns die ganze Broduktion! Nur zwee Abzieje blieben uns ibrich!«

»Abgebrannt?«

»Ja, ganz eefach abgebrannt! Un wie mr den Malefizfilm endlich uraufführn wolln, is die eene Rolle ooch wech! Gestohlen! Ham Se noch Teene?«

»Einfach weg?«

»Ganz eefach wech! Nu ham mer nur noch die eene Rolle! Un die brauchen mer alleene! Genn se also garnich vergoofen! Dämmert's nu bei Ihnen?«

Von Gorny nickte.

»Jetzt verstehe ich. Na, dank' schön! Hier, noch ein Zwanzigmarkschein für die arme Mutter Ihres Bruders!«

Der Vorarbeiter schmunzelte. Er schmunzelte noch, als von Gorny längst wieder im Wagen saß und überlegte, wieviel Tausende ihm wohl die mit vierzig Mark erkauften Kenntnisse einbringen würden.


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