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4

Es war um die Mittagszeit des nächsten Tages, als von Gorny langsam aus dem vornehmen Hotel »Reichsadler« auf die Straße trat und seine Blicke spähend über die Reihen der haltenden Wagen gleiten ließ. Auf einen von diesen, einen eleganten Chrysler, ging er zu, öffnete den Schlag und begrüßte leutselig den in beschaulicher Ruhe, eine Havanna zwischen den Zähnen, in der Ecke lehnenden Besitzer des Wagens.

»Bitte entschuldigen Sie, Herr Isheim«, fügte er hinzu, »wenn ich Sie einen Augenblick habe warten lassen. Aber ...«

Isheim, in Berlin als einer der wohlhabendsten und einflußreichsten Papierfabrikanten bekannt, schüttelte den Kopf und winkte begütigend ab.

»Lassen Sie doch ... Es war wirklich nur ein Augenblick. Bitte, steigen Sie ein!«

Von Gorny machte es sich in den Polstern bequem, und der Wagen setzte sich in Bewegung.

»Haben Sie über meinen Vorschlag nachgedacht, Herr Isheim?« meinte von Gorny nach kurzem Schweigen.

»Es handelte sich dabei nicht ums Nachdenken«, sagte der Fabrikant sinnend und zog an seiner Zigarre. »Das Geschäft, das Sie mir antragen, ist nicht derart, daß man es mit einem vollkommen Fremden abschließen kann. Ich mußte Erkundigungen, sogar sehr genaue und eingehende Erkundigungen einziehen – über Sie, Herr von Gorny!«

Die letzten Worte hatte Isheim eigenartig betont und sah dabei unverwandt, mit einem seltsamen Leuchten in den grauen Augen, von Gorny ins Gesicht.

Dieser schien unangenehm berührt.

»Erkundigungen über mich?« fragte er langsam, und seine Stimme klang etwas hochmütig. »Nun, Sie dürften kaum etwas Ungünstiges erfahren haben.«

Isheim wurde der Notwendigkeit einer Antwort enthoben, denn in der nächsten Sekunde geschah etwas Unerwartetes. Die rechte Türscheibe des Wagens sprang klirrend entzwei. Der Fahrer bremste scharf. Der Wagen hielt. Von der Straße waren laute Rufe hörbar. Man sah aufgeregte, erschrockene Gesichter. Ein Polizist öffnete den Wagenschlag.

»Ist den Herren etwas geschehen?«

»Ja was denn nur? Was ist denn eigentlich los?« erkundigte sich der Fabrikant.

»Ein zerlumpter Kerl hat nach Ihnen geschossen. Zwei Schutzleute sind ihm auf den Fersen. Hoffentlich erwischen sie ihn. Ist von den Herren keiner verwundet?«

»Nein. Hm ...« von Gorny nahm vorsichtig den Hut von Isheims Kopf herunter. Der Hut wies zwei kleine Löcher auf.

»Hierher ging die Kugel, Herr Isheim«, meinte er ernst. »Haben Sie Feinde?«

»Nicht, daß ich wüßte. Ich verstehe gar nicht ...«

»Der Wagen kann jetzt weiterfahren!« erklärte der Polizist und steckte sein Notizbuch ein.

»Wirklich, ich verstehe nicht ...« murmelte Isheim verstört. »Was mag das nur bedeuten?«

Von Gorny zuckte die Achseln.

»Wenn Sie keine Feinde haben ...« begann er. »Nun, der Anschlag galt dann jedenfalls mir.«

»Haben denn Sie Feinde?« fragte jetzt Isheim besorgt.

»Ich? Feinde?« Von Gorny lachte laut auf. »Mehr als genug! Das bringt eben mein Beruf so mit sich! Voraussichtlich war dies ein Willkommensgruß der Unbarmherzigen Brüder.«

»Mein Gott!« stammelte der Fabrikant entsetzt. »Die Unbarmherzigen sind Ihre Feinde ...«

»Eigentlich nicht«, widersprach der andere heiter. »Es sind eher Freunde von mir. Gott schütze mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden werde ich selber fertig! Kennen Sie dies schöne Wort? Aber halt! Was rede ich da! Sie müssen sich gleich eine neue Kopfbedeckung besorgen. Was würde wohl die Frau Gemahlin beim Anblick der reizenden Löcherchen sagen? Ohnmacht, Weinkrampf ...«

»Sie haben recht«, gab Isheim kleinlaut zu. »Lu würde sehr erschrocken sein. Das muß verhindert werden.« Er rief dem Fahrer zu, beim nächsten Hutgeschäft zu halten, und wenige Minuten darauf fuhr der Wagen bei einem Laden vor. Schweigend stiegen die Herren aus.

»Entschuldigen Sie bitte«, sagte von Gorny unvermittelt. »Ich werde lieber hier auf Sie warten.«

»Bitte sehr!« Der Fabrikant schien befremdet. Ohne ein weiteres Wort trat er in das Hutgeschäft.

Von Gorny folgte ihm mit seinen Blicken. Kaum hatte sich die Tür hinter Isheim geschlossen, gab er einem Zeitungsverkäufer einen Wink und nahm ihm das Berliner Tageblatt ab. Scheinbar ins Lesen vertieft, warf er harmlos hin:

»Wieder nichts Neues am Kongo?«

Der Zeitungsverkäufer machte eine heftige Bewegung. In seinen Augen blitzte es auf, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, dann sahen sie wieder leer und stumpf ins Weite. Er öffnete seine Tasche und begann umständlich das Geld zu zählen. Seine Lippen bewegten sich kaum, als er leise erwiderte:

»Doch! Unbarmherziges Ausrotten der Aufständischen!« Von Gorny nickte.

»Was bedeutete die Schießerei auf der Oranienburger Straße?« erkundigte er sich laut.

»Keine Ahnung!« sagte jener ebenso und fügte kaum hörbar hinzu: »Beseitigung eines gefährlichen Horchers von der Londoner Greiferei!«

Nur das Heben der Augenbrauen war ein Zeichen, daß von Gorny die im leisen Flüsterton gesprochenen Worte verstanden hatte.

»Auf Befehl von ...?«

»Gabriel!« raunte der Verkäufer.

Gleich darauf war er im Menschengewühl verschwunden, und aus den erst lauten, dann immer leiser werdenden Anpreisungen seiner Zeitungen merkte von Gorny, daß jener sich in höchster Eile entfernte.

»Gabriel«, murmelte der Zurückgebliebene nachdenklich. »Gabriel ...«

»Bitte, steigen Sie ein!« sagte im selben Augenblick der aus dem Laden tretende Fabrikant.

Von Gorny fuhr aus seinem Sinnen auf.

»Ah! Schon fertig? Wunderbarer Kopfputz! Sie haben ...« Sekundenlang stockte er. Dann ergänzte er hastig: »Sie haben Geschmack! Das muß ich schon sagen.«

Isheim lächelte.

»Ich achte wenig auf mein Äußeres. Habe keine Zeit dazu. Aber bitte, steigen Sie doch ein!«

Von Gorny, einen Fuß bereits auf dem Trittbrett, schien seinen Entschluß plötzlich zu ändern.

»Auf die Gefahr hin, unhöflich zu erscheinen«, sagte er liebenswürdig, mit einem schuldbewußten Lächeln auf den Lippen, »bitte ich Sie, mich vorläufig zu entschuldigen. Eine Börsennotiz im Tageblatt erfordert mein sofortiges Eingreifen.«

»Aber bitte sehr, Herr von Gorny. Das kommt auch bei mir manchmal vor. Vielleicht besuchen Sie mich im Laufe der nächsten Tage in meiner Wohnung. Dann können wir ungestört das Geschäftliche besprechen.«

»Ich werde so frei sein.«

Isheim winkte ihm noch einen Gruß zu, dann bog der Wagen um die Ecke. Von Gorny aber trat in den soeben von dem Fabrikanten verlassenen Laden.

»Ich möchte einen Hut haben!« sagte er kurz. »Und zwar genau so einen, wie der Herr hatte, der vorhin aus Ihrem Geschäft kam.«

»Jawohl. Sofort!« Der junge Verkäufer entfernte sich eilig. Es verging eine geraume Weile. Endlich kehrte er in Begleitung eines älteren, bebrillten Herrn zurück.

»Es ist mir sehr peinlich«, begann dieser salbungsvoll und krümmte dienstbeflissen den Rücken, »aber wir haben leider keinen gleichen Hut mehr auf Lager. Jedoch kann ich mit ähnlichen Modellen dienen, die ganz gewiß den Beifall des Herrn ...«

»Danke!« unterbrach ihn von Gorny kühl. »Etwas anderes möchte ich nicht. Wann kann ich den gewünschten Hut geliefert bekommen?«

»Etwas anderes möchten der Herr nicht ...« meinte der Bebrillte ratlos. »Das ist aber sehr, sehr bedauerlich! Wir führen nämlich das gewünschte Modell gar nicht. Es war der Rest eines größeren Postens, der auf besondere Bestellung hergestellt wurde. Dieses Modell entspricht ja auch nicht ganz der heutigen Mode. Wenn ich vielleicht zur Auswahl ganz unverbindlich etwas anderes ...«

»Danke!« schnitt von Gorny kurz ab und wandte sich mit stummem Gruß zur Tür. Der Bebrillte blickte ihm schmerzerfüllt nach.

Von Gorny schloß die erste Tür hinter sich. Dann öffnete und schloß er geräuschvoll auch die zweite, ohne aber dabei hinauszutreten. Er hatte den Fuß leicht gegen die Innentür gestemmt, so daß ein schmaler Streifen offenblieb, und lauschte angestrengt.

»Zum Donnerwetter noch einmal!« krähte eine Stimme in hellem Diskant. »Sie Kamel! Sie Trottel! Hatte ich denn nicht deutlich genug gesagt, daß dieser eine Hut nicht verkauft werden sollte?!«

»Ich dachte ...«

»Ich bezahle Sie nicht fürs Denken! Sie haben das zu tun, was ich anordne. Es war vertraglich ausgemacht, daß kein weiterer Hut von dieser Gattung verkauft wird, und dies überschüssige Stück ... Ach, was rede ich da noch – es nützt ja doch nichts! Scheren Sie sich an die Arbeit!«

»Ich glaubte, Ihnen einen Gefallen zu tun, wenn ich dies unmoderne Stück an den Mann brachte, und habe meines Erachtens ...«

Von Gorny verließ lautlos seinen Lauscherposten. Ein Liedchen vor sich hinsummend, auf den Lippen ein fröhliches Lächeln, schritt er kräftig aus. Er schien mit sich und aller Welt zufrieden.


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