Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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XXV.

Ein dreifacher Schlag hatte Hans getroffen. Der Arzt konstatierte bei seiner Tante eine rechtsseitige Lähmung, aber so konnte sie noch jahrelang dahinsiechen. Tief erschüttert begab er sich auf den Heimweg, und im einsamen Gange durch den Tiergarten stieg die ganze Größe seines Unglücks vor ihm auf. Doch wer weiß, vielleicht rappelte sich der geniale Kaufmann wirklich wieder heraus. Sie glaubten ja alle an ihn, seine arme Frau, der alte Heller, und er war wirklich so erfinderisch in seinen Kombinationen, so energisch und umsichtig in seinen Anordnungen, und wo jeder andere verzagte, bewahrte er den Gleichmut des unerschütterlichen Optimisten. Warten wir's ab, tröstete sich Hans, und jammern wir nicht über eine Sache, die zu ändern nicht in meiner Kraft steht. Wenn der Onkel im Schmerz um seine Lebensgefährtin nur den Kopf oben behielt und seine geschäftlichen Fähigkeiten nicht einbüßte! ... Immerhin wurde Hans das Eine zur Gewißheit, so ging es nicht länger. Der Konsul paßte nicht in das solide und für seine hochfliegenden Pläne zu kleine Geschäft. Es mußten sich früher oder später und noch ehe es zu spät war, die Mittel und Wege einer freundschaftlichen Trennung finden. Und nun sein eigenes häusliches Unglück! War es wirklich so schlimm? Der Onkel hatte ein Gerücht wiedergegeben, das vielleicht nur leer und haltlos war. Lothar war leichtsinnig, aber nicht so schlecht, um seinen Vetter zu hintergehen – nein, solcher Gemeinheit war er nicht fähig. Und Wicky? Ja, wie war sie eigentlich? Er wußte es selbst nicht recht, so wenig hatten sie sich in den zwei Jahren ihrer Ehe kennen gelernt! Jetzt erinnerte er sich einiger häuslicher Scenen, verschiedener Aussprüche und Handlungen von ihr, und aus diesem Mosaik begann er ihren Charakter zusammenzusetzen. Leichtfertig? Gewiß. Frivol, ohne sittlichen Halt und eigentliches Ehrgefühl. Vor allem vergnügungssüchtig im höchsten Grad. Er hatte sie oft nicht nur auf Notlügen, sondern auch auf raffinierten Unwahrheiten und Schwindeleien ertappt. Sie hatte nichts von dem braven, schlichten Sinn ihres Vaters, und die Fehler ihrer Mutter besaß sie alle und in gesteigertem Maße. Aber hatte er denn je einen Versuch zu ihrer Besserung gemacht? Nein, und das war seine tragische Schuld, wenn es nun zur Katastrophe kommen sollte. Warum hatte er als Gatte sich nicht bemüht, das gute väterliche Erbteil zu pflegen und das schlechte mütterliche zu bekämpfen? Warum hatte er sie überhaupt nicht zu erziehen, sich anzupassen versucht? Vielleicht wäre es nicht schwer gewesen, ihr einen Halt zu geben, und ihren Charakter zu festigen.

Statt dessen hatte er sich scheu von ihr zurückgezogen, als seine ersten Annäherungsversuche fehlschlugen, und sie ganz dem Einfluß ihrer Mutter und dann ihres Vetters überlassen. War er nicht schon in die Ehe mit einer gewissen Kälte getreten, während sie vielleicht alle guten Vorsätze mitbrachte, ihm eine liebende und treue Frau zu sein und ganz in ihm aufzugehen? Gewiß auch er hatte gefehlt. Er hatte eine richtige kaufmännische Heirat geschlossen, die Konvenienz hatte sie zusammengeführt, die geschäftlichen Interessen. Und seine Ehe war auf einer Lüge aufgebaut. Er hatte eine Andere geliebt, und er liebte sie noch ... Bei diesem Geständnisse krampfte sich sein Herz zusammen. Wenn ihr Gatte sich mit Wicky vergaß, dann war Adelheid gerade so unglücklich, als er selbst, und dieser Gedanke war ihm unsäglich qualvoll. Gebe Gott, daß die Gute, Edle, des höchsten Glückes Würdige von dem Fehltritt ihres Gatten nichts erfahren möge! Sie liebte ihn ja trotz seiner Fehler, das wußte er, und wie glücklich war sie, ihm in ihrer Tochter ein neues Band geschenkt zu haben, das ihn fester an sie knüpfen sollte. Noch war sie leidend und fände gewiß nicht die Kraft, das Furchtbare zu ertragen. O wenn er nur um sie sein könnte! Wie sorgsam würde er jeden Verdacht zerstreuen, jedes böse Gerücht von ihr fernzuhalten suchen!

Der weite Gang hatte ihm die Ruhe und den Mut, auch das Schwerste zu ertragen, wiedergegeben. Nun betrat er das holperige Steinpflaster der Spree und sah schon jenseit der keuchenden Dampfkräne und Schlepper den Schlot und die fensterreiche Breitseite der Fabrik ragen. Laut hallte sein Schritt auf der Brücke wieder, dann bog er links ab und ging den Treidelweg am Ufer entlang und auf die Villa zu. Mit welchen anderen Gefühlen war er doch hier an Adelheids Seite geschritten, und auch die kleine Terasse am Ufer konnte er nicht ohne Rührung betreten. Alles war ihm durch das Andenken an sie geheiligt. In düsteres Sinnen verloren ging er auf dem Kieswege weiter, doch ein Rascheln schreckte ihn auf. Lene stand vor ihm. Seit ihrem Nervenfieber war sie hoch aufgeschossen und in seinem Hause zur lieblichen Jungfrau erblüht. Sie saß auf einer Bank, und ein Zipfel ihrer blendend weißen Schürze entfiel eben ihrer Hand. Kein Zweifel, sie hatte geweint, denn ihre Augen waren rot und die etwas voller gewordenen Wangen schimmerten feucht. Sie sprang von ihrem Sitz empor.

»Erschrick nicht, Lene,« sagte er freundlich. »Doch wie kommst Du hierher? Ist im Hause drinnen nichts zu thun? Meine Frau wird Dich schelten, oder bedarf sie Deiner nicht?«

»Nein.«

»Du weinst ja ... Hat sie Dich wieder geschlagen?«

»Fortgeschickt,« stammelte sie.

»Wie fast alle Tage,« seufzte er. »Hast Du denn etwas Unrechtes gethan? etwas zerbrochen? Aber was frage ich, Deine geschickten Fingerchen zerbrechen nie etwas. Also was war es?«

»Nichts.«

»Wieder ohne Ursache? Eine plötzliche Heftigkeit, die sie ergreift, ohne Grund und Zweck. Ich kenne das. Wir müssen Geduld mit ihr haben. Sie ist krank.« Er faßte ihr Kinn mit zwei Fingern und hob das gesenkte Köpfchen empor. Nun mußte sie ihn ansehen, aber sie vermochte es nicht, und von Glut überflammt verbarg sie ihr Gesicht. »Hast Du einen Wunsch. Lene?«

Sie nickte. »Bitte, nehmen Sie mich wieder in die Fabrik.«

»Daß die bösen Weiber vom Haspelsaal Dich wieder schlagen?«

»Ich will Röhrchen machen.«

»Der Verdienst ist klein. Deine Mutter wird zanken.«

»Mag sie! Bin ich nur wieder bei Vatern.«

»Dein Wille geschehe. Aber es thut mir leid, wenn ich Dein freundliches Gesicht in meinem Hause nicht mehr sehe.«

»Ach wie gern blieb' ich bei Ihnen! Ich kann aber nicht. Ihre Frau sagt, ich spioniere sie aus, und das ist doch nicht wahr. Darum schlägt sie nach mir, auch wenn ich mir gar nichts zu Schulden kommen ließ. Nachher freilich beschenkt sie mich, doch ich mag die schönen Sachen nicht. Lieber bleibe ich arm und brav.«

»Du hast recht, Lene,« sagte er, »wir wollen unsere Menschenwürde bewahren.«

»Ich mag ja nicht klagen,« fuhr sie weinend fort. »Aber habe ich Sie je mit einem unrechten Blicke gestreift, bin ich Ihnen etwa nachgelaufen, habe ich mich wirklich an Sie weggeworfen?«

»Das behauptet meine Frau?« rief er entrüstet, doch sie hörte ihn nicht.

»Ausgewichen bin ich Ihnen, wo ich nur konnte, als wären Sie mein Feind, und wenn Sie mich zufällig trafen, lief ich fort, als wäre es eine Sünde. Und so hielt ich es auch mit dem andern, der mir gar nichts ist, das kann ich mit gutem Gewissen beschwören.«

»Ah, mit dem Herrn Leutnant?«

»Gewiß, und als er mich vorhin küssen wollte, da hab' ich's ihm gegeben. Seine Backe war noch rot, als die Gnädige kam. Und ich sagte es ihr wieder, und sie lachte zwar vor dem Leutnant darüber, aber als er fort war, wollte sie mir die Augen auskratzen, die ihr Unglück bringen, wie sie sagt, und hetzte mich mit ihrem großen Hund aus dem Hause. Sie will mich nicht wieder sehen.«

»Nehmen wir sie beim Wort, Lene. Packe schnell Deine Sachen und geh zum Vater.«

Ihre Augen glänzten vor Freude. »O, mein Bündel ist bald beisammen, denn nicht eines ihrer Geschenke nehme ich mit. Das bringt kein Glück.« Er wollte ihr noch etwas sagen, doch schon schimmerte ihre fliegende Schürze zwischen den Bäumen dahin. So eilig hatte sie es, wieder »zu Vatern« zu kommen ...

Er folgte ihr langsam, und gerade als er an der Veranda vorbei um die Ecke der Villa kam, da stand seine Frau vor ihm, den Sonnenschirm aufgespannt, im bequemen blauseidenen Hauskleid und ohne Hut. Er erschrak über ihr schlechtes Aussehen, den gläsernen Blick ihrer Augen, die verzerrten Züge.

»Ich langweile mich im Hause drinnen,« sagte sie. »Die Leblanc foltert mich mit ihrem Geschwätz, der Papagei macht mich krank, Lothar habe ich fortgeschickt. Kommst Du mit?«

»Ja. ich habe Dir etwas zu sagen.« Mit jener Unsicherheit des bösen Gewissens warf sie einen forschenden Blick auf ihn. Dann hakte sie ihren Arm in den seinen und schmiegte sich im Gehen an ihn. »Ich habe eben mit dem armen Mädchen, der Lene Fabian, gesprochen,« begann er. »Du hast sie abscheulich behandelt.«

»Ich kann sie nicht leiden.«

»Ist sie faul, ungehorsam, unhöflich?«

»Nein, aber ich mag sie nicht. Mit ihren großen, fragenden Augen verfolgt sie mich bis in den Schlaf hinein. Sie macht mich krank. Hat sie mich etwa bei Dir verklatscht?«

»Kein Wort,« entgegnete er. »Übrigens will ich hoffen, daß sie nichts Böses von Dir zu klatschen fände. Sie wird von morgen an wieder in die Fabrik gehen.«

»Um so besser, wenn ich sie nicht mehr sehe. Ich werde sie zum Abschied beschenken.«

»Nicht nötig, sie dankt für Deine Geschenke.«

»Also auch noch stolz ist das Bettelpack?«

»Sie ist eine Arbeiterin,« sagte er streng, »unsere Arbeiterin. Um so schlimmer für uns, wenn sie betteln müßte.«

Der Ton in seiner Stimme mißfiel ihr. »Reden wir von etwas anderem.« Sie blieb stehen, und er steckte unwillkürlich die Hände in die Hosentasche. Er wußte, daß jetzt ein Angriff auf seine Börse kommen würde, doch sie hatte plötzlich einen Einfall, um ihn gut zu stimmen. Sie zeigte, auf einen dunklen Rosenbusch. »Du liebst die Blumen im Knopfloch nicht, aber ich hole Dir doch eine.« Sie eilte zum buntschimmernden Beet und brach eine voll aufgeblühte Rose vom Strauch. Doch er wehrte sie schweigend ab, und da sie dringender wurde, nahm er ihr mit sanfter Gewalt die Blume aus der Hand.

»Stecke sie Dir selber vor.«

Sie weigerte sich, und unter ihren widerstrebenden Händen entblätterte sich die Rose. »O weh!« rief sie zürnend, »das hast Du von Deiner Unfolgsamkeit. Nun soll sie keiner von uns haben.« Und indem sie die duftende Blume zerpflückte, schmollte sie: »Lothar wehrt sich nie, wenn ich ihn schmücke.«

»War er heute lange hier?« fragte er.

»Ja,« gab sie kurz entschlossen zurück, und er war sichtlich erfreut über ihre arglose Offenheit.

»Ich finde, daß mein schneidiger Kousin etwas oft kommt.«

»Du wirst uns doch nicht etwa verargen, daß er mich in meiner Einsamkeit unterhält?«

»Ich nicht, aber die Welt vielleicht.«

»Was gehen uns die Klatschschwestern an?« rief sie aus, »Lothar ist für uns kein Fremder. Nichts ist natürlicher, als daß er häufig im Hause seines Kousins verkehrt.«

»Er trifft Dich aber auch außerhalb,« entgegnete er, »und vielleicht zu oft. Man sagt, daß keine Premiere, kein Konzert, keine Zirkusvorstellung ohne Eure gemeinsame Anwesenheit stattfindet.«

»Das ist zu viel behauptet,« rief sie mit Entrüstung. »Aber gesetzt der Fall, es wäre wirklich so, würdest Du es mir verdenken, daß ich nicht mehr ohne Begleitung gehen mag, denn Du! ...« Und wieder das kindliche Schmollen von vorhin. »Hans, Hans!« rief sie mit einem plötzlichen Einfall und brach in ein lautes Gelächter aus. »Sieh mich an und bleibe ernst und gestehe mir: Du bist eifersüchtig!«

»Nein.«

»Wirklich nicht?

»Nein.«

»Man könnte es fast glauben. Doch dieser Geschmacklosigkeit halte ich Dich nicht für fähig. Eifersüchtig, wenn man sich so besitzt wie wir, fürs Leben, fürs ganze lange Leben! Und Kousin und Kousine! Das siehst Du doch ein: in solchen Dingen heißt es: Honny soit qui mal y pense. Nimmt die böse Welt Anstoß daran, so mag sie's thun. Das stört große Geister nicht.« Und dabei warf sie auch den Stil und die grünen Blätter der Rose fort.

»Es stört aber doch manche, die größere Geister sind als Du und Lothar und meinetwegen ich. Zum Beispiel den Onkel.«

»Wirklich?« sagte sie und etwas vom immerwährenden Erstaunen ihres Vaters zitterte in dem Ausruf. »Den Generalkonsul geniert es auch? O ich werde ihn herumkriegen!«

»Das bezweifle ich,« entgegnete er ruhig. »Er ist nicht wenig aufgebracht darüber, daß sein Sohn zu solchen Klatschreden Ursache gibt. Er meint, das werfe einen Schatten auf den Ehemann und die Firma. Ja, unser Kredit könne darunter leiden.«

»Was hat der Geschäftskredit mit unserem Privatleben zu thun?« fragte sie mit stockendem Atem.

»Sehr viel. Lothar ist ein Verschwender und braucht mehr, als sein Vater bezahlen kann. Wenn Du Dich aber auch noch zu Extravaganzen verleiten läßt und in seinen regellosen Kreisen verkehrst, so wird man stutzig und entzieht uns das Vertrauen, dessen jeder Kaufmann bedarf.«

»Das alte Lied: ich bin eine Verschwenderin.«

»Thatsache ist, daß Du schrecklich viel brauchst.«

»Nicht über meinen Stand,« gab sie heftig zurück. »Ich lebe übrigens gar nicht von der Firma, das fehlte noch, sondern von Mitgift und Nadelgeld, von meiner Million. Und Papa gibt uns noch eine Zulage, die mir meinen Luxus vollauf gestattet.«

»Er liebt sein einziges Kind so abgöttisch,« bemerkte Hans, »daß ihm seine Nachgiebigkeit und Schwäche zu verzeihen ist. Seine Großmut drückt mich schon genug ...«

»Aber Du läßt sie Dir gerne gefallen, denn sie gibt Dir die Möglichkeit, über das, was Du Dein Budget nennst, anderweitig zu verfügen. Man weiß ja wie. Nur für Deine Arbeiter sorgst Du noch, die Dir wenig Dank wissen ...«

»Auf der Welt soll man niemals auf Dank rechnen. Ich will bloß ihr Glück, denn sie haben ein Anrecht darauf, es sind Menschen wie wir, und sie arbeiten und leben für uns. Ich muß für ihr leibliches und geistiges Wohl sorgen, sonst liegt auf ihrer Arbeit kein Segen, und sie gehen zu Grunde mit uns.« Er verstummte und der flammende Glanz in seinem Auge erlosch. Sie sah, daß sie an sein Bestes und Heiligstes gerührt und brach schnell ab.

»Magst Du sehen, wie weit Du damit kommst. Ich störe Deine Kreise nicht und lasse Dich grübeln, arbeiten, Wohlthaten üben auf Deine Weise. Aber ich erwarte, daß Du auch mich gewähren läßt.«

»Nein, das kann ich nicht,« sagte er fest. »Vergleiche Deine tollen Launen nicht mit meinem ernsten Streben, das nur Gutes stiftet. Deine unbesonnene, verschwenderische Aufführung schadet Dir und uns Allen. Sie untergräbt Deine Gesundheit, Deinen Ruf, unseren Kredit, unsere Ehre. Dieses Leben zerrüttet Dich. Dein Arzt schüttelt den Kopf. Du bist schwer krank, komm doch endlich zur Besinnung.« Er hatte ihre Hände erfaßt und strahlte sie mit seinen treuen, tiefen Augen an. »Wicky,« fuhr er fort, »ich weiß ja, daß Du mich nicht liebst, aber liebe doch Dich selbst und schone Dich.«

»Liebst Du mich etwa?« fragte sie vorwurfsvoll. »Nein, aber Du hast mich geheiratet. In unseren Kreisen genügt das zur guten Ehe. Gegenseitige Duldung und Kinder, die einst unsere Erben sind und das Geschäft übernehmen können. Ja, damit ist es nun freilich nichts, und das ist Dein stiller Gram und Vorwurf. Aber ich lache Dich aus, Du Egoist.«

»Wicky,« sagte er ernst, »ich will nichts weiter von Dir, als daß Du eine brave Frau bleibst. Also gib Dein verderbliches Leben auf. Dein Verkehr mit Lothar hat aufzuhören, denn er ist schon zum öffentlichen Skandal geworden. Ich sage nicht, daß Du eine schuldige Frau bist, wie alle Welt wohl behauptet, aber eine leichtsinnige Frau. Auch der Onkel wird seinem Sohne den ärgerlichen Umgang mit Dir verbieten, und er wird gehorchen, denn er ist von seinem Vater abhängig ...«

»Wie ich von Dir, willst Du sagen?« unterbrach sie ihn höhnisch. »Wir wollen es gewärtigen, ob er sich wie ein Schulknabe behandeln läßt. Ich glaube nicht. Sicher ist, daß ich wenigstens mir nichts befehlen lasse, weder von Dir noch von Deinem Onkel.«

Damit drehte sie ihm den Rücken und wollte ins Haus eilen, doch er hielt sie zurück. Sie standen jetzt auf einem erhöhten Punkte des Parkes, einem kleinen künstlichen Hügel, auf dem ein Gartenhaus gebaut war, dessen Laub im goldigen Abendscheine zitterte. Von hier aus erblickte man die ganze stattliche Front der Spinnerei.

»Wicky,« sagte er und zeigte auf den stolzen Bau, »siehst Du, dort drüben arbeiten tausend Menschen an unserem Glück, unserem Reichtum, unserer Ehre. Auch ich lasse es mir sauer werden und bin stets mit am Werk, und noch in der Nacht arbeitet mein Geist weiter. Ich kenne Besseres und Höheres, aber ich habe mich in mein Los gefunden und freue mich jetzt, daß auch dieses Leben einen schönen Zweck hat. Es gilt den Namen meines Vaters, die Firma, und ich arbeite ja auch für Dich, mein Weib. Daß Du so fremd und gleichgültig neben mir stehst, ich ertrage es gern, denn Du bist nicht erzogen und gestimmt für ein stilles, häusliches Glück. Ich weiß, daß ich Dich darin nicht ändern kann, aber wenigstens das eine verlange ich von Dir, sei stets Deiner und meiner Ehre eingedenk, der Ehre unseres Hauses.«

Ein böses Zucken ging über ihr Gesicht, als wollte sie irgend einen Schmerz niederzwingen, und dann lachte sie krampfhaft auf.

»Man könnte glauben, daß Du zu einer Verworfenen sprächst,« sagte sie und kreuzte trotzig die Arme über der Brust. »O ich weiß sehr gut, was ich mir schuldig bin. Ich werde mich nie vergessen, aber vergessen will ich auch nicht, daß ich jung bin, und Dir und der Firma zu liebe mein Leben nicht vertrauern kann. Ja, ich will leben, und hier neben diesem großen, traurigen Arbeithause kann ich es nicht. Mich stört der Lärm von drüben, ich muß ihm entfliehen um jeden Preis. Ich hasse dieses Geschäft, diese Arbeiter, diese Firma, diesen Kredit, all die großen Begriffe, die Dir Ehrfurcht einflößen. Auch mein Vater hat diesem Götzen alles geopfert, seine Ruhe, sein Leben, das Glück seiner Frau. Soll ich wie meine Mutter im Schatten einer Fabrik verkümmern, um erst im Alter mit weißem Haar etwas Lebenslust nachzuholen? Nein, nein, wenn Dir in diesem Schatten wohl wird, der Dein Leben durchfröstelt und sich eisig auf Deine Seele legt, dann lass' ich Dich allein. Ich kann Dir nicht folgen. Ich brauche Sonnenschein, Leben, Glück!«

Sie hatte in schrecklicher Erregung gesprochen, mit blitzenden Augen und fliegendem Atem, und um so stärker war jetzt der Rückschlag. Ein Zittern ging über ihren ganzen Körper und schüttelte sie. Hans fing die Wankende in seinen Armen auf. Da flammte es plötzlich in den Abenddämmer hinein. Die hundert Fenster der Spinnerei erglühten mit einem Mal im elektrischen Licht. Jetzt hatte das ernste Gebäude nichts Ödes, Trauriges mehr. Es glich einem zauberhaften Palast, von goldenem Schein durchleuchtet, wie von Mondenglanz, und selbst das ferne Brausen der Maschinen klang wie Musik.

»Wicky, da sieh das Haus des Elends und der Arbeit!« flüsterte er ihr mit freudigem Stolz ins Ohr. Doch sie hörte ihn nicht und lallte nur unverständliche Laute, und als der Anfall vorüber war, stieß sie ihn fort und eilte ins Haus. Er aber stand noch lange gedankenvoll im Dämmer. Ach, wie beneidete er nun den letzten Arbeiter da drüben! Was halfen ihm sein größerer Besitz, seine höhere Bildung, sein geistiges Schaffen, wenn er dadurch die Schmerzen des Gemütes nur um so tiefer empfand?


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