Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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VI.

Hans hatte sich unter das Joch gebeugt. Um ihm den Verzicht auf seine Muse zu erleichtern, schlug ihm der Oheim eine Geschäftsreise nach England vor, wo er die neuen Maschinen bestellen und sich in den dortigen Spinnereien umsehen sollte. Umso lieber erklärte er sich bereit, als er auf solche Weise der demnächstigen Hochzeitfeier von Lothar und Adelheid fernbleiben konnte. In der letzten Stunde erhielt er in dem alten Heller, in dessen Haus er ein- oder zweimal verkehrt hatte, einen Reisegefährten. Der Kommerzienrat schwärmte für England, das er von Burtscheid aus alljährlich besucht hatte. In den fabrikenreichen Städten fühlte er sich wohl, die mit Steinkohlendunst geschwängerte Luft atmete er gierig ein, das geschäftige Leben imponierte und gefiel ihm, wie ihm denn auch die Engländer als praktische Idealmenschen galten. Auf dieser Reise lernten sich Heller und Hans achten und lieben. Der einfache, ehrliche und doch nach Höherem strebende Sinn des jungen Mannes berührte den Alten angenehm, und bald schloß er ihn gleich einem Sohn in sein Herz. An Heller aber liebte Hans die rheinländische Heiterkeit und Tüchtigkeit, die frische Naivetät und rührende Anspruchlosigkeit. Wie immer, wenn er ohne seine Frau reiste, fuhr er dritter Klasse, wobei er mit seinen Nachbarn, meist einfachen Männern aus dem Volke, bald ein Gespräch begann, um sie über ihre Meinungen und Verhältnisse auszufragen und ihnen mit gutem Rat an die Hand zu gehen. In Paris und London kehrte er in seinen altgewohnten Absteigequartieren ein, kleinen billigen Hotels zweiten Ranges, in denen es ihnen Wohl wurde. Die Bahnhofrestaurationen mit ihren theuren und hastigen Massenabfütterungen mied er wie die Pest und hielt sich lieber an seinen Mundvorrat, den er gerne mit seinem Reisegefährten teilte.

»Ein Glück, daß es meine Frau nicht sieht,« Pflegte er dann zu sagen. »Sie liebt die großen Wirtstafeln, die reisenden Engländer und befrackten Kellner, die ich verabscheue. Nun, jeder nach seinem Geschmack.«

Hans hatte sich mit Leib und Seele seinem kaufmännischen Berufe wieder hingegeben. Die Künstlerlocken waren der Scheere zum Opfer gefallen, seine Kompositionen ins Feuer gewandert, seine Geige hatte er Fabian geschenkt, der sie wie ein Heiligtum bewahrte, und summte ihm einmal eine Melodie durch den Kopf, so verbannte er sie mit einer Art fanatischen Eifers. Den geschäftlichen Gesprächen seines Reisegefährten lieh er stets ein aufmerksames Ohr, und Heller war oft über seine scharfsinnigen Bemerkungen und praktischen Einfälle erstaunt. Nur Eins gefiel ihm nicht, daß Hans gar keinen Geschmack an politischer Kannegießerei fand und in den Zeitungen nur die Depeschen und Handelsberichte las. Heller aber war ein großer Politikus. Er rühmte sich, in seinem Leben noch nie ein Buch zu Ende gelesen zu haben. Seit Jahrzehnten nahm er überhaupt keines mehr in die Hand. Wozu auch? Die Zeitungen enthielten ja alles Wissenswerte, versicherte er. Nebenbei war er ein roter Demokrat. Das Königtum hielt er für allzu kostspielig, die Hofschranzen haßte er. Alles für das Volk und durch das Volk, war seine Losung. Freilich hatte auch sein Freisinn Grenzen. Er forderte eine Autorität, achtete das Gesetz, das Pflichtgefühl ersetzte ihm die Religion, weshalb er auch nie zur Kirche ging und die Pfaffen, zumal die katholischen, nicht leiden mochte. Seinen Arbeitern war er ein guter Vater gewesen, zutraulich und freundlich, stets für ihr Wohl besorgt, aber unerbittlich streng, wo er auf Faulheit, bösen Willen und Liederlichkeit stieß. Er gab seinem Gefährten manche gute Lehren, wie sie zu behandeln seien. In Paris hielten sich die Reisenden nur zwei Tage auf. Heller liebte die vergnügungssüchtige, prunkvolle Stadt nicht, so sehr er auch die Franzosen, die er als Kaufleute kleinlich und ohne Wagemut fand, als das politisch interessante Volk aller Revolutionen bewunderte. Erst jenseit des Kanals nach windstiller Überfahrt fühlte er sich wieder wie zu Hause. Er vergaß, daß der Gefährte London genau kannte, und führte ihn eifrig mitten in das Gewühl der Citystraßen, wo sie sich stoßen und den Atem versetzen ließen, und wie vergnügt lachte er dann, wenn Hans zwischen all den Menschen, Omnibussen, Cabs und Rollwagen sich kaum mehr zu retten wußte! In Liverpool führte er ihn an den Hafen, zeigte ihm die Docks und die endlosen Lagerhäuser für die Baumwolle, und in Manchester, Leeds und Rochdale geleitete er ihn in die großen Spinnereien, Webereien und Maschinenwerkstätten, in deren geschäftigem Treiben er noch einmal jung zu werden schien. Er kannte sie alle, die riesigen Fabriken mit ihren himmelragenden Schloten und schnaubenden Maschinen, aber immer wieder brach er vor ihnen in das Erstaunen eines Menschen aus, der solche Wunder zum erstenmale sieht.

»Wirklich! Unglaublich!« rief er einmal übers andere. »Ja, das ist die Arbeit, die heilige Arbeit! Hier gefällt es mir doch tausendmal besser als in der Schwindelbude Ihres Onkels, die er Börse nennt.«

Den unangenehmen Eindruck, den damals die Berliner Börse auf ihn gemacht, hatte er noch nicht überwunden. Aber der lebhafte Anteil an dem ebenfalls unablässig, wenn auch nicht mit den Händen arbeitenden Generalkonsul hielt noch lange vor und war stark genug, ihn enger mit ihm zu verbinden. Obgleich er es abgelehnt hatte, auch nur den kleinsten Teil seines Vermögens auf der Börse zu wagen, so war es doch nicht schwer gewesen, ihn für des Bruders verkrachte Spinnerei so zu interessieren, daß er diese Reise auf seine eigenen Kosten unternommen hatte, um mit Hans die neuen Maschinen zu bestellen. Ja, als er diesen mit jedem Tage lieber gewann, da befreundete er sich immer mehr mit dem Gedanken, für den Fall, daß die Verwaltungsräte der Niederdeutschen Bank doch noch knickrig werden sollten, auch mit einem Kapital einzuspringen. So prüfte und wählte er denn die neuen Selfaktors und Laminoirs mit einem Eifer, als wären sie für sein eigenes Geschäft bestimmt.

»Mein lieber Sohn!« so nannte er Hans jetzt gewohnheitmäßig und ohne sich dabei etwas besonderes zu denken, und erst als er wieder zu Hause war und seine heiratfähige Tochter sah, da entstand unwillkürlich der Gedanke: für die wäre eigentlich Hans Lenz der passende Mann, und dann wäre »mein lieber Sohn« wirklich mein Sohn! Doch seine hochtrabende Frau, so freundlich sie auch den Reisegenossen ihres Gatten in ihrem Haus empfing, hatte sich einen vornehmeren Eidam geträumt. Ja, wenn er von Lenz hieße, wie sein Vetter! Hatte sie darum jahrzehntelang danach gestrebt, ihrem Gatten den Kommerzienratstitel zu verschaffen, damit ihre einzige Tochter eine simple »Frau Lenz« werden sollte? Und sie wies den Gedanken mit Entrüstung von sich. Weniger entschlossen schien Wicky selbst, denn Hans war ihr ganz angenehm, obgleich sie ihm den ihr von Adelheid entführten Gardeleutnant ebenfalls vorgezogen hätte. Auch sie träumte von einer glänzenderen Heirat, aber schließlich hätte sie sich dem väterlichen Wunsche gerne gefügt. Reich war sie ja von Hause, und ihre Mama war doch auch nicht mehr als eine Fabrikbesitzersgattin. Die Hauptsache ist, eine Stellung in der Gesellschaft, Luxus und Wohlleben zu haben, dachte sie, und das fand sie alles auch als Frau Lenz. War also von dieser Seite kein starker Widerstand zu besiegen, so blieb immer noch der harte Sinn von Frau Viktoria zu brechen, und Heller beschloß, bald nach seiner Heimkehr einen wahren Staatsstreich zu machen.

Eines Mittags überraschte er seine Frau beim Dessert mit der Nachricht, daß er die Spinnerei Johannes Lenz & Komp. käuflich erworben habe. Frau Viktoria ließ vor Schrecken beinah die Tasse fallen. Ob er denn von Sinnen sei? Ob er nicht schon sein ehrlich Teil Lebensarbeit geleistet? Ob er ein großes blühendes Geschäft aufgegeben, um in seinen alten Tagen noch die Lasten dieser bankrotten Fabrik auf sich zu laden? Er aber lächelte schlau vor sich hin und ließ den altbewährten Strom ihrer Beredsamkeit ruhig über sich ergehen, und erst als die Wasser sich zu verlaufen schienen, küßte er die Widerstrebende auf die noch durch die Puderschicht glühenden Wangen.

»Beruhige Dich, Mutter,« sagte er dann. »Es ist ja gar nicht für mich. Ich habe die Spinnerei für meinen lieben Sohn gekauft.«

»Grundgütiger Gott,« jammerte sie händeringend. »Du redest irr, Heller. Unser armer lieber Alex ist schon lange Staub und Asche.«

»Ich habe aber einen anderen Sohn.«

Sie sah ihn noch angstvoller an. »Heller, um Himmelswillen! Welche Geständnisse!«

»Ja, ich habe einen anderen Sohn, den wir lieben werden, wie unseren ersten und einzigen: einen Schwiegersohn.«

»Ah, Du kommst wieder auf Deine Idee mit dem jungen Lenz zurück? O hätte ich Dich nur nicht mit ihm reisen lassen! Er hat Dich umgarnt und verzaubert.«

»Er ist ein braver junger Mann,« gab Heller zurück, »und er hat keine Ahnung von meinem Kauf und meinen sonstigen Absichten. Nicht einmal sein Onkel weiß, daß und warum ich mich für die Spinnerei so sehr interessiere.«

»Ein junger Mensch ohne Namen und Titel! Der Sohn eines bankrotten Spinners!« jammerte Frau Viktoria von neuem und schlug wieder die Hände zusammen.

»O, wir werden den jungen Mann poussieren! Die Ehre seines Namens wird gerettet, die Firma Johannes Lenz & Komp. besteht, verjüngt und gekräftigt, und daß sie blühen wird, dafür laß mich sorgen. Es ist eine alt eingesessene, geachtete Berliner Familie. Und einen Titel für Deine Tochter – wenn der Firlefanz denn doch nötig ist – verschafft ihm der einflußreiche Onkel Direktor und Generalkonsul.«

Zwar fuhr die Frau in ihren Klagen und Vorwürfen fort, aber sie klangen doch um eine Tonart sanfter. Zumal die Aussicht auf den einflußreichen, bei Hof eingeführten, adeligen Onkel übte eine beruhigende Wirkung aus. Er war in ihren Augen ein interessanter, bedeutender, dämonischer Mann, namentlich wenn sie ihn mit ihrem spießbürgerlichen Gatten verglich. Um ihr die Verwandtschaft noch verlockender erscheinen zu lassen, ließ Heller die Möglichkeit durchschimmern, daß der stolze Konsul vielleicht gar nicht einwilligen würde, denn er wolle mit dem Neffen gewiß ebenso hoch hinaus, wie mit dem Sohne. Eine hochadelige Heirat oder eine Dame aus der hohen Finanz, man könne nicht wissen ... Dadurch brachte er die sich rasch Entflammende glücklich so weit, daß sie zuletzt den Seufzer ausstieß: »Ach, wenn der Konsul nur nicht dagegen ist!« ...

Der alte Herr hatte alle Ursache, mit diesem schönen Erfolge zufrieden zu sein, aber da er das Eisen gern heiß schmiedete, so begab er sich gleich zur Niederdeutschen Bank, um mit dem Direktor über sein kühnes Vorhaben zu sprechen. Leider wurde er nicht vorgelassen, denn der Verwaltungsrat tagte gerade, und während Heller im Vorzimmer mit anderen Besuchern wartete, fand in der That die sehr kurze Sitzung statt, die ohne Zweifel des Alten höchste Verwunderung hervorgerufen hatte.

Sie saßen an einem langen grünen Tische, die würdigen alten Herren mit Glatzen und Brillen, freundliche, bequeme Greise, zum Teil ihre Orden im Knopfloch, Kommerzienräte, Älteste der Berliner Kaufmannschaft, alles selbstzufriedene, reiche, saturierte Finanzmänner, ohne Gefühl für die Verantwortlichkeit ihres Ehrenamtes und nur von dem Bestreben beseelt, die Sitzung bald aufzuheben und nach Hause zu gehen. Ein jüngst erwähltes Mitglied, der Freiherr von Berkow, Rittergutsbesitzer und Major a. D., war zum erstenmale anwesend, und obgleich oder weil er nicht das Mindeste von der Sache verstand, folgte er den Verhandlungen nur umso aufmerksamer. Es war ein ernster alter Haudegen, ziemlich kahl, aber schlank und geschmeidig in seiner äußeren Erscheinung; das Gesicht lebhaft gerötet. Seine Tochter Adelheid hatte nur den hohen Wuchs von ihm.

Der Bankpräsident, ein apoplektischer dicker Börsianer, leitet die Verhandlungen, so gut es ging. Man nahm das nicht so genau. Der treue Schwarzbach schleppte die großen Geschäftsbücher hin und her. Konti wurden aufgeschlagen, Posten zusammengezählt, Alles nur zum Schein und ohne Ernst, und daneben wurde geplaudert und gelacht. Stille wurde es erst, als der Direktor von Lenz sich von seinem Platz erhob, den Rechenschaftsbericht verlas und einige Bemerkungen daran knüpfte, während eine große rote Juchtenledermappe von Hand zu Hand ging. Einer gab sie dem anderen, und die Köpfe neigten sich und flüsterten ...

»Was ist das?« – »Das Portefeuille des Herrn Generalkonsul.« – »Aha, das Portefeuille!« ... Und von den lauernden Blicken des Redners verfolgt, machte die Mappe ihre Runde um den Tisch. Keiner wagte es, sie zu öffnen oder auch nur längere Zeit in Händen zu behalten. Nur der Baron, der mit den Gebräuchen des Hauses unbekannt, hatte in seiner Lernbegier gute Lust, einen Blick hineinzuwerfen. Lenz stockte in seinen Ausführungen und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Eine nette Acquisition, der neue Verwaltungsrat! dachte er, und doch hatte er gerade in ihm einen bequemen Jasager, ein willenloses Werkzeug, schon aus verwandtschaftlichen Gründen, erwartet. Aber noch immer wog der Baron das Portefeuille unschlüssig in der Rechten.

»Verdammt leicht!« murmelte er in seinen weißen Schnurrbart und warf einen Blick um sich. Er sah nichts als über seine Kühnheit und Neugier entrüstete Gesichter. Will der Neuling gewissenhafter, mißtrauischer, klüger sein, als wir? schienen sie zu fragen. Und schleunig zog er die Hand, die schon das Schloß aufdrücken wollte, zurück und gab das Portefeuille, das ihm jetzt in den Fingern brannte, seinem Nachbarn zur Linken.

»Wie? – was?« – »Ah, das Portefeuille!« – »Das Portefeuille des Herrn Generalkonsul!« Einige Minuten später war alles genehmigt, was die Direktion gethan hatte und thun wollte, das Budget ohne Debatte angenommen, und der Vorsitzende hob mit mühsam unterdrücktem Gähnen die Sitzung auf. Ein Rücken von Stühlen. Händedrucke, Kratzfüße ...

»Die Generalversammlung wird nicht so glatt abgehen.« äußerte der Konsul mit besorgter Miene zu dem jüngsten Verwaltungsrate. »Störrige, nie zufriedene Elemente wühlen und hetzen. Da ist ein gewisser Moritz, der bekannte Baissier – der Mensch hat mir sogar neulich auf der Börse eine Szene gemacht ... Er will heller sein, als die anderen ... und dabei ist er dumm ... dumm wie ... dumm wie ein Aktionär.«

Der Witz des Generalkonsuls wurde sehr belacht, und unter diesem freundlichen Eindrucke ging die Versammlung auseinander. Mit langsamen Schritten, hustend, sich räuspernd, verschwanden die Herren durch die Thür, an der sie sich noch lange komplimentierten.

»Herr Kommerzienrat Heller ist auch im Vorzimmer,« meldete Schwarzbach, indem er die letzten Handlungsbücher forttrug.

»Führen Sie ihn hierher. Ich mag sonst niemand sehen, denn ich bin abgespannt. Sagen Sie den anderen Herren, ich sei verhindert, sie zu empfangen.«

Er übergab das Portefeuille dem Buckligen, und ihre Blicke trafen sich, wie die zweier Auguren. Ja, sie wußten beide, daß die Mappe leer und alles nur Komödie war, aber die Welt will und muß ja betrogen sein!

Er warf sich auf das rote Plüschsopha und schloß einige Minuten die Augen, bis ein leichtes Scharren unter der Thür ihn aufschnellen machte.

»Entschuldigen Sie, daß ich Sie warten ließ,« sagte er zum eintretenden Heller. »Aber was fällt mir da ein? Sie suchen eine Thätigkeit? Nun, ich weiß eine für Sie. Ich werde Sie zum Verwaltungsrat der Niederdeutschen Bank wählen lassen.«

»Nein,« rief der Alte lachend, »ich danke für die große Ehre. Davon versteh' ich nichts. Aber ich weiß eine mir liebere Thätigkeit. Ich kaufe die Spinnerei Ihres Bruders.«

»Das ist allerdings eine Neuigkeit, die den Verwaltungsrat vorhin in eine angenehme Aufregung versetzt hätte,« bemerkte der Konsul mit gut gespielter Ruhe, und im Sofa wieder zurückgelehnt und die angezündete Zigarre feinschmeckerisch unter der Nase, sprach er seine Verwunderung darüber aus, daß Heller als gemachter Mann und ohne mehr ein Jüngling zu sein, die Lasten eines so schwierigen Unternehmens wie die Charlottenburger Fabrik auf sich laden wolle.

»Das ist für mich das einzig mögliche Leben,« war die Antwort. »Die Geschäfte verjüngen mich und erhalten mich gesund. Glauben Sie mir, dieser Berliner Müßiggang hatte mich noch ins Grab gebracht. Vom Sofa zum Ofen und wieder zurück, das halte ich auf die Dauer nicht aus. Übrigens weiß ich, was ich meinen Jahren schuldig bin. Ich gedenke nicht die Leitung zu übernehmen, sondern bloß einen Teil der Oberaufsicht. Ich will das Ganze in Gang sehen, und dann mag Ihr Neffe weiter spinnen, als arbeitete er noch für sich und seinen Vater. Ich stehe im Hintergrunde und sehe ihm zu; freue mich, wenn es geht, und springe ihm bei, wenn es nötig ist.«

»Hans mag sich gratulieren!« rief Lenz lächelnd. »Ich dachte mir, Sie hätten Ihre eigenen Leute, Ihre Protektionskinder. Der Junge weiß wirklich nicht, wie er zu seinem Glücke kommt, aber er ist kein Undankbarer.«

»Nein,« bekräftigte Heller, »ich habe ihn auf unserer Reise lieb gewonnen, lieb wie einen Sohn. Hätte er nicht einen so fürsorglichen Oheim, weiß Gott, ich adoptierte ihn!«

Er schwieg einen Augenblick vor innerer Bewegung, indessen Lenz, über seine Zigarre gebeugt, ihn von der Seite beobachtete. Auch er blieb stumm, denn er wollte ihm Zeit lassen, sich für den Kernpunkt zu sammeln. Schon von weitem hatte er ja bemerkt, wie der Alte auf sein Ziel lossteuerte. Jetzt legte dieser plötzlich mit einem raschen Entschlusse seine nur halb niedergebrannte Zigarre auf den Aschbecher und sagte fest: »Herr Generalkonsul, wozu bedarf es der Umschweife unter Geschäftsfreunden ...«

»Sagen Sie unter Freunden!«

Heller drückte gerührt die hingehaltene weiße, wenn auch große Hand und machte für sich die Bemerkung, daß sie ihn dabei kratzte. Kein Wunder, bei diesen langen, wohlgepflegten Nägeln! Er achtete aber nicht weiter darauf und fuhr fort: »Ihre Freundschaft ehrt und beglückt mich, und sie gibt mir den Mut, Ihnen meinen geheimsten Gedanken zu enthüllen. Sehen Sie, ich hatte einen Sohn, meinen lieben Alexander. Mein Herz hing an dem Jungen. Er sollte mein Erbe, mein Nachfolger im Geschäfte werden. Er ist gestorben, und der liebe Gott hat mir keinen Knaben mehr geschenkt. Ich gestehe, als mir später meine Wicky geboren wurde, war ich im ersten Augenblicke nicht sehr erfreut, denn ich erwartete einen Knaben, aber ich dankte dem Himmel dennoch und dachte: Versagt er mir einen Jungen, so hab' ich doch ein Mädel, und durch sie gewinne ich einen Sohn. Wie ein Junge ausfällt, ob gut oder schlecht, weiß man nicht, und auch den ungeratenen muß man hinnehmen. Einen Schwiegersohn aber kann ich mir auswählen nach meinem Geschmack, so gut ich ihn nur wünsche, und seine Kinder sind auch doppelt meine Kinder.«

Er stockte und wischte sich die kleinen, grauen Augen mit dem Zipfel seines großen seidenen Foulards.

»Herr Generalkonsul,« fuhr er fort, »nun glaube ich einen passenden Schwiegersohn gefunden zu haben. Ihren Neffen Hans, den ich schon jetzt meinen lieben Sohn zu nennen pflege. Er ist brav, fleißig, intelligent. Die Sorge für eine eigene Familie wird ihn zu einem ganzen Geschäftsmann machen. Heiratet er meine Viktoria, so bringt sie ihm als Mitgift eine Million zu und das neuerstandene Haus Johannes Lenz & Komp. Nun, was ist Ihre Meinung?«

Ein freudiger Schein flog über das Gesicht des Direktors, aber er legte es schnell in diplomatische Falten und sagte bedächtig: »Glauben Sie mir, daß ich die Ehre, mit Ihnen, Herr Kommerzienrat, auch verwandtschaftlich verbunden zu sein, wohl zu würdigen weiß. Für meinen Hans ist es gleichfalls ein wahres Glück. Ich gestehe freilich, daß mir Ihr ... Antrag, wenn ich so sagen darf, recht unerwartet kommt, so daß ich noch ganz betroffen und benommen bin. Nun, ehrlich und aufrichtig, er stört meine anderweitigen Kombinationen, denn ich hatte mit meinem Neffen meine Pläne, wie das ein guter Onkel immer haben soll. Indessen, die Sache läßt sich hören, und ich werde der letzte sein, Ihre Pläne und die der Vorsehung zu durchkreuzen.«

Heller hatte mehr Herzlichkeit erwartet, und war froh, als der Bankier nach einer kurzen Pause fortfuhr. »Es wäre nicht das erstemal, daß meine Absichten mit dem Jungen vom Schicksal geändert würden. Er hatte nämlich eine heimliche Liebe. So wenig Wert ich auf dergleichen lege, so war ich schon bereit, das Pärchen glücklich zu machen, als mir mein Sohn wie ein echter Brausewind das Konzept verrückte. Er liebte dieselbe junge Dame und schwor mir, daß er eher sich töten, als verzichten würde. Was blieb mir anderes übrig, als den Sohn zu retten und den Neffen zu opfern? So wurde Lothar der Gatte von Adelheid von Berkow.«

»Ah,« unterbrach ihn Heller fröhlich, »darum also war der Bursche auf der englischen Reise so still und ernst! Er laborierte an einer unglücklichen Liebe!«

»Die er jetzt völlig überwunden,« versicherte Lenz. »Er hat sich kopfüber in sein Geschäft gestürzt, und eine stramme kaufmännische Thätigkeit ist von jeher der beste Balsam für solche Leiden gewesen. O der Junge hat Charakter! Sogar die Musik hat er auf einen Wink von mir an den Nagel gehängt.«

»Was ich auch mit Vergnügen bemerkte,« bekräftigte Heller. »Den Geschäftsmann zerstreuen solche Allotria. Ein Kaufmann soll kein anderes Steckenpferd haben, als sein Geschäft, Du lieber Gott, das macht uns schon genug zu schaffen, ist aber dankbar und lohnend ...«

»Wenn es uns auch zuweilen abwirft,« scherzte der Konsul, und der andere stimmte von Herzen in sein Gelächter ein. Dann erhob sich der Bankgewaltige, und gab damit das Zeichen, daß die Audienz zu Ende war. Heller, immer bescheiden und rücksichtvoll, erhob sich und griff nach seinem Hute.

»So weit sind wir also einverstanden, Herr Kommerzienrat. Der Junge mag nun selbst sehen, ob und wie er sein Glück begreift. Ich denke, wir lassen den Dingen ihren Lauf. Aber zünden Sie sich noch eine Zigarre für den Heimweg an.«

Heller lehnte dankend den abermaligen Eingriff in das Kistchen ab. Er hatte ja noch seinen Stummel da liegen. Und ob Lenz ihn auch versicherte, daß der wieder angebrannte Rest abscheulich schmecke, so drang er doch nicht damit durch. Wie eine Lokomotive paffend, empfahl sich der Alte mit den höflichsten Grüßen, und noch auf der Straße machte er sich ernste Vorwürfe, den vielbeschäftigten Mann zu lange aufgehalten zu haben.


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