Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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X.

War Adelheid von Lenz glücklich? Sie hatte es Hans versichert, und in der That schien sie zufrieden und munter. Sie begleitete ihren Gemahl auf die Wettrennen, in den Zirkus, ins Theater. Immer war sie in seiner Gesellschaft zu sehen, an seiner Seite hoch zu Rosse wie im Viererzug. Und dabei zeigte sie unabänderlich jenes stille, verklärte Gesicht, das nicht allein von Herzensgute, sondern auch von Glück und Zufriedenheit sprach. Nur Hans schüttelte den Kopf, wenn er sie so heiter sah. Diese Fröhlichkeit gefiel ihm nicht. Sie war krampfhaft, gemacht, gegen ihre Natur. Gerade so heiter war sie einst im Schloßpark ihm zur Seite dahingegangen, als ihr das Herz geblutet ...

Liebte sie ihren Gatten? Jedenfalls gab sie sich redlich Mühe. Sie schmiegte sich seinem Geschmack, seinen Launen, seinen Lebensansichten elastisch an, so schwer es ihr auch wurde, denn ihr unerbittlicher Scharfblick hatte sogleich seine Nichtigkeit durchschaut. Seine und die seiner Umgebung. Du lieber Gott, welch' eine Umgebung! Gewiß, ihr Vater war auch Offizier gewesen, aber er hatte doch geistige Interessen, Weltklugheit, Lebenserfahrung, Diese da aber wußten nur von ihren Pferden, Hunden und Mätressen, vom Dienst und höchstens vom Theater zu reden. Doch da war sie nun einmal und mußte in dieser Öde weiter leben und sich darin behaglich fühlen. Am Ende hatte auch diese blühende Männerjugend ihre guten Seiten und war ritterlich und tapfer. Aber sie mußte sich diese Vorzüge unablässig wiederholen, wenn die Gesellschaft sie nicht bis zum Ekel anwidern sollte. Und so erging es ihr auch mit der ehelichen Gemeinschaft.

Lothar war ja gutmütig, heiter, liebenswürdig Nur seinen Zerstreuungen durfte man nichts in den Weg legen, denn er langweilte sich immer furchtbar, sobald er allein war. Das hatte er gewiß von seiner Mutter, der ewig Einsamen. Die Zeit wurde ihm indessen auch bei seiner Frau lang. Ganz im Anfange ging es noch. Da war sie ihm neu und interessant. Nach all den feilen Weibern, die er gekannt und besessen, den Zirkuskünstlerinnen, Komödiantinnen, Ladenmädchen und manchmal auch Kellnerinnen und Schlimmeren nun endlich eine echt weibliche Erscheinung mit etwas Kindlichem, Frischem, gleichsam Neuem. Ja, sie war ihm neu, ganz neu. Die Jungfrau, ein Wesen voll halber Wünsche und unverstandener Träume, voll von Unerfahrenheit und komischer Naseweisheit, von guten Vorsätzen und glühenden und doch zarten Gefühlen, voller Begier nach etwas Unbekanntem und voller Sehnsucht nach ganzer, ungeheuerlicher, lächerlicher Liebe – das reizte ihn doch sehr. Die Hochzeitreise mit ihrem Trubel bei Tag und ihrem stillen nächtlichen Glück, das war etwas für seinen verwöhnten Geschmack. Dergleichen hat man doch nicht für sein Geld.

Diese Flitterwochen dauerten ein wenig lange, jedenfalls länger als der Reiz der Neuheit für ihn. Saß er nun so im Koupee erster Klasse ihr stundenlang gegenüber – na, das war ja ganz nett, aber was soll man sich noch sagen? Am Ende kennt man sich doch aus. Man holt also gegenseitig die Lektüre aus dem Handkoffer. Er etwas Zola, den er nur halb versteht, aber sehr schneidig findet; sie einen Band von Turgenjew, der sie nur noch trauriger, sehnsuchtvoller, unbefriedigter stimmt. Und dann das abscheuliche Rollen, Tuten, Pfeifen, Schreien, man liest nur mit halber Aufmerksamkeit, und die angestrengten Augen schließen sich unwillkürlich. Und man schläft ein Stündchen oder ein halbes, unruhig, dumpf, unter Alpdrücken und Träumen, bis der rüttelnde Waggon einen unsanft mit einem Rippenstoße weckt. »Ach! wo sind wir? Noch drei Stunden! Scheußlich! Versuchen wir's mit einer Zigarre ... »Der Rauch geniert Dich doch nicht, liebes Kind?« Und so verraucht und verträumt man noch ein Stündchen. Gott sei Dank, ein großer Bahnhof in Sicht! Fünfzehn Minuten Aufenthalt! Bierstation! »Ich werde Dir durch den Kellner einen Kaffee schicken und ihn gleich bezahlen.« – Hm, das Bier ist abscheulich. Ein Skandal! Aber die Kellnerin ist hübsch, und so gleicht es sich aus. Es geht doch nichts über Reisehumor, der immer einen Trost findet! »Wirklich ein strammer Besen war's. Ein paar Augen, sage ich Dir, Adel! Aber nicht eifersüchtig werden, Kind! Was die hat, hast Du alles auch, nur viel schöner!« Und mit der Gewißheit, eine kolossale Artigkeit gesagt zu haben und schon jetzt ein Musterehemann zu sein, schläft er wieder ein.

Sie aber träumt mit wachem Blick. Und diesem fremden, ewig fremden Manne da hat sie ihre Unschuld, ihre Jugend, ihre Schönheit gegeben, und er hat alles wie etwas Selbstverständliches einkassiert! Natürlich, auch er hat ihr ja etwas geopfert und sogar sehr viel, etwas Unendliches in seinen und jedes Junggesellen Augen: seine Unabhängigkeit, seine Freiheit. Nun ist er gebunden, wie sie auch, fest und unverbrüchlich, gleich Galeerensträflingen, auf Lebenszeit! O er ist ein gebildeter, liebenswürdiger Mensch, ein Goldherz, wie seine Mutter versichert, und er wird sein Möglichstes thun, sie glücklich zu machen. Aber wie wenig wird er vermögen! Er wird zärtlich sein, wann sein Herz ihn treibt, voller Galanterie, indessen sie wirkliche Liebe will, denn sie schreit nach Liebe! Nein, die wird er ihr niemals geben können, denn die besitzt er selber nicht. Und so folgen sich Tage auf Tage, Wochen, Monate, Jahre und Jahrzehnte, die Jugend schwindet, das Alter kommt, ein ganzes Leben ohne Liebe zieht an ihren Augen schattenhaft vorüber. Und die junge Frau weint leise in ihr Spitzentuch, recht leise, damit der Schläfer nicht geweckt wird. Er könnte ja aufwachen, sich langweilen, tändeln, plaudern oder gar zärtlich sein ... Schrecklich, schrecklich!

Nicht immer ist Frau Adelheid von Lenz so ernst gestimmt. Sie ist im Grund ein sehr verständiges Weib und weiß sich ins Leben zu finden. Auch in eine unglückliche Ehe und dauerte sie ihr Leben lang. Wie vernünftig hatte sie sich damals in den Gedanken geschickt, daß sie nicht für den armen Herrn Nachbar bestimmt sei, wie mutig hatte sie auf ihn verzichtet, wie ruhig einen anderen geheiratet, so wie es ihr lieber Papa wollte! Und jetzt hatte sie ihn fast vergessen, um sich in ihr Los zu fügen, und sie wollte ihm aus dem Wege gehen, denn wozu sich noch dumme Gedanken machen? Es hilft ja doch nichts.

Die Flitterwochen im eigenen Heim boten immerhin eine angenehme Überraschung. Zuerst das Daheim selbst, ein hübsches, trauliches Nest in der Stülerstraße am Saume des Tiergartens. Papa Berkow hatte ihnen das hübsche, zweistöckige Häuschen geschenkt, das in einem weitabgelegenen stillen Waldwinkel zu liegen schien und nur nach rückwärts mit seinem großen Garten an die Mietpaläste der Westvorstadt stieß. Zur Linken eine Station der Stadtbahn, rechts ab im Wagen die Stadt in einigen Minuten zu erreichen, gar nicht weit entfernt von den großen Theatern und Zirkussen. Ach, diese wohlthuende Stille nach dem Treiben der Hochzeitreise! Lothar selbst konnte sich dem Zauber nicht entziehen und blieb herzlich gerne mit seinem Weib allein, so ganz allein mitten im Waldesrauschen und Vogelgesang. Die reine Idylle, an die man noch gerne zurück dachte, als sie vorüber war, denn ewig konnte sie doch nicht dauern. Man hatte Verpflichtungen, durfte sich nicht abschließen, sich nicht lächerlich machen. Die Weltstadt rief sie.

So gingen sie also beide in die Gesellschaft. Es war für Adelheid wie der Eintritt in ein neues Leben, für ihn wie der Besuch in einem lieben Stammlokal. Visiten, Konzerte, Theater, Bälle, Turfplatz, immer zusammen! Und beim ersten Wettrennen ritt der schneidige Herrenreiter schon mit. Aber er führte auch ein Leben ohne sie. Kasino, Klub, Spielabende, und wenn man etwa eine alte Freundin traf, so konnte man sich doch unmöglich als schüchterner Ehekrüppel lächerlich machen. Aber sonst immer zusammen.

Und beneidet wurde der junge Ehemann von aller Welt! Das freute ihn, denn es schmeichelte ihm, und seine Eitelkeit war stärker als seine Liebe.

Aber auch ein bildschönes Paar! Wenn er so neben ihr durch den Tiergarten ritt, sie schwarz und blond, er blau und braun, eine Augenweide war's, ihnen nachzusehen. Sie war wirklich eine Vollblut-Sportlady mit Kühnheit und Schneid.

Ihr Gemahl war von ihrem Glücke fest überzeugt. Warum sollte sie auch nicht zufrieden sein? Hatte sie doch alles, was ein Weltkind sich wünschen konnte. Einen jungen, hübschen Mann, eine Stellung in der Gesellschaft, Reichtum und Glanz, eine elegante Häuslichkeit, Bewunderer und Verehrer die schwere Menge. Jawohl, und der Ehemann wußte, daß das ganze Regiment für sie schwärmte, und freute sich darüber, und als er neulich bei einem Liebesmahl, wo ein Kamerad an- und ein anderer weggegessen wurde, in der Weinlaune die Äußerung that: »Auf Ehre, meine Frau ist ein famoser Kerl« – da fand er allseitige Zustimmung, wenn sie sich schon weniger schneidig äußerte, sondern mehr galante Formen annahm, wie es sich für feudal schwärmende Verehrer schicke. Im ganzen »Re'ment« galt es für ausgemacht, daß es kein glücklicheres Paar gab. Ja, von Lenz, der Hauptkerl, hatte wieder einmal den Vogel abgeschossen! Hatte man je ein so schönes, zärtliches, tugendhaftes Weib gesehen? Und sie versteht ihren Mann so gut! Und teilt seine Interessen und Liebhabereien alle!

»Gestern bei Renz gesehen. Schwungvoll, Kriegskamerad. Er hat in der Pause hinter der Manege Miß Leona Avancen gemacht. Jede Frau wäre eifersüchtig geworden. Sie nicht. Hat nicht gemuckt. Lächelte sogar. Heiße ich Schwung, Kamerad.«

Ach, wozu sollte sie ihre Eifersucht zeigen? Sie war ja gar nicht eifersüchtig. Sie wußte, daß er ihr untreu war, aber sie schwieg. »Er wird wieder kommen!« Sie war das Bleibende in der Erscheinungen Flucht, wie er selbst neulich in einer literarischen Anwandlung lächelnd sagte. Oder hätte sie Gleiches mit Gleichem vergelten sollen? An Gelegenheiten fehlte es ihr wahrlich nicht, und mehr als ein Kamerad ihres Mannes, der den treuen Freund heuchelte, hatte sich ihr zu nähern versucht. Hatte sich nicht der lockere Fürst Saßnitz neulich bei Tisch erfrecht, mit seinem Fuß den ihrigen zu berühren? Sie zog ihn gleich zurück. Nach einer Weile begann er das alte Spiel. »Durchlaucht, das ist mein Fuß!« – »Äh, Verzeihung, Gnädigste.« – Die unerwartete, laute Zurechtweisung half wenigstens, denn der Fürst besaß bei aller Leichtfertigkeit doch Lebensart. Andere waren zudringlicher, aber auch da wußte sie sich zu helfen. Einmal spielte sie mit dem Rittmeister von dem Busche vierhändig, aber als er ihre Hand zweimal hintereinander streifte, brach sie das Spiel plötzlich ab und schützte einen Krampf vor, um nicht einen Skandal hervorzurufen. Und neben den Leutnant von Bennewitz, der eine so lose Zunge hatte, setzte sie sich bei Tisch grundsätzlich nicht mehr, und speisten sie wo, so bat sie sich immer einen anderen Tischnachbar aus. Das brachte den schmucken Offizier natürlich in den Ruf eines Schwerenöthers, aber sie hatte doch Ruhe vor ihm. Andere suchten sie mit feurigen oder schmachtenden Blicken in Verlegenheit zu bringen. Sie guckte einfach weg und sah sie nicht mehr an. Oder sollte sie sich bei ihrem Gatten beschweren? Damit er den frechen Patron zur Rede stelle? Das gäbe unnützes Geklatsch, Aufregungen, vielleicht gar ein Duell. Wozu so viel Aufhebens? Sie wußte sich schon selber zu schützen. Sie achtete sich auch zu sehr, um bloß zum Schein, und um ihren Mann zu reizen, ein kokettes Spiel zu dulden oder gar zu erwidern. Mit Abscheu wies sie dahin zielende Ratschläge weltkluger Frauen zurück. Wenn Lothar nicht von selbst wußte, was er an ihr besaß, die Eifersucht brauchte ihm dann wahrlich die Augen nicht zu öffnen!

Er wird wieder kommen! – Und wenn er kam, fand er immer ein heiteres Gemüt, einen hellen Frauenverstand, Wärme, Gemütlichkeit. Und darum war ihm stets wieder wohl, wenn er zu seiner trefflichen Hausfrau zurückkehrte, und namentlich wenn er Vergleiche anstellte. Aber bessern und witzigen ließ er sich dadurch nicht, und so trug sie ihr Kreuz still und gelassen und beklagte sich weder bei ihrem Papa, der andere Sorgen hatte, noch gar bei seiner Mutter, die ja doch alles entschuldigen und beschönigen würde.

Und weil es Lothar so urgemütlich bei seinem verständnisvollen, hübschen, tugendhaften Weibchen fand und so gern öffentlich mit ihr Staat machte, wurde er eines schönen Morgens sehr unglücklich, als sie sich weigerte, mit ihm auszureiten. Sollte sie dennoch eifersüchtig sein und wissen, daß er seinen Frühritt nach dem Stern bloß deshalb machte, weil er sicher war, Miß Leona zu begegnen, die ihr Lieblingspferd ritt?

»Eifersüchtig?« lächelte sie. »Für so thöricht hältst Du mich!«

»Also warum nicht?«

Sie neigte sich errötend zu seinem Ohr und machte ihm ein Geständnis, das jeden Ehemann beglückt hätte, so wie es sie mit süßen Schauern erfüllte.

Er wurde gleichfalls rot wie ein Schulknabe. Sprachlos stand er da, und tausend Gedanken gingen ihm durch den Kopf. Sie erwartete, daß er sie sanft in seine Arme ziehen, ihr Mut zusprechen, ihr danken würde ...

Aber er schwieg. Er sah schon im Geist ein kleines, rundes, rosiges Ding vor sich, das immer schreit und seiner jungen schönen Mutter tausend Unannehmlichkeiten und Schmerzen bereitet, ihre Laune reizt, ihre Schönheit untergräbt, das Zusammenleben stört. Was wird nun aus ihren Ausfahrten, ihren Spazierritten, ihrem seltenen, aber immer gemütlichen tête-à-tête? Sie wird nicht mehr neben ihm die Zügel führen, nicht mehr seine Eitelkeit reizen. Vielleicht nie wieder! Und eine dumpfe Wut bemächtigte sich seiner bei diesem Gedanken. Er hätte alle Welt ohrfeigen mögen, sich zu allererst.

Sie sah noch immer liebevoll und errötend, fast hilfeflehend nach ihm. Er stampfte mit dem Fuße auf und rief ärgerlich: »Wie die richtigen Spießbürger!«

Sie aber, als sie allein blieb, sank nicht mit Thränen und Seufzern auf ihr Bett. Sie trat ans Fenster und sah ihm nach, wie er auf seinem Braunen in den Tiergarten hineinritt, und wie der Säbel blinkte und seine hellblaue Uniform leuchtete, und wie leicht und doch so fest er im Sattel saß. Und sie flüsterte mutig:

»Ich will ihn lieben, unserem Kinde zuliebe.«


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