Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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II.

Einer freundlichen Einladung eingedenk, machte Generalkonsul von Lenz dem Kommerzienrat Heller schon nach wenigen Tagen einen Besuch. Zwar kam er zunächst um gewisser Papiere willen, die Heller bei der Niederdeutschen Bank deponieren wollte, aber als diese geschäftliche Angelegenheit, die sich ebenso gut brieflich hätte erledigen lassen, besprochen war, da ließ es sich der ehemalige Fabrikant nicht nehmen, den Bankier in seine Häuslichkeit einzuführen. Es wurde dem Weltstädter, der lange Jahre in London, Paris und New-York gelebt und jetzt in Berlin eine große gesellschaftliche Stellung einnahm, nicht allzu behaglich darin. Zwar die Wohnung in der Hohenzollernstraße bestand aus einer »hochherrschaftlichen Belle-Etage« mit einer Flucht von vier Salons nach der Straße zu und entsprechenden Räumen gegen die Hofseite, alles komfortabel und geräumig, aber der kleinbürgerliche Geist hatte sich doch zugleich mit den Bewohnern hier festgesetzt. Schon im Kontor, wie Heller gewohnheitsmäßig sein Sprechzimmer nannte, bildete die von einem Berliner Tapezierer gelieferte Einrichtung einen scharfen Gegensatz zu den von Burtscheid mitgebrachten Bureaumöbeln: dem soliden, aber geschmacklosen Schreibtisch aus gelblackiertem Tannenholz mit Unterlage, Blockkalender und Tintenfaß, sowie dem plumpen, kaum von der Stelle zu rückenden Sessel, der mit seiner niedrigen Lehne und dem grünen Sitzkissen ebenso unbequem, als seinem Besitzer unentbehrlich war. An den Wänden hingen verblichene Photographien und erblindete Daguerrotypieen in verschossenen Plüsch- und holzgeschnitzten Rahmen, und ein von schmaler Goldleiste umgebenes Diplom irgend einer Ausstellung, wo die Firma Johann Rudolf Heller ihre erste Auszeichnung errungen, prangte über einem altväterlichen Sopha, das Heller aus seiner Junggesellenzeit herübergerettet hatte. Das waren alles teure Andenken für ihn und Marksteine aus seinem aufsteigenden Lebenslaufe vom Ansetzerburschen zum Fabrikherrn und Millionär, und er wollte sich um keinen Preis von ihnen trennen, den Vorstellungen seiner sonst vielvermögenden Frau zum Trotz. Übrigens hätte diese in den anderen, ihrer ausschließlichen Herrschaft unterstehenden Gemächern bei etwas besserem Geschmack reichliche Gelegenheit zur Umgestaltung und Verschönerung gefunden, wie ihr das sogar ihr Berliner Tapezierer schon mehrmals angedeutet hatte. Ebenso vergeblich waren seine Versuche gewesen, der Dame klar zu machen, daß die lebensgroßen Familienporträts, die sie für unerreichbare Meisterwerke hielt, bloße Pfuschereien eines höheren Weißbinders waren. Da sah man in handbreiten Goldrahmen den vierzigjährigen Johann Rudolf Heller mit Frack, Vatermörder und hoher schwarzer Seidenbinde, wohlfrisiert, mit roten Bäckchen und klugen, glänzenden Äugelein, in der flüchtig gepinselten Hand eine dampfende Zigarre. Die um achtzehn Jahre jüngere Gattin aber thronte ihm gegenüber mit eingefrorenem Lächeln in ihrem besten schwarzen Seidenkleide mit Krinoline und indischem Shawl, dem jüngsterhaltenen Ohren- und Busenschmuck von schwerem Gold, das Gesicht wie frisch geschminkt, süßlich, fad, aber dafür waren die über die Handknöchel fallenden Spitzenmanschetten mit einem Fleiße gepinselt, worauf das Ehepaar den Beschauer niemals hinzuweisen versäumte. Zwei ebenso großartige Bildnisse prangten daneben. Da sah man in Samtbluse und Spitzenkragen den jungverstorbenen und noch immer beweinten einzigen Sohn des Hauses, den kleinen Alexander, und die annoch blühende Tochter des Hauses, Viktoria, nach der imposanten Mutter, aber zum Unterschiede von ihr gewöhnlich Wicky benannt, damals ein kugelrundes, rotwangiges Backfischchen mit der Stumpfnase und den schönen Augen der Mutter.

Unwillkürlich verglich der Generalkonsul, als ihn Heller mit vieler Förmlichkeit in seinen Salon führte, diese Porträts mit den ihm vorgestellten lebendigen Urbildern. Wie Papa Heller aus dem rüstigen Fabrikherrn an der Wand ein weißköpfiger Rentier, so war auch Frau Viktoria aus der jungen Mutter eine behäbige Matrone geworden. Nur ihren Augen hatten die Jahre nichts oder wenig genommen; sie glänzten noch mit denen ihrer Tochter um die Wette und sprachen von einer Lebenslust, die den ergrauten Scheitel Lügen strafte. Diese Augen schienen nebst der impertinenten Stumpfnase das einzige, was ihre Tochter, die den Besuch mit dem schönsten Tanzstundenknix empfing, aus ihren Kinderjahren bewahrt hatte. Es war ein hochgeschossenes, etwas blasses, aber recht hübsches Mädchen geworden, das mit der Siegesgewißheit einer reichen einzigen Tochter eine Schaar Verehrer und Bewerber zu erwarten schien.

War der Konsul im ersten Augenblicke von dem provinzialen Beigeschmack des Hauses unangenehm berührt, so überraschte ihn bald ein etwas freierer Zug, ein gewisser Drang nach größeren Verhältnissen, ja eine Sehnsucht nach weltstädtischem Schliff und moderner Lebensfreude. Schon das Kleid der Kommerzienrätin aus dunkler Seide kam offenbar nicht von Burtscheid, sondern aus einem Modewarengeschäft der Residenz. Wenn die Dame sich noch von der plebejischen goldenen Uhr und Kette und den protzenhaften Diamantohrringen trennen konnte, so durfte sie sich in jedem feinen Salon mit Anstand sehen lassen. Im Anzug und Behaben der Tochter hatte der Kundige fast nichts auszusetzen. Ihr einfaches Rosakleid war vielleicht samt den Hängezöpfen für ihre zwanzig Jahre zu jugendlich, aber beides paßte zu ihrem matten Teint und den braunen Augen. Entschieden, Papa Heller war der altmodischste und spießbürgerlichste in seinem Hause.

Kaum hatte der Generalkonsul und Direktor diese Bemerkung für sich gemacht, so war sie von der Kommerzienrätin schon laut ausgesprochen und von ihrer Tochter durch ihr lächelndes Schweigen bestätigt worden. »Mein Mann sieht es nicht ein!« ... diese Klage kehrte im Munde der stattlichen Frau immer wieder. Ach, und was sah der gute Alte nicht alles ein! Daß seine Frau ihr Leben in der traurigen Provinz eigentlich gar nicht genossen habe, und daß er es ihr und seiner heiratsfähigen Tochter und nicht zu vergessen seinem Stand und Vermögen schuldig sei, ein großes Haus in Berlin zu machen, glänzende Gesellschaften zu geben, sein »Kontor« neu zu möblieren, Wagen und Pferde zu halten, ein eigenes Haus zu bewohnen, auf eine Loge in der Oper und im Schauspielhaus zu abonnieren, die vornehmen Konzerte nicht zu vergessen u.s.w. u.s.w. Und indem Frau und Fräulein Viktoria vor dem Besucher die jedenfalls täglich wiederholte und verlängerte Liste der »wirklich notwendigen« Weltstädtereien aufzählten und mundfertig ergänzten, lachte Papa Heller in der ganzen Verstocktheit eines anspruchlosen Kleinbürgers in sich hinein.

»Schon recht, schon recht, Kinder!« rief er zuletzt, als er ganz in die Enge getrieben war und auch vom Generalkonsul keine Hilfe bekam, »ich gebe ja alles zu. Ich bin vom alten Schlag und verstehe mich nicht auf den modernen Ton. Als ich vor fünfundfünfzig Jahren mit zerrissenen Schuhen und dem Ränzel auf dem Rücken nach Burtscheid kam ...« Mutter und Tochter brachen in ein schallendes Gelächter aus, das offenbar die unliebsame Reminiszenz übertönen sollte, aber der Alte mißverstand diese Absicht, und da er sich verlacht sah und befürchtete, von dem Bankier nicht ernst genommen zu werden, so wiederholte er mit erhobener Stimme seine Behauptung und erzählte, vor Eifer glühend, ein Langes und Breites von seinen mühsamen Anfängen auf dem Wege zur Million: wie er, der Sproß einer kinderreichen Arbeiterfamilie, als kleiner Knabe, statt die Schule zu besuchen, die Spinnstühle fegen und die zerrissenen Baumwollfäden anknüpfen mußte, dann nach Jahren endlich einen Spinnstuhl bekam, Aufseher wurde und eines Tages eine kleine Wattenmühle einrichtete, aus der sich im Laufe der Jahrzehnte die größte Spinnerei der Rheinprovinz entwickelte. Lenz hörte mit aufrichtiger Teilnahme der Erzählung dieses schlichten Arbeiters zu, der sich durch Intelligenz und unermüdlichen Fleiß emporgeschwungen, aber seine Bewunderung wurde ihm erschwert durch die lachenden Zwischenrufe von Frau und Tochter, denen solche Erinnerungen unerwünscht und vor diesem Weltmanne peinlich und beschämend waren. Doch der Alte fuhr unbeirrt fort, ohne die gute Laune zu verlieren, und erzählte auch weitläufig, wie er die Bekanntschaft seiner späteren Frau gemacht, welche die Tochter eines Oberlehrers am Gymnasium gewesen sei.

»Alles, was ich bin, verdanke ich neben dem lieben Gott, der mir Gesundheit gab, nur mir selbst und meiner Hände Arbeit,« schloß er seine Bekenntnisse. »Dafür kenne ich aber auch den Wert des Geldes, denn ich weiß, wie schwer ich es verdient habe. Und wenn ich heute nochmals auf die Welt käme, so wollte ich doch wieder so ein altmodischer Mensch werden, der alles nur seinem Fleiße schuldet. Ich sehe wohl ein, daß man heute leichteren Verdienst findet, und Sie, Herr Generalkonsul, haben mir jüngst ein Beispiel davon auf der Börse gegeben. Aber das ist nichts für einen schlichten Arbeiter wie ich.«

Frau Viktoria zuckte die Achseln. »Deine Verdienste in Ehren, lieber Mann, und kein Mensch denkt auch daran, sie Dir zu nehmen. Du bist aus der alten Schule, und sie ist Dir wohlbekommen. Gut, aber deswegen sollst Du Dir doch Mühe geben, Dich in die neue Zeit zu fügen, in der Du nun einmal lebst und wir mit Dir. Unsere Übersiedelung nach Berlin haben wir Dir nach jahrelangem Zureden abgebettelt und abgetrotzt. Das war aber nur der erste Schritt. Jetzt heißt es hier standesgemäß leben. Das sind wir unserem einzigen Kinde schuldig. Habe ich nicht Recht, Herr Generalkonsul?«

»Reichtum verpflichtet,« war die Antwort. »Der Herr Kommerzienrat wird sich schon noch in seine neue Umgebung und seine neuen Pflichten finden.«

»Nie, nie!« rief der Alte. »Hier werde ich mich niemals heimisch fühlen! Ja, wenn ich meine Thätigkeit wieder hätte! Meine hohen, luftigen Spinnsäle, die sausenden Maschinen, die Arbeit, die Arbeit! Sie können nicht glauben, wie ich mich schon in Burtscheid nach meinem Austritt aus dem Geschäft unglücklich fühlte! Und dort hatte ich wenigstens meinen Garten, mein Stammcafé, meine Geschäftsfreunde ... Aber hier in der Weltstadt sterbe ich vor Langeweile.«

»Dagegen gibt es bewährte Mittel,« sagte Lenz, »und Ihre Frau Gemahlin hat sie bereits aufgezählt: die Gesellschaft aufsuchen, zu sich laden, sich in den Strudel stürzen« ...

»Nicht wahr?« rief Frau Viktoria mit strahlenden Augen, ganz glücklich, einen Helfer und Bundesgenossen gefunden zu haben, doch ihr Gatte blickte mit hartnäckigem Kopfschütteln vor sich hin.

»Ich bin kein Weltmann,« sagte er fast traurig.

»So werden Sie einer!« rief Lenz. »Es gibt keine zweite Stadt auf der Welt, wo es einem so leicht gemacht wird, wie in Berlin. Eine harte, schneidende Luft, gewiß, aber man fühlt sich warm und wohl darin, sobald man sich daran gewöhnt hat. Genußfreude und Lebenslust liegen hier wie das Geld auf der Straße. Eine maßlose Gastfreundschaft, gar nicht wählerisch, denn die Gesellschaft ist demokratisch angehaucht und leicht zugänglich. Und so billig!«

»Wirklich?« rief der Kommerzienrat, dem das letztere Argument gewaltig einleuchtete. Doch seine Frau schien beleidigt.

»Und wenn es was kosten würde, Rudolf?« sagte sie aufgebracht, »wir haben's ja!«

»Das mein' ich auch, gnädige Frau.«

»Du siehst, der Herr Generalkonsul sind ganz meiner Ansicht.«

»Gewiß, und ich glaube, daß es leicht sein würde, die Lieblingswünsche Ihrer Frau Gemahlin auszuführen, ohne Ihre eigenen Gewohnheiten allzu sehr zu stören. Sie führen ein großes Haus, Sie leben weltstädtisch, Sie empfangen und erwidern Besuche, Sie gehen in die Theater« ...

»Das wäre mein Tod!« unterbrach ihn Heller angstvoll. »Drei Stunden lang eingesperrt in einem menschenüberfüllten Haus, ohne Licht, ohne Luft, und dazu sich eine Geschichte vormachen lassen, die einen gar nichts angeht! Ein Komödiant, der nichts als Schulden hat, setzt sich eine Papierkrone auf und mutet uns zu, wir sollen ihn für einen König halten. Das sind Kindereien, denen ich keinen Geschmack abgewinne.«

Lenz lächelte, während die beiden Damen verzweifelnde Blicke wechselten.

»Mein Mann war von jeher ein Prosamensch!« seufzte die Kommerzienrätin.

»So lassen Sie ihm seine Prosa,« versetzte Lenz begütigend. »Er ist glücklich dabei, und sie hat ihm wahrlich Segen gebracht. Es wäre Unrecht, sie ihm verkümmern zu wollen. Nein, die Weltstadt läßt jeden nach seiner Fasson selig werden. Das ist gerade ihr größter Reiz. Mögen Frau und Tochter in die Welt gehen, dem Gatten bleibt es unbenommen, in seinem stillen Winkel ruhig für sich zu leben. Wenn der Gemahl seine Rolle bloß markiert, ist die Welt schon befriedigt. In der Gesellschaft regiert ja überhaupt die Frau, nur die Frau! Der Mann braucht einzig bei Antritts- und Anstandsbesuchen dabei zu sein. Als Wirt kann er fast ganz verschwinden, sofern die liebenswürdige Wirtin für die Gäste sorgt. Um die Damen in Konzert und Theater zu führen, findet sich wohl ein Freund des Hauses ... O es wird Ihnen nicht an Begleitung fehlen, meine Damen, glauben Sie mir!«

»Herrlich! herrlich!« jubelte Wicky und klatschte in ihre weißen, weichen Händchen.

» Mein verehrtes Fräulein, Sie werden sogar Mühe haben, sich all' Ihrer Verehrer zu erwehren.«

Das junge Mädchen schlug errötend ihre Augen nieder und war in diesem Augenblicke von einer berückenden Anmut. Nur Schade, daß sie es viel zu gut weiß, dachte Lenz.

»Ich habe also dabei wirklich nichts zu thun?« fragte der Kommerzienrat.

»Gar nichts.«

»Das paßt mir. Aber wie werde ich dann erst meine Langeweile los?«

»Ich denke die Verwaltung Ihres Vermögens sollte schon genügen, Ihre Muße interessant auszufüllen.«

»Das gibt mir wenig Arbeit. Den größten Teil habe ich in meiner ehemaligen Spinnerei sicher angelegt. Allwöchentlich erhalte ich die Arbeitausweise, die ich nachrechne, und einmal im Jahre die Bilanz.«

»So lange Sie dort selbst regierten, ging das an,« meinte der Bankier. »Aber bei der leidigen Aktienwirtschaft und der englischen Direktion zöge ich mich zurück. Freilich, an der Börse mögen Sie nicht spielen?«

»Da sei Gott vor!« rief Heller in panischem Schrecken, so daß der Konsul laut auflachen mußte. Indessen war diesem noch daran gelegen, seinen Freund zu einer milderen Anschauung von der Börse zu bekehren, denn er kam auf die Vorfälle an jenem heißen Tage zurück, deren Zeuge der Alte gewesen war. Es hatte sich alles nachträglich als Mißverständnis herausgestellt und in Wohlgefallen aufgelöst. Die feindliche Gruppe war von ihrem Nachrichtendienst schlecht informiert worden oder hatte ein bloßes Börsenmanöver zu Gunsten der Baissiers in Szene gesetzt. Natürlich war die Wahrheit noch am nämlichen Abend ans Licht gekommen, und sämtliche Kurse schnellten in die Höhe, so daß auch der Kommerzienrat, wenn er nicht den Mut verloren, jetzt einen namhaften Gewinn in der Tasche hätte.

»Ja, ich habe den Ring gesprengt,« schloß er stolz seine Ausführungen, »und dem neuen Reichsanleihen die Wege geebnet. Diese goldene Internationale kann ja vom rein geschäftlichen Standpunkte keine freundliche Haltung gegen ein Land einnehmen, welches sich mit seiner geordneten Finanzwirtschaft von den Geldmächten frei hält und ihnen keinerlei Einfluß einräumt, obendrein staatssozialistische Bestrebungen bethätigt und die andern Staaten zur Nachfolge drängt.«

Heller horchte auf. Er hielt als Mann der Selbsthilfe nicht eben viel vom sozialpolitischen Erbe des alten Kaisers, aber der patriotische Klang dieser Worte berührte ihn angenehm, und bewundernd blickte er zu dem großen Finanzmanne auf. Seine Frau jedoch, für welche die Börsenthätigkeit einen vornehmen Beigeschmack hatte, beklagte den spießbürgerlichen Standpunkt ihres Gatten und machte sich nicht wenig über seinen mangelnden Spekulationssinn lustig.

»Das ist Sache des Temperaments,« meinte Lenz, »Man müßte eine andere Beschäftigung für Sie finden, Herr Kommerzienrat.«

»Ach bitte ja, Herr Generalkonsul, suchen Sie!« baten die Damen.

Doch da fiel dem Bankier ein, daß er nebenbei auch gekommen war, das fachmännische Urteil Hellers in einer anderen geschäftlichen Angelegenheit zu erbitten, und als er von den Damen Abschied genommen, da ersuchte er noch um eine kurze Audienz im »Kontor«.

Es handelte sich um die Erlaubnis, den Alten an einem Abend nächster Woche zum Besuch einer verkrachten Charlottenburger Baumwollspinnerei abzuholen. Sie hatte dem jüngeren Lenz gehört, der vor einigen Monaten einem Schlaganfall erlegen war. Bei der Ordnung des brüderlichen Nachlasses ergaben sich so bedeutende Passiven, daß der Betrieb der Fabrik eingestellt werden mußte. Der Hauptgläubiger, die Niederdeutsche Bank, stand gegenwärtig mit den übrigen Kreditoren in Unterhandlung, doch war der Zwangsverkauf an den Meistbietenden kaum mehr zu umgehen. Während der Direktor noch hoffte, die Fabrik für den Sohn seines Bruders, den dreißigjährigen Hans Lenz, retten zu können, der unter seinem Vater dem Bureau vorgestanden hatte, war der Verwaltungsrat der Bank eher geneigt, dieses Privatunternehmen in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Der Vorbesitzer, als Fabrikant ein guter Techniker, aber schlechter Kaufmann, war lange ein unbequemer Schuldner der Niederdeutschen Bank gewesen, doch konnte man seine Fabrik mit genügenden Geldmitteln wohl noch emporbringen. Jedenfalls war es dem Konsul erwünscht, in dieser Angelegenheit das Gutachten eines Fachmannes wie Heller einzuholen, und mit tausend Freuden erklärte sich dieser zur Besichtigung der Spinnerei bereit, worauf Tag und Stunde sofort vereinbart wurden.

»Ein genialer Kaufmann!« rief der Alte begeistert, als er nach dem Abschiede des Konsuls wieder ins Wohnzimmer zu seinen Damen stürmte.

»Ein Ideal von einem Mann,« erwiderte Frau Viktoria, die sehr leicht schwärmte. »Hoffentlich sehen wir ihn recht oft bei uns. Er hat auch einen Sohn, den Gardelieutenant von Lenz ... aber freilich seine Zirkusreiterin ...«

Der Alte verstand die Anspielungen seiner Frau, die in jedem adeligen jungen Mann einen passenden Schwiegersohn vermutete, und er gebot ihr mit dem Finger auf dem Munde, in Wicky's Gegenwart von solchen Damen zu schweigen. »Das Kind, das Kind!« flüsterte er mit besorgtem Vaterblick. Unnötige Vorsicht! Das »Kind« war längst kein Kind mehr und hatte denselben Gedanken wie ihre liebe Mutter, und obwohl sie jetzt einen verschämten Blick zu Boden warf, zuckte doch um ihre Mundwinkel ein eigentümliches Lächeln, das sogar den tapferen Dragoneroffizier vielleicht entmutigt hätte.


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