Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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XXIII.

Immer offener trat die sozialdemokratische Wühlerei hervor. Der Schlosser-Nante, Pinzger, Kindermann, Pätow waren ihre rührigsten Verbreiter, und sogar die rote Liese diente der Propaganda und suchte unter den Weibern den Geist der Unzufriedenheit und des Ungehorsams zu schüren. Auch an die drei Hausknechte hatten sich die Werber herangedrängt, aber immer ohne Erfolg, und als der Schleifer sie in einer Mittagpause aufforderte, die nächste Versammlung, der Handelsgehülfen zu besuchen, da blieben sie dem Verführer die Antwort nicht schuldig. Janko drohte ihm mit den eisernen Fäusten, der kriegserfahrene Zobel pfiff in stolzer Verachtung »Lieb Vaterland, kannst ruhig sein«, der gelehrte Lux aber, der einem gemütlichen Disput niemals abgeneigt war, fragte in aller Seelenruhe mit einem Griff in die Dose:

»Was sollen wir bei den Handlungsgehülfen?«

»Na, die sind doch auch Arbeiter.«

»Wir aber nicht, sondern Hausknechte.«

»Das stimmt«, erwiderte der Tiroler und war gleich mit seiner aufgeschnappten Weisheit bei der Hand. »Aber wenn erst das ganze Proletariat zur Sozialdemokratie schwört, dann kann unser aller Sieg nicht mehr zweifelhaft sein.«

»Es ist die Möglichkeit,« gab der Riese gelassen zurück, doch ein schlauer Zug belebte sein Gesicht, und das verkündete den ihn bewundernden Kollegen einen feinen Einfall. »Übrigens, will die Sozialdemokratie denn nicht alle Geschäfte beseitigen?«

»Freilich, nur der Staat soll noch Arbeitgeber sein.«

»So? Na, wenn es keinen Kaufmann mehr gibt, denn braucht man auch keine Handlungsgehülfen und Hausknechte mehr.«

Der Tiroler, der ja nur das Sprachrohr anderer war, kraute sich statt der Antwort in den Haaren, und um seine Ratlosigkeit zu verbergen, machte er mit einem »Juhu!« einen Luftsprung. Aber es klang nicht mehr echt.

»Statt sozialschen Unsinn zu quasseln,« fuhr Zobel fort, »kommt lieber ins Portierhäuschen. Ich erzähle Euch dann, wie meine Korporalschaft bei Sedang den Kaiser Napoleon eingesponnen hat.« Und bald saßen und lagen die ruhenden Arbeiter im Kreis um ihn, der, seine steife Militärmütze auf dem Kopfe, mit der ganzen Breite, Komik und Natürlichkeit sein Erlebnis vortrug. Die Jungen, die erst noch dienen mußten, hingen nicht minder gespannt an seinem Munde, als die Alten, die nun auch ihre Manöver- und Kriegsgeschichten zum besten gaben. Ja, sie liebten trotz der Verhetzungen das deutsche Volksheer, waren noch stolz auf ihre Uniform und ihr Regiment und sehnten sich bei aller Familiennot nach der Einberufung und den Übungen und der ganzen schönen, freien, heiteren, sorgenlosen Soldatenzeit!

Auch bei Hugo Mila hatte die »Partei« kein Glück mehr. Wie oft hatte er gehört und gelesen, daß die Unschuld der Proletariertöchter von den Besitzenden geraubt werde, seit aber ein Arbeiter seine Schwester unglücklich gemacht, wollte er nichts mehr von der ganzen Irrlehre wissen. Die Begegnung mit Lore hatte ihn furchtbar aufgeregt, ihr schamloser Aufputz nicht minder als ihre Weigerung, ihm nach Hause zu folgen, und wenn er auch beklagte, daß ihm sein leidenschaftliches Gemüt dabei übel mitgespielt, so freute er sich doch über das Zusammentreffen. Jetzt wußte er ja, wo er die Ehrvergessene treffen konnte! O es würde ihm schon auch gelingen, sie auf den rechten Weg zurückzuführen!

Hans hatte die Zimmer Fabians, der mit seiner Frau ins Wohnhaus zu Hinnen und Hitschold zog, Milas angewiesen, um ihnen die weiten Wege zu ersparen und ein besseres Zusammenleben der Familie zu ermöglichen. Sie zogen ein und freuten sich über das neue Heim, nur Hugo mochte sich darin unbehaglich fühlen, denn er verschwand regelmäßig wieder nach Feierabend, und als die Mutter ihn darüber zur Rede stellte, antwortete er ruhig:

»Du kannst Dir ja wohl denken, wohin ich gehe!«

Der sonst redefertigen Mutter fehlten plötzlich die Worte, als sie an die Schande ihrer Familie erinnert wurde: »Aber nur keine Haue wieder!« mahnte sie.

»Keine Sorge, Mutter. Wir Milas müssen mit Güte gewonnen werden, sonst werden wir wie der Satan.«

Im Kaffee sah er aber Loren nicht wieder. Ohne Zweifel hatte es ihr der Schlosser verboten, damit sie nicht wieder mit dem Bruder zusammentreffe. Erst nach mehreren Tagen fand er sie nachts auf der Friedrichstraße, wie sie mit rauschender Schleppe auf und ab ging. Gewiß wartete sie auf den Schlosser. Sie erschrak, als Hugo vor ihr stand.

»Ich thue Dir nichts, Schwester,« sagte er. »Verzeih nur bloß den dummen Auftritt von neulich. Du weißt ja, daß wir alle in der Familie hitziges Blut haben!«

Sie warf ihr kleines Näschen hoch und that sehr beleidigt. »Die Sache kann noch eklig werden,« bemerkte sie. »Mich so zu blamieren! Die Schöffen werden Dich am Schlaffittchen kriegen, und Du mußt brummen.«

Er zuckte die Schultern, obwohl es ihm im Grunde gar nicht gleichgültig war.

»Herr Lenz wird dem Kaffeebesitzer eine Entschädigung bieten, damit er keine Klage anstrengt. Aber was soll aus Dir werden, Lore?«

»Mische Dich nicht in ungelegte Eier, ja? Ich bin alt genug, um mir selbst zu helfen. Jeder nach seinem Schaköng! sagt Nante.«

»Du bist in schlechten Händen,« entgegnete er dringender. »Der Schlosser ...«

»Ich kann nu mal nicht los von ihm,« unterbrach sie ihn heftig. »Was soll ich auch bei meiner geehrten Familie? Alleweile klauen in der Fabrike? Prügel von Vatern, der immer betrunken ist und thatsächlich wird? Oder soll ich mir von Muttern dumm kommen lassen, daß mir der Kopf brummt? Das kann ich für'n Tod nicht mehr vertragen. Ich muß mich pflegen, und will frei sein. Ich bin auch so nervös und gereizt und möchte den ganzen Tag immer schlafen. Nein, nein, das kommt nicht vom Nachtkaffee. Also, was soll ich zu Hause? Vielleicht wenn ich wieder gesund bin. Vielleicht! Aber das verstehst Du nicht.«

»Nee, das versteh' ich nicht,« gab er zurück. »Ich sehe nur, daß Du nicht mehr anständig sein willst. Aber was hast Du denn von Deinem feinen Leben? Lieber ehrlich arbeiten, als hier müßig gehen und verachtet werden!«

»Mein Traum ist es auch gerade nicht,« antwortete sie. »Aber das Unglück ist nu mal da. Ich muß das ausbaden. Vielleicht heiratet mich Ferdinand noch. Aber da kommt er. Geh, er darf Dich nicht mit mir sehen, sonst krieg' ich Senge.«

Hugo tauchte schnell in dem Menschenstrom unter. Aus einiger Entfernung sah er den Schlosser mit hoher Mütze und Spazierstock, wie er heftig auf Loren einsprach. Wie zur Beschwichtigung steckte sie ihm ein Päckchen Zigarren zu, und beide gingen sie nebeneinander die lichtüberflutete Straße weiter.

Schon am folgenden Tage brach Hugo die Gelegenheit vom Zaun, um den Schlosser zur Rede zu stellen und ihm ins Gewissen zu reden. Des schlechten Wetters halber ging Nante nicht zum Mittagessen in die Durststillstation, sondern trank in der Kantine zu Wurst, Eiern und Brot eine Flasche Bier.

»Schlosser,« sagte er kurz entschlossen zu ihm, als er sich zum Mittagschläfchen auf eine Bank legen wollte, »warum heiratest Du Loren nicht?«

Der Angesprochene hielt im Kauen und Trinken ein und warf einen erstaunten Seitenblick auf ihn. »Das Mädchen ist sonst brav,« fuhr er fort. »Und sie liebt Dich, obwohl Du an ihrem Unglück schuld bist. Sei ein Ehrenmann und mache sie wieder ehrlich.«

Der Schlosser wischte sich mit der schwarzen Hand die Feilspäne aus dem blonden Bart. Er war schon im Begriffe, den lästigen Mahner mit einem Schimpfwort heimzuschicken, aber der herzliche Ton in seiner Stimme rührte ihn ein wenig. Er wollte gutmütig sein und fragte gedehnt: »Heiraten?«

»Ja. es ist Deine Pflicht.«

»Das geht nicht.«

»Warum nicht?«

»Ich bin schon verheiratet.«

Hugo zuckte zusammen. Er hätte den Lump am liebsten erwürgt. Doch die heiße Blutwelle legte sich wieder ... »So lasse Dich scheiden.«

»Geht auch nicht.«

»Warum nicht?« »Ich bin kathol'sch.« Hugo sah ihm scharf ins Gesicht, ob er im Ernste sprach oder heimlich über den gelungenen Witz lachte. Doch Nante blieb ernst und fuhr wieder im Essen fort, »Wir Kathol'schen,« erklärte er nach einer kleinen Weile, »wir dürfen uns nämlich nicht scheiden lassen.«

»Dann werde evangelisch. Das kommt alle Tage vor. Du wirst mir doch nicht etwa weiß machen, daß Du an Deiner Religion hängst? Ein heller Kopf wie Du, ein Sozialdemokrate! Das glaubt nicht an Gott und Teufel.«

Der Schlosser lachte wohlgefällig auf. »Da magst Du gewissermaßen recht haben.«

»Also warum läßt Du Dich nicht scheiden?« wiederholte Hugo gereizt.

»Meine Alte dauert mich.«

»Du lebst seit Jahren als Junggeselle. Wir kennen Dich nicht anders.«

»Und meine sechs unmündigen Kinder, Hugo!« Jetzt lag der Spott klar am Tage, »Und das siebente unterwegs.«

»Schlosser!« schrie Hugo.

»Nu ja,« sagte Nante lachend, »hat Deine Schwester es Dir nicht gesagt? Also was soll ich mit zwei Frauen und sieben Kinder? Das sind zwei Frauen und sieben Kinder zu viel für einen ehrsamen Handwerker. Aber das wird ja alles geändert werden. Haben wir erst den sozialistischen Staat, dann nimmt er uns die Jöhren ab und läßt uns die freie Liebe. Gedulde Dich so lange, alter Sohn.«

Lustig grinsend stand er vom Holzstuhl auf und trollte sich langsam in die Werkstatt, denn eben läutete die Glocke vom Dache. Mit geballter Faust sah Hugo ihm nach und folgte ihm hinüber in die Fabrik. Bald stand er wieder vor seinem Spinnstuhle, der in verzweifelnder Regelmäßigkeit ab und zu lief. Ihm schwirrte es vor den Augen. Kaum achtete er mehr auf die Arbeit. Fäden rissen und schnurrten sich auf. Der Ansetzer plauderte mit einem kleinen Mädchen in einem Winkel. Er sah von allem gar nichts. Aber Herr Hinnen-Lotz desto mehr. Der Ansetzer flog, durch eine Maulschelle beschleunigt, an seinen Posten, und Hugo bekam eine Geldstrafe. Dies war seit langem die erste. Sie hätte ihn früher gewurmt. Was lag ihm jetzt daran! Er hatte alle Arbeitlust und Lebensfreude verloren. Was sollte er auch noch auf der Welt? Immer nur freudlos rackern und schuften. Immer dastehen vor den drehenden, flimmernden, surrenden, klappernden Rädchen und Spindeln, die abreißenden Fäden wieder anknüpfen, keine Muskelarbeit, keine Denkarbeit, im Gegenteil absoluter Stillstand der Gedanken, da ja jeder Gedanke die Aufmerksamkeit zerstreuen würde, kein Anblick eines selbstgeschaffenen Werkes, sondern nur ein schmerzender, wirr und dumm gewordener Kopf und vom Stehen ermüdete Beine! Unter Maschinen selbst eine Maschine! Und sein Leben außerhalb dieser Arbeitkaserne? Auch nichts als Kummer und Elend! Kein Heim, kein Familienleben, ein Trunkenbold als Vater! O, Lene war ja wieder ganz nett zu ihm, aber seine Frau wollte sie doch nicht werden. Und nun verlor er auch noch seine Zwillingsschwester, seinen Liebling von Jugend auf! Und in welcher Not und Schande! Was hatte denn das Leben noch für einen Reiz? Besser sterben, aber welchen Zweck hat der Tod? Er grübelte stundenlang vor seiner summenden Maschine, und hatte es endlich weg. Es war ein teuflischer Plan, den er da vor seinen Faden und mit ihnen spann.

»Herr Obermeister,« sagte er einige Tage später, »an meinem Stuhl ist was kaput. Ich muß abstellen.«

»Gewiß hat der vermaledeite Ansetzerbub so lang mit der Schraube gespielt, bis sie zum Teufel ist,« wetterte Hinnen-Lotz und holte selbst den Mechaniker aus der Werkstatt, denn der beste Stuhl in der Fabrik durfte nicht lange feiern. Und der Schlosser-Nante erschien mit seinem Werkzeugkasten unterm Arm, sah nach dem Schaden und machte sich wortlos an die Arbeit. Hugo schaute ihm mit verschränkten Armen zu.

Es ging gegen Abend. Vom dunkelnden Himmel fiel ein breiter heller Streif in den Spinnsaal. Es war noch zu früh für die elektrische Beleuchtung, deren Motoren eben erst in Gang gesetzt waren, aber noch hell genug für gröbere Arbeit. Nur der Schlosser, der unter die Maschine gekrochen war, mußte seine qualmige Petroleumlampe anzünden, um etwas zu sehen, Hugo nahm sie ihm aus den Händen und leuchtete. Der Ansetzerjunge war längst wieder zu seiner Freundin beiseite geschlichen. Es fehlte wirklich nur eine Kleinigkeit, wie der Spinnmeister richtig erkannt hatte. Keine Viertelstunde, meinte der Schlosser, und der Spinnstuhl war wieder in voller Thätigkeit und Hugo mit ihm ... Nie wieder! dachte der.

Nante hämmerte und drehte eine Weile. Einmal nahm er eine flache Schnapsflasche hinterm Lederschurz hervor, that einen Schluck und bot sie Hugo an.

»Nicht um die Welt!« rief er angeekelt, weniger von dem Nordhäuser als dem Trinkbruder. Der lachte heiser und hämmerte wieder, und bald saß die letzte Schraube fest. Jetzt mußte man sehen, ob die Maschine auch im Gange richtig spielte.

»Schlosser, was ist mit meiner Schwester?« unterbrach Hugo ihn plötzlich. Nante sah ihn groß an.

»Weiß ich nicht; aber puste lieber die Laterne aus.«

Hugo blies das Licht aus und stellte die Laterne hin. Ein stinkender Qualm verbreitete sich.

»Du wirst sie also nicht heiraten?«

Der Schlosser hielt sich die Nase zu ... »Pfui Teufel, Schwein!«

Hugo hatte seine Handbewegung nicht gesehen und vielleicht des Schlossers Worte mißverstanden. »Wer? Ich ein Schwein? Oder meine Schwester?« Und mit geschwungenen Fäusten packte er den Schlosser gerade im Augenblicke, da er am Hebel drückte und die Treibriemen und Räder und der Spinnstuhl mit den tausend zitternden Fäden ins Rollen gerieten. Und im blassen Abendlichte sah man die ringenden schwarzen Männer neben der brausenden Maschine. Mit übermenschlicher Gewalt drängte Hugo den Schlosser dem Treibriemen zu und suchte dessen Kopf zwischen die Räder des Schwungrades zu drücken. Vergeblich, der herkulische Mann ahnte die Absicht und strebte mit Händen und Füßen darnach, von der Transmission wegzukommen. Aber keine Möglichkeit! Der verzweifelte Bursche packte ihn zu fest, und es blieb dem Schlosser nichts anderes übrig, als auf den Boden zu fallen, nur um nicht in die Räder zu geraten. Jetzt lag er da, und Hugo kauerte auf ihm und zog und zerrte ihn. Die Maschine war zugeklappt, und beide mußten sie jetzt über sich hinweggehen lassen, und während die tausend weißen Faden friedlich ihre Arbeit verrichteten, wanden sich zwei Menschen unter ihnen im schrecklichen Ringkampf am Boden. Jetzt hatte der Schlosser die Oberhand und packte den Gegner. Aber plötzlich dachte er an die Gefahr des zuklappenden Fahrstuhls und wollte gutmütig ein Unglück vermeiden.

»Ducke Dich, die Maschine!«

Doch dieser Edelmut entfesselte nur Hugos Wut. Also nicht in den Treibriemen, sondern im Spinnstuhl zerquetscht, dachte er, und während er sich selbst bückte, hielt er mit der Kraft der Verzweiflung den Kopf des Schlossers hoch empor. Nun war der Fahrstuhl am Ziel und mußte zurückklappen und den Todfeind zerschmettern. Krampfhaft stieß er seinen Kopf hoch – jetzt mußte es kommen ... der Tod ... die Rache! ...

Doch die Maschine stockte plötzlich. Der Ansetzer hatte die beiden Ringer bemerkt und den Stuhl mit einem Griff am Hebel abgestellt. Klaffend blieb er offen, und in furchtbarem Knäuel, stoßend, schlagend, alle Fäden zerreißend, wälzten sich die Ringer hervor, erhoben sich, wankten, stürzten, kugelten übereinander und ließen doch nicht voneinander. Und während einer der Spinner, erst jetzt aufmerksam geworden, herbeieilte, um die Streiter zu trennen, ertönte ein fürchterlicher Schrei, und man sah im Zwielicht, wie der lautlos fortschnurrende Treibriemen eine menschliche Gestalt an den Kleidern nach oben riß, dort mit dem Schädel an die Decke stieß, um die Welle schwang und in weitem Bogen in den nächsten Selfaktorstuhl zu Boden schleuderte. Wohl hielt der noch daran arbeitende Spinner Pätow seine Maschine aus Leibeskräften zurück, doch konnte er nicht verhindern, daß der Körper Hugos zwischen den zusammenklappenden Spinnstuhl geriet. Mit zerfetzten Kleidern, blutüberströmt, ohnmächtig wurde er hervorgezogen und sofort in Hellers Droschke auf die Sanitätswache und von da in die Charité geschafft.

Fünf Minuten nach dem Unglücksfalle blitzten in allen Sälen die elektrischen Lichter auf, und die Spindeln schnurrten und die Spinnstühle klappten wieder auf und zu, als ob nicht eben ein blühendes Menschenleben vielleicht für immer geknickt worden wäre. Die Blutstecken waren mit Putzfäden und Sägespähnen abgewischt, die Kleiderfetzen auf den Schutt geworfen, und die mordende Maschine, wieder frisch geölt und gereinigt, harrte ihres nächsten Opfers. In stumpfer Gleichgültigkeit verrichteten Aufseher, Spinner und Ansetzer ihr anstrengendes Tagewerk weiter, und nur oben im Haspelsaale, wo weichere Frauenherzen schlugen, war für heute der frohe Gesang verstummt.


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