Theophil Zolling
Die Million
Theophil Zolling

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XVI.

Der erste Winter des jungen Lenz'schen Ehestandes ging in froher Geselligkeit vorüber. Theeabende und Bälle in und außer dem Hause folgten sich, so daß Wicky schon recht unglücklich war, wenn sie einmal abends allein mit ihrem Gatten in ihren vier Mauern bleiben mußte. Als dann die Einladungen gegen den Frühling zu immer spärlicher wurden, litt es sie gar nicht mehr zu Hause. Sie hatte ja längst eingesehen, daß mit Hans, dem verknöcherten Geschäftsmanne, der so widerwillig ihren »Gesellschaften« beiwohnte, nichts anzufangen war. Also ließ sie ihn in seiner Spinnerei versauern und richtete sich ihr Leben nach ihrem Geschmack ein. Sehr spät stand sie auf, dann kam der Friseur, hierauf Toilette, gemeinsames Mittagmahl. Gewöhnlich erklärte sie aber noch vor dem Kaffee, daß sie einen wichtigen Gang in die Stadt habe. Bei dem Worte »wichtig« pflegte Hans zu lächeln, denn es drehte sich natürlich um Putz und Tand, aber er ließ die ewig Ruhelose gewähren. Die Dame des Hauses kommandierte indes ihr: Anspannen lassen! oder falls sie es eilig hatte und »ungeniert« sein wollte, hüpfte sie in die drüben auf der Chaussee vorübergleitende Pferdebahn, und fort in die Stadt! Dort hatte sie meist in irgend einem Laden ein Zusammentreffen mit ihrer Mutter, die von ihrem Gatten ja auch viel allein gelassen wurde, und so trösteten sich die beiden »Strohwitwen«, wie sie sich scherzhaft nannten, indem sie alle Verkaufs- und zumal Modeläden heimsuchten, viel Unnötiges erhandelten und die üblichen Stationen in der Damenkonditorei von Buchholz machten, wo es sich bei Chokolade, Eis und Baisers so gemütlich mit anderen Damen klatschen ließ. Des Abends besuchten sie zusammen ein Konzert oder Theater.

Papa Heller kannte seine Frau überhaupt kaum mehr, so sehr hatte sie in Berlin ihr Wesen verändert. Im stillen, kleinen Burtscheid einst in ihrer Wohnung so glücklich, lebte sie jetzt nur noch auf, wenn sie außerhalb ihrer Häuslichkeit war. Der Lärm der Großstadt hatte erst wie betäubend auf sie gewirkt, aber sie gewöhnte sich schnell daran, und bald war ihr das Wogen und Treiben auf den Straßen und in den Läden so notwendig, wie die Luft. Mit ihrem Weltstadtfieber hatte sie ihre Tochter angesteckt, und sie beide empfanden es nunmehr fast als eine Beleidigung, wenn man sie an ihre Herkunft aus der Provinz erinnerte. Sie wollten echte Berlinerinnen sein und thaten ihr Möglichstes, um es zu scheinen. Man sah sie in allen ersten Theatervorstellungen, in sensationellen Konzerten, auf Bilderausstellungen, immer hochelegant gekleidet, aber die Alte zu jugendlich und die Junge zu auffallend, und beide stark geschminkt, obwohl es Wicky gar nicht nötig hatte. Sie machten auch noch eine andere Mode mit. Mama Hellers Haare waren stark ergraut, sie puderte sie aber ganz schneeweiß, um einer vornehmen Douairière des Faubourg Saint Germain ähnlich zu sehen. Wicky ihrerseits färbte sich ihr kastanienbraunes Haar blond, dem Einspruch ihres Gatten zum Trotz, aber es war jenes unwahrscheinliche Strohgelb, das man auf den ersten Blick als falsch erkennt. Bald wurden die beiden Damen vom »Ganz-Berlin« wohlbekannte Erscheinungen. Wer ihren Namen nicht wußte, hielt gewiß die Junge für eine Lebedame, trotz ihres im übrigen zurückhaltenden Auftretens; die aufgedonnerte Alte galt als gelegenheitmachende Anstandsdame, und da sie trotz ihrer weißen Haare wenig Respekt einflößte, so war es natürlich, daß galante Abenteurer sich herandrängten und sie belästigten. Alsdann kam freilich die Provinz zum Vorschein. Frau Kommerzienrat glühte vor Zorn und Aufregung, und ihre Tochter hatte jedesmal Lust, ob so beleidigender Verkennung in Thränen auszubrechen.

Einmal nach einem Konzert in der Singakademie wurden sie auf der Straße von einigen jungen Leuten angesprochen, als sie sich hilflos nach ihrem Wagen umsahen, der sich verspätet hatte. Da erfaßte sie vor dieser dreisten Zudringlichkeit eine solche Angst, daß sie ohne weiteres und im rasenden Laufe zum nächsten Droschkenplatz über die Straße sprangen, vom Gelächter ihrer Verfolger begleitet. Doch sie sollten nicht lange lachen. Ein Dragonerleutnant, der gerade durch das Kastanienwäldchen kam und die Szene mitangesehen, vertrat den Helden mutig den Weg und stellte den ersten besten zur Rede.

»Es ist eine Schande, anständige Damen so zu belästigen!« fuhr er auf.

»Wir belästigten die Damen nicht,« gab ein junger Stutzer zur Antwort. »Wir boten ihnen unseren Schutz an.«

»Dessen bedarf die Frau Kommerzienrätin nicht,« sagte Lothar von Lenz, »am allerwenigsten den Schutz von Rowdies.«

Hochgehobene Stöcke, Schirme, Fäuste, doch Vorübergehende trennten die Streitenden. Lothar beruhigte sich indessen noch nicht und forderte den herankommenden Schutzmann auf, den lautesten Krakehler, der offenbar etwas angetrunken war, festzunehmen. Am folgenden Abend kam der Vorfall in die Zeitungen, und aus den Initialen »Premierleutnant v. L. von den Gardedragonern« errieten Frau Viktoria und Tochter ihren Beschützer und Retter.

»Du mußt Dich bei ihm bedanken,« sagte Wicky zu ihrem Gatten.

»Um die Sache an die große Glocke zu hängen?« rief er aus. »Vielleicht hat Euch Lothar nicht erkannt. Das beste ist, wir rühren uns nicht, und so wird niemand erfahren, daß Ihr die Heldinnen des häßlichen Abenteuers seid.«

Dabei blieb er, und Wicky klagte ihrer Mutter, wie unritterlich er sich benommen.

»Was soll ich erst von Heller sagen!« rief Frau Viktoria wutschnaubend. »Er lachte mich einfach aus und meinte, es sei uns Recht geschehen, warum brachten wir uns leichtsinnig in solche Gefahr. Ich frage aber, warum begleiten uns denn die Herren Ehemänner nicht? Weil sie immer im Geschäft stecken. Sie tragen an allem die Schuld. O Wicky, ich verzeihe es mir nie, daß ich Dich einem Kaufmann zur Frau gegeben! Als wäre ich nicht schon gestraft genug mit meinem alten Fabrikler! Wahrlich, die Polizei sollte den Kaufleuten das Heiraten verbieten, denn sie machen ihre Frauen bloß unglücklich!«

»Ja, galant sind die Herren vom Kontor nicht!« bestätigte Wicky ganz schwermütig.

»Aber er, wie anders benahm er sich!« fuhr die Alte begeistert fort. »Ein echter Offizier!« Und in ihrem Entzücken sprach sie das z so weich und schmelzend aus, daß es wie ein hingesäuseltes s klang. Aber mit einem plötzlichen Entschlüsse wandte sie sich ihrer Tochter zu. »Kind, wir müssen uns bei ihm bedanken! Nützen wir die gute Gelegenheit, uns ihm zu nähern. Ich habe immer bedauert, daß wir mit Berkows so gut wie keinen Verkehr haben, und doch zählte ich bei Deiner Verheiratung fest darauf. Ich glaube, Lothars Frau ist schuld daran, diese hochnäsige Person! Aber ihr Mann ist ein entzückender Mensch. Nicht weniger interessant als sein Vater, der Konsul, und dabei jung und schneidig. Halten wir uns 'ran, Kind!«

Sie zogen ihre neuesten und elegantesten Kleider an und fuhren nach der Stülerstraße. Leider war nur der alte Freiherr zu sprechen, der gerade seine Rosen im Treibhause begoß und die Damen freundlich empfing.

»Meine Tochter kann leider keine Besuche annehmen,« sagte er, als sie ihm ihr Anliegen mitgeteilt, »und mein Schwiegersohn ist ausgegangen. So viel ich weiß, hatte er die Absicht, sich nach dem Befinden der Damen zu erkundigen. Wahrscheinlich ist er bei Ihnen vorgefahren, während ich die Ehre habe, Sie hier zu sehen.«

Die Damen waren untröstlich über dieses Verfehlen und brachen eilig auf, um den ihnen zugedachten Besuch womöglich zu Hause noch abzufangen. Der Baron folgte ihnen bis zum Gartenthor und wurde nicht müde zu versichern, daß sein Sohn nur seine Pflicht gethan.

»Nein, nein,« protestierte Frau Viktoria, »er hat unsertwegen seine Uniform riskiert. Er ist ein echter Ritter ohne Furcht und Tadel, und wir müssen ihm persönlich danken.«

Sie stiegen in ihren Wagen, und der Freiherr kehrte kopfschüttelnd zu seinen Rosen zurück. Aber noch jemand schüttelte den Kopf. Es war Adelheid, die im blauseidenen Morgenkleid hinter ihrem Fenster stand und den beiden auffallenden Modedamen nachsah. Wahrlich, jetzt wunderte sie sich nicht mehr über das Abenteuer im Kastanienwäldchen, von dem ihr Lothar erzählt hatte.

»Armer Hans!« seufzte sie. – –

Unterdessen war ihr Gatte wirklich umsonst nach Charlottenburg gefahren. Am folgenden Tag erneuerte er seinen Besuch und war diesmal glücklicher. Wicky hatte ihn schon den halben Tag sehnsüchtig erwartet. Um ihn diesmal ja nicht zu verfehlen, hatte sie keinen Fuß aus dem Hause gesetzt. Als ihr endlich der Herr Leutnant gemeldet wurde, stieß sie einen Seufzer der Erleichterung aus und warf noch schnell einen Blick in den Spiegel. Sie konnte zufrieden sein. In ihrer Rosa-Matinee sah sie wirklich verführerisch aus. Er mußte das ebenfalls finden, gleichwohl warf er auf ihre Toilette einen verwunderten Blick. Ihn so im Deshabillé zu empfangen! Und am hellichten Tage! Das mußte er ihr abgewöhnen.

Sie schien seinen Blick zu verstehen und war als kluge Evastochter um eine Entschuldigung nicht verlegen. Sie sei noch leidend, ohne Zweifel eine Folge der Erregung; ihr Arzt sei über ihr blasses Aussehen erschrocken und habe ihr größte Schonung empfohlen. Gut pariert, dachte er, aber sie vergißt dabei, daß sie rot aufgelegt hat. Muß ich ihr abgewöhnen. Nummer zwei!

Er erkundigte sich auch nach der Frau Kommerzienrätin. »Ebenfalls leidend? Bedaure ich sehr und wünsche gute Besserung.« Er wußte, daß sie log, denn er hatte die Alte heute zu Buchholz tänzeln sehen. Also nicht aufrichtig. Nummer drei!

Dann sprach sie aus Artigkeit von der anderen Abwesenden, seiner Frau, die stets das Zimmer hüten müsse. »Herr Leutnant, Sie sind ungefähr in derselben Lage wie ich,« sagte sie mit munter erhobenem Stumpfnäschen. »Strohwitwer fast, wie ich beinahe Strohwitwe. Denn auch mein Mann kann mich nie begleiten. Immer steckt er im Geschäft.« »Ja, Papa erzählte mir von seinem Eifer,« gab er zurück. »Sogar seine liebe Musik hat der Kousin an den Nagel gehängt.«

»Gott sei Dank!« rief sie aus. »Es hatte ja doch keinen Zweck. Mein Papa pflegt zu sagen: Ein guter Kaufmann soll nur Kaufmann sein.«

»Da mag er von seinem Standpunkte Recht haben, aber für eine junge, hübsche Frau ist diese Einseitigkeit unangenehm.« Er küßte galant ihre Hand, was sie sich mit einem schämigen Gethue gern gefallen ließ. Nummer vier, dachte er. »Und auf solche Weise,« fuhr er fort, »kommt natürlich die niedliche Kousine in allerhand unangenehme Lagen.«

Ein Wort gab das andere, und man kam vom hundertsten ins tausendste. Konzerte, Bälle, Premieren, sensationelle Reichstagssitzungen u.s.w.

»Morgen ist ein Wohlthätigkeitbazar beim Reichskanzler,« sagte er.

»Sie werden natürlich dort sein?«

»Selbstverständlich.«

»Ach wie gerne möcht' ich hin, um den großen Mann in der Nähe zu sehen, doch Hans ist natürlich nicht zu haben. Geh' ich aber allein, so kann mir wieder etwas Unangenehmes begegnen. Wie jammerschade!« Das war deutlich, allzu deutlich. Nummer fünf! Er konnte nach diesem groben Winke nicht anders, als der Kousine seine Begleitung anzubieten, die ohne weiteres mit tausend Freuden angenommen wurde.

»Meine Mama wird strahlen!« jubelte sie. Jetzt erst dachte er an diese leidige Zugabe und lächelte bittersüß. Auch die Alte mußte er ihr abgewöhnen. Nummer sechs!

Nachdem sie Zeit und Ort des Zusammentreffens verabredet, empfahl er sich, indem er den Kneifer ins Auge klemmte und ihre kleine, runde, weiße Hand küßte.

Sie ist liebenswürdig, sagte er sich auf dem Heimwege, viel zu liebenswürdig! Nummer ...? Doch nein, das werde ich ihr lieber nicht abgewöhnen!


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